Kohlhaas. Ein Mann für jede Krise - Saarländisches Staatstheater Saarbrücken
Im Bilderbogen verschollen
von Reingart Sauppe
Saarbrücken, 18. Januar 2020. Aus raumhohen bunten Bleiglasfenstern schauen uns treue Pferdeaugen an. Gute Pferde sind wie SUVs. Auf dem Pferd basiert das Mobilitätskonzept des 16. Jahrhunderts. Pferde sind teure Ware und Fetisch zugleich und deshalb ein hervorragendes Motiv, um Emotionen zu schüren. Etwa, wenn man um Anhänger wirbt im Kampf gegen gesellschaftliches Unrecht. Oder um vor Billigimporten aus dem Ausland zu warnen.
Aber so strategisch denkt Hans Kohlhase erstmal gar nicht. Der Pferdehändler ist ein einfach gestrickter Mann, der meint, was er sagt und fühlt, was er denkt und in den Augen seiner geschäftstüchtigen Gattin Lisbeth ein ziemlicher Trottel ist, der die Folgen seines Handelns nicht überblickt.
Selber Löwe sein
Doch nachdem Junker von Tronka nicht nur sein Geld, sondern auch seine Pferde einkassiert hat, geht mit Kohlhase der Gaul durch. Diesmal will er sich von niemanden reinreden und kleinmachen lassen, diesmal will er sich beim Kurfürsten beschweren, auch wenn seine Besserwisser-Ehefrau ihn für einen Idioten hält. Hatte nicht schon die Mama dem kleinen Hans beigebracht: Wenn du nicht von Löwen gefressen werden willst, musst du selber einer werden. Wer wäre da nicht lieber Löwe als Hase? Doch das Schicksal von Hans Kohlhase bleibt in den Händen von Frauen. Die schöne Adelige Christina von Reul macht ihn zu ihrem persönlichen Projekt, Führungspersönlichkeiten wie die Äbtissin vom Damenstift Erlenbrunn oder die Unternehmerin Almuth Fugger instrumentalisieren den blonden Sympathieträger für eigene Machtinteressen.
Kohlhaas mit Adel und Kapital: Fabian Gröver, Christiane Motter, Martina Struppek © Astrid Karger
Marcel Luxinger erzählt uns in seiner satirischen Bearbeitung der Kleistschen Vorlage die Geschichte aus Genderperspektive. Die Konstellation, ein Durchschnittsmann in der Gesellschaft kluger Frauen, könnte schnell im billigen Geschlechterbashing enden. Doch Fabian Gröver erweist sich in der Inszenierung von Bettina Bruinier als Glücksfall. Sein Kohlhaas – die neue Partnerin Christina hat ihm erstmal einen flotteren Namen verpasst – ist keine überzeichnete Witzfigur, sondern einer, der sehr normal und authentisch rüberkommt. Eher sind es die Frauen, die wie Karikaturen weiblichen Rollenrepertoires wirken. Das ist teils amüsant, etwa wenn Martina Struppek zigarrerauchend die abgezockte Chefin des Fugger-Clans mimt, teils albern, etwa wenn Anne Rieckhof als bizarre Psychotante im Hause Fugger auftritt.
Rampensau von der Frauen Gnaden
Glaubhaft bis zum Schluß entwickelt Fabian Gröver diesen Kohlhaas: Ein Mann, der erst geschmeichelt und zunehmend besoffen vom Erfolg ist, zu dem Frauen ihm verhelfen. Instinktsicher entwickelt er sich zum volksnahen Redner, zur geschmeidigen Rampensau, die jede Botschaft verkaufen kann. Ein PR-Profi, der an mediengeschulte Politiker erinnert.
Kohlhaas, ein Projekt der Frauen und der Medien: Fabian Gröver und Anne Rieckhof © Astrid Karger
Mit leichter Hand und griffigen Pointen spannt Autor Marcel Luxinger assoziativ den Bogen vom 16. ins 21. Jahrhundert: Seine Figuren sind allesamt heutig, und gar nicht zu übersehen sind auch die Parallelen zwischen Reformationszeitalter, in dem Glaubenssätze hinterfragt, neue Massenmedien entwickelt und fake news rasant verbreitet werden und der heutigen krisenhaften Gegenwart. Nur dass damals halt die Türken vor Wien die Angst vor der Islamisierung des christlichen Abendlandes schürten.
