König Ubu - Clara Weyde lässt es mit Alfred Jarrys Tyrannen-Groteske in Bielefeld show-spektakulär krachen
Wenn die Schaumstoffpeitsche knallt
von Karin E. Yeşilada
Bielefeld, 15. März 2019. Bereits zu Beginn tappt das Publikum in die dramaturgische Falle: Fast jede/r ist der Aufforderung nachgekommen, sich ein Namensschildchen und damit eine eigene Rolle zuzulegen. Im Verlauf der zweistündigen Vorstellung wird es dann immer mehr aus der wohligen Distanz hineingerissen in die minutiös geplante Inszenierung eines Ehepaars auf dem Weg zur Macht.
Clara Weyde hat Alfred Jarrys wilde Farce von 1896 um ein Drittel gekürzt und mit einer aktuellen Rahmenhandlung versehen, die Mitwirkende aus dem Publikum auf die Bühne holt für eine bizarre Mitmach-Show. Das wirkt zu Beginn wie Privat-Fernsehen untermalt mit Schlagermusik, wandelt sich bald zum lustigen Rollenspiel mit Selbsterprobung und wird schließlich zum irren Affenzirkus, bei dem die zu Spielfiguren mutierten Mitspieler nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Ein rasanter Abend voller Überraschungen im Theater Bielefeld, ein Spektakel.
Politische Umgarnung in Polyacryl
Es beginnt zunächst harmlos, als die beiden Ubus (schön schmierig: Lukas Graser, unterkühlt-intrigant: Doreen Nixdorf), ein kleines Volkslied singend, die Show eröffnen, jovial und aalglatt, eine Mischung aus Hillary Clinton und Florian Silbereisen. Mit rostroten Polyacryl-Outfits (Kostüm: Clemens Leander) und zauseligen Rothaar-Perücken umgarnen sie das Publikum. Und gleich wird bereitwillig gelacht über billige Witzchen, erleichtert aufgeatmet, als sich "Freiwillige“ auf die Bühne wagen, "Ein Applaus für Petra!", und immer wieder applaudiert, auf Kommando, wie im echten Reality-TV-Leben. Wohlfühlfaktor. Die Ubus als telegene Einheizer, die ihre "Gäste" oben auf der Bühne mit Bier und Schampus bewirten, mit ihnen plaudern und sie dabei schon ganz unauffällig manipulieren.
Der Bruch mit dieser Show erfolgt mit dramatischem Lichtwechsel (Beleuchtung: Martin Quade), wenn sich die eben noch strahlenden Showmaster in bläuliche Figuren wandeln, die ihren Traum, durch Königsmord die Herrschaft an sich zu reißen, in grotesker Manier und antiquiertem Bühnentext zum Ausdruck bringen. Dann wird auch schon wieder der (Licht)Schalter umgelegt and the Show goes on. Keine halbe Stunde später weiß weder auf der Bühne da oben noch im Zuschauerraum unten noch jemand, wer die Ubus wirklich sind, Weydes TV-Fuzzies oder Jarrys Parvenus. Aber das hinterfragt dann auch keiner mehr, das Publikum nicht und die vier Mitmacher oben auf dem Sofa auch nicht.
Begeisterte Mitspieler und Mitläufer
Die vier Figuren aus dem "Publikum" stammen aus dem Panoptikum der Gesellschaft: Da ist Taxifahrer Bernhard, gescheiterter Philosophiestudent und fleißiger Ashram-Besucher, der später die sterbende Königin gibt (Oliver Baierl mit gut getarnter Aggressivität), zusammen mit seinen "Söhnen", allesamt verkörpert vom selbstgefälligen Matthias (zackig: Cornelius Gebert), der unter der Fuchtel König Ubus später immer wieder Witze erzählen muss. Petra wiederum, eine nette Spießerin, taugt zum Mobbingopfer (überzeugend: Carmen Priego). Erst wird sie als "König" gelyncht, dann als "Gewissen" gehenkt und schließlich per erzwungenem Seelen-Striptease in die Verzweiflung getrieben.
