Sein oder Nichtsein - In Schwerin zieht Steffi Kühnert für Ernst Lubitschs Anti-Nazi-Komödie alle Theater-Register
Die Rolle seines Lebens
von Frank Schlößer
Schwerin, 13. April 2018. Das polnische "naród" kann man wahlweise mit "Nation" oder "Volk" übersetzen. Ausstatter Joachim Hamster Damm hat sich augenscheinlich für "Volk" entschieden, denn das Warschauer Theater, das die Gestapo im September 1939 zu ihrem Hauptquartier macht, hat bei der Premiere in Schwerin die Fassade der Berliner Volksbühne. In diesem "Narodowy Theater" (eigentlich müsste es "narodowy teatr" heißen) hat sich die Gestapo einquartiert, nachdem die Wehrmacht im September 1939 in Polen einmarschiert ist.
Die Aussichten auf Applaus sind begrenzt
Da ist der unbeschwerte erste Akt des Stückes längst vorbei, der noch in Friedenszeiten am "Polski Theater" spielt und im Zuschauerraum des großen Hauses von einem Dauerkichern begleitet wurde. Aber jetzt wird die Bühne düsterer, jetzt ist Krieg. Das Polski Theater ist geschlossen und die Zeitung vermeldet die Namen derjenigen, die letzte Woche erschossen worden sind. Jetzt dominieren graue und schwarze Uniformen, jetzt geht es um Leben und Tod – nicht nur für die Schauspieler des "Polski Theater", sondern auch für die gesamte Widerstandsbewegung in Polen: Ein Professor und Spion Silewski will der Gestapo eine Liste übergeben, auf der die Namen des polnischen Untergrunds verzeichnet sind. Wenn der selbstverliebte "Erste Charakter" Josef Tura tönt, man könne ihn ruhig zu Tode foltern, wenn er nur wieder spielen könnte – nun, jetzt bekommt er die Gelegenheit auf die Rolle seines Lebens. Als Gestapo-Gruppenführer Ehrhardt. Nur dass die Aussichten auf Applaus recht begrenzt sind.
"Sein oder Nichtsein" hieß 1942 der Hollywood-Film des deutschen Regisseurs Ernst Lubitsch. Die Komödie ist heute ein Klassiker. Erstaunlich, dass die Bühnenadaption erst 2008 in London und 2009 in Berlin seine Uraufführung hatte. Denn der Stoff schreit geradezu danach, ein Theaterabend zu werden: Nicht nur, weil die Schauspieler hier ihre eigene Sache, das Theater, als Klamotte verhandeln dürfen. Sondern weil die Geschichte gleichzeitig Eifersuchts- und Verwechslungskomödie wie auch ein bitterböser Politthriller ist.
Einen Lacher soll man nie verachten
Für die Premiere am Mecklenburgischen Staatstheaters hat Steffi Kühnert – nach ihrem Regie-Debüt Hauptmanns Die Ratten 2017 im Schweriner E-Werk – diesmal das Große Haus bekommen. Die Schauspielerin ist sowohl auf den großen deutschsprachigen Bühnen als auch im Film erfolgreich. Dass es nichts schadet, diese Seite des Theaters gut zu kennen, konnte man an diesem Abend erleben. Es scheint, als durfte jeder Schauspieler seine Rolle selbst einfärben: Der Gestapo-Gruppenführer Erhardt bekommt eine schwule Attitüde, der Schauspieldirektor Dowacs brüllt rum, die Diva übertüncht ihre Unsicherheit mit einer Vamp-Fassade. Immer wenn die haarsträubende Improvisation mangels Text aufzufliegen droht, brüllt einer "Heil Hitler" – und es geht irgendwie weiter.
Natürlich reagiert das Publikum dankbar, wenn die Schauspieler schlechte Schauspieler spielen. Wenn Gruppenführer Erhardt einen Wutausbruch des Führers á la Bruno Ganz aus dem "Untergang" aufblitzen lässt. Wenn vor dem Stück ein ferngesteuerter Panzer der Wehrmacht über die Bühne flitzt und die SS in der Pause Federball spielt. Schließlich sagt schon im Stück der jüdische Schauspieler Grünberg: "Einen Lacher soll man nie verachten."
