pool (no water) - Roger Vontobel verflacht einen ohnehin seichten Ravenhill
Ein Plüschvieh und ein bisschen Rock´n Roll
von Esther Boldt
Frankfurt am Main, 3. Oktober 2007. So wie im Kapitalismus die Verpackung oft größer ist als der Inhalt und ein Karton Cornflakes immer auch ziemlich viel Luft beinhaltet, greift Mark Ravenhill in seinem neuen, 2006 in London uraufgeführten Stück "pool (no water)" nach den ganz großen Dingen. Kunst. Drogen. Aids. Krebs. Die Versehrbarkeit des Körpers. Das Wunder der Heilung.
Hinter den aufgeplusterten Sprechblasen liegt aber nur eine schmallippige Kritik: Trotz Tellerwäscher-Legenden hat die Selbstoptimierung Grenzen. Fortschritt ist keine wundersame Verwandlungsmaschine für alle. So ist der zeitgenössische Mittelklassemensch eifersüchtig und mitleidslos. Oder, wie A am Ende sagt: "Der Traum ist traumhaft und das Leben – ach – ist lang."
In seiner Inszenierung im Kleinen Haus des Schauspiels Frankfurt streicht Roger Vontobel diesen Satz und ersetzt ihn durch einen demonstrativen Suizid. Lieber tot als durchschnittlich. Auch ein Standpunkt.
Beherzter Sprung ins Leere
Ravenhill drapiert vier namenlose Protagonisten, A, B, C und D, um eine leere Mitte: Die Künstlerin, die einmal eine von ihnen war, sich aber aus dem Mittelmaß erhoben hat und nun als einzige Erfolg hat. Sie, die die Kollektividentität einst sprengte, lädt die Gruppe an ihren Pool und springt vor ihren Augen hoch fliegend in das Becken, in dem sich kein Wasser befindet. A, B, C und D, die vier Möchtegernkünstler, kümmern sich um sie. Bringen sie ins Krankenhaus. Beginnen, die Bewusstlose zu fotografieren, ihre Wunden, Schwellungen, die allmähliche Heilung. Sie planen eine Ausstellung, wittern endlich Erfolg, blühen auf, während ihr stilles Zentrum vor sich hindämmert.
Aber natürlich erwacht die Künstlerin wieder, und natürlich kehrt sich die Dynamik um. Wer hat angefangen zu fotografieren? Plötzlich will keiner mehr Handlungsträger gewesen sein. Alle nur Mittäter. Als die Einzelne die Gruppe am Ende auf ihren Platz verweist, die Erfolgreiche den anderen ihre Durchschnittlichkeit vor Augen führt, sind alle froh. Da werden sie endlich normal und legen ihre Ambitionen ab, schaffen sich eine Familie an und ein Planschbecken. Das Alpha-Frauchen beißt das Rudel weg vom Wasserloch.
Mit Kunst hat das alles nichts zu tun, sie dient nur als Metapher für Lifestyliges und den mutwilligen Weg des Erfolges. Kein Gutes, Wahres, Schönes, und doch eine diffuse Romantisierung des Künstlertums: auch hier viel Hülle und wenig Gehalt.
Bei Ravenhill ist von Hass und Liebe, Neid und Zärtlichkeit, Eifersucht und Fürsorge die Rede. Gezeigt aber wird nichts davon. Die Figuren schreien "Fotze", aber das erschüttert keinen. Und was dem wortwitzigen Stücktext noch gelingt, nahezu Hitchcock-mäßig eine Spannung aufzubauen, Spuren zu legen, die alle irgendwo hinführen – das nimmt die Inszenierung von Roger Vontobel zielsicher heraus.
Kommt Kapital von Kapitulation?
Was die Künstlerin ausmache, so sagen die vier anderen immer wieder, sei ihre Abwesenheit. Obwohl das Theater der prädestinierte Ort für Abwesendes ist, lässt Vontobel die Mitte nicht leer, sondern ersetzt sie durch ein Pinguinkostüm. Was soll das bedeuten? Man weiß es nicht. Es liegt schlaff herum, wird von A, B, C und D umsorgt. Außerdem ist da noch der Musiker Daniel Murena, der auf seiner Gitarre immer mal wieder ein musikalisches Leitmotiv spielt für die Künstlerin. Für den Pinguin. Für das Individuum. Kein Rätsel, kein Geheimnis: ein albernes Plüschvieh und ein bisschen Rock’n Roll.
