Ein Sportstück – Marcus Lobbes inszeniert Elfriede Jelinek in Saarbrücken
Trimm dich, Avatar!
von Stefan Schmidt
Saarbrücken, 17. Mai 2013. Nach einer guten Stunde hat ein älteres Ehepaar genug gesehen: Eine "Zumutung" sei das alles, raunt er ihr genervt zu, natürlich in einer der ruhigsten Szenen, die diese Inszenierung von Elfriede Jelineks "Ein Sportstück" in der Alten Feuerwache des Saarländischen Staatstheaters zu bieten hat. Kurze Zeit später sind die beiden verschwunden, ohne Türen zu knallen. Hier will niemand einen Skandal.
Auch nicht Regisseur Marcus Lobbes, und doch mutet er Schauspielern wie Zuschauern an diesem Abend einiges zu: einen knapp zwei Stunden kurzen Sprachsprint durch Jelineks Marathonmonstrum "Ein Sportstück", dieses ausufernde Textkonvolut über Sport und Krieg, Männer und Frauen, geschundene Natur und todbringende Kultur, Masse und (Ohn-)Macht, uraufgeführt Anfang 1998 am Wiener Burgtheater, das der geniale Einar Schleef damals bis zu den Brandmauern leer räumen ließ, um Platz zu schaffen für um die hundert Darsteller, Körper in Sportuniform und an Fleischerhaken.
Rückennummer eins
In Saarbrücken beginnt die Expedition Elfriede in einem kleinbürgerlichen Basiscamp: Bühnenbildner Wolf Gutjahr hat jedem der vier männlichen Jelinek-Forscher ein eigenes transparentes Zelt eingerichtet, hübsch individuell zusammengewürfelt mit Sofas, Stehlampen, Teppich, Grünpflanzen, ausgestopften Tieren und Flachbildschirmen. Diese Pantoffelhelden nehmen ihre Wohnzimmerwelt mit ins Ferienlager für verzogene Jungs, in dem die Frau die Hosen anhat: Gabriela Krestan hat die ganze Bandbreite weiblicher Machtausübungsmechanismen, die durch den Jelinek-Kosmos mäandern, in ihrem darstellerischen Angebot.
Beeindruckend wandelbar wird sie zum Zentrum dieser Inszenierung, als aristokratisch-verführerisch feminine Schwarze Witwe im weißen Brautkleid, als androgyne Frackträgerin, als mythische Domina mit Reitpeitsche – egal in welchem Outfit, Krestan trägt immer die Rückennummer eins. (Als wäre es nötig gewesen, uns Söhnen auch noch visuell zu verdeutlichen, dass am Ende doch die Mutter sagt, wo's langgeht.)
Dirigentin der Gernegroße
Das Beängstigende dabei: Dieses nervige Klageweib ist eine von uns. Zu Beginn der Inszenierung sitzt sie im Publikum, in Alltagskleidung, Jeans, lässiges Leinenoberteil, Brille, Textbuch in der Hand. Von dort dirigiert sie die vier Gernegroße auf der Bühne, gibt Einsätze, wirft auch schon mal einen skeptischen Blick Richtung Zeltlager, wenn ihr das ganze Theater denn doch ein bisschen zu albern wird. Dann kuschen sie, die Bubenbräute, die Kerle, die anfangs tatsächlich im Hochzeitskleid posieren, später im gebührlichen Frack, zwischenzeitlich auch mal in Unterhose. Da sieht man die mühsam antrainierten (und doch vergleichsweise mickrigen) Muskeln natürlich am besten.
Marcus Lobbes inszeniert die sportliche Leistungsschau à la Jelinek als bürgerlichen Geschlechterkampf, entrümpelt die Vorlage, schmeißt allzu zeitgeschichtliches Mobiliar konsequent raus, demontiert die Textmontage der späteren Nobelpreisträgerin und setzt sie – stark gekürzt – wieder zusammen. Die Abbrucharbeit, die Befreiung von plüschigem Plunder, setzt sich auf der Bühne fort: Im Laufe der Aufführung bauen die vier Jungs ihre Spießerzelte nach und nach ab, schleppen die Einrichtung von der Bühne, legen mit Akkuschraubern Hand an, um Befestigungsseile zu lösen. Übrig bleibt zunächst eine Sitzgruppe vor Flachbildschirmen, der Kern des Kleinkosmos' eines jeden Sportschauguckers. Fehlen nur noch die Chips.
