Festival Internationale Neue Dramatik - Neue Stücke von Rodrigo Garcia, Paul Brodowsky und Wajdi Mouawad
Goya- und Disney-Fratzen, Beethoven und Bärenfell
von Georg Kasch
Berlin, 5. März 2011. Früher wollte man noch mit einem Taxi nach Paris. Heute, da Träume der Finanzlage angepasst werden, muss ein bisschen Cruisen durch Madrid reichen. Oder durch Neukölln, ist ja fast das gleiche. Jedenfalls spielen Taxis eine nahezu schicksalhafte Rolle in zwei der drei Uraufführungen, mit denen F.I.N.D. 2011, das Festival Internationale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne, gerade startete. Beide haben es in sich. Praktisch, dass sie ins Repertoire übernommen werden.
Das Erhabene und das Ordinäre
Beim Städtevergleich Berlin – Madrid punktet übrigens die spanische Hauptstadt. Was vor allem an Rodrigo Garcías herrlich respektlosem Monolog "Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch" liegt. In schönster Pollesch-Manier mischt er das Erhabene und das Ordinäre, den Diskurs und die Lüste und schlägt aus diesen Kontrasten absurde Funken: Ein junger Vater haut sein lächerliches Erspartes auf den Kopf, indem er mit seinen zwei kleinen Söhnen nach Madrid fliegt, sich dort von Peter Sloterdijk zuschwallen lässt und nachts in den Prado einsteigt, um sich Goya, Velasquez und Co. mal in Ruhe anzuschauen.
Lars Eidinger erzählt diese ganz auf ihn und seinen Berliner Blick zugespitzten zehn Prosa-Seiten zwischen DJ-Bücherpult und einem diskokugelglitzernden Taxi auf einer drehbaren Rasenscheibe, pendelnd zwischen Erkenntnis und Wahn. Einleuchtend argumentiert er sich durch seine spinnerte, aber klar umrissene Welt, lässt Sloterdijk per CD-Player für sich sprechen (was in diesem Zusammenhang irrsinnig komisch ist) und füttert dabei eine gekidnappte Person im Sack. Ist der Philosophenausflug also doch nicht so freiwillig wie behauptet? Eidinger schillert wie ein Rockstar, dreht im falschen Pelz die Boxen zu selbstgemachtem Techno auf, spielt mit Stroboskoplicht und Nebel, begießt am Ende kleine Büchergräber. Ein Parforceritt zwischen E und U, Goya- und Disney-Fratzen, Bummbumm und Beethoven.
Fuchs im Smoking
Aber auch Berlin schneidet nicht schlecht ab. Paul Brodowsky hatte seinen bunten Shortcuts-Bilderreigen Regen in Neukölln, der Roland Schimmelpfennigs "Auf der Greifswalder Straße" nachfolgt und mit fragwürdigen Buchstaben- und Wortverdrehern angefüttert ist, schon zum Theatertreffen-Stückemarkt 2008 vorgelegt. Etwas Besseres als Friederike Hellers Uraufführungsregie konnte ihm nicht passieren. Sarah Roßberg hat dafür bei Olafur Eliason gewildert und einen Steg aus Berliner Gehweggranitplatten gebaut, der sich mit einem Gabelstapler später in lauter Steininseln verwandelt.
Heller nimmt Brodowskys Impressionen leicht. Sie spielt mit dem Kopfkino der Zuschauer, tupft die Typen ironisch hin und lässt sie von tollen Schauspielern im Turbo-Gang zu Charakteren aufmotzen: Ernst Stötzner berlinert den notgeilen Taxifahrer Karl-Heinz als überplastischen Antihelden hin. Eva Meckbach motzt sich als coole Postmigrantin an den Klischees vorbei. Weil Sebastian Nakajew in einem Berliner Knut-Bärenfell steckt, klingen die rechten Parolen seines Scherenschleifers perfide putzig. Und Niels Bormann tänzelt den Fuchs im Smoking hin, als ob er für die Rolle geboren wäre: distinguiert, genervt, mit scheuem Blick. Wenn es am Ende aus Flaschen schüttet, bekommt man einen unterhaltsamen Eindruck davon, zu welchen (alp)traumhaften Zuständen Berliner Nächte fähig sind.
Meterdicke Symbolik
Am unattraktivsten erscheint nach den vergangenen Tagen die kanadische Minen-Stadt Fermont am Rande der Zivilisation. Hier spielt Wajdi Mouawads "Zeit", dessen Uraufführung (als Gastspiel des Théâtre du Trident, das das Stück ab nächster Woche in Québec zeigt) das F.I.N.D.-Festival eröffnete. Ein Geschwisterdrama von antiker Wucht mag dem Autor der "Verbrennungen" vorgeschwebt haben, als er inzestuösen Kindesmissbrauch, eine Rattenplage und jede Menge existenzieller Gefühle mit Euripides, Shakespeare und Ibsen kreuzte: Eine Frau ruft ihre beiden Brüder zusammen, um den perversen, todkranken Vater umzubringen. Hat man einmal begriffen, wer wer ist, läuft der Mysterythriller äußerst vorhersehbar ab, meterdick mit deutlichster Symbolik übergossen.
