Voices of Change - Das Festival zur neuen US-amerikanischen Dramatik
Wenn der Finanzhai zwei Mal klingelt
von Sarah Heppekausen
Bielefeld, 25. April 2010. Tagsüber arbeitet Michael Yates Crowley an der Börse, verdient sein Geld in einer Finanzfirma am Times Square. Abends und am Wochenende schreibt er Theaterstücke oder spielt selbst auf den Bühnen des Off-Off-Broadway. Und irgendwie ist er der Mann der Stunde für das Bielefelder Festival "Voices of Change", das an den vergangenen vier Tagen neue amerikanische Dramatik in Werkstattinszenierungen und Lesungen vorstellte.
Crowley spricht mitten aus der Welt des Geschäftemachens und der Rezessionsängste. Und er schaffte es trotz Aschewolke rechtzeitig ins Theater am Alten Markt, um dem eher familiären Publikumskreis nicht nur seine Dramatik, sondern auch die amerikanische Interpretation seines Stücks "Righteous Money" zu präsentieren, mit ihm selbst in der Rolle des TV-Aktiengurus CJ.
Der Zusammenbruch der Wirtschaft beschäftigt die USA seit 2007 essentiell: Sam Levy, Programmdirektor des New Yorker Summer Play Festivals, spricht gar von einer psychologischen Krise der Gesellschaft, vom aufgekommenen Gefühl der Ungerechtigkeit, vom Misstrauen in die Regierung, von der Angst vor Veränderung. CJ aus "Righteous Money" ist einer, der erstmal so weiter macht wie bisher. Er macht Geld. Wenn es die Lage so vorsieht, dann eben auch mit einer Krise: "Kauft die Rezession!", hat er sein Buch genannt, das er in seiner One-Man-TV-Show "Gerechtes Geld" anpreist.
Der Kettensägen-Albtraum des Finanzhais
Bei Michael Yates Crowley ist CJ ein körperlich gezähmter Finanzhai, dessen Angriffslust nur in seinen Augen zu entdecken ist. Tief und eindringlich starrt er in die Kamera, um auch noch die letzten Zweifler unter den "financial bastards" zu indoktrinieren. Es ist, als zöge dieser CJ permanent die emotionale Handbremse an, um nicht auszubrechen aus seinem Schutzpanzer aus Finanz-Plattitüden und Geldgeblubber.
Bei Matthias Heße ist das anders. In der deutschen Version von "Gerechtes Geld", die Ulrich Greb vom Schlosstheater Moers für das Festival inszeniert hat, steht das ungebändigte Tier auf der Bühne. Heßes CJ dreht, rennt und windet sich gestenreich im Kampf des rosakrawattierten, sexistischen Manager-Machos, der im Kettensägenmassaker an Assistent Nathan blutig endet. Greb hat den Albtraum in Szene gesetzt, von dem Crowleys CJ in innerlicher Selbstzerstörung bloß erzählt.
Dieser direkte Vergleich der beiden durchinszenierten Aufführungen desselben Stücks ist ein Bonbon des Festivals, bei dem es sonst eher um die Vorstellung der amerikanischen Texte denn um Regiekunst geht. Während sich Greb in seiner deutschen Sicht auf den Monolog zur Finanzkrise dem Monster im Manager auf durchaus komisch-theatralische Weise widmet, bleibt Crowleys CJ unter der Regie von Michael Rau erstaunlich menschlich. Crowley bewegt sich auf gewohntem Terrain, das ist spürbar. Diese Nähe ist erschütternd und faszinierend zugleich und erzählt wahrscheinlich mehr über die US-amerikanische Befindlichkeit als viele andere ausformulierte Gedanken dieses Festivals.
Kein Protest im Angesicht der Politessen
Worum geht es sonst in der Auswahl der amerikanischen Stücke, die laut Kuratorin Christine Richter-Nilsson "Wandel und Krise eine authentische Stimme verleihen" soll? Geld ist schon das Hauptthema, das alles andere wie eine unangenehme Begleiterscheinung nach sich zieht: Jobverlust und keine Versicherung, Generationen-, Drogen- und Konsumkonflikte. Ein Überlebenskampf zwischen Bioläden und würdelosen Werbespots. Die sonst so vertrauenswürdige Ordnung der Middle Class ist gehörig in Gefahr, das Individuum kann sich die gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr vom Leib halten.