Wieder arbeitete Steffi Kühnert mit Ausstatter Joachim Hamster Damm zusammen, der die Möglichkeiten der großen Bühne ausnutzt – mit Versenkung und Drehbühne und Licht und Film. Fast der komplette letzte Akt wird als Kinofilm serviert – aufwändig gedreht an eben dem Theater, in dem das Publikum gerade sitzt. Das ist raffiniert, heiter und schlüssig in die Handlung eingebaut. Und es ist eine schöne Reminiszenz an die Filmvorlage.
Aber genau diese technischen Möglichkeiten scheinen auch das Problem dieses Abends zu sein. Die Vorlage bietet ein wirklich rasantes Tempo an, doch nach dem Wechsel das Handlung in den "Kriegszustand" muss die Inszenierung immer wieder Fahrt aufnehmen, weil Drehbühnenspaß, Umkleidepausen und Standbilder mit Musik – die aus unerfindlichen Gründen elektrorockig und englischsprachig ist – die Komödie ausbremsen. Wie auch das Zitieren der Volksbühnen-Fassade im Bühnenbild unerklärt und unerklärlich bleibt.
Sein oder Nichtsein
von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch mit dem Drehbuch von Edwin Justus Mayer und Melchior Lengyel
Regie: Steffi Kühnert, Ausstattung: Joachim Hamster Damm, Dramaturgie: Nina Steinhilber, Video / Film: Sebastian Hattop. Mit: Martin Brauer, Jennifer Sabel, Flavius Hölzemann, Robert Höller, Antje Trautmann, Sebastian Reck, Stella Hinrichs, Janis Kuhnt, Jochen Fahr, Vincent Heppner, Özgür Platte, Andreas Anke, Lennart Lange, Alexander Georg March.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.mecklenburgisches-staatstheater.de
"Was diese ungemein pointierte Inszenierung so groß macht, ist die scheinbare Mühelosigkeit, mit der das Ensemble auf dem schmalen Grat von Nonsens, Spannung, Ironie und hintergründigem Witz wandelt", schreibt Holger Kankel in der Schweriner Volkszeitung (15.4.2018). Minutenlang gefeiert werde Steffi Kühnerts zweite Schweriner Inszenierung – "Zu Recht!" –, von einem einhellig begeisterten Publikum, so Kankel. Er bekennt: "Im Theater gewesen. Geweint. Und gelacht. Und beides zugleich."
"Die Mischung aus Politsatire und Gesellschaftskomödie funktioniert immer noch", befindet Thorsten Czarkowski in der Ostsee-Zeitung (16.4.2018). "Regisseurin Steffi Kühnert hat die Leichtigkeit des Originals erhalten, was nicht einfach ist." Ihre Inszenierung fessele trotz der Länge des Abends, "die paar unnötigen Modernisierungen stören auch nicht weiter".
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ich frage mich sehr, ob wir das gleiche Stück gesehen haben, oder ob sie sehr starke Migräne hatten, weil sich Ihre Kritik so anhört, als ob sie dieser großartigen Inszenierung gar nichts abgewinnen konnten? Ich persönlich jedenfalls hatte große Freude an diesem Abend und dem frenetischen Applaus nach zu urteilen, war auch das Publikum sehr begeistert.
Gut und schön, wenn Sie keine Freude hatten, ist das Ihre Sache, aber einen Bühnenbildner, wie Hamster Damm, Undurchdachtheit (Zitieren der Volksbühne/ Narodowy Theater) vorzuwerfen ist ein ziemlich starkes Stück. Ich weiß nicht, ob Sie die bisherigen Arbeiten dieses Bühnenbildners verfolgt haben? Ich kann nur sagen, wenn es einen Bühnenbildner im deutschsprachigen Raum gibt, der sich auf das Genaueste und mit einer großartigen Tiefe mit der Materie auseinandersetzt, ist das Hamster Damm.
Und es zeigt auch, dass sie leider nicht frei assozieren können.