Die vier Schauspieler Martin Butzke, Ruth Marie Kröger, Anita Iselin und Rainer Frank hetzen umher, sie ziehen sich halbherzig aus und an, reden mit Mikrofon oder auch ohne, lesen ihren Text vom Blatt ab oder sprechen frei, ohne dass klar wäre, was hier eigentlich einen Unterschied macht. Der ziellose Aktionismus zerdehnt den dünnen Plot. Bis zum symbolschweren Selbstmord. Bis zur Negation des Spießertums. Kommt Kapital von Kapitulation? Na dann prost.
Pool (no water)
von Mark Ravenhill (deutsch von John Birke) Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Eva Martin, Musik: Daniel Murena, Video: Tobias Yves Zintel.
Mit: Martin Butzke, Rainer Frank, Ruth Marie Kröger, Anita Iselin, Daniel Murena.
www.schauspielfrankfurt.de
Kritikenrundschau
Jamal Tuschick in der Frankfurter Rundschau (5.10.2007) charakterisiert kurz die Figuren und ihre aratellung, skizziert dne Inhalt und ist durch: für ihn ist der Pinguin die Hauptfigur, erst als "Penner am Pool", danach als "Baaderverschnitt einer Künstlergang". Weiter treten auf: eine "überinformierte Randfigur", ein "verlottertes Lottchen", eine "in der Desillusionierung patent Gewordene". die einzig Erfolgreiche unter al diesen Mittelmäßigen bleibt "auf der Bühne abwesend, wird lebendig nur in der Erzählung, die das von Roger Vontobel inszenierte, von Daniel Murena mit einem Musik-Rocksaum verstärkte und vom Premierenpublikum bejubelte Stück vor allem ist".
In der Bad Kreuznacher Ausgabe der Allgemeinen Zeitung (6.10.2007) schreibt Lena Liedtke: Roger Vontobel habe das Stück "zu einer vibrierenden, mitreißenden Collage aus metallischen Klängen, messerscharf geschnittenen Filmsequenzen und mit bitterböser Ironie gewürztem Spiel ... gesampelt". Den Rhythmus der Sprache, "die Ravenhill kraftvoll und derb zum Schillern bringt, nutzt Vontobel als dynamischen Motor für ein ebenso vitales wie intelligentes Theaterspiel".
Ganz offensichtlich, schreibt Claudia Schülke in der Rhein-Main Zeitung der FAZ (9.10.2007), berge pool "alle Voraussetzungen für eine Novelle in sich", tauge aber nicht für die Bühne. Die "Schauspieler müssen viel herumhüpfen, sich an- und ausziehen, nur weiß man selten, warum. Die Beliebigkeit dominiert". Immerhin sei es dem Regisseur gelungen, "die Ambivalenz der Gefühle, wenn auch platt und plakativ, herauszuarbeiten".
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 10. Oktober 2024 Berlin: Neue Teamleitung fürs GRIPS Theater ab 2025
- 10. Oktober 2024 Literaturnobelpreis für Han Kang
- 08. Oktober 2024 euro-scene Leipzig: Kritik an Einladung palästinensischer Produktion
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
- 04. Oktober 2024 Deutscher Filmregisseur in russischer Haft
neueste kommentare >
-
euro-scene Leipzig Arnas Kinder
-
euro-scene Leipzig Kuratorische Unwucht
-
euro-scene Leipzig Tendenziös
-
euro-scene Leipzig Versuch einer Antwort
-
euro-scene Leipzig Was übersehen wird
-
Kultursender 3sat bedroht Regionalprogramme einsparen
-
Neumarkt Zürich Klage Harte Strafen verhindern
-
euro-scene Leipzig Nachfrage
-
euro-scene Leipzig Alle oder keiner
-
Schiff der Träume, Berlin Immer wieder beeindruckend
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
wie Sie den Plot von Ravenhill auseinander nehmen, das gefällt mir. Eines aber verstehe ich nicht: Wieso sagen Sie, dass "das Theater der prädestinierte Ort für Abwesendes" ist? Also zuallererst ist doch das Theater ein Ort der Anwesenheit: etwas Abwesendes, Gewesenes, Nichtexistentes, Jenseitiges, Metaphysisches oder was weiß ich wird in die Anwesenheit gezwungen. Zu behaupten, das Theater sei nun PRÄDESTINIERT für Abwesendes, scheint mir eine von irgendwelchen Poststrukturalisten unreflektiert übernommene Äußerung zu sein. Wenn man im Theater nur Abwesenheit sehen würde, würde keiner mehr hingehen. Nicht einmal Sie, liebe Frau Boldt.