Virtuelles Bodybuilding
Auf einer Riesenleinwand im Hintergrund flimmern Videospielsequenzen: Gut 15 Jahre nach der Uraufführung des Sportstücks kommen die Heldenstellvertreter nicht mehr aus der Welt des Bodybuildings, sondern aus der virtuellen Realität. Sport treiben in dieser Inszenierung nur noch die Avatare, und da ist es dann gleich ganz egal, ob die nun beim Fußball, Boxen oder Golfen gegeneinander kämpfen, in Formel 1-Autos oder in Panzern.
Diese allzu offensichtliche Bebilderung der Jelinek'schen Parallelsetzung von Sport und Krieg hätte sich die Inszenierung vielleicht sparen können – als würde der Text nicht penetrant genug darauf herumreiten. Allerdings ist es fulminant komisch, dem Saarbrücker Ensemble dabei zuzuschauen, wie es sich währenddessen – Mikros in der Hand – Brocken der Stückvorlage entgegenkeift. Das ist unterhaltender als jeder WM-Club, den Waldi in der ARD moderiert hat. Hier zelebriert Lobbes den Humor der Sprachkaskaden im "Sportstück", der sonst an diesem Abend leider etwas zu kurz kommt: einer von manchen kleineren Abzügen in der Haltungsnote, die man bei dieser Produktion machen könnte.
Gewinnen mit Club Mate
Dabei lohnt sich die Schwerstarbeit des Saarbrücker Inszenierungsteams: Nicht nur die Trainerin, auch die Herrenstaffel rackert sich ab, um den Text wieder stärker an uns heranzuholen, neue Assoziationsräume zu öffnen, wo andere (inzwischen) zu schwer zugänglich sind. Und wie wir es von Staffeln kennen, hat jeder seine eigenen Stärken: Benjamin Bieber ringt dem Textmonstrum eine lässige Selbstverständlichkeit ab – auch noch mit Zeltstangen zwischen den Beinen; Johannes Quester feiert mit sprecherischer Eloquenz die Feinheit der Jelinek'schen Sprachspiele, und Roman Konieczny punktet mit mimisch-gestischer Feinarbeit, unterlegt die männliche Selbstgefälligkeit mit physischer Ironie.
So erkunden Regisseur und Ensemble neugierig den Kosmos des "Sportstücks", diese literarisch hochwertige Gebrauchsware vom Ende des vergangenen Jahrhunderts, und entdecken darin einen pulsierenden Kern. Und wenn zuletzt alle fünf Schauspieler in Alltagskleidung auf der leeren Bühne stehen, Fotos machen und Club Mate trinken, dann sind sie in der Gegenwart angekommen. Ganz nah bei uns. Ein Arbeitssieg, aber ein toller.
Ein Sportstück
von Elfriede Jelinek
Regie: Marcus Lobbes, Bühne / Kostüme: Wolf Gutjahr, Video: Michael Deeg, Dramaturgie: Nicola Käppeler.
Mit: Gabriela Krestan, Benjamin Bieber, Roman Konieczny, Johannes Quester, Jonas Schlagowsky.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.theater-saarbruecken.de
"Sport ist Verdummung, ist Gewalt, ist Krieg. Nur einer Gehässigkeits-Virtuosin und hoch begabten Sprach-Akrobatin" wie Elfriede Jelinek „sieht man solch simple Gedanken-Kurzschlüsse nach", schreibt die Redakteurin der Saarbrücker Zeitung (21.5.2013) Cathrin Elss-Seringhaus. Jelineks "gesellschaftskritischen Sprechopern imponieren nun mal nicht durch analytische Exaktheit, sondern durch ihren Mut zu Maßlosigkeit, durch bitterkomischen Sprach-Witz und die Dreistigkeit, mit der uns die Autorin ihre egomanischen Obsessionen zumutet". Regisseur Marcus Lobbes habe dem Stück "die antiken Bezüge weggefräst. Doch warum dann nicht auch den Chor? Rätselraten begleitet den Abend in der Feuerwache". Die eigentliche Aktion an diesem Abend sei "ein großes unablässiges Aufräumen, Wegräumen, Aufbauen und Umbauen. Möbel werden hin und her getragen, die Zelte abgeschlagen, die Computer entkabelt. Nach dem Gewusel bleibt eine leere Bühne". Das Saarbrücker "Sportstück" laufe mithin als "eine einzige Maloche", die die "Konzentrations-Kräfte der Zuschauer wie auch der Schauspieler" überfordere.
