Maria Stuart – Am Theater Lüneburg holt Martin Pfaff Friedrich Schillers elisabethanisches Prinzipen- und Hassduell vom Sockel
Showdown der Trotzköpfe
von Jens Fischer
Lüneburg, 25. März 2016. Die ganze Welt, ganz England – jedenfalls die ganze Bühne des Theaters Lüneburg wird von einem kühl abstrakten Arrangement vertikal fliehender, horizontal beschwichtigender Linien beherrscht. Arrangiert mit Stelen, Stellwänden und Spielpodesten in edlem Granitschwarz-Design. Und apart in Dunst gehüllt. Das scheint das Lebenselixier der dort in historisierenden Kostümen herumschleichenden Wesen zu sein, eine Art aufgewirbelter Staub, in dem jeder jeden gern vor sich niedersinken sähe.
Psychokrimi und Politikershow
Die Menschheit auf der Bühne, das elisabethanische Personal des Lehrstücks über Politik ohne Moral, die zehn Darsteller der Lüneburger "Maria Stuart" reduzieren alle Figuren auf das Streben nach Macht. In einem Spielraum der Macht. Dessen Wege und Auswege allen bekannt sind. So können die schurkischen Kabalen nicht versteckt, müssen offensiv praktiziert werden. Dumpf drohend prescht dazu immer wieder ein und derselbe Trommelschlag durch die Lautsprecher. Am Ende wissen wir: Es ist der letzte Ton, den die Titelheldin hört – als das Henkersbeil durch ihren Nacken aufs Schafott donnert. Wer hingegen Kabalen und Liebe praktiziert, wird mit sanfter Gitarrenmusik als Soundtrack belohnt.
Die Tragödie als allgemein menschlichen Psychokrimi oder als um Beifall buhlende Politikershow voller Manipulationstaktiken, Heuchelarien und Selbstinszenierungen zu zeigen, ist immer wieder gern gesehenes Spielplanfutter. Martin Pfaff versucht nun beide Ansätze zu vereinen. Weder zerstückelt noch aufgebrochen wird die Vorlage, sondern konzentrierend stilisiert. Ganz der Schiller'schen Sprache vertrauend. Obwohl das Ensemble Probleme hat, die Worte aus dem Deklamier- in den Spielmodus zu transferieren.
Aggressive Intelligenz
Stolzierend intellektuelle Dame versus herumtigernd impulsives Weib, protestantischer Puritanismus versus katholische Sinnenlust: Dieses Prinzipien- und Hassduell ist weniger als Gegenüberstellung von Extremen zu erleben. Vielmehr werden die unterschiedlichen Ansätze, zwischen Pflicht und Neigung zu vermitteln, einander angenähert. Und vom Sockel geholt. Majestätisch agieren die in Neid verstrickten Königinnen nie. Eher wie bestens verfeindete Freundinnen. Elisabeth (Maike Jebens) hat ja gerade in Sachen Herrschaft die Nase vorn, kann das aber nicht genießen. Sie erzählt mit resigniertem Stolz von ihren Opfern, beispielsweise dem trostlosen Dasein in Jungfräulichkeit. Genervt ist sie zudem, immer wieder gegen Rollenklischees – wie dem vom schwachen Weib – mit besonderer Härte angehen zu müssen. Gibt aber nicht die unnahbare Moralistin, zeigt sich auch als Verführerin.
Wenn sie ihrem Leicester anbietet, "ich will euch heute keinen Wunsch versagen", ist sie schwer enttäuscht, als er nur mit einem Handkuss antwortet. Aber nachdem der Graf seinen Verrat charmant weggelogen hat, presst sie gierig ihre Lippen auf die seinen, will ihm gerade die Kleider vom Leib reißen, als die Hofgesellschaft wieder zur Pflicht ruft. Diese Disziplin fehlt Maria (Beate Weidenhammer).
Von politischer Entmachtung, Verlust dreier Ehemänner und langer U-Haft ist sie ver-, aber nicht zerstört, bleibt ungebändigt, von aggressiver Intelligenz. Und stets körperlich agil. Sie schlägt auch mal zu und schmeißt ihren Leib verachtungsgierig sogar der Gier eines Feindes zum Fraße vor. Nur der Showdown der Trotzköpfe enttäuscht, zu abgezirkelt stellen sie ihre Rhetorik dar – statt ihre Persönlichkeiten bloß.
Hasspredigt gegen Andersdenkende
Da das aber alles noch nicht so richtig brandaktuell ist, wagt Pfaff mit seinem einzigen groben Regieeingriff einen zeitgenössischen Schlenker. Dem Stück wird das Licht ausgeknipst, zwei Darsteller treten heraus und hasspredigen auf der Vorderbühne. Von der Stimme des Herren, seinen Geboten und Gesetzen, dem wahren Glauben geht die einpeitschende Rede, gegen Andersdenkende wird gehetzt, die in unser Land hineinwollen und uns bedrohen. "Maria Stuart" als Stück über Fremdenfeindlichkeit – das wirkt sehr bemüht. Klar, Maria ist eine aus Schottland nach England geflüchtete Asylbewerberin, sie sagt auch den Satz, nicht "unter Fremdlingen" sterben zu wollen.
Aber Religion ist in dem Stück doch weniger Glaubenssache, denn Mittel zum Machtzweck. Auch Maria-Retter Mortimer begeht ja kein Selbstmordattentat, sondern Selbstmord – obwohl Pfaff ihn dazu in Märtyrer-Pose des Gekreuzigten auf die Bühne stellt. Ansonsten lässt die Regie einen klassischen Klassiker erleben. Trotz der in die Wortoper hineingepumpten Gefühlsausbrüche bleibt der Abend so beredt abstrakt wie das Bühnenbild. Geradlinig wird auf das Schlussbild zuinszeniert: Elisabeth allein zu Haus, mächtig mächtig. Mächtig einsam.
Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Inszenierung: Martin Pfaff, Bühnen- und Kostümbild: Barbara Bloch, Musik: Stefan Pinkernell, Dramaturgie: Katja Stoppa.
Mit: Maike Jebens, Beate Weidenhammer, Britta Focht, Gregor Müller, Matthias Herrmann, Philip Richert, Martin Skoda, Felix Breuel, Martin Andreas Greif und Calvin-Noel Auer
Spieldauer: 3 Stunden, eine Pause
www.theater-lueneburg.de
Martin Pfaff "findet auch für die Stuart einen schlüssigen Zugriff, eng am Original", schreibt H.-M. Koch in der Landeszeitung (26.3.2016). "Es braucht Konzentration, sich in die Sprache Schillers hineinzuhören, aber von Minute zu Minute bannt das Drama stärker."
Christiane Bleumer sah für Lüneburg aktuell (25.3.2016) eine "beeindruckende Schauspielleistung". "Das Ensemble verkörperte die Figuren mit Leidenschaft und Intensität." Die Regiearbeit von Martin Pfaff kommentiert Bleumer nicht, nirgends. Anstatt dessen ergeht sie sich in einer Nacherzählung des klassischen Schiller-Stoffes.
Mehr lesen? Martin Pfaff, seit dieser Spielzeit Schauspieldirektor am Landestheater Detmold, überzeugte u.a. 2012 am Theater Naumburg mit einer Version von Theodor Storms Der Schimmelreiter, die er auch in Lüneburg auf die Bühne brachte.
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