Don Juan oder der steinerne Gast (like a rolling stone) - Kruse probt mit Molière den Weltuntergang
Die Kippe kommt mit in die Gruft
von Ralph Gambihler
Leipzig, 23. Oktober 2008. Weltuntergänge können dauern. Dieser hier dauert zweieinhalb Stunden. So viel Zeit nimmt man sich in Leipzig, um ein altes Stück zu beerdigen und die Menschheit gleich dazu. Wir sind also in einem abendfüllenden Endspiel. Letzte und allerletzte Dinge werden darin verhandelt, bevor es für die Titelfigur krachend in die Grube geht. Obwohl man nun sagen muss, dass auf Weltuntergänge auch kein Verlass mehr ist. Zumal wenn ein musizierender Herrenclub, der in seinen besten Zeiten jedes Hotelzimmer versaute, im Stücktitel herum geistert und irgendwie seine Finger im Spiel haben muss, warum auch immer.
Brechts Wagen, Kafkas Käfer, Jesus' Kreuz
Die Bühne von Volker Hintermeier schwelgt in Memento-mori-Düsternis. Sie zeigt ein entweihtes Kirchenschiff und darin eine Art Resterampe der abendländischen Kultur. Vom biblischen Baum der sündigen Erkenntnis (verdammt viele Äpfel) und dem Schmerzensmann Jesus (vom Kreuze befreit) über einen gewiss vormodernen Foliantenberg (sehr staubig) und ein kopernikanisches Miniplanetarium (mit Handkurbel) bis hin zu Kafkas Käfer (riesengroß) und Brechts Marketenderwagen (sehr klein) wird allerhand herbei zitiert, was die Welt womöglich doch nicht zu retten vermag.
Oben drüber schwebt, geisterhaft auf Gaze hingehaucht, ein Totenschädel mit Hut und Kippe im Gebiss. So könnte ein Label für Vergänglichkeit und Verderben aussehen. Gruft, wir kommen! Die Frage von Anarchie und Verführung wird unter diesen Umständen nicht wirklich gestellt. Sie hat sich ganz einfach erledigt. Don Juan ist schon auf den ersten Blick ein Schatten seiner selbst, ein kauernder Typ mit eingezogenen Schultern, die Halbglatze unter einer Parodie von Perücke versteckt. Den klassischen Frauenverbraucher stellt man sich jedenfalls anders vor. Und auch seine ersten Worte, die da lauten: "Aspirin! --- Ähm." Er stammelt. Starrt. Spielt Stottern.
Letztes Stündlein des Nihilismus
Dieser Don Juan ist ein mehr Anti-Don Juan, ein Aufreißer a. D., den sein Darsteller Hagen Oechel in ein Rudiment von Rocker-Coolness steckt. Keine Welt und kein Weib können diesen Mann locken. Wenn ihn überhaupt noch etwas interessiert, dann das ironische Klingenkreuzen mit "Blondie", seinem keineswegs untertänigen Diener Sganarelle, die nächste Zigarette und für die heftigen Momente eine Spritze voll Aitsch.
Beim Schichtl, dem legendären Oktoberfest-Schausteller, heißt es seit ewigen Zeiten: Heute Hinrichtung! Bei Regisseur Jürgen Kruse im Leipziger Centraltheater muss nichts hingerichtet werden; alles ist schon hin: die Wörter, die Werte, sogar der Spaß am Nihilismus. In diesem garstigen Spektakel hat das letzte Stündlein der Zivilisation geschlagen. Kruses Molière-Verdunkelung legt sogar den Kulturpessimismus ad acta, dem sie entspringt. Der ist nicht mehr formulierbar in dieser regressiven Leere, in der jeder Witz eine Attrappe ist und jedes Spiel eine Farce.
Höflichkeit der Alt-Erotomanen
Aber könnte das nicht reizvoll sein? Ein Don Juan, der das Fleischliche flieht und seinem Diener den Vortritt lässt? Ein Voyeur und Zyniker von hohen Gnaden? Ein Alt-Erotomane zwischen Mick Jagger und Rainer Langhans? Womöglich hätte die Regie einen solchen Weg finden können. Auf der Suche nach dem großen Rundumschlag gefällt sie sich aber in einem Geklimper aus Anspielungen und allegorischen Aufladungen wie das biblische "In ictu oculi" (im Augenblick), das in ziemlich großen Buchstaben über der Bühne geschrieben steht. Die Mythos-Demontage gerät darunter zur Petitesse.
Hagen Oechel geht mit seiner Figur ehrenwert unter. Zum tragischen Kern kann er nicht vordringen, denn der hat sich unter den Händen der Regie in Rauchwolken aufgelöst wie die vielen Glimmstengel, die an diesem Abend angezündet werden. Oechel gibt das gleichgültige Wrack, das sich die sexuellen Attacken von den Bauernmädchen ebenso gefallen lässt wie die Beschimpfung als "Flatterfotzenwichser".
