Ein Mann will nach oben - Staatsschauspiel Dresden
Lieber Vorhang als Leinwand
17. Juni 2022. Karl Siebrecht steigt auf. Und kämpft sich durch zweieinhalb Jahrzehnte deutscher Geschichte, geschäftliche Niederlagen und den Krieg. Sebastian Klink hat Hans Falladas Roman von 1941, "Ein Mann will nach oben", mit Svenja Käshammer bearbeitet – und mit viel Video auf die Bühne gebracht.
Von Michael Bartsch
17. Juni 2022. Als die Premiere im Kleinen Haus des Staatsschauspiels mit fünf Minuten Film beginnt, legt sich nicht nur beim Rezensenten reflexartig die Stirn in Falten. Aha, zum dritten Mal in Dresden seit Frank Castorfs "Wallenstein" der gleiche "Dreh": Langes Hintergrundkino mit vordergründigen Live-Schauspieleinlagen. Castorf und seine Jünger. Sebastian Hartmann verfuhr so mit Thomas Braschs "Vor den Vätern sterben die Söhne". Nun Sebastian Klink, von 2010 bis zu Castorfs Abgang 2017 dessen Assistent an der Berliner Volksbühne. Der Großmeister erschien denn auch persönlich.
Ein Auftragsroman, in dem Biografisches steckt?
Die gute Nachricht zuerst! Es ist eine richtige, sogar naheliegende Idee, Hans Falladas Roman "Ein Mann will nach oben" mit dem Leben seines Autors zu kombinieren, ihm autobiografische Züge zu verleihen. Das tut der Text von Svenja Käshammer und Regisseur Klink und entdeckt verblüffende Parallelen, ja Analogien.
Der Roman sollte eigentlich ein Drehbuch für einen repräsentativen Berlin-Film werden. Ein Auftrag mitten im Zweiten Weltkrieg, acht Jahre nach der Machtergreifung der Nazis, mit deren Reichsschrifttumskammer Fallada sich nach anfänglichen Konflikten recht einträglich arrangierte. Es geht um den Aufstieg des Karl Siebrecht vom Gepäckträger zum Betreiber einer Gepäcktaxifirma in den Jahren bis 1930, sozusagen die deutsche Version der amerikanischen Tellerwäscher-Millionärsstory.
Fallada verstand sich nicht als Drehbuchautor, blieb bei einer Romanvorlage. Ein Film wurde kriegsbedingt nicht daraus, der Roman vergessen. Erst 31 Jahre nach seinem frühen Tod erlangte das Buch 1978 durch eine 13-teilige ZDF-Serie schlagartig Bekanntheit.
Beziehungskisten statt Aufstiegsmechanismen
"Ein Mann will nach oben", da fällt einem Fritz Cremers berühmte Plastik "Aufsteigender" ein, die die DDR 1975 der UNO schenkte und über die Wolf Biermann ein Gedicht schrieb. Bei einem Castorf-Jünger hätte man angesichts dieser Romanstory einen assoziativen, hochkontextualisierten Exkurs über Aufstiegsmechanismen erwarten können. Zumal nicht erst seit Thomas Piketty klar ist, dass ein wesentliches Krisenmerkmal des modernen globalisierten Kapitalismus darin besteht, das alte Versprechen eines Aufstiegs zumindest in der Mittelschicht nicht mehr einzulösen.
Doch solche Brecht'schen Anklänge an die erforderliche Skrupellosigkeit beim Kampf um einen Aufstiegsplatz gibt es bei Sebastian Klink nur im ersten Drittel. Im dreistündigen Verlauf reduziert sich die Doppelgeschichte von Roman und Autorenbiografie immer mehr auf die sprichwörtlichen Beziehungskisten. Also auf den allzu bekannten Konflikt zwischen einer zwar tragend-aufbauenden, aber sich erschöpfenden Partnerschaft und der klassisch männlich empfundenen Herausforderung durch eine junge laszive Frau. Im Roman baut Karl mit Rieke ein Leben, die Versuchung heißt Ilse. Für Fallada, mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen, war Suse die Zentralfigur, die späte, gleichfalls suchtkranke Muse hieß Ulla.
Penetrante Videomania
Was das Auge labt an dieser Inszenierung, sei ebenfalls zuerst genannt. Gregor Sturm und Oliver Knick schaffen mit einem System horizontal und vertikal gestaffelter variabler Vorhänge immer wieder neue Räume, die eine auffallende Symmetrie wahren. So gehen Szenen organisch ineinander über und erzeugen zugleich wechselnde Stimmungen.
Aber die Vorhänge dienen eben auch vielfach als Leinwand für den penetranten Videoeinsatz. Man hat sich in den beiden Monaten seit Ostern in Dresden bei Castorf und Castorf light schon daran gewöhnt, dass Spieler sozusagen in einem Epi-Szenium verschwinden, wo ein eifriges Kamerateam auf sie lauert.
Solche Videomania kann verstärkende, überhöhende Wirkung haben, wenn sie eine eigene Metaebene schafft, illustriert oder in extremen Nahaufnahmen die Wucht einer Szene potenziert. Nicht aber, wenn sie die klassische Bühnenpräsenz durch Kino ersetzt oder gar Konkurrenzsituationen erzeugt, die das Bemühen der sichtbaren Spieler vorn entwerten.
Immerhin wird nicht ständig gebrüllt, und vor allem das Zentralpaar Fanny Staffa als Rieke und Daniel Séjourné als Karl steigert sich zu einer differenzierten Charakterdarstellung. Schwer nachvollziehbar sind Zeitsprünge der Inszenierung, wenn die Fallada-Geschichte der analogen Romangeschichte zehn Jahre vorauseilt. Warum die ziemlich humorfreie Inszenierung in den letzten Sätzen plötzlich Schabernack mit Märchenzitaten wie "O du Fallada, da du hangest" treibt, bleibt auch bei Anspielung auf die Herkunft von Falladas Pseudonym unergründlich. Der folgende mäßige Beifall war schon eher erklärbar.
Ein Mann will nach oben
nach dem Roman von Hans Fallada
Bühnenfassung von Sebastian Klink und Svenja Käshammer
Regie: Sebastian Klink, Bühne und Kostüm: Gregor Sturm, Oliver Knick, Video: Christian Rabending, Dramaturgie: Svenja Käshammer.
Mit: Gina Calinoiu, Jannik Hinsch, Sven Hönig, Eva Hüster, Torsten Ranft, Daniel Séjourné, Oliver Simon, Fanny Staffa.
Premiere am 16. Juni 2022
Dauer: drei Stunden, eine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
Kritikenrundschau
"Die Biografien von Siebrecht und Fallada werden vom Regisseur Sebastian Klink und der Dramaturgin Svenja Käshammer brav chronologisch montiert." Darüber hinaus gäbe sich die Inszenierung keine assoziativen Freiräume, schreibt Lara Wenzel auf nd (19.6.2022). Die Inszenierung lege zu viel Gewicht auf die Leidenschaften ihrer Hauptfiguren.
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