Das Haus in Montevideo - Herbert Fritsch macht seine Späße mit Curt Goetz
Kinder!, ist das lustig
von Wolfgang Behrens
Halle, 22. Februar 2008. Der Kleinste kann sein Glück kaum fassen. Clemens Apel, der sechsjährige Darsteller des Ultimo – des zwölften und jüngsten Kindes von Professor Traugott Hermann Nägler – ballt im rauschenden Schlussapplaus die Faust wie weiland Boris Becker und bestätigt so sich und allen anderen den Triumph. Einen Triumph, den einige Stunden zuvor wohl die wenigsten erwartet hätten.
Denn die Zeichen standen auf Theatersturm. Am neuen theater waren die in Schauspielhinsicht doch recht konservativen Hallenser noch bis vor drei Jahren vor allen vermeintlichen Zumutungen des Regietheaters gefeit, denn der Gründer und langjährige Intendant Peter Sodann ließ klipp und klar verlauten: "Bei mir werden keine Haufen auf die Bühne gemacht."
Dann kam der Neue, Christoph Werner, und plötzlich konnte man sich der Sache mit den Haufen nicht mehr so hundertprozentig sicher sein. Und jetzt auch noch das: Auf dem Spielplan steht "Das Haus in Montevideo", eine "Komödie im alten Stil" von Curt Goetz, deren überaus beliebte Verfilmung mit dem Autor und seiner Frau Valerie von Martens in den Hauptrollen seit 1951 das Zwerchfell mehrerer Generationen von lachlustigen Nachkriegs-Kino- und Fernsehzuschauern erschütterte.
Ah!, diese Überdrehtheit
Regie und Hauptrolle übernahm indes diesmal Herbert Fritsch – und das ließ Umsturz dräuen, denn Fritsch war immerhin über Jahre hinweg einer der Milch, Mehl und Schlimmeres versprühenden Protagonisten des Castorf-Theaters an der Berliner Volksbühne. Wer mochte da schon seiner Ankündigung Glauben schenken, er werde das Stück nicht zertrümmern?
Doch siehe da: Fritsch hat nicht zertrümmert. Er hat den Geist der Commedia dell’Arte in die Vorlage hineingeblasen, hat die Körper der Schauspieler sowie die der zwölf Kinder (und nicht zuletzt seinen eigenen) zur totalen Komödie entfesselt, und, ja, hinter manchem Slapstick lässt er auch froh die manierierte Überdrehtheit der schönsten Volksbühnen-Produktionen hervorlugen.
Das Bühnenbild (Angela Baumgart-Wolf) ist pragmatisch und trotzdem gefällig: Es begnügt sich damit, die verschiedenen Orte – deutsche Kleinstadt und ein hier eher mexikanisch getöntes Montevideo – durch hübsch-hässliche, charakteristisch gefärbte Mustertapeten-Hintergründe anzuzeigen. Und versprüht wird weder Milch noch Mehl, sondern eine riesige Wolke Deosprays, die im zweiten Akt zum olfaktorischen Leidwesen der vorderen Zuschauerreihen (und zum Gaudium der hinteren) die "zart parfümierte Atmosphäre des Empfangssalons im Haus in Montevideo" andeuten darf.
Und ach!, dies Mimenspiel
Herbert Fritsch also ist Traugott Nägler, jener tugendhafte Gymnasiallehrer und Vater von Zwölfen, der einst seine Schwester als eine Gefallene verstieß, da sie ein uneheliches Kind gebar. Nun hat die Schwester im fernen Montevideo das Zeitliche gesegnet und der Familie ihres Bruders ein Haus und ein beträchtliches Vermögen zugedacht – geknüpft an eine Bedingung: ein uneheliches Kind muss her.
Die Anfechtungen und Versuchungen, denen der brave Traugott ausgesetzt ist, hat Curt Goetz 1951 nicht zuletzt in seinem Gesicht gemalt. Im Jahre 2008 verlängert Fritsch Goetz’ Mimik in seinen Körper und in alle Gliedmaße hinein. Anfangs wippt er selbstgefällig im Hohlkreuz, später brechen ihm die Beine weg, alle Extremitäten winden und verdrehen sich ihm im komischen Kampf mit sich selbst.