Da ist der Akademiker Mike, der seinen schlecht bezahlten Uni-Job aufgegeben hat, um als Wirtschaftsberater sein Buch über Chaostheorie zu verkaufen. Seine Frau hält sich derweil mit Werbung über Wasser, obwohl sie eigentlich Spielfilme drehen will ("Zivilisation" von Jason Grote). Oder die Tochter mit der guten Ausbildung, die lieber in der Vergangenheit als für eine ungewisse Zukunft leben will und sich für ein Leben als Farmerin entscheidet ("Über Bord" von Alena Smith).
In "Abgeschnitten" von Erin Courtney wird Arbeitslosigkeit zu Geld gemacht: Einzelschicksale locken schließlich das Fernsehpublikum. Das alles sind keine euphorischen Stimmen des Obama-Wahlslogans ("Change!"), da sprechen desillusionierte Opfer eines Wandels, die sich lieber irgendwie durchwurschteln statt zu demonstrieren. Denn auf die Straße zu gehen, bringt heute sowieso nichts mehr, weiß der nihilistische Künstlersohn aus "Über Bord". Da machen einem ja sogar die Politessen den Weg frei.
Der deutsche Hang zur Distanzierung
Die Menschen igeln sich ein in einem sicheren Kokon wie die Raupen in Branden Jacobs-Jenkins "The Change": Bloß nicht verwandeln! Der Shootingstar der New Yorker Dramatikerszene hat die Stereotypisierung von Rassen zum Thema gemacht und geheimnisvoll vielschichtige Figuren beschrieben. Das lässt viel Raum für absurdes Spiel.
Überhaupt bringen die Bielefelder diese Spots auf eine krisengebeutelte Gesellschaft meist mit spielfreudigem Humor auf die Bühne, feiern Twix-Parties, um dem Konsum zu huldigen (Marco Štorman für "Zivilisation"), oder lassen die amerikanische Flagge im Ventilator-Wind flattern zu Rammsteins "We're all living in America" (Peter Kirschke für "Leben in New York" von Thomas Bradshaw). Unter der Regie von Siegmar Schröder erklären die Schauspieler vom Theaterlabor im Tor 6 die Figuren in Sheila Callaghans "Schlupfwinkel" zu völlig durchgeknallten (und leider auch anstrengenden) Freaks.
Von den Motiven und Situationsbeschreibungen her passen viele der Stücke problemlos auch auf die deutsche Bühne. Und doch ist es erstaunlich, mit welcher offensichtlichen Distanz die Regisseure sich den Texten in ihren (Werkstatt-)Inszenierungen zuwenden. Als trauten sie den meist psychologisch entwickelten Figuren nicht. Im Vergleich der beiden Crowley-Inszenierungen wird das besonders deutlich.
Die Interpretation des Moerser Intendanten Ulrich Greb ist nicht weniger spannend als die des amerikanischen Regisseurs. Aber die Krise ist bei ihm ein Stück weiter weg. Weil sich das Inhumane des Menschen in ein allgemeingültiges Monster verwandelt und sich also nicht im privaten Individuum manifestiert. Damit bietet das Festival nicht nur einen hier selten zu erlebenden Einblick in die Dramatik jenseits des Atlantiks, sondern liefert auch gleich noch eine kleine Bestandsaufnahme der deutschen Regie.
Righteous Money/Gerechtes Geld
von Michael Yates Crowley; deutsch von Bo Magnus Nilsson
Gerechtes Geld: Regie: Ulrich Greb, Dramaturgie: Fabian Lettow. Mit: Matthias Heße, Patrick Dollas.
Righteous Money: Regie: Michael Rau. Mit: Michael Yates Crowley.
The Change
von Branden Jacobs-Jenkins; Deutsch von Christine Richter-Nilsson
Szenische Einrichtung: Felix Rothenhäusler, Dramaturgie: Claudia Lowin, Bühne und Kostüm: Mariya Yordanova-Schepke. Mit: Oliver Baierl, Omar El-Saeidi, Nicole Lippold, Thomas Wolff, Carmen Priego.
