Sonne / Luft - Schauspiel Frankfurt
Die Welt röchelt
2. Dezember 2023. Vielstimmig rast dieser Abend gen Apokalypse – wie so oft bei Elfriede Jelinek muss man höllisch aufpassen, um in den Serpentinen des Textes nicht aus der Bahn geschmissen zu werden. Regisseurin Lilja Rupprecht und das Frankfurter Ensemble erkunden die Textflächen mit spielerisch-anarchischem Ideengepäck.
Von Shirin Sojitrawalla
2. Dezember 2023. Am Ende kommt es dicke: Windmaschinengezeter, Discokugelrundumschlag, Federballspiel, Goldeier und vieles mehr. Maßlose Mittelverschwendung, die Sinnbild unseres irdischen Treibens ist. Und darüber hinaus natürlich eine Möglichkeit, dem ausweglos ausufernden Jelinek-Stoff beizukommen. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin hat für ihr Stück "Sonne/Luft" zwei geballte Textflächen aneinandergeklebt und beschwört darin den Weltuntergang ultrahocherhitzt und luftundurchlässig.
Vier Sonnen, eine Lady Darkness
Die Regisseurin Lilja Rupprecht nähert sich dem Ganzen erst einmal glänzend. Vier Sonnen in glitzernden Anzügen und spiegelnden Lackschuhen strahlen um die Wette. Christina Geiße, Manja Kuhl, Annie Nowak und Sebastian Reiß geben vierstimmig den Stern der Sterne. Später gesellt sich noch jemand dazu und während man noch denkt, was das für ein mieser Schauspieler ist, entpuppt er sich als der Musiker Philipp Rohmer, der später live musiziert. Bis es soweit ist, vergeht eine geraume Weile und wie oft bei Jelinek muss man aufpassen, den Anschluss nicht zu verpassen.
Das ist auch an diesem Abend nicht ohne Anstrengung zu haben, will man den Windungen und Wendungen des Textes einigermaßen folgen. Hinzu kommen in Frankfurt zu enträtselnde Regieeinfälle. Etwa wenn die wieder einmal umwerfende Schauspielerin Annie Nowak als schwarzes Etwas auf die Bühne kommt. Königin der Nacht? Luftverschmutzung? Schwarzes Loch? Lady Darkness? Egal. Hauptsache sie hört nicht auf, sich in die Szenen zu schmeißen wie ins Bällebad. Blitzschnell wechselt sie Ton und Gestus (kindlich, trotzig, albern, böse) und scheint wie gemacht für die mit abrupten Spurwechseln aufwartenden Jelinek-Kaskaden. Dabei meint man ihrem anarchischen Spiel anzumerken, dass sie mit unbedingtem Spaß bei der Sache ist. Doch auch die anderen drei verstehen es, den Sätzen Zucker zu geben. Nicht einfach, denn diese Unmengen an überladenem Text zu lernen und zu sprechen, ist sackeschwer. Gleiches gilt für die Herausforderung, Jelinek zu inszenieren.
Rupprecht kürzt dazu viel Text, verteilt den Rest auf mehrere Münder und denkt sich manches aus. Während das Ensemble "Sonne" vornehmlich als Frontalunterricht an der Rampe darbietet, öffnet sich im zweiten Teil des Abends die Szenerie zu einer Wünsch-dir-was-Landschaft; bisschen Showbühne, links Kochstudio und Popcornbude, im Hintergrund Videoleinwände und davor Rundbögen, die Himmelspforten oder Höllentore sein können (Bühne: Christina Schmitt). So oder so: Nowak surft als schwarze Prinzessin auf dem Skateboard daran vorbei, als sei das Leben ein Hüftschwung. Im Vordergrund später ein Liegestuhl, rechts ein Hexenhäuschen.
