Dark Star - René Pollesch verabschiedet sich stilecht von der Berliner Volksbühne
Im Raumschiff Richtung Schwarzes Loch
von Simone Kaempf
Berlin, 9. Juni 2017. Gefühlt läutete die Volksbühne ja bereits vergangene Woche ihr Finale ein. Frank Castorfs letzte Premiere als große Dernière einer abschiedsgestimmten Spielzeit, die im Herbst mit Christoph Marthaler begann und nun wirklich langsam zum Ende kommt. Aber einer fehlte noch, die nun aller-allerletzte Premiere: noch einmal René Pollesch im Einheitsbühnenbild von Bert Neumann mit dem Rund-um-Glitzervorhang, der über anderthalb Jahre als ideal-abstrakte Kulisse gehörig gewonnen hat.
Zwar war Pollesch nie der Platzhirsch am Haus, aber derjenige, der einen festen Posten innehielt mit seiner nie versiegenden Diskurs-Energie, dem Glamourglitzer-Faktor und Schauspielern, die treu mit ihm zogen. An die raue Volksbühne passte dieser Kosmos immer noch einen Tick besser als an andere Häuser, mit denen Pollesch verbunden ist in einer Bühnenlaufbahn, die auf die zwanzig Jahre zusteuert.
20 Jahre unterwegs und kein bisschen gealtert
Zwanzig? Irreal lange Zeit, so manche*r im Publikum erreichte diesen runden Geburtstag vielleicht gerade erst. Zum Phänomen Volksbühne gehörte zuletzt das verjüngte Publikum, das kaum geboren war, als Castorfs Intendanz begann. Auch in "Dark Star" sitzt ein tatsächlich generationen-gemischtes Publikum und sieht einen Pollesch-Abend, der aus all dem schöpft, was ihm schon lange als liebstes Materiallager diente: Stoffe der Filmwelt (der Titel "Dark Star" basiert auf John Carpenters Science-Fiction-Parodie); eine dialog-, diskurs-, theoriereiche Textcollage, in diesem Fall flossen Diedrich Diederichsen, Donna Haraway und Boris Groys ein. Und natürlich die vier erprobten Schauspieler, denen Pollesch anrührende Auftritte beschert und sogar eine richtige Handlung: Die vier, so erfährt man, reisen in einem Raumschiff durchs Weltall, eine Exkursion zur Entdeckung neuer Welten.
Anfangs kreist tatsächlich eine Raumkapsel auf der Drehbühne, in der Martin Wuttke wie im Fernsehsessel sitzt und genüsslich langsam eine Zigarette raucht. Auch Milan Peschel erscheint mit Glimmstängel, lässt Rauchkringel aufsteigen und vermittelt mitreißend, wie sehr er diesen Moment auskostet. Peschel kann so etwas auf ganz spezielle Weise. Oft gerät er an den Rand des non-verbalen Slapsticks. Hier aber offenbart sich in kleinen Gesten der sentimentale Genuss, den es ihm bereitet, nochmal diese Bühne zu vernebeln.
Wieviel Pollesch in der Szene steckt, wieviel Peschel-Privatfigur und Volksbühnen-Abschiedsgefühl lässt sich nicht trennen. Es ist eine alles aufsaugende Atmosphäre, und Trystan Pütter toppt die Szene mit seinem Auftritt: Auf einem Surfboard schwebt er als Wellenreiter vom Schnürboden, neue Räume durchquerend. Die Beach Boys singen dazu "Good Vibrations" – zu Recht. Diese ersten zehn Minuten sind ein eigenes kleines Kunstwerk, das Good Vibes verbreitet. Von Trauerflor keine Spur bei diesen Weltraumreisenden.
Die Saison 17/18 findet nicht statt
In seinem letzten für die Volksbühne geschriebenen Text lässt Pollesch ergründen, was neue Welt ist, wenn man zwanzig Jahre im Orbit schwebt und den Kontakt nach außen verloren hat. Ein Raumschiff-Monstrum hat Barbara Steiner dafür gebaut, Volksbühnen-typisch aus Sperrholz, das aus dem Boden auf- und abfährt.
Bevor die drei Schauspieler in bunte Astronautenanzüge schlüpfen, stehen sie erstmal in den gleichen roten Unterhosen da. Pütter so eigentümlich naiv-nonchalant, Milan Peschel eher maulig, und Martin Wuttke energiegeladen wie ein Springteufel. Drei Querköpfe und dreimal Mr. Superschlau, die von ihrer ähnlichen Kleidung genauso verwirrt sind, wie von der Frage, ob die Reise zum Ende oder zum Anfang des Orbits führt, ob‘s um Erschaffung oder Zerstörung geht.
