Till Eulenspiegel - In Rostock sucht und findet Cornelia Crombholz Gegenwart in der Vergangenheit
Junger Mann mit Hintergrund
von Juliane Voigt
Rostock, 21. September 2013. Es geht derbe zu und zünftig, auf der Bühne des Volkstheaters Rostock. Cornelia Crombholz, für ein Jahr Schauspieldirektorin am Haus, bis im kommenden Sommer die Intendanz von Sewan Latchinian beginnt, nimmt das mit dem Volkstheater scheinbar durchaus wörtlich und inszeniert als Einstand "Till Eulenspiegel". Mit besonderem Hinweis darauf, dass der Name des bekannten Schalk-Narren mit "leck mir´n Arß" ins Hochdeutsche zu übersetzen ist. Und damit lässt sich fröhliche Urständ feiern. Die Premiere war vom hanseatischen Publikum hoffnungsvoll und kritisch erwartet worden - das Theater ist seit Jahren Sorgenkind der Stadt –, gefeiert wurde sie am Ende mit großem Applaus.
Zombies und Lacktaschen im Disco-Nebel
Es ist ein Abend (fast) aller Sparten des Hauses. Am Bühnenrand sitzt eine Kapelle mit jungen Musikern der Rostocker Hochschule für Musik und Theater. Geleitet von Benjamin Köthe, dem Komponisten dieser weitgreifenden Collage aus Bühnenmusik, von Opernchören im Geiste Fellinis und vereinzelten Bühnensongs. Die Tanzcompagnie streift als aufdringliche Zombie-Horde, im Disco-Nebel verdampfend, um die Beine von Frau Glück und Frollein Tugend, die sich, und da sind wir gleich in der ersten Szene, der Junge aus prekären Verhältnissen baumelt schon am Galgen, um dessen Seele keilen.
Die Furien Petra Gorr und Franziska Reinke würden sich die roten Lacktaschen um die Ohren hauen, wenn sie welche hätten. Es zählen aber Argumente im Rückblick auf das Leben ihres Schützlings, denn in keiner der sieben Historien lässt sich zweifelsfrei klären, ob dieser Till nun gut gewesen ist oder schlecht. Till Eulenspiegel war eine ambivalente Figur, einer, der seine Mitmenschen zur Weißglut brachte, weil er jede Redensart allzu wörtlich auffasste. Und sich, als benachteiligtes Geschöpf in den Härten seines kurzen Lebens einfach nahm, was ihm zustand.
Todsünden ausgestopft
Auf der Rsotocker Bühne wird nach Herzenslust gehurt, gelogen, betrogen und gegeizt. Sebastian Reiß wächst als junger Till aus einer armen und ungeliebten Kindheit in die Figur des bösen Clowns. Was er verursacht und was ihm angetan wird, deckt er auch auf und zahlt es der Gesellschaft mit gleicher Münze heim. Wenn ihm der Wein verwehrt wird, pinkelt er kurzerhand ins Fass. Die groteske Wirtshaus-Szene in rechtsrheinischem Dialekt ist durchschlagend und karikaturesk, nachdem die Kostümorgie von Annette Braun schon in der Irrenhaus-Szene davor den Saus und Braus der Todsünden konterkarierte.
Auf ordinärste Art nackt wird da im historischen Sinne von Volkstheater bis an die Schmerzgrenze herausgelassen, was man so genau eigentlich von seinen Mitmenschen nicht wissen will. Die Völlerei verzehrt genüsslich Popel und herumliegende Darmabsonderungen, die Faulheit grunzt sabbernd im Rollstuhl, der Zorn will jedermann "die Schnauze einschlagen", der Geiz feilscht, der Neid ist neidisch, der Wollust werden Gegenstände aus Körperöffnungen entfernt, dem Hochmut entfahren Naziparolen und die Trägheit des Herzens ruht über Allem. Bis an die Haarwurzeln in Theaterwatte verpackt, mit übelsten Fratzen und erigierten Penissen, schamlos entblößt und offenbarend, läuft es aufs Irrwitzigste hinaus.
Laut, bunt und lustig
Till Eulenspiegel nimmt sich auf seine Art dieser Gesellschaft an. Wie allen Anderen vorher auch schon. Das Schuhdebakel, sein Seiltanz, die Beichte, die er den tugendhaften alten Schranzen abnimmt, bis der Beichtstuhl in rhythmischem Tanz wackelt, um sie hernach in die Abbitte zu zwingen. Auch im Dreck wird sich ordentlich gewälzt und begeistert mit Mist geworfen. Eulenspiegel sorgt überall verlässlich für Aufruhr und hinterher rennt er um sein Leben durch die hölzerne Einfriedung. Sie begrenzt die Szene, auf der zudem eine kleine Guckkastenbühne herumfährt (Bühne: Marcel Keller).
