Keine Sorge (Religion) - Düsseldorfer Schauspielhaus
Wehe, du sorgst dich!
21. Oktober 2023. In ihrem neuen Stück designen Bonn Park und Ben Roessler eine optimistische Religion, die auch die Augen vor den Abgründen der Welt nicht verschließt. Es wird gepredigt und gesungen, was das Zeug hält, auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Unernst, Furcht und Ehrfurcht.
Von Martin Krumbholz
21. Oktober 2023. Das ist ja sonderbar: Waren Theater und Kirche nicht immer die ärgsten Erzfeinde, waren "Pfaffen" nicht jahrhundertelang die deftigsten Witzfiguren auf den Bühnen? Und jetzt dies: Da stehen vier Geistliche in festlichen Roben inklusive Stolen und Mitren auf der großen Schauspielhausbühne und feiern zu wundervollen Gesängen einen Gottesdienst, predigen uns, dem zur Gemeinde transformierten Publikum, wir sollten uns bloß nicht trauen, irgendwas zu fürchten? Und das ausgerechnet jetzt, da die Welt am Abgrund steht? Im Ernst?
Spirituelle Bauanleitung
Letztere ist eine von vielen Fragen, die dieser Abend aufwirft, und nicht nur eine rhetorische. Der 1987 in Berlin geborene Autor und Regisseur Bonn Park traut sich jedenfalls was, überhaupt und aktuell noch mehr, wenn er das Thema Religion nicht wie üblich distanziert-aufklärerisch mit spitzen Fingern, sondern immanent und mimetisch angeht, nachahmend also: Unser aller spirituellen Bedürfnisse sind durch die real existierenden Kirchen eher korrumpiert, und die Aufforderung: "Wehe, du sorgst dich" könnte man zur Stunde sogar für frivol halten. Wer sorgt sich nicht?
Bonn Park weiß das natürlich. Sein spezieller Humor, den er nicht in der Sakristei an die Garderobe gehängt hat, lässt ihn, wenn auch prekär, auf dem schmalen Grat balancieren zwischen Ernst und Unernst, Ehrfurcht und Furcht. Die Bühne von Jana Wassong ist einerseits eine gotische Kapelle, allerdings kahl, ohne Altar und weiteren Schmuck, andererseits ein Ikea-förmiges Schubkastensystem samt dazugehöriger Bauanleitung, und diese "Anleitung" widmet Park kurzerhand zu einer metaphorischen Anleitung um, also einem Testament, einem Katechismus.
Wunder der Gesänge
Für welche Religion? Jedenfalls keine christliche, jüdische, muslimische, obwohl die Kostüme (Julia Nussbaumer, Ragna Hemmersbach) in ihrem Prunk ein wenig an katholische Würdenträger erinnern; es scheint sich eher um eine Art Geheimbund zu handeln, die Initiations- und Reinigungsrituale sind präzise festgelegt, die Priester (Minna Wündrich, Jürgen Sarkiss, Caroline Cousin, Kilian Ponert) kennen ihre Rollen und die Abläufe und zelebrieren sie mit heiligem Ernst. Gerade darin liegt zugleich auch der Witz: Wenn ein neues Menschlein (die junge Lioba Kippe) zur Welt beziehungsweise in die wohlwollenden Arme der Gemeinde gelangt, schlüpft es halbnackt aus einem großen Ei, wundert sich und wird selbst "das Wunder" genannt.
Die Gesänge sind dabei fast das Wichtigste. Mehrstimmige Choräle, von Ben Roessler auf der Grundlage polyphoner Kirchenmusik komponiert, vom Jungen Kammerchor der Schumann-Hochschule interpretiert, von mal brausendem, mal diskretem Orgelklang unterlegt, erzeugen die Festlichkeit, aber auch die grundsätzliche Positivität, auf die diese Religion offenbar besteht. Denn das "Wehe, du sorgst dich" ist natürlich nur die eine Hälfte der Predigt. Die andere besagt: Schon immer war "alles kompliziert"; mag die Welt zur Stunde auch in einer extrem gefährdeten, bedrohlichen Situation sein, so ist dies doch nichts grundsätzlich Neues. Angst ist unser aller prägender Affekt, das Übel liegt mal (wie jetzt) an der Oberfläche, mal ein wenig darunter, aber da ist es stets. Und die Alltagsbeschwerden (die ICEs sind immer zu spät) werden sehr schnell zu Staub, sobald man den Blickwinkel der Kamera ein wenig höherzieht.