Szenisch legt Regisseur Mouawad noch einmal nach: Da bläst der Wind der Veränderung aus großen Turbinen, taugt ausgerechnet eine Matroschka (das Gastgeschenk des russischen Bruders) zum Familiensymbol, wird aus einem Projektil, das der eine Bruder in der Schulter trägt, die Todeskugel gegossen, die dem senilen Vater dann in der kleinsten Holzpuppe serviert wird. Das dehnt sich. Wird pathetisch zelebriert. Durchlitten. Behauptet. Am Ende ist der Vater tot, sind die Ratten fort und kann die Schwester wieder hören. Das ist Schmonzes.
Neue Dramatik sieht zum Glück anders aus.
Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch (UA)
von Rodrigo García
Deutsch von Philipp Löhle
Regie, Bühne und Kostüme: Rodrigo García, Licht: Carlos Marquerie, Dramaturgie: Nils Haarmann.
Mit: Lars Eidinger
Regen in Neukölln (UA)
von Paul Brodowsky
Regie: Friederike Heller, Bühne: Sarah Roßberg, Kostüme: Teresa Grosser, Dramaturgie: Bernd Stegemann.
Mit: Niels Bormann, Franz Hartwig, Urs Jucker, Eva Meckbach, Sebastian Nakajew, Ernst Stötzner, Luise Wolfram
Zeit (Temps, UA)
von Wajdi Mouawad
Regie: Wajdi Mouawad, unterstützt von Alain Roy, Künstlerische Mitarbeit: François Ismert, Dramaturgie: Charlotte Farcet, Bühne: Emmanuel Clolus, Kostüme: Isabelle Larivière, Licht: Eric Champoux, Musik: Michael Jon Fink.
Mit: Marie-Josée Bastien, Jean-Jacqui Boutet, Véronique Côté, Gérald Gagnon, Linda Laplante, Anne-Marie Olivier, Valeriy Pankov, Isabelle Roy
www.schaubuehne.de
Mehr lesen? Zu den Präsentationen des 2010er-F.I.N.D.-Jahrgangs gehörte Rafael Spregelburds Stück Die Paranoia.
"Eidinger, seit 1999 festes Ensemblemitglied an der Schaubühne, ist einer, der Unberechenbarkeit auf der Bühne 'kann'", schreibt Dirk Pilz in der Neuen Zürcher Zeitung (17.3.2011). Garcías intellektuell adretter Text gewinne Größe durch Garcías Regie und Lars Eidingers Spiel. "Am Ende begiesst Eidinger kleine Büchergräber: ein schöner, in einfache Bedeutungen nicht auflösbarer bildhafter Ab- und Hochgesang auf uns Menschen der Moderne." Die würden auch in "Regen in Neukölln" auftreten, und ihre Begegnungen "sind ein bisschen traurig, ein bisschen lustig, ein bisschen weltschmerzvoll. Bei Heller sind sie komisch schräg, und das ist das Beste, was diesem Text passieren konnte." Die Uraufführung verleihe dem Text Komödienflügel.
"'Zeitgenössisches Theater findet die Themen, die aktuell sind, das ist unvermeidlich', dröhnte der Regierende Bürgermeister und strahlte mit honigkuchenpferdhaftem 'Mir kann keiner'-Grinsen ins Publikum", berichtet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (11.3.2011) von der Eröffnung des F.I.N.D.-Festivals. "Damit schien auch schon der theatralische Höhepunkt des Festivals erreicht." Die anschließende Premiere habe aber – "Strafe muss sein", so Laudenbach – eindrücklich bewiesen, "dass das Theater 'Themen, die aktuell sind', nicht nur finden, sondern auch im parfümierten Kunstgewerbe versenken kann." Mouawads "Temps" sei nämlich eine "prätentiöse Zumutung, in der es schwer poetisch raunt: 'Der Himmel ist leer.' Der feierliche Aufführungsstil und das grundlos von sich selbst ergriffene Deklamieren machen es nicht besser." Lustiger immerhin sei Lars Eidinger in Rodrigo Garcías "Goya"-Stück: "Ein Abend wie eine ungesunde Party, die sich nach zehn Minuten eher schal anfühlt und unmittelbar nach Verlassen des Lokals rückstandslos vergessen ist. Was leider auch für den Rest des bisherigen Festivals gilt."
Den ersten Teil des F.I.N.D.-Festivals lässt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (7.3.2011) Revue passieren. Wajdi Mouawad, dessen "Temps" das Festival eröffnete, besitze "ein Gespür für Bildwucht und Mythenhall, keine Frage. Und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Es ist eine im Grunde plakative Rache-Geschichte, bedeutungsschwanger verbrämt." Paul Brodowskys "Regen in Neukölln" hingegen, "diese rotzig-schöne, sanft abgehobene Asphalt-Ballade" habe Friederike Heller "angenehm leichthändig inszeniert". Der bisherige Höhepunkt sei aber Rodrigo Garcias "wüster Theater-Trip" "Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch" gewesen: "mit einem fulminanten Lars Eidinger".