Ja, ja, ja!, wie komisch das ist
Fritsch ist Professor Unrat, Pantalone, Mephistopheles und Knallcharge in einer Figur, und er ist einfach famos. Wie auch das ganze Ensemble: Da ist Danne Hoffmann als Traugotts Frau Marianne (ihr Outfit mit Dauerwellenpracht und Nickelbrille zitiert ebenso die alte Verfilmung wie Fritschs angeklebter Geißenbart), die die biedere Ehefrau und überforderte Mutter mit wundersam komischen Versteifungen ihres Körpers mimt, zwischendurch jedoch verschiedenste Stadien der Derangiertheit auskostet.
Da ist die blutjunge Lisa Bitter als älteste und heiratswillige Tochter Atlanta, unter deren Mauerblümchenfassade hüpffreudige Albernheit und brodelnder Trotz eine explosive Mischung eingehen. Da ist ihr ungeschickter Liebhaber Herbert Kraft, den Bastian Reiber mit hochgezogenen Schultern, schrecklich eng angelegten Armen und eckigen Bewegungen als Mitleid erregendes Bürschchen gibt. Und da sind die weiteren elf Kinder, die in effektvoll-witzigen Orgelpfeifen-Choreographien die eitlen Gesten ihres Vaters eifrig nachahmen dürfen.
Es kann sehr lustig sein, Worte und Handlung einer Textvorlage auf der Bühne mit schauspielerischen Mitteln zu konterkarieren, gleichsam eine absurde Differenz aufscheinen zu lassen. Herbert Fritsch und seine virtuose Hallenser Truppe haben den entgegengesetzten Weg gewählt: Jeder Satz, jede Wendung im Stück wird gestisch verdoppelt, verdreifacht, vervielfacht. In der grotesken Übersteigerung entsteht eine absurde Kongruenz. Auch das kann sehr lustig sein. Enorm lustig.
Halle jedenfalls hat gelacht wie selten.
Das Haus in Montevideo
von Curt Goetz
Regie: Herbert Fritsch, Konzeptionelle Mitarbeit: Sabrina Zwach, Bühne und Kostüme: Angela Baumgart-Wolf, Dramaturgie: Ralf Meyer.
Mit: Lisa Bitter (Studio), Matthias Faust (Studio), Herbert Fritsch, Jonas Hien, Danne Hoffmann, Bastian Reiber (Studio), Hannelore Schubert-Fleischmann, Jörg Simonides.
www.kulturinsel-halle.de
Mehr von Herbert Fritsch: Angst. Ein performatives Konzert über den schlechtesten Berater unserer Zeit.
Kritikenrundschau
Für Andreas Montag von der Mitteldeutschen Zeitung (25.2.2008) hat in Herbert Fritschs Inszenierung vom "Haus in Montevideo" eine "durchweg gut aufgelegte Truppe" den "fidelen Vierakter (...) überwiegend schmissig über die Bühne gebracht" und dabei vor allem eine "Mordsgaudi" veranstaltet. Die "gut gestrickte (...) Klamotte" mit leichter Patina werde dabei "mit Vergnügen dem allgemeinen Gelächter preisgegeben". Dagegen hat Montag "nichts einzuwenden", denn "Unterhaltung findet ihr Publikum" und der Erfolg gebe dem Recht, mag auch "die Fallhöhe gering sein". Bei Fritschs Traugott Nägler "zwischen dämonischem Despoten und rührendem Rindvieh" findet er zwar "alles ein bisschen laut und sehr überdreht, aber doch wieder schlüssig": "Die Sprache der zuweilen grotesk sich biegenden Körper" erzähle "mehr über die Geschichte, als sie eigentlich hergeben kann.
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Bemerkenswert, wie Herr Fritsch es geschafft hat, die Spannungsbögen zu ziehen, ohne je den Unterhaltungsfaden abreißen oder exaltieren zu lassen. Er überschreitet den schmalsten Grad von allen, hin zum niederen Klamauk, nicht. Und das bei einem allseits bekannten und somit sehr vorbelasteten Werk, bei dem man als Zuschauer unweigerlich Vergleiche mit den alten TV-Produktionen trifft. Tolle Unterhaltung. Danke an die Darsteller. Kurz gesagt (auch weil viele auf dieser Site dieses Wort so gar nicht zu mögen scheinen - vgl. TT-Auswahl...): Bemerkenswert.