The Männy. Eine Menschtierverknotung - Schauspiel Hannover
Du musst ein Stein sein in dieser Welt
von Jan Fischer
Hannover, 21. Februar 2020. Es ist ein Kuddelmuddel, das Kevin Rittberger zeigt. Es treten auf: Lianenartiges Seilgeflecht, das sich über die Bühne rankt. Eine Gruppe "Kompostisten" in verschiedensten Stufen der Irgendwas-Werdung, mittendrin Camille I bis V, Monarchschmetterlingin und Mensch. Ein sowjetisches Arbeiterparadies auf dem Mars. Alexander Bogdanov, proto-sowjetischer Naturwissenschaftler, Science-Fiction-Autor, Lenin-Freund und -gegner. Donna Haraway, postmodernistische Feminismus-Theoretikerin und Cyborg-Netzwerkerin.
Verworrene Fadenspiele
Bodganov und Haraway dienen Rittberger als Theorie-, Utopie und Geschichtenlieferanten, das Arbeiterparadies stammt aus Bogdanovs Roman "Der rote Planet", die Kompostisten und Camille, die Schmetterling-Mensch-Symbiontin, aus Haraways Buch "Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän", in dem sie ihre Theorien von Welt und Netzwerken weiter ausführt.
Die verworrenen Fadenspiele des Bühnenbildes bilden diese Netzwerkidee ab. Und die Kompostisten, angetan mit Steinchen, Moos, Netzen, Schnäbeln, Federn und Fühlern, hangeln sich darin herum, allen voran die fünf Generationen Camilles, während derer Lebenswege im Laufe von gut 400 Jahren sich die Welt radikal ändert. In "The Männy" verflicht Rittberger alle diese Dinge, garniert, in enger Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin und Choreographin Dasniya Sommer, mit ständig wiederkehrenden Motiven von Flechtwerk.
Nicht nur die Lianen sind da zu sehen. Auch auf dem Mars werden von glücklichen Arbeitern Fäden geknüpft, als die Kompostisten auf ein indigenes Volk treffen, gibt es Netze und einen deckenartigen Poncho als Opfergabe, und als Camille II als Raupe aus ihrem Kokon schlüpft, handelt es sich ebenfalls um ein schleimiges, geflochtenes Stück Seil. "The Männy“ ist dabei eher Essay mit schauspielerischer Begleitung. Die Darsteller und Darstellerinnen verbleiben zwar größtenteils in ihren Rollen, fungieren aber als Sprachrohre für die komplexen Ideen Haraways und Rittbergers Knüpfwerk, das auch eine gehörige Portion Selbsterkundung enthält.
Theorielastiger Texturwald
Dreh- und Angelpunkt ist dabei Donna Harraways Idee des Chthuluzän, das dem Anthropozän entgegengesetzt ist: nicht der Mensch steht im Mittelpunkt dieses Weltbildes, sondern die Verknüpfungen aller Dinge im Untergrund, das Wurzelgeflecht, das Tiere, Menschen, Pflanzen, Welt als gleichberechtigt in einem dynamischen System mit zahlreichen Wechselwirkungen verstehen will: Du musst ein Stein sein dieser Welt. Wer die Umwelt und den Planeten schützen wolle, so die Argumentation, müsse sich erst einmal als Teil von allem begreifen. "Die Arbeit der Kompostisten", so ein Satz der Inszenierung, "besteht darin, Verknüpfungen herzustellen."
"The Männy" ist dabei, trotz einer Geschichte, stellenweise klar definierten Figuren und Schauspielern und Schauspielerinnen, die sich zwischen den Lianen tapfer durch den Rittberger'schen Texturwald hangeln, stark theorielastig. Dennoch gibt es in diesem Urwald auch immer wieder Lichtungen mit starken Bildern: Die Geburt von Camille II aus ihrem Kokon ist so eines, wie die Kompostisten ständig verknotet in ihrem Flechtwerk herumhängen, wie sie versuchen, eine Baumwurzel beim Tauziehen mit einer elektrischen Seilwinde zu retten.