Jeder weiß, wenn man mit Logik an dieses Stück herangeht, ist man leider verloren. Das polnische Schauspieler perfekt deutsch mit deutschen Nazis sprechen, würde doch in echt überhaupt nicht funktionieren. Das Stück fungiert doch als Parabel, da ist es wichtig, das Publikum nicht mit Absicht darauf zu stoßen, dass es ein "Teatre" ist, in diesem Falle ist es ein "Theater" mit dem Namen "Narodowy", sonst müssten die Schauspieler ja auch polnisch sprechen, oder?
Das Hamster Damm die Volksbühne genommen hat, finde ich eine wunderbare Entscheidung. Die Volksbühne ist äußerlich eine Architektur, die sehr der Ästhetik der Nazis entsprach, zur Nazizeit wurde sie auch gerne von diesen benutzt, der Bülowplatz wurde in Horst-Wessel-Platz unbenannt. Die Volksbühne steht für mich für eine Gebäude, dass bisher immer überlebt hat.(auch die Zerstörung Warschaus), Ganz zu schweigen, von den jüngsten Entwicklungen zum Thema Volksbühne... Also ästhetisch und politisch eine interessante Entscheidung. Das Bühnenbild und die Kostüme sind wunderbar, sehr genau überlegt, elegant umgesetzt und dienen in großartiger Weise der Inszenierung. Insbesondere die technische Umsetzung lief, wie am "Schnürchen", auch hier frage ich mich wieder, ob wir das gleiche Stück gesehen haben.
mit freundlichen Grüßen
Janna Skroblin
die dramaturgie in schwerin scheint auch eher beliebg zu sein. neben der unerklärlichen musik, fragt man sich warum die volksbühne da steht, hitler am ende aber in der zu langen (und sehr dilettantischen) filmsequenz ins schweriner theater geht. alles egal, die schauspieler spielen auch alle anders, so bleibt es ja sowieso wurscht.
enttäuschend nach den ratten von steffi kühnert. da hätte die leitung und die dramaturgie eingreifen müssen.
Um nur ein Beispiel zu nehmen; wie kann Herr Tura ,"die Rolle seines Lebens" als Gruppenführer Ehrhardt spielen, wenn Tura (Prof. Silewski spielend) und Ehrhardt gleichzeitig auf der Bühne stehen?
Für mich ist es eine interessante und abwechslungsreiche Komödie, die in unseren heutigen ernsten Zeiten, viele Lacher erzeugt, somit zum geistigen Wohlbefinden der Zuschauer beiträgt und gleichzeitig auf die politische Bewußtseinbildung einwirken kann.
Mit freundlichen Grüßen
"warum hitler in der galavorstellung am ende die ddr nationalhymne hört, wird nur die regie erklären können."
Nein, kann nicht nur die Regie erklären. Kann ich auch erklären. Es war nämlich die Deutsche Nationalhymne und nicht die der DDR.
"die dramaturgie in schwerin scheint auch eher beliebg zu sein. neben der unerklärlichen musik, fragt man sich warum die volksbühne da steht, hitler am ende aber in der zu langen (und sehr dilettantischen) filmsequenz ins schweriner theater geht."
Warum da die Volksbühne steht, hat die Kommentatorin #1 ja schon mit guten Worten beschrieben, warum Hitler am Ende ins Schweriner Theater geht und nicht in die Volksbühne, versteht man dann, wenn man das Stück anschaut und aufmerksam aufpasst, statt die Dramaturgie anzuprangern, die hier hervorragende Arbeit geleistet hat.
Ich finde es schade, einen Abend schlecht zu reden, den man offensichtlich nicht richtig verstanden hat und darüber hinaus auch noch die Dramaturgie beleidigt, die sich im Gegensatz zu Kommentator #2 mit dem Stück scheinbar sehr gut auseinandergesetzt hat.
Fazit: Tatort? Nö, muss nicht, ist eh immer das gleiche...
ICH GAB MICH HIN VOLLER GEWINN... WEIL ICH DEN KOPF NAH AM SINNLICHEN MAGEN HATTE. 1000 DANK... RESPEKT... ES WIRKT IMMER NOCH.