Für Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (5.3.2011) ist Wajdi Mouawad "der große Poet unter den gegenwärtigen Theaterautoren". In seinem Stück "Temps" mutiere Zeit "zur Metapher des Seins überhaupt. Alles, was hier geschieht, hat eine Dauer, die man aushalten muss. Aber so erst versteht man, was das eigentlich ist: warten. Und: im Warten erkennen." Die Geschichte des Stücks sei "komplexer, als es bei oberflächlicher Betrachtung scheint." Mouawad lasse "sich und uns Zeit, diese Geschichte zu erzählen, sie wie eine Zwiebel zu häuten. Fast ausnahmslos nehmen wir die Bewegungen der Protagonisten wie in Zeit-Lupe wahr, agogisch zerdehnt, wie ein einziges tempo rubato. All diese Dinge wiederholen sich. Aber gerade durch diese Wiederholung entsteht Erinnerung, rückt das Geschehen näher heran: an die Figuren, an uns. Unmerklich wird der Zuschauer Teil des Ganzen, Teil der Zeit, Teil der Poesie, die von diesem Abend ausströmt."
Wajdi Mouawad schlage "in allen seinen Stücken einen gewollt komplizierten Weg ein", meint Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (5.3.2011): "Zuweilen erstarrt alles in verklausuliert pathetischem Tragödienkitsch, dann wieder springen Sätze und Bilder nur knapp skizziert wie Pfeile voran". "Zeit" aber stelle "letztlich eine allegorisch überladene Inzestgeschichte über die Vergewaltigung der Gegenwart durch die Vergangenheit und die Missachtung der Vergangenheit durch die Gegenwart" dar. Jeder Text Mouawads – "und das ist seine Schwäche – gibt sich wie in Stein gemeißelt und hat keinen geringeren Anspruch, als die Neuschöpfung der Welt".
In der Berliner Morgenpost (7.3.2011) zeigt sich Elena Philipp erfreut: "Das Virtuosenstück des argentinisch-spanischen Autors und Regisseurs Rodrigo García ist Eidinger auf den Leib geschneidert." Die Handlung sei Nebensache, doch mit seinem "grenzenlosen Hedonismus, der tief in europäischer Bildung wurzelt" gelinge García "ein unterhaltsames Generationenporträt". Im "Kiezporträt" "Regen in Neukölln" drifteten die Figuren des Autors Paul Brodowky wie ein Episodenfilmen à la "Short Cuts" aneinander vorbei, "um am Ende so zufällig wie erzählerisch ergiebig miteinander verbunden zu sein". Friederike Heller habe der Uraufführung des Stücks "einen Energieschub" verpasst, und der Abend mache "Lust auf mehr".
Als ein gruselig misslungenes Stück bezeichnet Hartmut Krug im Deutschlandfunk (8.3.2011) Mouawads Stück "Zeit", "das in des Autors Regie dem Schaubühnenfestival zum Auftakt gleich fast einen K.O.-Schlag versetzte." Rettung allerdings nahte mit Jean-François Sivadiers "Noli me tangere", "wunderbar choreografiert und in große Bilder gefasst" sowie mit dem harmlosen "Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein anderes Arschloch", das durch Lars Eidinger immerhin sehenswert werde. Und mit "Regen in Neukölln": "Das 2008 beim Stückemarkt des Theatertreffens aufgefallene Stück führt skurrile Figuren vor. In der leeren Studiobühne springen sie wie in einem nächtlichen Albtraum über Gehwegplatten zueinander und voneinander weg. Wunderbare Schauspieler, an ihrer Spitze Ernst Stötzner als berlinernder, geiler Taxifahrer und Niels Bormann als eleganter Stadtfuchs im Smoking, machen diese kleine Inszenierung zum großen Ereignis".
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Es spricht nicht für die Theaterkritik, die Kanadier, die etwas wagen, neben 'Regen in Neukölln' zu stellen, es sei denn die Aussage soll hier sein, dass neue Dramatik vor allem eins zu sein hat, nämlich abgedroschen.
Und so ganz kann Mouawad nicht im Mittelalter hängen geblieben sein, schließlich werden in 'Zeit' auch Tiere erwähnt, die damals kein Mensch kennen konnte.
Ebenso könnte diese Inszenierung in den Kontext von Artauds Theater der Grausamkeit eingeordnet werden. Dafür war die Repräsentation als solche aber zu sehr abgeschlossen. Das Theater wirkt hier zwar auf den Körper, geht jedoch nicht darüber hinaus. Wohingegen die Wirkung auf Körper, Sinne und Nerven nach Artaud ja nur eine Art Durchgangsstadium hin zu einem quasi "höheren Bewusstsein" (Stichwort: Tranzendenz) sein sollte. Zitat Artaud:
"Keine Grausamkeit ohne Bewußtsein, ohne eine Art von angewandtem Bewußtsein. Das Bewußtsein verleiht der Ausübung eines jeden Lebensvorgangs seine Blutfarbe, seine grausame Nuance, ist doch das Leben eingestandenermaßen stets jemandes Tod."
Zudem muss zu Artaud kritisch angemerkt werden, dass sein Konzept von "Befreiung" durch Theater auch nur ein totalitaristisches sein könnte. Nach Artaud soll der Zuschauer die Position des Zuschauers aufgeben und sich von den theatralen Vorgängen absorbieren lassen, welche den Zuschauern ihre (kollektive) Energie zurückgeben sollen. Vielleicht ist das aber gar keine Befreiung, sondern vielmehr eine Unterdrückung des Selbst des eigenständig denken wollenden und erst darüber "lernenden" Zuschauers.