Zivilisation
von Jason Grote; deutsch von Henning Bochert
Szenische Einrichtung: Marco Štorman, Dramaturgie: Katrin Michaels, Bühne und Kostüm: Mariya Yordanova-Schepke. Mit: Christina Huckle, Alexander Swoboda, Nils Zapfe, Charlotte Puder, Silvia Weiskopf.
Über Bord
von Alena Smith; deutsch von Karen Witthuhn
Szenische Einrichtung: Peter Kirschke, Dramaturgie: Bernhard Krebs, Bühne und Kostüm: Mariya Yordanova-Schepke. Mit: Georg Böhm, Julia Friede, Nicole Paul, Thomas Wehling.
Schlupfwinkel
von Sheila Callaghan, deutsch von Christine Richter-Nilsson, Bo Magnus Nilsson
Inszenierung: Sigmar Schröder, Dramaturgie: Bernhard Krebs, Ausstattung: Mariya Yordanova-Schepke. Mit: Friederike Falk, Daniela Johnen, Katja Kugel, Johanna Malchow, Olga Prokot, Miriam Rave, Ruben Bravo, Sven Hartlep, Florian Wandel.
Leben in New York
von Thomas Bradshaw; deutsch von Gregor Runge
Szenische Einrichtung: Peter Kirschke, Bühne und Kostüm: Mariya Yordanova-Schepke, Dramaturgie: Bernhard Krebs. Mit: Georg Böhm, Julia Friede, Nicole Paul, John Wesley Zielmann.
Abgeschnitten
von Erin Courtney; Übersetzung: Arbeitsgruppe Voices of Change des Oberstufen-Kollegs Bielefeld
Szenische Einrichtung: Verena Hagedorn, Bühne: Mariya Yordanova-Schepke, Kostüm: Marie-Ruth Henke, Musik: Nils Rabente, Dramaturgie: Martina Breinlinger. Mit: Marie-Ruth Henke, Furkan Paktas, Jan Quakernack, Janina Niehus, Alena Luisa Tepel, Linus Schwieder (Mitglieder des Jugendclubs)
www.theater-bielefeld.de
Vor zwei Jahren waren wir schon einmal beim Bielefelder Off-Broadway-Festival und sahen Brüchig (Mach mich schwach, Justin Timberlake) von Sheila Callaghan. Auch sonst macht sich das Bielefelder Theater um die amerikanische Gegenwartsdramatik verdient, so jüngst mit The Woodsman von Steven Fechter in der Regie von Oberspielleiter Christian Schlüter.
Kritikenrundschau
In der Frankfurter Rundschau (28.4.2010) schreibt Stefan Keim über das Bielefelder Unternehmen: "Zivilisation" heiße ein Stück von Jason Grote. Der Titel sei "bittere Ironie". Mit der "Finanzkrisengegenwart" hätten "Ideen einer bürgerlichen Gesellschaft nichts mehr zu tun". Es gebe viele solcher "bitteren Komödien" in der New Yorker Off-Off-Szene, von Hoffnung und Optimismus etwa nach Obamas Amtsantritt keine Spur. Viele Stücke spielten ganz im Gegenteil in apokalyptischen Szenerien. Ein "Funken Hoffnung" seien die "Vitalität" und der "tiefschwarze Humor", mit denen viele Theatermacher der Krise begegneten. Auf einer Podiumsdiskussion habe der Autor und Schauspieler Michael Yates Crowley mitgeteilt, "er habe durch die Krise nichts verloren. Er habe schon vorher mit dem Theater kein Geld verdient". Crowley habe wie "viele andere Theatermacher tagsüber einen Brotberuf". Doch nehme die Zahl der kleinen Spielstätten mit 99 Plätzen ab. Sam Levy sieht das Gute im Schlechten: Tagesjobs, schreibt Keim sage Levy, gäben "den Theatermachern die Möglichkeit, die Welt um sie herum auf eine andere Weise zu erfahren als sie Vollzeitschauspieler haben." Länger als eine Woche würde kaum eine Produktion im New Yorker Off-Off-Theater geprobt. Für das Festival "Voices of Change" arbeiteten die Bielefelder Schauspieler unter ähnlichen Bedingungen. Sie zeigten vier Stücke und mehrere Kurzdramen als Werkstattinszenierungen. Eine Energieleistung des fabelhaften Ensembles, schreibt Keim.
