Der Diener zweier Herren - David Bösch inszeniert Goldoni am Schauspielhaus Bochum
Liebe allein genügt nicht
von Martin Krumbholz
Bochum, 1. Dezember 2012. Warum wohl nennt David Bösch das venezianische Gasthaus, in dem Beatrice und Florindo, die verkappten Liebhaber sich treffen, ohne voneinander Notiz zu nehmen: "Zum sterbenden Schwan"? Will der Regisseur mit Hilfe des Goldoni-Lustspiels von 1745 erklären, um die Liebe heutzutage sei es schlecht bestellt, sie sei müde auf den Tod? Die Auflösung kommt am Schluss der dreistündigen Aufführung. Da wird quasi lohengrinesk ein weihnachtsmarktgirlandenhaft glitzernder Super-Schwan auf die Bühne geschoben, Clarice und Silvio, das zweite Liebespaar im Stück, singen sich opernparodistisch gegenseitig an, während die als Mann verkleidete Beatrice und ihr Florindo, das Haupt-Paar, von der Regie eigenmächtig in den Liebestod geschickt werden.
Letzter Romantiker
Das Sympathische an David Bösch ist ja, dass in ihm ein veritabler Romantiker steckt. Bei aller handfesten Ironie, von der seine Inszenierungen, und diese ganz besonders, schier überquellen, kann (und soll) der romantische Kern allen Theaters nicht verborgen werden.
Alles, was mit der Liebe zu tun hat, genießt auf Böschs Bühne absoluten Vorrang. Allerdings nicht im Interesse einer reibungslos funktionierenden Fabel, sondern eher als herausgehobener Topos, als eine Art szenisches Momentum, das sich durchaus verselbständigen darf. Für den Fortgang einer Intrige (und sei es einer Liebesintrige) interessiert Bösch sich kaum. So kommt es, dass dieser Goldoni-Abend am Bochumer Schauspielhaus aus vielen schönen Einzelheiten besteht, die sich nicht zu einem runden Ganzen formen wollen, was möglicherweise auch beabsichtigt – und doch nicht ganz verzeihlich ist.
Überdosis an Einfällen
Bösch schlägt eine Requisitenschlacht gegen den "Diener zweier Herren". Bereits in den ersten zehn Minuten lässt er ein Fahrrad und eine Vespa auffahren. Die Pistolenschüsse, die sich im falschen Moment lösen oder im richtigen nicht, die übervollen Plastikkoffer, die sich öffnen und nicht mehr schließen lassen, das Ketchup, das verspritzt wird, das Klebeband, mit dem Figuren sich einwickeln und Mund und Augen verbinden lassen müssen – es nimmt kein Ende.
V.l.n.r.: Raiko Küster als Florindo, Nicola Mastroberardino als Truffaldino, Therese Dörr als Beatrice © Arno Declair
Der Livemusiker, der angenehm schluffig über die Bühne trabt, genügt nicht; es muss dann doch noch die Konserve her. Die Restaurantmöbel, die anfangs zusammengeschoben und nach der Pause säuberlich aufgebaut sind (Bühne: Thomas Rupert), müssen gegen Ende dann auch noch krachend umgeworfen werden, um dem Entropie-Prinzip Genüge zu tun. Wenn Clarice sterben will, wird ein Sarg gebracht, in den dann natürlich einer hineinplumpst. Doch der Slapstick wird (anders eben als bei Herbert Fritsch) nicht zum leitenden Stilprinzip des Abends, er ist nur ein Mittel von vielen.
Mit sterbendem Schwan © Arno Declair
In der Summe wirken all diese verzweifelten Anstrengungen so, als traute der Regisseur dem Charme des Commedia dell'arte-Stücks nicht recht über den Weg. Sind die vom doppelten Diener Truffaldino erst verwickelten und später auseinander gewickelten Liebeshändel nicht allzu banal, mag David Bösch sich grübelnd gefragt haben. Sie sind es, aber das ist eben der Witz. Da dieser den Regisseur nicht zum Lachen gebracht hat, bemüht er sich permanent um Zusatz-Witz. Er vergisst dabei, dass zu einer funktionierenden Komik nicht zuletzt Dosierung und Timing gehören; eine Überdosierung teils guter, teils mittelmäßiger Einfälle ergibt keinen brillanten Theaterabend.