Und dann ist da noch Michael, Putzmann, der erst ganz verschüchtert ist und dann in seine neu verliehene Rolle als "Hauptmann Craque" hineinwächst, dass es eine Freude ist (wandlungsfreudig: Georg Böhm). Sie alle saugen die Aufmerksamkeit der Ubus begierig auf, lechzen nach Lob und lassen sich – "Ein Applaus für Bernhard!!" – bereitwillig verführen. Ganz wie das Publikum, dem sie das ganze miese Mitläufertum spiegeln. Als sie unter Regie der Ubus für einen Moment Königsfamilie mit Hauptmann verkörpern dürfen, strahlen sie um die Wette. Da haben sie als ergebenes Volk ihren eigenen Untergang schon besiegelt. Und doch wäre es wohlfeil, über die Aktualität von Jarrys im Schatten der Dreyfus-Affäre inszeniertes Skandalstück zu philosophieren und dabei gen Osten nach Ungarn oder gen Westen nach Amerika zu schielen.
Schlagersülze und Hüttenzauber
Denn mehr als durch den Inhalt überzeugt diese Inszenierung durch ihre theatralische Saftigkeit und Vielseitigkeit. Da wird das Publikum umgarnt, mit Worten und mit herrlich schriller Musik von Thomas Leboeg, eine Mischung aus Schlagersülze, Hüttenzauber und unheilvoll donnerndem Gewittergrummeln, da werden Sektchen gereicht und Zuckerbrötchen, und dann knallt die (Schaumstoff-)Peitsche, dass es nur so kracht. Wenn sich Hauptmann und Prinz duellieren – in Gold getauchte Poolnudel gegen Papiertröte – ist das zum Schreien komisch.
Überhaupt lässt Weyde den Schauspielern viel Raum für spielfreudiges Herumtoben, was dem Abend eine ganze Reihe wunderbarer Slapstick- und Pantomime-Szenen beschert. Beeindruckend ist Lukas Grasers Changieren zwischen Hysterie und Schmierigkeit. Hinreißend, wie Georg Böhm seinen Exerzierschritt als Moonwalk mit Poolnudel vollführt. Gelungen auch die Bühne, eine halbrund angelegte, elfenbeinfarbene Polsterlandschaft mit zahlreichen verborgenen Türen und Spalten, durch die sich die Figuren zwängen (Bühne: Julia Nussbaumer), eine Wohnlandschaft und Arena für den ganzen, unterhaltsamen Zirkus. Dass man sich am Ende tatsächlich schämt, den bösen Ubus auf den Leim gegangen zu sein – geschenkt. Schon lange hat Theater nicht mehr so viel Spaß gemacht.
König Ubu
von Alfred Jarry
Übersetzung aus dem Französischen von Eva Walch.
Regie: Clara Weyde, Bühne: Julia Nussbaumer, Kostüme: Clemens Leander, Licht: Martin Quade, Musik: Thomas Leboeg, Dramaturgie: Katrin Enders.
Mit: Lukas Graser, Doreen Nixdorf, Oliver Baierl, Georg Böhm, Cornelius Gebert, Carmen Priego.
Premiere am 15. März 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.theater-bielefeld.de
Kritikenrundschau
"Absurdes Theater, bei dem die sechs Schauspieler alle Register ziehen dürfen," hat Burgit Hörttrich vom Westfalenblatt (18. 3. 2019) gesehen. "König Ubu" beschere dem Publikum "pantomimische Einlagen und Slapstick-Szenen, Hysterie und militärischen Drill bis zum Exzess. Wer sich darauf einlässt, erlebt einen schreiend komischen, tieftraurigen Theaterabend. Und, ach ja, erste Reihe, Achtung!"
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