Als sei das Leben ein Hüftschwung
Christina Geiße backt in aller Ruhe Plätzchen, bevor sie sich nach allen Regeln des Strandurlaubs zum Sonnenbaden im Stuhl rekelt, Sebastian Reiß zieht sich halbwegs aus und knabbert am Hexenhäuschen und Manja Kuhl macht allerhand sonst. Aktionen, die ins Nichts zu führen scheinen. Zeit, um die tolldreisten, das Universum mit dem Zeiten- und Klimawandel kombinierenden Kostüme von Annelies Vanlaere in den Himmel zu loben und nicht zu verschweigen, dass der Abend im Mittelteil ziemlich schwächelt.
"Wir machen alles immer noch schlimmer"
Die große aufblasbare Weltkugel zitiert später Falk Richters Hamburger Erfolgsinszenierung von Jelineks "Am Königsweg". Die großen von Moritz Grewenig bespielten Videoleinwände fokussieren Naturräume, Tierreich und Weltgeschehen auf attraktive und unheimliche Weise. Sehr eigen auch einige Weltuntergangstanzeinlagen sowie das gleichermaßen böse und zu Herzen gehende Lied "Wir machen alles immer noch schlimmer", dargeboten als Lagerfeuer-Hit zu Pizza aus der Schachtel.
Davor und danach viele Wortschlangen und manch eine Langeweile. Am Schluss erweist sich die Welt als röchelnder Mukoviszidose-Patient, um Luft ringend, dem Tod geweiht. Unser baldiges Schicksal gib uns heute. Und als wäre das noch nicht genug, machen, wie es heißt, Fremde vor unseren Grenzen nicht halt. Das Frankfurter Quartett steht dazu schon wieder herrlich rausgeputzt an der Rampe und weissagt uns in Jelineks Worten nonchalant in den Abgrund: "Wir werden mit der Welt gemeinsam untergehen, denn man stößt uns aus. Und ausgestoßen zu werden, das ist der Untergang der Welt. Bis dahin wälzen wir wie Mistkäfer unsre Schuld, am Leben zu sein. Doch auch das führt zu gar nichts. Zu nichts." Es ist das Ende.
Sonne/Luft
von Elfriede Jelinek
Regie: Lilja Rupprecht, Bühne: Christina Schmitt, Kostüme: Annelies Vanlaere, Video: Moritz Grewenig, Musik: Philipp Rohmer, Dramaturgie: Katrin Spira, Licht: Frank Kraus.
Mit: Christina Geiße, Manja Kuhl, Annie Nowak, Sebastian Reiß, Philipp Rohmer (Live-Musik).
Premiere am 1. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Kritikenrundschau
Lilja Rupprecht präsentiere "mit einem äußerst fidelen Quintett ihre aufgeräumte bis aufgekratzte Variante" des Jelinek-Texts, so Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (3.12.2023). "Heruntergekürzt auf 110 pausenlose Minuten, in denen man nichts vermissen wird und viel geboten bekommt." Mit der "der Diskrepanz zwischen Weltuntergangsstimmung und glänzender Unterhaltung" müsse allerdings "jeder selbst fertig werden". Schließlich werde es "Publikum leicht gemacht, über die Drohungen der eiskalten Sonne zu lachen". Aber als Zuschauerin habe man "seine Freude am strahlenden Witz und Gewitzel des Ensembles". Das sei "gut einstudiert, so gut, dass es jetzt wieder lässig und spontan wirkt".
"Bewundernswert, wie Christina Geiße, Manja Kuhl, Annie Nowak und Sebastian Reiß mit diesen Satzkaskaden umgehen", schreibt Matthias Bischoff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.12.2023), "wie sie sie mal in lockerem Parlando daherplaudern, mal mit Pathos deklamieren, mal bekenntnishaft in eine Kamera (Videotechnik Moritz Grewenig) sprechen". Das lasse sogar vergessen, "dass diese Texte nicht wirklich fürs Sprechen und Zuhören geeignet sind, dass ihr anklagender, immer wieder auch schlichtweg belehrender Duktus eher undramaturgisch ist, niemals dialogisch". Daher sei es gut, dass Lilja Rupprecht mit Jelinek Texts "angemessen respektlos umgeht, eigene Bilder findet und Schweres leicht erscheinen lässt", so der Kritiker.
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