Jenseits der Ausbeutung
Trotzdem geht es hier hauptsächlich um Rittbergers Denkschrift zu einer ganzheitlicheren Sichtweise, anderer Weltwerdung, anderer Bewusstwerdung, für weniger Mensch im Menschen, für Ideen einer Weltorganisation jenseits der Ausbeutungsmechanismen hyperkapitalistischer Warenwirtschaft. Manche Idee allerdings bleibt unentwickelt in ihrem Kokon stecken oder flattert irgendwo zwischen Handlung und Haltung davon. Berührungsängste mit den großen Themen aber gibt es bei Rittberger nicht, im Gegenteil: Zwischendrin wird als Meta-Schleife das Problem von Utopien als Konstrukten angesprochen, die aus der Gegenwart heraus entstehen und deshalb auch nur über diese etwas aussagen können, sowie der Unterschied zwischen völkischer Ideologie und Heimatliebe erklärt. Dazwischen werden vom Aussterben bedrohte Arten aufgezählt.
"The Männy" ist viel, vielleicht zu viel auf einmal: ein großes Netzwerk aus Ideen, ein Kuddelmuddel. Die letzten zwanzig Minuten fallen auch ein wenig heraus – die Geschichten um Camille und den Mars sind da auserzählt, der Nachklapp mit bedrohten Arten und Kritischer-Theorie-Erläuterung wirkt ein wenig disparat hinten angeklebt. Letztendlich aber sind es interessante und vor allem zeitgemäße Ideen, die Rittberger da präsentiert – Posthumanismus ohne den metallischen Geschmack der Technologie, dafür mit dem erdigen der Natur, entwickelt aus Quellen, die sich dafür gut hernehmen lassen und mit geerdeter Sprache vorgetragen. Auch wenn die Ideen manchmal etwas esoterisch wirken und die Inszenierung eher theorielastig ist – der Kopf schwirrt hinterher vor Utopien, über die sich zumindest nachzudenken lohnt.
The Männy. Eine Menschtierverknotung
von Kevin Rittberger
Regie: Kevin Rittberger, Bühne: Kevin Rittberger, Dasniya Sommer, Kostüme: Sandra Fin, Choreographie: Dasniya Sommer, Dramaturgie: Nora Khuon
Mit: Fabian Felix Dott, Tabitha Frehner, Anja Herden, Torben Kessler, Alban Mondschein
Premiere am 21. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
staatstheater-hannover.de
Lesen Sie auch Kevin Rittbergers Essay "Vorwärts zur Natur? Ein Plädoyer für eine Welt ohne uns, mit uns!" aus dem November 2019: Pflanzentheater? – Kevin Rittberger antwortet Tobias Rausch und findet alte Dualismen in neuer Verpackung
Kritikenrundschau
Ronald Meyer-Arlt von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (24.2.2020) findet es richtig und wichtig, das Thema auf der Bühne zu verhandeln und fragt dennoch: "Aber so? Wirklich so?" Das Ökotheater sei vor allem Gerede. "Das Problem dabei ist, dass alles ganz einfach, ganz direkt, ganz naiv umgesetzt ist." Das peinlichste Bild sei am Schluss zu sehen. "Der Motor einer Kettensäge röhrt, ein Baumstumpf wird an einem Stahlseil quer über die Bühne gezogen. Alle fünf Schauspieler klammern sich an den Stumpf und rutschen mit ihm über die Bühne. Sie demonstrieren hier nicht den Zustand der Welt, sondern nur die Beschränkungen des Theaters."
Die Schauspieler bewältigen mit Leichtigkeit die ihnen hingeworfenen intellektuellen Brocken, "und wenn man Frehner als zunehmend fremd agierendes Insektenwesen und Alban Mondschein – als Buntfalken-Symbiont allzeit hektisch krähend – zuschaut, ist das wirklich eine Freude, ist das pures Spiel, das die Brücke schlägt zwischen Verstand und Gefühl", schreibt Stefan Gohlisch von der Neuen Presse (24.2.2020). "Wie aufgepfropft wirken da Beginn und Ende, bei denen Sinn und Unsinn eines solchen Unterfangens hinterfragt werden. Denn warum diese Geschichte überhaupt erzählt wird, ist noch die unwichtigste aller Fragen, die dieser Abend aufwirft – weil er nämlich aufs Spielerischste dazu einlädt, Antworten zu suchen."
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