Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1 - Thalia Theater Hamburg
Was vom Theater übrig blieb
von Katrin Ullmann
Hamburg, 28. März 2020. Zunächst sind sie Kolleginnen. Sie sitzen in der Garderobe und bereiten sich auf ihren Auftritt vor. Schminken sich und plaudern, trinken einen Pappkaffee, stecken sich eine Zigarette ins Gesicht, setzen ihre Perücken auf und helfen sich beim Rückenreißverschluss ihrer ausladenden, elisabethanischen Kleider. Karin Neuhäuser und Barbara Nüsse performen in ihrem Vorspiel zu diesem denkwürdigen "Theaterabend" Routine und Professionalität: Sie scherzen vertraut und erzählen von ihrem Lieblingsparfum, dazwischen fallen – wie eine Aufwärmübung – immer wieder Schiller-Phrasen aus "Maria Stuart". Eine Anmutung des Stücks, eine Annäherung daran, werden sie gleich auf der Bühne des Thalia Theaters aufführen. Dann sind sie Königinnen, sind Rivalinnen, sind Maria Stuart und Elisabeth.
Dieses und das (Proben)Geschehen auf der Bühne wurde von einer Kamera begleitet und aufgezeichnet. Genauso wie die des Parallelprotagonisten Josef Ostendorf. Er darf in dieser Inszenierung den Zuschauer spielen. Man sieht ihn sich die Hände waschen (und dabei leise "Happy Birthday" singen). Später – mit Sektglas, Kippe und Seidenschal – fläzt er sich breit mitten hinein ins menschenleere Parkett und: amüsiert sich. Natürlich hustet er auch mal lautstark, natürlich klingelt sein Smartphone inmitten der Aufführung, natürlich klatscht und kichert er zu unpassender Zeit. Und doch blickt man jetzt und dieser Tage ganz besonders neidvoll auf Ostendorfs Rolle. Neidvoll auf Ostendorfs exklusives Live-Erlebnis dieser Aufführung, die Antú Romero Nunes aus seiner ursprünglich geplanten Premiere von "Ode an die Freiheit" aus der Not der Stunde geboren hat.
Einfach ein Wechsel des Rahmens
Unter dem Titel "Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1 – The Rest is missing" hat er gemeinsam mit Martin Prinoth einen dokumentarischen Film destilliert und diesen am Premierentag auf die Thalia Website gestellt. "Als klar wurde, dass wir nicht mehr weiter proben können, haben wir schnell das Format geändert und einfach mit der Kamera weitergemacht", erklärt Nunes in der dazu versendeten Pressemitteilung. "Da sowieso keiner weiß, was normale Proben eigentlich sind, war es total in Ordnung, einfach den Rahmen zu verändern. Auf der Bühne wird es dann wieder anders. In der neuen Zeit."
Pünktlich um 19.00 Uhr geht es los. Ohne den Weg zum Theater, ohne einen kleinen Plausch vor dem Theater, ohne das Gedränge im Theater. Stattdessen sitze ich zu Hause. Im Zimmer nebenan spielen meine beiden halbwüchsigen Söhne Basketball, während ich – mit Kopfhörern auf den Ohren – Theater gucke. Also das, was derzeit davon übrig ist, oder besser: was derzeit davon (auf dem Bildschirm) sichtbar ist.
Stolz und ungebrochen
Tatsächlich aber ist das, was es heute Abend in der Regie von Antú Romero Nunes zu sehen gibt, auf eine beruhigende Art und Weise richtig gut. Was in erster Linie an den beiden herausragenden Protagonistinnen Karin Neuhäuser und Barbara Nüsse liegt. "Ich bin Königin von England! Sie ist tot! Jetzt hab ich endlich Raum auf dieser Erde", sind die ersten Bühnensätze von Barbara Nüsse als Königin Elisabeth. Triumphierend und doch erschrocken spricht sie diese aus, um sich kurz darauf neben Karin Neuhäuser auf eine schmale Holzbank zu setzen. Während die eine triumphiert, wartet die andere über ihren Stickrahmen gebeugt auf ihr endgültiges Urteil. Und agiert doch stolz und ungebrochen.
Abwechselnd springen die beiden Schauspielerinnen von der Bank auf, bringen jeweils ihre Geschichte an die Rampe, ihre Sicht auf die Dinge. Wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord an ihrem Gatten wurde Maria Stuart aus Schottland gejagt und ist nach England geflohen. Statt Schutz erwartet sie hier jedoch der Kerker, denn die amtierende Königin Elisabeth muss jetzt um ihren eigenen Thron fürchten, da doch in beiden "das Blut der Tudor fließt". Elisabeth aber traut sich nicht, das letzte (Todes)Urteil zu fällen.