Gut möglich, dass der Zuschauer zum Lernen ins Theater geht, aber dann sollte das Theater die Zuschauer nicht immer wie Kinder behandeln. Ein Eisbär als Kuscheltier ist äußerst kindisch.
Fakt ist, "Zeit" hat mich gefühlsmäßig absorbiert. Am Ende hätte ich selbst töten können. Doch ist das sinnvoll? Aus einem ewigen Schmerz heraus auf Rache zu sinnen? Die Erlösung hin zu einem nach Camus von Liebe und Solidarität getragenen Humanismus befindet sich demgegenüber jedenfalls in weiter Ferne, so nah die ein wenig herbeigeschrieben wirkende Erlösung durch den Frühling am Ende des Stücks auch erscheinen mag.
Ich schwanke deswegen in meiner Beurteilung dieses Abends, weil ich in meinen Emotionen ungern überrumpelt werde. Gleichwohl, dass es sich hier um das Thema Zeit und Gedächtnis im Sinne einer Darstellbarkeit von Schicksal handelt, das rechne ich Mouawad hoch an. Die Geschichte selbst ist mir ein wenig "too much" - ein wenig zu sehr mythisch-symbolistisch überfrachtet. Der wahnwitzige Zynismus jeden Krieges zum Beispiel, welcher - ebenso wie die Pest - zugleich Zerstörung und Neuanfang bedeuten kann, kam bei mir erst in dem Moment im Bewusstsein an, als ich mich einmal kurz vom umfassenden Gefühlsansturm dieser Inszenierung befreit fühlte. Da lautete es aus dem Mund von Edward Ferlan, des Bruders von Noella: "Ich führe nur Kriege, welche vom internationalen (Völker-)Recht gedeckt sind." Oder so ähnlich. Darüber hätte ich gern weiter nach-gedacht, zum Beispiel im Hinblick auf den Sinn von Kriegen überhaupt. Doch ich kam ja gar nicht dazu. Wieder wurde ich in den Schrecken der Erfahrung von Schicksalhaftigkeit, welche nicht ist, sondern immer nur in ihrer Darstellbarkeit gewesen sein wird, hineingesogen. Unerbittlich.
Zwischenzeitlich habe ich mich ein wenig gelangweilt. Ein Verweis auf den Leerlauf des theatralen Unterhaltungsmechanismus? Jedenfalls, manche Szenen waren einfach zu lang, zum Beispiel diese Comédie Francaise der Auferstehung Christi in der Brechtschen Verfremdung bzw. vor dem roten Brechtvorhang als Spiel im Spiel im Spiel.
Gerade der Wechsel zwischen gefühlsmäßiger Absorption, welche hier auch eher dem barocken Kitsch als der psychologisch-realistischen Darstellung nahekommt, und rationaler Distanznahme ist für mich ein Experiment in Richtung einer tatsächlichen intellektuellen Emanzipation des Zuschauers.
Besonders fasziniert hat mich beispielweise die Performerin des Engels als Mittler zwischen Souverän (Regisseur) und Volk (Zuschauern). Wie sie da einmal das Publikum um eine Sekunde Nicht-Denken bittet, weil sie ja immer alles vermitteln bzw. "erklären" müsse. Nach einigen Sekunden Ruhe tut sie das dann auch wieder, indem sie die Geschichte vom "Wiederaufersteher" trocken mit folgenden Worten kommentiert: "Oh, jetzt hab ich geweint." Hier zeigt sich auf wunderbare Art und Weise die Entlarvung der üblichen Dramaturgie von Schuld und Erlösung, welche in der aristotelischen Katharsis enden soll. Schöner Boykott.
Der grausame Eisbär kommt in ‚Zeit’ nicht vor. Aber der Ort der Handlung befindet sich in einem Teil der Welt, in dem es schon passieren kann, dass plötzlich ein Bär vor der Haustür steht.
Aber auch ohne Eisbären lassen sich in dem Stück Hinweise auf eine unfassbar brutale Natur finden: die Ratten skelettieren ein ganzes Karibu und es ist kalt, richtig kalt. Die Menschen kennen die Grausamkeit der Natur, gleichzeitig wissen Sie aber auch, dass Sie dieser nichts entgegen setzen können. So lehnt ja auch die stellvertretende Bürgermeisterin/Baustadträtin (oder so) mit Pfeil und Bogen den Vorschlag eine Mauer gegen die Invasion der Ratten zu bauen ab: Diese Mauer wird nichts nützen, die Natur wird nur zurückschlagen.
Möglicherweise ist genau dieser grausame Norden das einzige Schicksal, welches alle teilen. Dem ewigen Eis müssen Sie sich unterordnen. Der Rest ist dann einfach Verhandlungssache. Missbrauch oder Erpressung, gut und böse sind alle und Rache ist zuallererst eine Frage der Ausdauer. Nur selbst in der Rache, nach dem Mord an dem Vater, kommt die Natur wieder ins Spiel. Der Leichnam des Vaters soll geopfert werden, um die Stadt zu retten. Ist diese Opferung gut oder böse oder etwas anderes? Ich weiß es nicht…
Aber es ist gut, dass erst einmal der Frühling kommt. Immer gleich den Sommer zu wollen, ist glaube ich auch nicht gesund: Deshalb hatte ich dann auch etwas Angst um das Dolmetscherpärchen, welches sich nach Miami aufmacht. Da werden doch immer alle ausgeraubt…
Jetzt weiß ich endlich was Georg Kasch mit Schmonzes meint. Da fahre ich doch lieber nach Eurodisney und drücke einem verschwitzten Bärendouble die Hand. F.I.N.D. den Bär in dir oder be Bärlin. Schönes Motto. Konnte man Klaus Wowereit nicht auch noch in ein Bärenkostüm stecken, dann wäre die Rede wenigstens wirklich lustig gewesen.
