Laika - Am Volkstheater Rostock erzählt Kollektiv Eins von Chaos im All und auf der Erde
Chaos mit rotem Faden
von Frank Schlößer
Rostock, 16. Dezember 2017. Vor sechzig Jahren starb eine Straßenköterin aus Moskau. Weshalb erinnert man sich noch heute daran? Es ist der Ort ihres Todes: Erdorbit, Sputnik 2. Wir sind Laika dafür dankbar, dass sie am 3. November 1957 über fünf Stunden dafür brauchte. Denn ihr Flug zeigte: Wenn Hündinnen den Orbit überleben können, dann können das echte Männer – wie zum Beispiel Juri Gagarin. Braves Hündchen, hat sie doch was gemacht aus ihrem Leben!
Laika plappert so plan- wie hilflos
Dass sie fünf Monate später über dem Kaspischen Meer verglühte, ist eine Fake News, die es in Wikipedia geschafft hat. Heute sendet die Drag-Queen-Journalistin Laika aus Sputnik 2 ihre Radioshow in die Welt. Ob sie gehört wird, ist ihr egal – denn der Wodka steht hier und hier spielt die Kurkapelle Kampfansage ihren schrillen Elektro-und -Gitarren-Punk und hier vor dem pinkfarbenen Teppich mit den beiden Sitzgruppen aus Schwimmsesseln haben rund 40 Rostocker als Publikum Platz genommen. Der Untertitel der Performance bringt den Inhalt auf den Punkt: "Das Chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt" soll einst Karl Kraus ("Die letzten Tage der Menschheit") gesagt haben, und was der Österreicher damit meinte, können wir immerhin ahnen, denn er starb 1936.
Orbit-Plauderei mit Laika (Stefan Hornbach) © Frank Hormann
Tatsächlich kommt das alles sehr chaotisch rüber: Das Geplapper von Laika ist ebenso plan- wie hilflos. Das Publikum erfährt, dass Heinz Kaminski, Amateurfunker mit dem Rufzeichen D35YM, einst Verbindung zu Laika aufnehmen wollte. Wir essen Tierleichen, können aber kein Blut sehen. Heidi Klum ist als Werwolf unterwegs. Und wenn uns nichts mehr bleibt, dann bleiben uns immer noch die saubilligen und fair produzierten und unsagbar leckeren Geleebananen als Henkersmahlzeit – schließlich ernährte sich auch Laika in ihren letzten Stunden von Hundefutter in Gelform. Da unten öffnen sich inzwischen die Friedhöfe, unsere Toten kommen zurück und bald weiß man nicht mehr, ob Laika um die Erde kreist oder die Erde um Laika.
Dieses Durcheinander kommt in hohem Tempo, sich verhaspelnden Mono- und Dialogen, schrillen Glitter-Outfits, lauten Songs und gut gesetzten Videoeinspielern. Das Tohuwabohu wird in diesem Ballettsaal durch die Spiegelungen in den großen, getönten Fenstern noch verstärkt und mischt sich mit dem Ausblick auf den Theatervorplatz. Das alles sorgt für Unterhaltung und durchgehende Aufmerksamkeit in den anderthalb Stunden ohne Pause.
Wahnsinn mit Methode
Dennoch zeigt das Chaos ein nötiges Mindestmaß an dramaturgischer Ordnung: Es gibt eine Hauptrolle, es gibt die Form der Tragödie, die mit dem Inhalt einer Komödie gefüllt wird. Es gibt nur einen Anfang. Es gibt nur ein Ende. Dieser Kuddelmuddel ist durchdacht und er schafft Aufmerksamkeit für die Momente, in denen die Verzweiflung aufscheint. Sie ist dann kaum von der Hoffnung zu unterscheiden, dass es doch noch eine andere Wirklichkeit gibt als die mediale Internet-Wirklichkeit, der wir heute ausgeliefert sind. In der es gar keinen Sinn macht, News von Fakes zu unterscheiden. In der wir unseren Erklärbären Harald Lesch, Richard David Precht und Volker Pispers dankbar sind für ein paar zusammenhängende Sätze. Die natürlich nichts ändern.
Leopardenhosenträger Jan Preisler und der wilde Oli Friedrich sind die Boys der Kurkapelle Kampfansage © Frank Hormann
Das Volkstheater Rostock hat den Ballettsaal zum Raum für Experimente gemacht und sich mit dem Kollektiv Eins aus Berlin neues, frisches Performance-Theater kommen lassen. Mit "Laika" schließt es die Reihe "Knall + All" ab, mit dem Schauspieldirektor Ralf Reichel in seiner ersten komplett geplanten Spielzeit den Bereich des junge Experimentaltheaters abdeckt. Ein guter Kauf. Die Irritation dieses Abends passt nach Rostock. Sie ist unterhaltsam und nachvollziehbar. "Laika" ist im besten Sinne originell und bietet als eigenständige Stückentwicklung in einem besonderen Raum einen Blick auf die Welt, aus der die Alten mit einem gemächlichen Kopfschütteln herauswachsen. Aber die Jungen, die wachsen da erst rein.
Laika
von Kollektiv Eins
Regie & Text: Paula Thielecke und Sören Hornung, Ausstattung: Lisa Jacobi, Musik: Jan Preißler und Oli Friedrich, Dramaturgie: Anna Langhoff.
Mit: Stefan Hornbach, Sören Hornung, Marc Pawlowski, Oli Friedrich, Jan Preißler, Paula Thielecke.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.volkstheater-rostock.de
kollektiveins.de
Kritikenrundschau
"Selbst dann, wenn man das ernsthafte Anliegen ausblendet, bleibt 'Laika' eine schrille und spaßige Produktion", so Thorsten Czarkowski von der Ostseezeitung (18.12.2017). "(D)as Auftauchen von Heidi Klum, die sich gerade in einen Werwolf verwandelt hat, ist einer von vielen erheiternden Momenten, in denen das Stück komplett gaga zu werden droht." Retrofuturistisches Kuschel-Ambiente mache das Treiben auch zu einer optisch attraktiven Angelegenheit.
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Ja, das stimmt, vielen Dank für diese Korrektur; ich habe mich allerdings sehr darüber gefreut, daß das Volkstheater diese Sachen von Wolfram Lotz gleichsam geschwerpunktet hat; das Kinderstück "Kosmonautin Valentina" ist dann wohl wieder vom KOLLEKTIV EINS, und "LAIKA" werde ich demnächst -gen Jahreswechsel- wohl selbst zu sehen bekommen, wenn ich in der Hundsburgallee erst einmal durchgeschnauft haben werde, bei all dem ALL schwirrt einem ja der Kopf..