In der Tageszeitung Die Welt (28.4.2010) schreibt ebefalls Stefan Keim, in etwa dasselbe: Die "Entwürdigung der Menschen in Zeiten der Finanzkrise" sei "das große Thema" junger amerikanischer Dramatiker. Der "Hoffnungsträger" Barack Obama habe bei ihnen keine Spuren hinterlassen. "Bitterböser Humor" ziehe sich durch die meisten Produktionen des Festivals "Voices of Change". Dass die meisten Schauspieler, Autoren und Regisseure im New Yorker Off-Off nicht vom Theaterl eben könntern, gebe "freilich auch die angenehme Freiheit, nicht dem Massengeschmack hinterher laufen zu müssen". Die meisten Beiträge des Festivals seien "erst wenige Wochen alt oder noch gar nicht fertig". Das Ensemble des Theaters Bielefeld zeige Werkstattinszenierungen. Solche Darbietungen hätten eine "eigene Faszinationskraft". Das Bewusstsein, "noch nicht ausreichend geprobt zu haben", setze Spielenergie frei. Manche Stücke beschrieben "aberwitzige, apokalyptische Zustände". Einen "Naturkostladen am Ende der Welt, in dem sich der Kunde über fehlendes Mehl aus biologischer Produktion aufregt". Oder eine Wohnung in Manhattan, in der "zehn junge Leute zusammen mit einer Leiche und von absurd winzigen Mahlzeiten leben". In diesen "scheinbar zynischen Theaterarbeiten" stecke grimmiger Überlebenswille. Jammern sei unamerikanisch.
In der Süddeutschen Zeitung (28.4.2010) schreibt Julia Amalia Heyer die "Angst vor dem sozialen Abstieg" durchdringe die Gegenwartsdramatik. In den Off Off Theatern rund um den Times Square, die nicht mehr Plätze haben dürften als 99, werde "die Lage der Nation verhandelt".
In den in Bielefeld präsentierten Stücken bedeute "Change" nicht nur Obama, sondern auch "die große Malaise", das "Erbe der Bush-Administration", das Ende der "Mär von ewiger Prosperität", die "Neujustierung des American Dream", in so gut wie allen Stücken schimmere Hoffnung durch, "dass man sich schon wieder berappeln" werde. Anders als bei den jungen deutschen Autoren münde das "dramatische Grübeln über das Ungemach der krisengeschüttelten Gegenwart" bei den Amerikanern allerdings nicht in szenische und sprachliche Ausweglosigkeit, allenfalls "in heiteren Defätismus" und ins Geschichten-erzählen. In New York scheine "das Drama im eigentlichen Sinn" noch zu existieren. Das Individuum spreche nicht zwangsläufig in Fetzen, sondern trete in einen Dialog. Die jungen US-Autoren, so Helen Shaw vom Time Out-Magazin, schrieben heute wieder Stücke mit "Bedeutung" und "Botschaft", etwas , was noch vor zehn Jahren als "unhip" gegolten habe. Den bei "Voices of change" vorgestellten Autoren gehe es um "Familie, um Arbeit - oder ihren Verlust - und um unterschiedliche Lebensverhältnisse". "Prüde oder verschämt" sei bei Autoren wie Bradshaw, Branden Jacobs-Jenkins, Jason Grote oder Itamar Moses gar nichts. "Expliziter" könne Sprache nicht sein, Selbstzweck sei die Sexualität in den Stücken allerdings nie, "vielmehr ein bisschen Amphetamin in düsteren Zeiten".
Dass den Autoren "die Reflexion über ihre Gegenwart so lebensnah, klug und trotzdem unterhaltsam" gelinge, mutmaßt Heyer, hänge damit zusammen, dass es in USA keine Stadttheater und keine Theater-Subventionen gebe. Theaterleute müssten deshalb "mehrgleisig fahren", sprich das Theater neben einem Brotberuf betreiben.
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