Und im Hinblick darauf hat das Dolmetscherpärchen in meiner Wahrnehmung im Grunde das einzig Richtige getan, denn es war ja auch "nicht Thema", es hat ja nur das Nicht-Verstehen der Familienmitglieder untereinander "übersetzt" und steigt am Ende aus dieser verhängnisvollen Familiengeschichte aus. Dass die beiden Frauen nun offenbar auch noch lesbisch sein müssen, okay. Das wirkte auch wieder etwas überkonstruiert, war aber vielleicht auch ein Weg raus, sowohl aus den ödipalen Verstrickungen der herkömmlichen Kleinfamilie als auch aus der Lustfeindlichkeit und Angst vor der Homosexualität im Kontext des christlichen (Aber-)Glaubens.
"Wir" machen mit dieser Erkenntnis gar nichts. Ich gehe nicht ins Theater, um danach mit Ihnen auf der Straße zu demonstrieren. Das ist mir ehrlich gesagt zu blöd. Außerdem handeln hier ja auch die Personen in einer bestimmten Situation. Ich war sehr erleichtert, dass das Theater die dramatische Arbeit diesmal selbst in die Hand genommen hat. Sonst muss der Zuschauer ja immer das Handeln übernehmen, weil dies die Figuren auf der Bühne mal wieder nicht gebacken kriegen.
Wenn Sie nun auch noch ödipale Verstrickungen entdecken, tun Sie das gerne. Allerdings fand ich die Figuren einfach zu krass für die Couch.
Hoffentlich nicht. Ich persönlich hätte mir zum Beispiel mehr erwünscht von einem regierenden Bürgermeister und Kultursenator, welcher ein Festival wie das F.I.N.D. eröffnet. Wenn Klaus Wowereit es nicht allein schaffen sollte, stehen ihm dann nicht noch André Schmitz oder der wissenschaftliche Dienst als Redenschreiber zur Verfügung? Dass Herr Wowereit hier nur eine beliebige Aufzählung internationaler zeitgenössischer Autoren und Regisseuren vorgenommen hat, ohne dass diese im Kontext des F.I.N.D. überhaupt vorkommen würden (zum Teil jedenfalls), das war mir leider wirklich ein bisschen zu wenig. Oder: Zuviel Gerede von "der Kultur" und zu wenig Bewusstsein für die kulturelle Dringlichkeit von "Kunst" als Ort, als öffentlicher Spiel-Zeit-Raum der Verständigung einer politischen Gemeinschaft über sich selbst. Wenn dabei bei Wowereit am Ende nur rauskommt, dass es in Lars Noréns "Dämonen" in der Inszenierung von Thomas Ostermeier angeblich um "den Selbsthass einer Generation" geht, dann kann ich mich über diese Pauschalisierung nur wundern und wünsche mir einen empörten Aufschrei von Seiten genau dieser Generation. Früher war alles besser, und die 68er-Generation war sowieso die Beste? So einfach ist das alles nicht.
Was ist so schlimm daran, ins Theater zu gehen, einfach um der Erkenntnis willen. Und selbst wenn Sie Veränderung wollen, wie soll das gehen, ohne vorher was erkannt zu haben?
Sie klingen resigniert, wenn Sie das Gelingen eines Festivals allein an der Rede eines Politikers messen wollen. Die einleitenden Worte des Regierenden waren wirklich nicht der Brüller, aber was solls...Wenn Sie von einer "kulturellen Dringlichkeit der Kunst" überzeugt sind, wären es ja genau solche Momente, die einmal mit Kunst überzeichnet gehören.
Was Sie jetzt mit dem Aufschrei einer Generation meinen und dem Früher war alles besser kann ich nicht verstehen. Ich wurde in den Achtzigern gezeugt, was die Worte "wir" und "Generation" bedeuten habe ich nie gelernt...
Übrigens, ich liebe das F.I.N.D., und gerade deswegen hätte ich mir eine etwas prägnantere Rede von Herrn Wowereit gewünscht. Ja, tatsächlich. Dringlichkeit besteht immer.
Und Sie haben wirklich nie gelernt, was das Wort "wir" bedeutet? Wie traurig. Wer wenn nicht wir. Schönes Motto. Das Private ist immer noch politisch. Ja zum Wir, und dabei das Ich nicht vollends an die abstrakte Ideologie verlieren.
In Bezug auf die "Dämonen" wollte ich darauf hinaus, dass es darin meines Erachtens nicht um "den Selbsthass einer Generation" geht, sondern vielmehr treffen hier zunächst mal zwei unterschiedliche Paarkonstellationen bzw. Lebensformen aufeinander, welche sich in ihrem Ennui wechselseitig zerstören. Da bleibt alles im Privaten stecken. Furchtbar unpolitisch. Ob das nun aber nur Selbsthass ist (oder nicht zugleich und paradoxerweise auch Liebe) und zudem noch auf eine ganze Generation zutrifft, das würde ich hinterfragen wollen. Ihre Worte betreffs der Unkenntnis eines "wir" könnten das allerdings wiederum unfreiwillig bestätigen.
