Alles nicht so toll, am Bikini-Atoll

11. Oktober 2023. Die gegenwärtigen Weltkrisen und Kriege machen das Szenario eines Atomkriegs wieder gefährlich realistisch. In seinem neuen Stück widmet sich Kevin Rittberger der Frühgeschichte dieser furchterregenden Waffe. Matthias Köhler hat es als bildmächtige politische Revue uraufgeführt.

Von Kai Bremer

"Zwei Sonnen und ein Untergang" von Kevin Rittberger am Theater Münster © Bettina Stöß

11. Oktober 2023. Auf dem Bikini-Atoll steht eine petrol und rot gestrichene Tankstelle mit zwei Zapfsäulen, an der die Zeit kaum Spuren hinterlassen hat. Darüber schwebt stabil ein in denselben Farben gehaltenes Dach – ein sich zum Bühnenhintergrund verjüngendes Trapez. Es wird sich im Laufe des Abends allerdings bedrohlich zur Seite und auch herab senken.

Die Tankstelle ist ein Relikt aus Zeiten, als mehr Menschen auf der Insel lebten. Jetzt ist nur noch die Mechanikerin (Agnes Lampkin) da. Sie ernährt sich aus der Dose, weil alles, was hier wächst, radioaktiv kontaminiert ist. Eben erst auf der Insel angekommen, will die Fernsehjournalistin Schattenmeier (Clara Kroneck) von all dem zwar viel wissen. Trotzdem ignoriert sie es und beißt beherzt in eine Zitrone, die hier gewachsen ist. Deren Säure treibt ihr Tränen in die Augen. Auch die Blicke der Mechanikerin lassen keinen Zweifel aufkommen, dass das keine gute Idee war, während Schattenmeier ein zweites Mal kräftig zubeißt.

Atomare Bedrohungsszenarien

Die Uraufführung von Kevin Rittbergers neustem Stück "Zwei Sonnen und ein Untergang" im Kleinen Haus des Theaters Münster lebt von solchen Szenen. Er hat sie gewohnt souverän entwickelt, Matthias Köhler hat sie ebenso präzise inszeniert. Dass von dem Abend allen Zuschauenden viele optische Eindrücke in Erinnerung bleiben werden, liegt zudem an der Bühne von Patrick Loibl, in deren Hintergrund eine große Videowand prangt (Marvin Kanas). Ihre Bilder ergänzen und kommentieren die Handlung davor solide.

Rittberger wendet sich dem Bikini-Atoll nicht nur zu, um zu zeigen, welche Vorgeschichte die gegenwärtigen nuklearen Bedrohungsszenarien haben. Er erinnert ferner an die deutsche Kolonialgeschichte der Inseln und macht zudem deutlich, dass sie zweifellos zu den ersten Opfern des steigenden Meeresspiegels werden. All das kontrastiert er mit Szenen, die das Verhältnis von Adelbert von Chamisso (Pascal Riedel) zu seinem Freund und zeitweiligem Reisebegleiter Kadu (Ansgar Sauren) thematisieren.

Vielschichtiger Gegenwartskommentar

Gerahmt werden diese unterschiedlichen Geschichten und Handlungsstränge durch die Erinnerungen von Bülent (Alaaeldin Dyab). Er arbeitet in der Gegenwart als Cutter. Mit Unterstützung einer KI in weißem Catsuit (ebenfalls Ansgar Sauren) entwirft er Filmszenen über das Atoll und versucht gleichzeitig, die Erinnerung an Schattenmeier wach zu halten, die er vermisst und offenbar geliebt hat.

ZweiSonnen1 Bettina StoessKI im Catsuit: Ansgar Sauren und Alaaeldin Dyab © Bettina Stöß

Rittbergers Stück vereint die Geschichten über das Atoll pointiert, um die Gegenwart vielfältig zu kommentieren. Zusammenhalten soll sie Bülents Sehnsucht nach Schattenmeier. Dass das nicht uneingeschränkt gelingt, liegt zunächst an zahlreichen Nebenfiguren wie Uncle Sam. Pascal Riedel gibt ihn mit cowboymäßiger Kaugummistimme stereotyp wie überzeichnet. Auch die übrigen Darsteller:innen sprechen regelmäßig leicht überakzentuiert, ihre Mimik und Gestik sind ebenfalls sehr betont.