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Kunst muss manchmal weh tun, dieses Stück ist ein sehr gutes Beispiel dafür.
es immer wieder bemerkenswert, wessen Verleumdungen (z.B. s.o.) bei Ihnen durchgehen, und welche Reaktionen darauf zensiert werden; ebenso verhält es sich mit den Forentrollen - nur ein paar Auserwählte dürfen herumwitzeln, die Anderen sollen dazu nur kichern...
Entwickeln Sie doch bitte allgemein gültigere Formeln.
Mit besten Grüßen.
(Werte/r @, vielleicht mögen Sie Ihre Erwiderung auf 1 noch einmal so ausführen, dass Ihr Blickwinkel erkennbar wird und ein Anschluss/ eine Diskussion möglich ist. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Ich selbst sitze seit vier Jahren regelmäßig im Zuwschauerraum des SST und habe bisher kaum eine Schauspiel-Inszenierung verpasst. Am 17.05. hatte ich dann das "Vergnügen" an der oben beschriebenen Premiere teilzunehmen. Und ich kann nur sagen: Es war ein ALBTRAUM! Nach zwanzig Minuten starrte ich unentwegt auf die Uhr und lange bevor das Ende auch nur in Sicht war, verließ die Hälfte meiner Sitzreihe den Saal -zum Leidwesen der Schauspieler. Letzten Endes kann ich nur sagen: Ich stimme dem Autor/ der Autorin des dritten Kommentares zu, insofern, dass es sich bei "Ein Sportstück" um einen Text handelt, der einen Regisseur benötigt, der in der Lage ist mit diesem richtig umzugehen und ihn für den Zuschauer zugänglich zu machen. Aber eine derart schlechte Regiearbeit wie in der Saarbrücker Inszenierung "Ein Sportstück" ist mir noch nicht unter die Augen gekommen. Ich frage mich also, lieber Herr Schmidt: Haben Sie etwas anderes gesehen als ich?
2. Nein, die Pause wurde nicht weg gelassen. Es gibt im Stück keine. Wer lesen kann, kann das nachprüfen.
3. Der Zuschauerraum durfte jederzeit verlassen werden. Dies ist ein freies Land, und die Saaltüren waren nicht verschlossen.
4. Fünf Menschen haben die Premiere schon während der Darbietung verlassen. So etwas soll vorkommen, ist aber weder ein Qualitätskriterium noch eine halbe Reihe.
5. Kunst muss nicht manchmal weht tun, sie tut nur manchmal eben manchen weh; so verschieden kann das sein.
6. Ein Text oder Stück muss einem Zuschauer nicht zugänglich gemacht werden, es reicht, wenn die Zuschauer zugänglich sind.
7. Wenn eine Theateraufführung zum Albtraum reicht, dann reichen vier Jahre gucken eben noch nicht zum qualifizierten gucken.
8. Wer Unterhaltung sucht, findet diese bestimmt - z.B. mit guten Freunden in einer Kneipe. Wer etwas erklärt bekommen möchte, greife zu einem guten Kompendium.
9. Nein, Herr Schmidt hat nicht etwas anderes gesehen, er hat es einfach anders gesehen. Auch das kann mal passieren.
10. Wer hier seinen Frust ablassen möchte, der darf das. Leider.
Die menschliche Bosheit schlürft selbst den größten Teil ihres Giftes ein
und verpestet sich damit.
Ich würde da Frau (El-Friede) Jelinek auch nicht ausnehmen (nicht in allen Stücken). . .
und michel de montaigne (michael montanus) war einiges. er war politiker, philosoph, und begründer der essayistik. ein skeptiker und humanist.
aus den "essays":
"bei heiterem wetter sehe ich um vieles heller"
"den sichersten stempel der weisheit ist ein ununterbrochener frohsinn"
(was ich bezweifeln möchte)
"der tod ist anfang eines neuen lebens"
"die menschliche bosheit schlürft..." - aber das hat der michel oben schon zitiert.
Ich komme wieder ins Staatstheater wenn es wieder Jelinek gibt, das ist einfach mal was anderes...
@ Marko: Da müssen Sie eine andere Vorstellung gesehen haben, ich habe bezahlten Stotterern zugeschaut. Nicht lustig, aber teilweise lachhaft...
Wer hier nur der Provokation wegen schreibt, sollte hier aus der Diskussion ausgeschlossen werden. Fakt ist, dass die Schauspieler den Text, der wirklich nicht einfach ist, mit Bravour meistern. Wo wurde denn wann gestottert? Nicht in der Vorstellung, die ich gesehen habe! Außerdem: Wissen Sie eigentlich, was ein Schauspieler verdient? Das macht keiner fürs Geld!