Konkrete Seitenhiebe Richtung neuer Theaterleitung werden ausgeteilt, alles andere wäre auch überraschend. Martin Wuttke lässt sich die Lacher zu Sätzen wie "Ist das von Baudrillard: 'Die Saison 17/18 findet nicht statt'?", nicht entgehen, und auch Peschel dreht in den Szenen gehörig auf. Selbstreflexiver und -kritischer gerät das Sprechen über das Ende der Reise im Raumschiff. Unter Obacht von Raumschiffmutter Christine Groß, die nach dem Rechten schaut, geht die Truppe auf Weltraum-Spaziergang an die Theaterrampe. Liefert sich dort kleine Wortgefechte über die Schwierigkeit, als exaltiertes Ich nach einem Wir-Gefühl zu suchen. Und landet bei der Erkenntnis, dass der Wille zur Expansion halt zu sich selbst führt. Wohl wahr.
Dass am Ende zumindest die eigene Individualität überlebt, mag allgemein klingen, aber man nimmt's an diesem Abend als tröstliche Botschaft mit ins Freie. Ein heiterer, großer Höhenflug von Pollesch und den Schauspielern, vom Publikum mit langem Applaus und Standing Ovations bedacht, in ihrem Theater-Raumschiff nach zwanzig Jahren in bestem alterslosen Zustand.
Dark Star
von René Pollesch
Uraufführung
Regie: René Pollesch, Raum: Bert Neumann, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Nina von Mechow, Licht: Frank Novak, Kamera: Ute Schall, Ton: Gabriel Anschütz, Klaus Dobbrick, Tonangel: William Minke, Soufflage: Tina Pfurr, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Christine Groß, Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.volksbuehne-berlin.de
Die in dieser Saison ebenfalls an der Berliner Volksbühne herausgebrachten Abende Volksbühnen-Diskurs Teil 1 und Teil 2 von René Pollesch sind direkte Vorläufer dieses Abends.
Dieser Abend ist aus Sicht von André Mumot in der Sendung "Fazit" vom Deutschlandfunk Kultur (9.6.2027) "leider eher holprig, behäbig und trist," und bleibe "über große Strecken eine unkonzentrierte und beliebige Angelegenheit". Vor allem Martin Wuttke stammelt Mumot zufolge "durch seine endlosen Monologe, scheinbar immer auf der Suche nach dem nächsten Satz, dem nächsten Sinn. Ihm zuhören ist bei dieser Premiere kein Vergnügen, es strengt bloß an." Doch strahlt der Abend nicht nur mit seinen Sottisen Richtung neue Intendanz für Mumot "auch ein Nachtreten, eine erschöpfte Resignation" aus.
Polleschs poetischer Epilog auf die Castorf-Volksbühne ist kein Radikalknaller, wie vielleicht erwartet, er hat auch einige Durchhänger in der Mitte", so Udo Badelt im Berliner Tagesspiegel (11.6.2017). "Aber er wirkt im Stillen nach und wird vom Publikum mit minutenlangen, melancholisch-jubelnden Ovationen quittiert."
Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (11.6.2017) schreibt, der Abend des unerschütterlichen Gefühlsskeptikers René Pollesch sei überraschend melancholisch ausgefallen. Etwas verlegen mache einen die letzte halbe Stunde, "in der die drei Reflexionsamigos zunehmend pathetisch über 'letzte Male' lamentieren und die Frage nicht loswerden, wie es denn nun weiter geht und wo".
Eva Behrendt schreibt in der taz (12.6.2017), Pollesch nehme an diesem Abend ein paar interessante Anläufe, New Age und Techno-Avantgarde, Bewusstseinserweiterung und Neuprogrammierung der Menschenmaschine zusammenzudenken, doch über ein verschwörerisches Stichwortstreuen à la 'direkte Linie von der Manson-Family zu Facebook' gelange er kaum hinaus. Kurios wirke es, dass die endlos geglaubte Pollesch-Serie nun vorläufig mit einem Männertrio ende, das offensives Mansplaining betreib – "wenn auch konterkariert durch die würdevolle Christine Groß".
Irene Bazinger von der FAZ (12.6.2017) vermeldet Standing Ovations für Réne Pollesch. "Dabei war es gar nicht sein stärkstes Stück und nicht seine stärkste Inszenierung, doch wen kümmert das schon, wenn es ans herzzerreißende Abschiednehmen geht?" Als Autor wie als Regisseur überwinde Pollesch noch einmal die physische und die intellektuelle Schwerkraft und reiße einen Kosmos auf, in dem alles möglich sei, aber nichts unhinterfragt bleibe.