Die Geschichte von Till Eulenspiegel hat ihre Wurzeln im frühen Mittelalter und ist anonym veröffentlicht worden. Die Geschichten von heranwachsenden, unverstandenen und durchaus realen Jungen unserer satten Zeit spiegeln sich in ihr. Das respektlose, verspielte und freche Aufbegehren von aussichtslosen Verlierern neben einer gutbürgerlichen Gesellschaft, der man nicht zwingend, aber latent die Todsünden in ihrer Archaik aufdrücken kann. Dem nähert sich Crombholz mit sehr komischer, auch verzerrter Gesellschaftskritik. Die Autorin Paula Fünfeck war anwesend und zeigte sich begeistert. Auch der Bürgermeister der Till-Eulenspiegel-Stadt Mölln, Jan Wiegels, wurde begrüßt und der Vorsitzende der Till Eulenspiegel-Gilde, Gernot Exter, ebenfalls Mölln. Till Eulenspiegel? Er lebt. Da geht noch was. Es ist ein bunter, lauter und mutiger Theaterabend, mit dem Cornelia Crombholz sich dem Rostocker Publikum vorgestellt hat.
Till Eulenspiegel
nach dem Volksbuch aus dem 15. Jahrhundert, Theaterfassung von Paula Fünfeck
Regie: Cornelia Crombholz, Bühne: Marcel Keller, Kostüme: Annette Braun, Komposition / Musikalische Leitung: Benjamin Köthe, Choreinstudierung: Stefan Bilz, Choreografie: Katja Taranu, Studienleitung: Hans-Christoph Borck, Musikalische Einstudierung: Teodora Belu, Jewgenij Potschekujew, Dramaturgie: Oliver Bierschenk.
Mit: Sebastian Reiß, Petra Gorr, Franziska Reincke, Sonja Dengler, Andrea Stache-Peters, Chiarette Schörning, Philipp Engelhardt, Andreas Petri, Björn Jacobsen, Daniel Wagner. Die Musiker Julian Fuchs, Oliver Heinze, Axel Meier, Thomas Metzler, Anne Roedszus, Sebastian Stolz, Franziska Reincke, Opernchor und Tanzcompagnie des Volkstheaters Rostock.
Dauer: 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause
www.volkstheater-rostock.de
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Doch genug der Polemik.
Wenn Dirk Löschner in einem offenen Brief, den er sich, ob der harschen und undifferenzierten Kritik, zu schreiben genötigt sah, sagt: "Glaubt ernsthaft jemand, dass eine neue künstlerische Linie an einem mittleren Unternehmen wie einem Stadttheater von heut auf morgen und ohne jeden Widerstand durchzusetzen und zum Erfolg zu führen ist? Wenn da von Qualität schwadroniert wird, dann ist eine bestimmte, gewohnte Qualität gemeint. Um veränderte Qualitäten wahrnehmen zu können, braucht es Offenheit und Neugier." (http://www.theater-vorpommern.de/programm/index.phtml?showsingle-2836&sp=6) Das ist genau das Problem.
In Mecklenburg-Vorpommern wurde verpasst, dass Theatersystem ästhetisch zu öffnen, teilweise sind / waren die Häuser seit 20 oder mehr Jahren von den gleichen Menschen geprägt, die ihre spezifischen Inhalte vertraten. Kommen nun "neue" Köpfe, wie Frau Combholz, Herr Löschner, die an anderen Häusern andere Erfahrungen gemacht haben und andere Qualitäten vertreten, dann reagieren die Zuschauer ablehnend.
Ich wünsche mir für die Theaterzuschauer in Mecklenburg-Vorpommern (ja, ich verallgemeinere maßlos) etwas Ausdauer, größere Neugierde (die vielleicht auch mal ins Theater nach Hamburg oder Berlin treibt) und immer mehr energetische junge Menschen, die versuchen mit ihrer Ästhetik zu überzeugen. Theater hat so viele Facetten...
Gerade weil man sich für Rostock (und auch Stralsund, Greifswald usw.) neue künstlerische Impulse wünscht, ist man eben so enttäuscht von der Unterforderung und dem Mittelmaß, das die Crombholzinszenierung Eulenspiegel darstellt, aber ich war auch von Löschners Caféballade ähnlich abgetörnt.
Also, bitte auch nicht Meck-Pomm runtermachen, um selber besser dazustehen.