King Arthur - In Aachen lässt Albrecht Hirche die Semi-Oper King Arthur erfrieren
Reiner Anrufungszauber
von Guido Rademachers
Aachen, 1. April 2012. Abracadabra. Albrecht Hirche hat sich für seine Inszenierung von Purcells/Drydens Semi-Oper "King Arthur" – einem originär britischen Spezialmix aus Schauspiel und Oper – ein dreieckiges Podest auf die Aachener Bühne stellen lassen. Das Zauberwort ist entlang der Basis geschrieben, die die gesamte Bühnenbreite einnimmt. Zur Spitze des Dreiecks hin wiederholt es sich, dabei entfällt jeweils der erste und letzte Buchstabe. Bis schließlich in dem zum Publikum zeigenden spitzen Winkel ein "A" übrig bleibt. Den Uneingeweihten belehrt Hexenmeister Hirche per Programmheft: Nachgebildet ist ein magisches Amulett im Riesenformat, das Unheil und Schmerzen minimieren soll.
Rein spieltechnisch gesehen minimiert es höchst wirkungsvoll zudem die Bewegungsmöglichkeiten. Für Chor und Extrachor ist der verbleibende Platz neben dem Podest gerade so bemessen, dass man sich nicht auf die Füße tritt. Und von dem primär für Solisten reservierten Podest droht dank der extrem ansteigenden Bühnenschräge jederzeit der Absturz, zumal noch drei rampenparallele Durchgänge das Dreieck zerschneiden. Aus ihnen tauchen die Erdgeister auf: Im Kackwurstkostüm Robert Seiler als kindertheaterkonform lärmender Grimbald und Elke Borkeinsteins grundversauter Osmond mit ausgestopftem Hintern und erigiertem Glied.
Total-Blindgänger im verordneten Leerlauf
Vom Barocktheater bleibt so nur ein Theater der Trash-Tableaus. Spartenübergreifend steht man nebeneinander. Hirches Abracadabra ist reiner Anrufungszauber. Aufs Wort erscheinen die Figuren, um so emotions- und leider oft auch energielos wie möglich szenische Rudimente auszustellen. Geradezu bösartig wird jede schauspielerisch ausgestaltete Handlung verweigert. Das Fechtduell zwischen King Arthur (mit weichen Knien: Karsten Meyer) und Oswald (immerhin für etwas Power sorgt Thomas Hamm) begnügt sich damit, die Degen zweimal aneinander zu halten. Dann taumelt Oswald weg und ist besiegt. Ohnehin ist es ja nach Hirches Verständnis der große magische Kampf der Buchstaben, der sich hier ereignet: der des A gegen das O, wie sie überdeutlich von den Monty-Python-Ritterkostümtunikas mit angenähter Kapuze prangen. "AAArthur wird gewinnen. Oh!"Zum Duell nur angetippt: Thomas Hamm und Karsten Meyer im lustlosen Kampf.
© Wil van Irsel
Gut, die Inszenierung kommt mit ihrem Symbolisch-Magischen, Tableauhaften, Antipsychologischen, auch dem Comedy-Touch und dem ständigen Verweis auf die theatralen Mittel natürlich der Vorlage nahe. Am nächsten vielleicht am Ende. Da lagert das multinationale Ensemble, teilweise schon in Privatkleidung, mit umgehängten Jutesäcken, auf denen "Picknick der Nationen" geschrieben steht, friedlich auf dem schmerzlindernden magischen Dreieck. Das übersetzt sehr genau den utopischen Charakter und zugleich der ironischen Brechung der "fairest isle"-Schlussszene mit der Versöhnung von Briten und Sachsen ins Heute. Aber drei Stunden saft- und kraftlose Stellerei, ein paar lausige Zoten ("Gesucht wird Ritter mit Pferdeschwanz. Frisur egal.") und per Konzeption verordneter Leerlauf haben da längst aus der Semi-Oper schon den Total-Blindgänger gemacht.
Der wahre Genius des Frostes
Woran die musikalische Interpretation nur wenig ändern kann. Volker Hiemeyers Dirigat gewinnt viel Kraft durch die Betonung des Metrums, des motorischen, tänzerischen Elements der Musik, ebnet das aber durch einen pauschalen Schönklang ein. Die Streicherachtel der bekannten Frost-Szene erinnern in historisch informierten Aufnahmen schon fast an ein Sägen. In Aachen entfaltet sich ein satt gerundeter Klang. Den Effekt macht die chromatische Arie mit einem das Frieren aufnehmenden Extrem-Vibrato, bis hin zu einem Bibbern. Pawel Lawreszuk bleibt moderat, in seine Stimme verliebt und damit nur ein Fröstchen. Den wahren Genius des Frostes hat das Abracadabra-Bühnenbild indes mit der Inszenierung selbst beschworen, und unaufhörlich ruft sie einem entgegen: "Let me, let me freeze again to death."
King Arthur
Semi-Oper von Henry Purcell zu einem Schauspiel von John Dryden
Musikalische Leitung: Volker Hiemeyer, Regie und Bühne: Albrecht Hirche, Kostüm: Franziska Grau, Dramaturgie: Inge Zeppenfeld, Michael Dühn, Choreinstudierung: Andreas Klippert.
Mit: Karsten Meyer, Thomas Hamm, Pawel Lawreszuk, Julia Brettschneider, Katharina Hagopian, Astrid Pyttlik, Robert Seiler, Jorge Escobar, Patricio Arroyo, Joey Zimmermann, Elke Borkenstein, Katrin Stösel, Lynn Borol-Melon, Opern- und Extrachor Theater Aachen, Statisterie Theater Aachen, Sinfonieorchester Aachen.
www.theater-aachen.de
Albrecht Hirche habe in Aachen schon einige respektable Arbeiten abgeliefert, aber diesmal sei es nichts mit Unterhaltung oder Tiefsinn, urteilt Armin Kaumanns in der Aachener Zeitung / den Aachener Nachrichten (3.4.2012). Auf der Bühne herrsche bunt und deftig aufgemischte, notdürftig ironisierte Ratlosigkeit. Hirche gehe mit seinem Personal um wie mit Schachfiguren. Das sehe anfangs aus wie starkes Schauspielertheater. "Aber schon bald hat es sich mit dem Genuss, weil vor lauter Brüchen kein roter Faden mehr durchscheint." Zudem gefalle sich die Regie "über die Maßen" darin, das skurrile zauberische Personal das Publikum anstacheln zu lassen. "Was solche theatralen Mittel bei Purcells 'King Arthur' zu suchen haben, bleibt ein Geheimnis." Es gebe zwar auch gelungene Momente, und die Musiker seien zu loben. Aber es fehle eben das "konstruktive Konzept".
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