Marionettenhaft
Was aber besonders schade ist: Die szenischen Bengalos, die Bösch abfeuert und mit denen er zuweilen mehr Rauch als Glamour verbreitet, gehen zu Lasten des schauspielerischen Niveaus. Zwar ist die Truffaldino-Rolle dem agilen Nicola Mastroberardino förmlich auf den Leib geschrieben – er gibt ganz nebenbei, in Maske, auch noch den greisenhaften Dottore Lombardi. Die meisten anderen Figuren aber wirken vernachlässigt, marionettenhaft. Besonders deutlich wird das an der Beatrice alias Federico Rasponi: Therese Dörr gibt der Hosenrolle eine eigentümlich somnambule Ausstrahlung, aber es entwickelt sich daraus nichts. Der Regisseur hat die Schauspielerin bestellt und nicht abgeholt. Hervorzuheben ist neben Mastroberardino allein die immer wieder wunderbare Xenia Snagowski in der nicht besonders großen Rolle der Zofe Smeraldina. Ansonsten verpufft an diesem Abend auf der Bochumer Bühne viel Talent – sozusagen buchstäblich.
Der Diener zweier Herren
Komödie von Carlo Goldoni, in einer Fassung von Sabine Reich und David Bösch
Regie: David Bösch, Bühne: Thomas Rupert, Kostüme: Meentje Nielsen, Musik: Karsten Riedel, Licht: Denny Klein, Dramaturgie: Sabine Reich.
Mit: Nicola Mastroberardino, Therese Dörr, Raiko Küster, Maja Beckmann, Matthias Eberle, Xenia Snagowski, Jürgen Hartmann, Karsten Riedel, Thomas Kopperschläger.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause.
www.schauspielhausbochum.de
Bösch stecke "offensichtlich in einer Kreativitätsfalle", diagnostiziert Michael Laages in der Sendung "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (2.12.2012). Ähnlich wie zuvor beim Borchert-Abend "Draußen vor der Tür" inszeniere er, als ob es ihm "wurscht" sei, was er gerade mache. "Nichts hat er mit diesem Goldoni zu tun; und darum ist die Inszenierung derart abgeschmackt, peinlich dumm und (was das Ärgste ist!) quälend langweilig." Es scheine, "als hätten sämtliche Ensemblemitglieder unablässig neue Ideen er-improvisiert; und als habe der Regisseur nie entschieden, was drin bleiben darf und was rausfliegen muss aus dem Regiebuch. So häuft nun jeder und jede 'Witzischkeit' auf 'Witzischkeit' auf 'Witzischkeit'".
Eine Kürzestkritik widmet Vasco Boenisch in der Süddeutschen Zeitung (3.12.2012) dieser "Commedia ohne Arte", für die Bösch "noch aus der untersten Schublade eine abgestandene Pointe" ziehe: "Übersättigt mit seelenlosen Witzeleien, stößt der Abend mehr als übel auf: fad."
"David Bösch lässt in seiner Inszenierung von Goldonis Komödie immer wieder das Elend durchblitzen. Ohne die Lust an überdrehten Klischees und parodistischen Filmzitaten zu verlieren", urteilt Stefan Keim in der Welt (3.12.2012). "Stets gratwandelt die Inszenierung zwischen Spaß und Ernst, Slapstick und Horror. Manchmal scheint David Bösch die psychologischen Wurzeln der Charaktere aus dem Blick zu verlieren, dann gibt es wieder Szenen voller Emotionalität."
Mit Anleihen bei "Gangsterfilmen und Comedy" warte David Bösch auf, schreibt Ronny von Wangenheim für die Halterner Zeitung (3.12.2012). "Das ist manchmal witzig, manchmal albern, fügt sich aber nie zu einem runden Ganzen. Man möchte nicht mit den Figuren lachen. Und man möchte nicht mit ihnen weinen." Folglich hätten sich "in den großen Premierenbeifall vereinzelte Buhrufe für den Regisseur" gemischt.
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Bei Truffaldino vermisst man irgendwann, die am Anfang des Stückes unendendlich lang ausgebreitete Sequenz über den Hunger. Auf die doch sehr schöne Szene, - wie er den Brief wieder mit Brot versiegeln will, welches er, um es zu befeuchten, durchkauen muss, aber trotz Hunger nicht runterschlucken darf - ist gleich ganz gestrichen.
Dafür wird Handy-Kultur via Bild und MMS immer wieder ermüdend vorgeführt. Dass Bösch mit Handys groß geworden ist haben wir schon in seiner damaligen Romeo und Julia Inszenierung unter Matthias Hartmann erleben dürfen. Auch wenn es heute nicht mehr wegzudenken ist, gibt es aber mehr im Leben zwischen Menschen, deren Beziehungen und Verstrickungen. Und das würde dem Theater gut tun!