Vielleicht war es ja ein Praktikant, den Redenschreiber meine ich. Vielleicht muss man ja aus meiner Generation kommen, um die Rede als typisch für diese "politische Gemeinschaft" zu sehen: Handeln soll man permanent und vorher wird auch immer viel geredet, aber das Gesagte wird nicht eingehalten. Da bin ich froh, dass ich nie ein "wir" gelernt habe, sonst wäre ich jetzt echt am Ende oder würde nur noch in die abstrakte Ideologie flüchten wollen.
In "Dämonen" können die Figuren auch nur ahnen, was ein "wir" bedeuten könnte, offensichtlich wissen Sie es noch nicht. Aber jetzt müssen Sie erst einmal sagen, welche Generation Sie eigentlich meinen.
Übrigends: Sie "lieben" das F.I.N.D. und wollen das alle "leiden". Wie stehen Sie denn zum "wir"?
Mir ging es hier aber eher darum, dass Wowereit den Gegenstand seiner Rede nicht fest genug umrissen hat. Was zum Beispiel hat das Schimmelpfennig-Stück "Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes", welches ich im Übrigen im Hinblick auf die Widersprüche zwischen westlichem und afrikanischem Kulturkreis bzw. auf die Thematik der Entwicklungshilfepolitik für eindimensional und eher platt konstruiert halte, mit dem F.I.N.D. zu tun?
Bei Lars Norén sind die Figuren der "Dämonen" vom Alter her in den Mittdreissigern angesiedelt. Und dass diese Generation komplett unpolitisch sei, davon würde ich jetzt ersmal nicht ausgehen wollen. In meiner Wahrnehmung sind die Figuren bei Ostermeier aber eher im Bereich der heutigen Endzwanziger bzw. Dreissiger angelegt, also Ihre Generation, welche Ihnen nach kein "Wir" kenne. Nun ja, genau darin zeigt sich dann wohl das Unpolitische des Rückzugs ins Private. Hier herrscht ein selbstzerstörerischer Mangel an utopischer Vorstellungskraft.
Ach, dass alle leiden sollen, dass ist doch nur ein poetischer Kunstgriff. Das passende Motto für Masochisten zum Beginn der christlichen Fastenzeit. Kleiner Scherz.
Wie kommen Sie denn darauf, dass sich die Paare in "Dämonen" verjüngt haben? Das macht jetzt aber keinen Sinn. Denn dann kann ich mich nur fragen: Wenn die Mittdreißiger so politisch sind, warum delegieren Sie dann die Verantwortung einfach nach unten?
Und das Gerede vom "Mangel an utopischer Vorstellungskraft" kann ich nicht mehr hören. Die Vorstellungskraft der Generation vor mir beschränkte sich auf die Erfindung von Casting-Shows. Vielleicht ist zur Abwechslung jetzt einfach mal Ruhe!
Dieses Phänomen wiederholt sich möglicherweise in der heutigen Generation der Zwanzig- bis Dreissigjährigen, wobei der globale Finanzkapitalismus bzw. die ökonomistische Durchdringung aller Lebensfragen und -formen noch virulenter zu Tage tritt als noch dreissig Jahren zuvor. Es ging mir also nicht um Delegation oder Schuldzuweisungen zwischen den Generationen, sondern vielmehr um die offene Frage der Notwendigkeit eines gemeinsamen politischen Handelns, um die Frage, wie "wir alle" eigentlich leben wollen.
Und wenn Sie Castingshows nicht mögen, dann erfinden Sie doch mal was, anstatt immer nur zu jammern. Wenn man die Veränderung nicht begehrt, dann passiert auch nichts!
Eine Antwort fällt mir jetzt schwer: Ich kann leider nur etwas ahnen, aber nicht gleich was Neues erfinden...
So ganz gleichsetzen können Sie die Achtziger Jahre nicht mit dem Heute. Schließlich lagen dazwischen noch die 1990er Jahre. Da gab es ja nicht nur Falco, sondern auch Bikini Kill und Sleater-Kinney. Radikal waren die auch irgendwie, aber nicht im Bezug auf das Kapital. Und dort gibt es auch ein paar Aussagen zur Wechselwirkung zwischen politisch-ökonomischem Kontext und dem Individuum. Mir kommt da zunächst Kill Rock Stars in den Sinn, ganz in kurze Worte fassen kann ich das jetzt aber noch nicht…
Bei Ostermeiers "Dämonen" ließ mich Brigitte Hobmeier die ganze Zeit an „Doll Parts“ von Hole denken, warum, weiß ich nicht…
Mir dagegen ging es eher um dieses schwarze bzw. schwarz-gelbe Stagnations-Restaurations-Loch der Kohl-Jahre zwischen 1982 und 1998 und Parallelen zur aktuellen Merkel-Regierung. Zudem war ja gerade die Grunge-Musik vom Ekel an der kommerziellen Spektakelgesellschaft und der eigenen Rolle darin (!) geprägt. Auch zum Beispiel die Grunge-Ikonen Curt Cobain und Courtney Love sind am Ende unweigerlich zu Marktphänomen geworden, was den Sinn der eigenen künstlerischen Tätigkeit schon sehr in Frage stellen könnte.