Gott als große Freundin
Die Predigten werden von den Priestern und Priesterinnen durchaus offensiv vorgetragen, gelegentlich geradezu donnerwort-mäßig, der Gesang dagegen ist fast immer süß, eingängig, harmonisch, berückend. Dennoch gibt es in diesem Gottesdienst eine nicht unwesentliche Leerstelle: nämlich Gott. Zwar führt Bonn Park ein ominöses "Sie" ein, eine "große Freundin", dabei elegant eine kleine feministische Volte nutzend, aber er hütet sich wohlweislich davor, diese Göttin näher zu definieren. Man muss ihm einfach glauben, dass seine Göttin kein alter weißer Mann, sondern ein eher weibliches Wesen ist, das weiß, was gut für uns ist.
Vielleicht spielt aber der Glaube in dieser Park’schen Theater-Religion auch einfach keine besondere Rolle. Wenn das junge Menschlein, in trotziger Umkehrung der christlichen "Todsünden", vor seinem vorläufigen Abgang ankündigt, es wolle draußen in der Welt "Wollust, Völlerei und Faulheit" erleben, hätte dies den herkömmlichen Theologengott wohl nicht so entzückt. Bonn Park lässt zwar predigen, aber nicht (ernsthaft) drohen. Nur hin und wieder meint man auch hier den totalitären Zug zu verspüren, den praktisch jede Religion aufweist; aber vielleicht dient das, religionsdramaturgisch gesehen, nur dazu, den Absturz in den Wellness-Bereich zu verhindern. Denn damit würde es sich jede noch so fiktive Kirche zu einfach machen, und nicht nur hier und heute.
Keine Sorge (Religion)
von Bonn Park mit Musik von Ben Roessler
Regie und Text: Bonn Park, Komposition: Ben Roessler, Musikalische Leitung: Hajo Wiesemann, Chordirigat: Jean-Philippe Apel, Hyoeun Kim, Haena Yun, Bühne: Jana Wassong, Kostüm: Julia Nussbaumer, Ragna Hemmersbach, Licht: Jean-Mario Bessière, Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Minna Wündrich, Jürgen Sarkiss, Caroline Cousin, Kilian Ponert, Lioba Kippe und dem Jungen Kammerchor der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
Premiere am 20. Oktober 2023
www.dhaus.de
Eine Art Wohlfühlmesse sah Bertram Müller (Rheinische Post, 23.10.2023). Den verwinkelten Gedankengebäuden der Theologie stelle Bonn Park eine einzige Botschaft entgegen: "Keine Sorge", auch in Varianten wie "Sei unbesorgt!", "Wehe, du sorgst dich!", "Nichts ist schwierig". Wie ernst der Religionsstifter seine Schöpfung meine, darüber lässt sich grübeln. "Einerseits wirkt seine Messe wie eine Parodie auf christliche Gottesdienst-Gestaltungen, andererseits wollte er nach eigener Aussage einen Theaterabend machen, den ein aufgeklärter, tendenziell a-religiöser Mensch besuchen kann." Fazit: "Mag sein, dass ein derart unverbindlicher Gottesdienst eine Generation, die ohne die Segnungen der Kirche aufgewachsen oder von ihr enttäuscht ist, stärker anspricht als die zuweilen in Gewohnheit erstarrten Abläufe in christlichen Kirchen. Aber Bonn Parks neue Religion für Einsteiger würde es noch schwerer haben – wenngleich das Premierenpublikum ausgelassen applaudierte."
Einer "heiter ironischen Wohlfühl-Messe" wohnte auch Michael-Georg Müller von der Westdeutschen Zeitung (24.10.2023) bei. Bonn Parks Balanceakt münde zwischen ironisch vorgetragener Kirchen-Ablehnung und wahrhaftiger Suche nach sicheren Erkenntnissen in einer spirituellen Wellness-Oase. "Fazit: Eine bizarre Mischung aus weihevollem Oratorium und Fantasy-Messe. Stimmung: überwiegend heiter, bis auf wenige Passagen, aus denen ernste Botschaften blinzeln."
"Wer sich im Düsseldorfer Schauspielhaus zum Kichern einfindet, wird auf seine Kosten kommen", so Alexander Menden in der Süddeutschen Zeitung (27.10.2023). "Wer Erlösung erwartet, ist hier falsch." Manche Details seien gut beobachtet, etwa das halblaute Mitsingen von Chorälen durch den Zelebranten während einer rituellen Handlung. Wenn aber der Chor singe "Wahrscheinlich geht die Welt noch diese Woche unter", dann klinge das eher wie eine Rentnerbeschwerde am Kiosk als wie eine Warnung zur Umkehr.
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