Gleichauf und schwesterlich
Zwischen den historisch ausstaffierten Königinnen (Kostüme: Victoria Behr) steht ein Picknickkorb, aus dem sie Sekt und Dosenbier herausfischen. Später knuspern sie Schokolade, rauchen gemeinsam eine Zigarette und lassen sich über ihre Männer und Ehe(n) aus. Plaudernd, lästernd, frauensolidarisch sind sie dann. Gleichauf und schwesterlich. Als es wieder ans Eingemachte geht, spricht Karin Neuhäuser ihren Text mit stolzer Souveränität und bleibt selbst in ihrem Schlussmonolog, für den sie sich vor Elisabeth auf den Boden kniet, überlegen und stark. Ihr Flehen ist kein unterwürfiges, sondern ein dringlicher, moralischer, politischer Appell. Barbara Nüsse reagiert zunächst mit fiesem Spott, später wendet sie sich ab und flieht ins Schweigen.
Es ist herrlich, diesen beiden grandiosen Schauspielerinnen bei ihrem wunderbar lässigen und doch messerscharfen Duell zuzusehen. Und dank der zurückhaltenden, aber nahen Kameraführung, ist man – trotz Computerbildschirm – tatsächlich dicht dran (und zugleich auch ein bisschen mit Josef Ostendorf im Theaterraum). Am Schluss tauschen die beiden Schauspielerinnen fast unbemerkt die Rollen. Dann setzt die eine die Perücke der anderen auf. Und dann fragt Barbara Nüsse als Maria Stuart zögernd "Ist mein Prozess entschieden?", woraufhin Karin Neuhäuser ihr ein unbeteiligtes "Wer ist diese Lady? Wo sind wir hier?" entgegen nuschelt. Es ist also alles nur ein Spiel. Ein Spiel im Theaterspiel. Ein gefilmtes zwar, aber ein sehr gelungenes. "Premiere hoffentlich 2020", heißt es im Abspann des Films. Hoffentlich.
Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1
nach Friedrich Schiller
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne: Matthias Koch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Anna Bauer, Johannes Hofmann, Filmregie: Martin Prinoth.
Mit: Barbara Nüsse, Karin Neuhäuser, Josef Ostendorf.
Online-Premiere am 28. März 2020
Dauer: 40 Minuten
www.thalia-theater.de
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Karin Neuhäuser und Barbara Nüsse gemeinsam auf der Bühne hätte ein Genuss sein können, aber die 40 Minuten blieben zu sehr bei einer Fingerübung stecken: der Plausch zu Beginn war eine verschenkte Chance, danach waren sie zu sehr in ihre Maria/Elisabeth-Rollen eingezwängt.
Ein großes DANKE an alle Beteiligten!! Und ein Bussi für Josef Ostendorf - aus gebührender Entfernung, versteht sich ;)
Hoffentlich sehen wir Euch alle bald live wieder..
Gessler ist in dieser Tell-Überschreibung kein autoritäter Tyrann, sondern ein aufgeklärter, auf Ausgleich bedachter Politiker und will den Hitzkopf Tell davon abbringen, seinen Sohn mit dem Apfelschuss gefährden. Tell ist hier nicht der ikonische Freiheitskämpfer, sondern ein engstirniger, überreagierender Fremdenfeind.
Dies ist die Pointe der halbstündigen kleinen Fingerübung, die Schröder/Niehaus wesentlich zurückgenommener als bei früheren Auftritten performen. Statt ausufernder Slapstik-Duette, die in die sie sich oft hineinsteigern, ist ihr „Wilhelm Tell“ ein kleines, konzentriertes Format.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/04/05/ode-an-die-freiheit-2-wilhelm-tell-thalia-theater-kritik/
Luise Miller (Lisa Hagmeister) sitzt mit ihren Eltern (Jörg Pohl und Cathérine Seifert) am Frühstückstisch und diskutiert über ihre Liebe zu Ferdinand, die bekanntlich an den Standesschranken scheitert. Das Trio spielt durch, wie sie reagieren würden, wenn plötzlich Ferdinands Vater, der Präsident von Walter, in ihrer Wohnungstür stehen würde. Die Tochter steigert sich mit leuchtenden Augen in Liebesphantasien hinein, wie sich ihr Ferdinand schützend vor sie stellen würde. Die ängstlichen Eltern sehen sich dagegen schon mit einem Bein im Gefängnis.
Bemerkenswert ist, wie dieser verbale Schlagabtausch auf engstem Raum umgesetzt ist. In Zeiten von Corona bot die Schnitt-Technik von Martin Prinoth die Lösung: die drei Spieler*innen sitzen vermeintlich gemeinsam am Tisch und reden sich gestikulierend in Rage, tatsächlich begegneten sie sich bei den Dreharbeiten nicht.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/05/23/kabale-und-liebe-ode-an-die-freiheit-3-thalia-theater-kritik/