Themenwechsel. Haben Sie eigentlich "Penthesilea, Außer Atem" von Johannes von Matuschka gesehen? Das war eine wahrhaft mitreissende Inszenierung, sowohl in der Sprachbehandlung als auch im Körpereinsatz der Schauspieler. Hier ging es nicht um raunende Gefühligkeit (wie bei "Zeit"), sondern um die pure Sinnlichkeit des Begehrens bis hinein in die (Selbst-)Zerstörung. Der Kampf zwischen den rasenden Furien/Amazonen und den zum Teil beinahe grenzdebil bis hilflos wirkenden männlichen Kriegern wurde in seiner beiderseitigen Verstiegenheit zugleich ernst genommen und spielerisch gebrochen. Die Bewegungen der Schauspieler waren zwar extrem sexualisiert, in dieser Ausstellung aber der Verantworung des begehrenden Zuschauer-Blicks übergeben. Wahrnehmung und Erfahrung fließen ineinander. Enorm ansteckend. Und mit Sicherheit kein Bild der Frau als Barbiepuppentopmodel.
Die Amazonen wirken auf mich in ihrer Haltung insgesamt selbstbewusster, wobei sie das Bild der männlichen Angstlust vor starken Frauen (Schlamm-Catcherinnen, Lara Croft oder eben Uma Thurmann in "Kill Bill" beispielsweise) zugleich bedienen und parodieren. Diese Umkehrung der traditionellen Geschlechterrollen entspricht der Anlage von Kleists Stück. Die jungen Frauen des Amazonenstaates benötigen und benutzen die jungen Männer nur zur Zeugung und sollen sich ihrer anschließend wieder entledigen. Diesbezüglich spricht das Bild der Verführung der Männer, welche von den Frauen mit Äpfeln, DEM Symbol der Verführung, gleichsam geknebelt werden, Bände. Penthesilea allerdings verliebt sich gegen die Regeln in einen einzigen jungen Mann, Achilles, was die üblichen Hahnenkämpfe und/oder Eifersuchtsszenarien auf beiden Seiten auslöst. Sie will sich über ihre Niederlage nicht täuschen lassen. Sie will selbst erobern, sie ist erfüllt von dem rauschhaften und rasenden Wunsch, liebend zu unterwerfen. In ihrer Figur zeigt sich das unbedingte Gefühl, eine Haß-Liebe, eine Mords-Lust, welche Penthesilea am Ende auch gegen ihre eigene Brust richten muss.
Wie wollen Sie denn dieses "Stagnationsloch" füllen? Mit Falco? Oder indem alle rumkrakelen wie auf einem Scooter-Konzert? Langsam wird mir auch klar, warum Sie sich "Ihr sollt alle leiden..." nennen.
Lesen Sie sich bitte doch noch einmal Ihre Fragen aus Kommentar 19 durch. Ich glaube kaum, dass Sie eine plausible Antwort darauf geben können. Allein der Nebensatz "wobei der globale Finanzkapitalismus bzw. die ökonomistische Durchdringung aller Lebensfragen und -formen noch virulenter zu Tage tritt als noch dreissig Jahre zuvor" ist einfach zu oberflächlich, als dass sich dafür der Gang zum Regal mit den Lehrbüchern lohnen würde.
Zum Themenwechsel: Ich habe "Penthesilea. Außer Atem" gesehen und ich fand es gut. Mir dämmert aber, dass eine Diskussion darüber mit Ihnen keinen Sinn macht: Hilflos habe auch ich die Männer nicht gesehen, aber wahrscheinlich ist meine Wahrnehmung nur getrübt. Grundsätzlich laufe ich nämlich nicht durch das Leben und sehe alle Männer als geifernde Idioten und Frauen als dumme Schnepfen, die von Ihnen belehrt werden müssen. Allein Ihr letzter Satz zeigt schon, dass Sie einfach immer nur nach neuen Bildern suchen, die Sie anderen Frauen aufdrängen können. Selber handeln, dazu sind Sie nicht in der Lage.
Der Praktikant in der Senatskanzlei hat mit dem "Selbsthass" wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.
Dass "alle Männer geifernde Idioten" und "Frauen dumme Schnepfen" seien, das ist Ihre Rede, nicht meine. Belehren möchte nicht ich, sondern vielleicht vielmehr Sie, insofern Sie von diesen Geschlechter-Klischees auch in deren Negation nicht abrücken mögen.
Penthesilea handelt vom übergroßen Gefühl, welches bis hin zur Zerfleischung reichen kann. Kleist ist hier bis in die (Un-)Tiefen der Seele hinabgestiegen, in die Bereiche der Seele, von der wir, wenn wir "ich" sagen und damit das rationale und autonome Subjekt der Aufklärung meinen, nichts wissen können. Mit Selbsthass hat das nichts zu tun, sondern mit Liebe, so paradox das auch klingt. "I just wanna make love to you" - haben Sie diesen Song nicht gehört?