meine simple und gar nicht poststrukturalistische Rechnung lautet: Gerade weil das Theater ein Ort der ganz körperlichen Versammlung und Ko-Präsenz ist, kann das Fehlen einer zentralen Figur sich zu einem Problem auswachsen - das man entweder aushalten und gar ausnutzen kann oder aber der Mangelerfahrung durch einen Plüschpinguin ausweichen. Aber natürlich funktioniert Abwesenheit nicht nur als Rückseite der Anwesenheit im Theater hervorragend, sondern auch im Sinne seiner Flüchtigkeit, die Geschehenes (Körper/Bewegung/Sprache) sofort in die Vergangenheit transferiert und somit zum Gegenstand von Erinnerung macht. Und deswegen gehe ich tatsächlich ins Theater: weil ich es (im besten Falle) nie ganz zu fassen kriege.
Wogegen ich mich also nach wie vor wehre, ist die PRÄDESTINATION des Theaters für die Abwesenheit. Abwesenheit mag ein Mittel sein, aber Prädestination bedeutet doch, dass die BESTIMMUNG des Theaters von VORNHEREIN die Abwesenheit ist. Und das halte ich - tut mir Leid! - für Quatsch.
Alles, was ich sagen will, ist doch: Das Theater ist KEIN prädestinierter Ort für Abwesendes. Nein, ist er nicht! Nicht prädestiniert. Nicht. NEIN! Aaahhh ...
jeder bewegt sich im irrtum, auch uli wahl
dreht sich alles nur um das ich, ich und ich und egozentrik, oft prallt eben egozentrik auf egozentrik
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never share
And no one dare disturb the
Sound of silence
"Fools!" said I
"You don't know silence like a cancer grows"
(PAUL SIMON 1964)
uli wahl
Jeder Dramatiker versucht das neue Testament neu zu verfassen. Auch Ravenhill. Wir leben in einem Zeitalter der Verunsicherung. Im Supermarkt wird nicht nur ein Shampoo angeboten, sondert hunderte. Das führt zur Verunsicherung. Vielleicht will man den Menschen in der Verunsicherung halten.
Die bäuerliche Selbstversorgung wurde durch Industrie (Nestle, Kraft Food etc.) vedrängt, was zu neuen Abhängigkeiten geführt hat. Die neuen Medien wie Foren und Emailsysteme verführen zu schnellen Antworten, weil die Verunsicherung zur Nervösität führt. Dramatiker wie Ravenhill müssen sich vielleicht mit Namoi Klein (Toronto, Buch: No Labels) zusammenschliesen, um neue Produktionsmittel und Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Natürlich wird man durch die Verunsicherung auch zu Verzettelung verleitet, das führt zum Fragment, oder Fragmentarisierung, wogegen sich konsverative Kräfte wehren. Möglich, dass der heutige Dramatiker von der Zeit zum Fragment gezwungen wird, eben durch diese
Verunsicherungen. Sicherlich besteht in den neuen Medien (Siehe Lulu.Com, Internetverlag) auch eine Chance, dass es zu neuen kreativen Prozessen führt. Möglich, dass diese Prozesse zu einer Demokratisierung aller menschlichen Aspekte führt und dies auch die Theater und Dramatiker anbelangt.
uli wahl
Herzlich
nikolaus merck