Amphitryon - Karin Henkel und Michael Talke zeigen Kleist in Düsseldorf
Im Netz der Wörter
von Hans-Christoph Zimmermann
Düsseldorf, 4. Juni 2007. Im Anfang war das Wort: Hund, Adler, Olymp, Thebaner, Wespe, Baum, Fledermaus, Ach. Und es klebte als Kondensstreifen des Dinglichen auf lauter T- und Sweat-Shirts, die quer durch den Raum über Zugstangen verteilt waren. Die ganze Welt eine Ansammlung von Begriffen, die über der Wäscheleine hängen und von den Göttern wie Waschweiber heruntergenommen und wieder aufgehängt werden.
Schon gleich zu Beginn von Karin Henkels Inszenierung des "Amphitryon" im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels, die wegen einer schweren Erkrankung der Regisseurin von Michael Talke zu Ende geführt wurde, gerät Sosias (Christoph Müller) in eine Katastrophenschleife. Während er mit dem Feuerzeug über die neonhell erleuchtete Bühne tappt, streift sein göttliches Widersacher-Alter Ego Merkur ein "Unwetter"-Shirt über und übergießt ihm mit Wasser, wirft ihm ein "Wespen"-Shirt ins Gesicht, das ihn zersticht. Die Welt ist unberechenbar, denn sie hat schon von Beginn an einen Riss.
Die Bühne im Düsseldorfer Kleinen Haus besteht aus einer weißen, mit Neonröhren bestückten Rückwand mit einer Schiebetür, die ins golden glänzende Innere eines Palastes führt. Davor eine quadratische Spielfläche, die diagonal von einem goldenen Graben durchteilt wird: Eine Art hohle Gasse, die wie ein Auftrittsteppich wirkt (Ausstattung: Henrike Engel). Wenn Jupiter in Gestalt des Amphitryon mit dessen Gattin Alkmene nach verbrachter Nacht aus dem Haus tritt, trägt der Obergott (Michael Schütz) einen beigefarbenen Anzug mit Amphitryon-Schriftzug drauf und Alkmene (Cathleen Baumann) schwarze Unterwäsche mit ihrem Namenszug.
Der bittere Geschmack der Identitätszersetzung
Wie Bälle werfen sich die beiden erst ihre Verballiebkosungen zu, um dann beim Abschied in eine Slapstick-Schleife des Küssens zu verfallen, aus dem es lange kein Entrinnen gibt. "Im Netz der Wörter" hat der Philosoph Lászlo F. Földényi das Kleistsche Universum einmal genannt und genau dort verortet die Inszenierung von Karin Henkel nun den "Amphitryon". Man weiß nicht, ob die Regisseurin, hätte sie den Abend zu Ende führen können, vielleicht manches zurückgenommen hätte. In dieser Inszenierung ist jedenfalls alles Begriff, alles beschriftet, jede Figur, jeder Gegenstand (außer die Bühne bzw. das Theater!). Das ist konsequent, aber mitunter auch etwas penetrant gedacht und lässt vielfältige Assoziationen zu: Von der wortbasierten christlich-jüdische Kultur, die schon bei Kleist mit dem antiken Mythos zusammenknallt, dem strukturalistischen Zeichenbegriff bis hin zur Identität als Markenname.
Nicht zuletzt verzichtet die Inszenierung weitgehend auf Requisiten und vertraut ganz auf ein wortauslegendes psychologisches Spiel. Dem stärker komödienhaft akzentuierten Beginn mit dem ungläubig faktotenhaften Sosias, dem genervt, schlunzigen Merkur des Thiemo Schwarz als Mann fürs Grobe, sowie der biederen Charis (Claudia Hübbecker) folgt nun die Wendung in die Katastrophe. Dass Kleists Drama den bitteren Beigeschmack der Identitätszersetzung hat, wusste man. Doch die Inszenierung schraubt das allmählich zur Tragödie hoch.
Kraft des Faktischen versus zerfallende Welt
Dafür braucht es jedoch zunächst die Fallhöhe des Kontrastes. Guntram Brattia im weißen Anzug spielt den Amphitryon ganz zurückgenommen; ein geschäftsmäßig planender Feldherr, der ohne ein lautes Wort auskommt und dem sich noch alles aus der Deduktion erklärt. Er schlendert durch eine Seitentür quasi herein, den Schlüssel für das Geschenkkästchen wie einen Autoschlüssel in der Hand und fragt Alkmene, die sich über seine schnelle Wiederkehr wundert, systematisch aus. Ganz Rationalist, dem jedoch die Welt sukzessive auseinander fällt, wie die Kraft des Faktischen nicht mehr sticht. Und auch bei Alkmene im Goldlamékleid geht die anfangs angedeutete leichte Koketterie schnell flöten. Die beiden sitzen sich am goldenen Graben gegenüber; sie will ihn berühren, er lässt nichts zu, flüchtet mit überschlagender Stimme in Ironie und Sarkasmus.
Wenn Alkmene sich über den Schriftzug auf dem Diadem wundert, verwandelt sich Jupiter, ganz göttlicher Komiker, in einen Hund. Schnüffelt der Geliebten zwischen den Beinen, bis auch er in die Falle der Identität tappt. Seine Offenbarung wird schliesslich zur inquisitorischen Befragung; je verzweifelter Alkmene die (betrogene) Unbeirrbarkeit ihres Gefühls behauptet, desto stärker treibt sie aus Jupiter den eitlen Götter-Fatzke hervor, der ihr schließlich eine Ohrfeige gibt, sich larmoyant an den Bühnenrand setzt und die Lieblosigkeit des Olymp beklagt.
Die Inszenierung schraubt die Verzweiflung dann zum aggressiven Höhepunkt, wenn Amphitryon Sosias mit einem Stahlrohr hinzurichten versucht, was die Feldherren in Gestalt Merkurs verhindern. Die ganze Welt scheint hier ein Zauberkasten, aus dem die Götter sich willkürlich für ihre Kunststücke vor menschlichem Publikum bedienen. Doch wie im Theater sind sie auf die Zuschauer angewiesen, das macht sie allzu-menschlich. Wie ein Fußballer zeigt Jupiter bei seiner Offenbarung am Schluss verzweifelt immer wieder auf sich selbst: "Ich bin Jupiter!", doch keiner will es hören. Die Verheißung des Sohnes Herkules ist gestrichen. Zurück bleibt ein Haufen Verzweifelter. Am Ende schließt Merkur den Riss in der Bühnenmitte. Aber das ist wahrscheinlich auch nur so ein Trick.
Amphitryon
von Heinrich von Kleist
Inszenierung: Karin Henkel und Michael Talke, Bühne und Kostüme: Henrike Engel.
Mit: Christoph Müller, Thiemo Schwarz, Claudia Hübbecker, Guntram Brattia, Cathleen Baumann, Michael Schütz.
www.duesseldorferschauspielhaus.de
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