Na dann, was ist denn Ihre Antwort auf die offene Frage nach einem gemeinsamen politischen Handeln aus Kommentar 19. Ich möchte Sie aber noch kurz darauf hinweisen, dass das Theater zunächst nicht der Raum des Politischen in einer Gesellschaft ist. Wenn Sie immer nach einem "Wir" schreien, wenn Sie nie jemand gewählt hat, das ist gemeingefährlich. Vielleicht lesen Sie vorher einfach noch ein bisschen Hannah Arendt.
Wieder Themenwechsel. Nochmal zu Ihrem Namen. Warum setzen Sie sich eine christliche Maske auf? Und warum wissen Sie als aufgeklärtes Subjekt nicht, dass der Apfel am Baum der Erkenntnis hängt?
Die "Auslese" zwischen männlichen und weiblichen Nachkommen habe ich gar nicht wahrgenommen, es wäre aber nur konsequent, da die Amazonen in ihrem Staat ja unter ihresgleichen bleiben wollen.
Ich habe die Botschaft des Überbringers der Herausforderung zum Kampf trotzdem als "Liebeserklärung" verstanden, schließlich geht es hier darum, dass alle Krieger "die Königin" (la reine) wollen. Diese aber ist diejenige, welche das letzte Wort hat. Und sie will und wählt nur den einen, Achilles.
Die Gasmaskensymbolik ist mir persönlich zu überdeutlich. Das eröffnet eher den Assoziationsraum eines realen Atomkriegs als eines metaphorischen Kriegs zwischen den Geschlechtern. Zudem geht es Kleist ja nicht um die äussere, sondern um die innere Maske, um das Unbewusste, um die obszöne Unterseite der Macht, welche sich von innen heraus Bahn bricht.
@ sabine: Das gemeinsame politische Handeln kann ja eben gerade nicht durch eine Person "von oben" gesetzt werden, sondern es muss kommunikativ und/oder konfrontativ ausgehandelt werden. Wer die aktive Veränderung nicht will, der darf sich gern weiterhin in die passive Innerlichkeit zurückziehen. Wer dagegen immer noch auf der Suche und noch nicht satt ist, der wird auch die passenden Mitstreiter finden, davon bin ich überzeugt. Das "ihr sollt alle leiden" ist - wie oben bereits erwähnt - nur eine ironische Anspielung auf die christliche Erlösungssehnsucht am Ende aller Tage. Ich aber sage: Wann, wenn nicht jetzt? Am Ende aler Tage sind wir alle tot.
Das Christentum hat sich mit der Erfindung von uns (also Gnade und Nächstenliebe) bei Ihnen eindeutig selbst ins Knie geschossen.
Den Schrecken Ihrer Seite habe ich jetzt wohl kennengelernt. Hier darf man sich anscheinend gegenseitig so lange provozieren, bis einem sämtliche Sicherungen durchdrehen. Gut, dass ich in Kommentar 29 mal wieder die Anrede vergessen habe, sonst müsste ich jetzt auch noch jemanden um Entschuldigung bitten. Allerdings frage ich mich langsam auch, was Sie sich denn bei dem Spiel hier so gedacht haben.
Liebe Sabine,
es geht uns nicht um pure Provokation. Oft kommt Provozierendes mit Argumenten einher. Nur wenn es um bloße Rauferei geht, schmeißen wir die Kommentare in den Papierkorb.
Gruß
nikolaus merck für die Redaktion
@ Gnade und Nächstenliebe: Ihre aufgezwungene Versöhnungsideologie ist ein Alptraum, welcher eine neurotische Angst vor den eigenen unkontrollierbaren Affekten offenbart. Dagegen ist die - bei genauerer Betrachtung doch recht passende - metaphorische "Kernschmelze" von Penthesileas Hass-Liebe zu Achilles menschlicher. Wer ist schon so blöd und hält auch noch die andere Wange hin? Kein Mensch jedenfalls, auch wenn Sie es vom Ideal her wohl gern so hätten.
So ganz glücklich bin ich mit Ihrer Antwort aber nicht. Wollen Sie mir jetzt sagen, dass man die Argumente besser zu Hause lassen soll, damit hier auch ja nichts passiert? (Das ist jetzt meine letzte Frage, danach halt ich die Klappe.)
Gruß
Sabine
Liebe Sabine,
ich sage, dass Sie sich die Beschimpfungen der anderen KommentatorInnen sparen könnten.
Gruß
merck
Liebe/r Kommentator/in,
da die Diskutanten hier zunehmend aufeinandner und nicht mehr auf die F.I.N.D.-Abende abzielen, sehen wir von einer Veröffentlichung weiterer Kommentare in diesem Thread einstweilen ab. Bitte haben Sie Verständnis. Christian Rakow, Redaktion
Wie schon im letzten Jahr auch diesmal keine Berichterstattung vom F.I.N.D. in der Schaubühne? Gibt es dafür Gründe?
Mit "Der terroristische Tanzsalon" von BLITZ, "Notizen aus der Küche" von Rodrigo García und "Hyperion. Briefe eines Terroristen" nach Friedrich Hölderlin von Romeo Castellucci gibt es doch interessante Neuproduktionen direkt für die Schaubühne.
(Lieber Stefan,
es ist ein Festivalbericht für den 19. März geplant, der nicht im Plan zu finden ist da er über mehrere Stücke gehen wird. mw für die Redaktion)