Nicht nur ein Sommerhit

Eigentlich nie wird während des Abends der emotionale Schulterschluss mit dem Publikum gesucht. Zwar meidet Köhler das Spektakel nicht. Die behandelten Themen bleiben aber stets im Fokus. Selbst als "Vamos a la playa" angestimmt wird, lenken die Darsteller:innen die Blicke auf die Videowand, auf der der umgeschriebene Text – ein bitterer Kommentar auf die Atombombentests – zu lesen ist. Noch bevor auch nur ein Mensch im Publikum auf die Idee kommt mitzuklatschen, ist klar, dass selbst ein Sommerhit hier nicht nur ein Sommerhit ist. Positiv formuliert: Der Abend ist lehrreich und entwickelt zahlreiche Perspektiven auf die Gegenwart. Er findet Bilder und Szenen, die zwar vereinzelt nerven, aber in der Summe überzeugen.

Plätschernde Pädagogik

Bülents Liebesgeschichte ist hingegen kaum mehr als eine Stichwortgeberin, um die verschiedenen Szenen aufzurufen und ergänzend Schlaglichter auf das Thema KI zu werfen. Diese politische Revue ist deswegen letztlich sehr erwartbar und regelrecht pädagogisch. Sie variiert zudem immer wieder die gleichen theatralen Mittel. Die Geschichten über die Inseln, über denen während der Atombombentests fatalerweise zwei Sonnen strahlten, werden weder auserzählt noch wird Bülent zu einem Charakter aufgebaut, dessen Geschichte wirklich interessiert. Und Köhler konzentriert dieses Potpourri auch nicht, so dass schließlich all die tragischen Beobachtungen, die Rittberger versammelt hat, kraftlos ausplätschern.

Zwei Sonnen und ein Untergang
von Kevin Rittberger
Uraufführung
Inszenierung: Matthias Köhler, Komposition: Antonia Matschnig, Bühne und Kostüme: Patrick Loibl, Video: Marvin Kanas, Dramaturgie: Victoria Weich.
Mit: Alaaeldin Dyab, Clara Kroneck, Agnes Lampkin, Pascal Riedel, Ansgar Sauren.
Premiere am 10. November 2023
Dauer:1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-muenster.com


Kritikenrundschau

Die Inszenierung sei "durchaus beeindruckend gemacht. Die Kostüme und die Zapfsäulen, auf denen man auch rumklettern kann, bieten Schauwert", schreibt Helmut Jasny in den Westfälischen Nachrichten (12.11.2023). "Die Dialoge sind aufschlussreich und nicht ohne Witz, wenngleich man manchmal den Eindruck hat, die Regie hätte an der ein oder anderen Stelle etwas straffen können. Das gleicht aber Clara Kroneck mit ihrem Spiel wieder aus. In der Rolle der Schattenmeier zieht sie vielfältige Register und hält so die Sache am Laufen."

Diese Uraufführung habe "ein üppiges, fast überreiches Programm", schreibt Alexander Reuter in Die Glocke (13.11.2023). "Angesichts des von Autor Kevin Rittberger interdisziplinär aufgetürmten Themen-Komplexes können Regisseur Matthias Köhler und Dramaturgin Victoria Weich nicht einen schlicht linearen Weg beschreiten. (...) Wenn eine ambitionierte Inszenierung zahllose Einsichten und Deutungen mittels der Rollen transportiert, kann ein solches Konzept die Schauspieler einschränken."

"Lustig banal bebildert plätschert der Abend dahin, kann kein Gefühl von Dringlichkeit entwickeln für die Angst vor einer zusammenbrechenden Welt und das vielfach schlaue Räsonnement des eher mäandernden denn zielgerichtet analytisch argumentierenden Textes", schreibt Jens Fischer in der Deutschen Bühne

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