Untergegangen im Strudel der Einfälle
Das ist eine ganze Zeit lang sehr unterhaltsam und in der leichtfüßigen Inszenierung von Bettina Bruinier gut zu konsumieren. Doch in der zweiten Hälfte des Stücks verliert nicht nur der Autor die Kontrolle über seine überbordenden Einfälle, sondern auch die Regie. Da darf noch schnell Paracelsus gegen die Zwei-Klassen-Medizin wettern, Nostradamus als Prophet des Untergangs apokalyptische Stimmung verbreiten, Cranach den modernen Kunstmarkt erfinden und Kartograf Waldseemüller den Blick auf die Welt revolutionieren ... Hastig und noch nicht mal kabarettistisch überzeugend lassen diese Auftritte die so anfangs treffsicher inszenierte Satire ins nur noch Alberne abgleiten. Am Ende wird Kohlhaas von einem weiblichen Gericht zum Tode verurteilt und geköpft. Dem ermüdeten Zuschauer ist das zu diesem Zeitpunkt fast schon egal. Schade, dass dieser Abend, der so vielversprechend begann, so glanzlos endet.
Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise
Eine wahre Satire von Marcel Luxinger nach der Novelle von Heinrich von Kleist
Rgie: Bettina Bruinier, Bühnenbild und Kostüme: Mareile Krettek, Musik: Oliver Urbanski, Dramaturgie: Horst Busch.
Mit: Fabian Gröver, Martina Struppek, Verena Bukal, Christiane Motter, Gaby Pochert, Anne Rieckhof.
Uraufführung am 18. Januar 2020 im Saarländischen Staatstheater
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater.saarland
Kritikenrundschau
Bettina Bruiniers Inszenierung lebe "von Überzeichnungen der Figuren, von Wortwitz und Situationskomik", schreibt Björn Hayer in Die Deutsche Bühne (19.1.2020): "Je mehr Kohlhaas (Fabian Gröver) sein eigenes Projekt der Selbstverwirklichung und -stilisierung verfolgt, desto mehr entgleitet dem 'Kümmerer' und politischen Stimmungsaufheizer der Wirklichkeitsbezug". Das sei eine "mal mehr, mal weniger lustige Parabel auf den verwegenen Politikbetrieb, insbesondere auf all die Populisten, trügerischen Vielversprecher und charismatischen Anwälte der kleinen Leute". Leider bleibe das Stück selbst aber bei einer "lauwarmen und faden Allerweltskritik an der politischen Elite" stehen. Sie sei bloß ein "Satirchen", so der Rezensent.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 04. Dezember 2023 Regisseur Ivan Stanev gestorben
- 04. Dezember 2023 Hannover: Vasco Boenisch und Bodo Busse werden Intendanten
- 04. Dezember 2023 Gertrud-Eysoldt-Ring 2023 für Jörg Pohl
- 04. Dezember 2023 Kurt-Hübner-Regiepreis 2023 für Wilke Weermann
- 03. Dezember 2023 Einsparungen bei den Bayreuther Festspielen
- 03. Dezember 2023 Walerij Gergijew wird Leiter des Bolschoi-Theaters in Moskau
- 01. Dezember 2023 Franz Rogowski gewinnt US-Filmkritikerpreis
- 01. Dezember 2023 Mäzen und Ex-DB-Chef Heinz Dürr verstorben
Am allerbesten schmeckt der Kohl
Doch leider liegt der Hase , nachdem er dem Fuchs gute Nacht gesagt hat im Pfeffer und der Zuschauer geht gelangweilt nachhause , bedauernd, dass er in der Zeit nicht einfach nochmal die Novelle von Kleist gelesen hat. So ein Theater hat keine Zukunft.
Ich habe mich kein bisschen amüsiert, dennoch lange geklatscht am Ende, denn die SchauspielerInnen haben ihr Bestes gegeben, um dieses schwache Stück über die Runden zu bringen.