Mounia Meiborg schreibt in der Süddeutschen Zeitung (12.6.2017), die schönsten Momente des Abends enststünden, wenn die drei Männer, "erst in roten Schlafanzügen, dann in expressionistischen Raumanzügen, über sich nachdenken. Antihelden auf Sinnsuche." Schauspielerisch wirke das locker improvisiert. Martin Wuttke habe man allerdings schon stärker gesehen. Seine übliche Fahrigkeit habe hier etwas Unkonzentriertes. Milan Peschel habe die berührendsten Auftritte. "Wenn er mit verschmitztem Gesicht den Kollegen zuhört und nicht klar ist, ob er spielt oder sich gerade freut."
Christine Wahl jubelt in der Neuen Zürcher Zeitung (12.6.2017), das Ensemble surfe mit Grandezza auf Textschleifen und spreche zwischendurch einige der besten und klügsten Pollesch-Zeilen seit langem. Rückblickend auf die letzte Spielzeit schreibt Wahl, ausnahmslos alle Regisseure und Schauspieler seien in ihrem letzten Volksbühnen-Jahr noch einmal zur Höchstform aufgelaufen. "Jetzt gehen sie, unter riesigem Jubel, ein letztes Mal von der Bühne. God only knows what we'll be without them."
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das ist zuviel kunst und intellektuelle eigenständigkeit werden sich die totengräber gedacht haben - falls "denken" da überhaupt der passende brgriff ist - geld scheint auch nicht das problem für sie zu sein, jedoch das, was sie "neu und zukünftig" nennen ... ich sehe schon die "neuen kaffee-kultur-busse" vor der volksbühne auf dem dann neu asphaltierten rasenplatz parken und eine schwebehahn zur einheitswippe, auf der sich dann jeder als "teil des volkes" bewegen kann
ein volk als event - berlin als disneyland - good vibrations in einer zukünftigen rauchfreien stadt mit massig jet-set-bussen und das finale findet als tanz der autorennen in tempelhof statt
D A N K E für alles an die volksbühne am rosa-luxenburg-platz - jedem einzelnen danke ... man sieht sich im schwarzen loch der untoten - in zeiten der globalen heimatlosigkeiten - natürlich bei sich selbst ...
Ein letztes Mal hebt es ab, das Raumschiff Volksbühne, verfliegt sich, mäandert herum in unendlichen Diskursweiten, bleibt hängen zwischen Hawaiihemd und Raumanzug (einen Zwitter aus beidem tragen die drei im zweiten Teil) und reibt sich auf in Sinnfragen, schnell merkend, dass die simplen Antworten keine Befriedigung bringen. Natürlich ist der Abend ein letztes Abschiedswinken, eine finaler Stachel im vermeintlichen Konsensfleisch dessen, was kommt – aber auch ratlos, nicht wissend um das, was kommt und – wichtiger – was kommen sollte. Ist der eigene Kurs richtig und der künftige wirklich wertlos? Ist das überhaupt die richtige Frage? Am Ende fliegt es ins Nirgendwo. Sitzen wir noch drinnen oder sind wir längst ausgestiegen? Und ist diese Frage zulässig? God only knows. Vielleicht.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/06/10/god-only-knows/
„Dark Star“ wird dennoch in Erinnerung bleiben: In der stärkeren zweiten Hälfte des Abends setzt Milan Peschel immer wieder zur selben Frage an: „Wo geht ihr jetzt hin?“ Die drei Amigos geistern nicht nur wie die Filmfiguren orientierungslos durchs All, sondern werden auch ihr Mutterschiff, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, verlieren. Pollesch ist seit seinem Durchbruch zur Jahrtausendwende im Prater zwar längst ein im ganzen deutschsprachigen Raum zwischen Hamburg, Zürich und Wien ein sehr gefragter, vielbeschäftigter Regisseur. Wie Ulrich Khuon vor kurzem in einem Interview ankündigte, wird er in Berlin am Deutschen Theater inszenieren: einem Haus mit ganz anderer Tradition, das bisher völlig andere Publikumsschichten anspricht. Bei der Premieren-Vorschau des DT für die Spielzeit 2017/18 sucht man Pollesch noch vergeblich.
Wie schon in den ersten beiden Teilen ihrer Volksbühnen-Diskurs-Serie im Herbst 2016 beklagen die Starschauspieler in dieser nun wirklich allerletzten Premiere der Intendanz von Frank Castorf eine künstlerische Heimat verloren geht, die ihnen Freiräume für anarchische Experimente bot wie sie sonst kaum noch zu finden sind, sondern am Rosa-Luxemburg-Platz ausdrücklich programmatisch gewünscht sind. Wuttke antwortet auf Peschels Frage „Wo geht ihr jetzt hin?“ mit einem trotzig-melancholischen „Es gibt kein Danach.“ Wenn das kein berechtigter Grund zur Nostalgie ist…
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/06/13/dark-star-rene-pollesch-und-die-drei-amigos-nehmen-abschied-von-der-volksbuehne/