Viel Rauch um nichts
So stoned hat man Molières Latin Lover wahrscheinlich noch nicht gesehen. Birgit Unterwegers Rolle als Donna Elvira ist so eingedampft worden, dass sie nicht weiter auffällt. Manuel Harder verzichtet als kerniger Sganarelle auf alle Diener-Drolligkeiten und macht auch unschöne Sachen. Er legt sich zum Beispiel eine echte Schlange um den Hals oder vögelt hinter den Kulissen eine Frau, während er sie hörbar abschlachtet.
Im Schlussbild kommt die Flucht aus dem Stück. Die Fahrt in die Grube fällt aus, denn es ist doch "alles ein bisschen unrealistisch" geworden, wie sie nun plötzlich bekennen. Der bilderbuchmäßig kolossale Kontur, vermutlich ein olles Stück aus dem Opern-Fundus, bietet sich nun als friedliches Denkmal dar, das es zu erklimmen und zu liebkosen gilt. Dieser steinerne Gast zieht keinen mehr in den Abgrund. So retten sie sich ins Leben. Die Rolling Stones sind übrigens nicht aufgetreten. Man hat sie nur manchmal gehört.
Don Juan oder der steinerne Gast (like a rolling stone)
nach Jean Baptiste Molière und nach der deutschen Übersetzung von Wolf Graf Baudissin
Regie: Jürgen Kruse, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüm: Caritas de Wit.
Mit: Hagen Oechel, Manuel Harder, Birgit Unterweger, Sebastian Grünewald, Artemis Chalkidou, Eva-Maria Hofmann, Matthias Hummitzsch u.a.
www.schauspiel-leipzig.de
Mehr zu Jürgen Kruse: Im Dezember 2007 inszenierte er am Schauspiel Köln Beat Generation von Jack Kerouac.
Kritikenrundschau
Einen "herrlich verwilderten Symboldschungel" mit Verweisen von Jesus bis Brecht und "reichlich Zitatenunterholz und Musikgestrüpp" beschreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (25.10.). Auch die Schauspieler in Jürgen Kruses Molière-Inszenierung werden sehr gelobt, besonders Don-Juan-Darsteller Hagen Oechel und Manuel Harder, der seinen Diener spielt. Was den Kritiker am Abend ebenfalls einnimmt, ist sein Durchdrungensein von "großgestischem Deutungswillen": denn er setzt Dirk Pilz zufolge noch einmal die Schöpfungsgeschichte samt Sündenfall auf die Tagesordnung, fragt allerdings, was wohl geworden wäre, wenn statt des Apfels eine Birne am Baum der Erkenntnis gehangen hätte und entlockt dieser Fragestellung wohl durchaus utopisches Potenzial.
Bei dieser Bühne sei alles "wie ein Gemälde arrangiert, traumschön, irritierend verführerisch" und "eine biblische Allegorie auf den Tod", so Gisela Hoyer in der Leipziger Volkszeitung (25.10.). Eine "lästerlich romantische Version von Apocalypse now" sieht sie in Kruses Abend, mit einem Don Juan (dessen "Alter Ego"), der "von der einstigen Leidenschaft bloß noch für Momente erwärmt" wird. Ansonste rauche, saufe, kiffe er und rede "mehr oder minder sinnentleertes Zeug. Der kämpferische Außenseiter ist am Ende." Die "eigentliche Zentralfigur" sei in Kruses Deutung "der smarte Macher und respektlose Diener" Sganarelle. Eine "ultimative Veranstaltung", an deren Ende das Publikum "beinahe erleichtert" aufatme, "als Don Juan endlich zur Hölle fährt". Das "schicksalhafte Geschehen" sei dabei "wild und anmutig choreografiert sowie prachtvoll kostümiert".
In der Süddeutschen Zeitung (31.10.) konnte Peter Laudenbach Jürgen Kruses "sehr lässiger Demontage des Klischees vom bezaubernden Verführer und des in seiner Amoral leuchtenden Nihilisten" einiges abgewinnen. Und das, obwohl Kruse aus seiner Sicht das Kunststück fertig gebracht hat, "aus 'Don Juan' eine "vollkommen unerotische Veranstaltung", "einen einzigen, lang gezogenen Kater" zu machen. Das "benebelter Hirn" der Protagonisten leide unter Wortfindungsstörungen, was zur Folge habe, dass "Molières glasklare Satzreihen" zu einer "Stummelsprache" schrumpften: "Als die beiden bei Molière über die Gesetze des Himmels und der Schöpfung parlieren, setzen sich Kruses multitoxisch verstrahlten Kneipenbewohner lieber einen Schuss und brabbeln dann in ihrem Tran wirr vor sich hin." Seltsamerweise schaue man dem Ganzen aber "eher träumend als wach" sehr gerne zu, schreibt Laudenbach, für den die atmosphärische Dichte des Abends, seine Unschuld und Melancholie, diesen "Don Juan" zu einem "traurigen Blues", einem "schönen letzten Abgesang auf das Nachtleben und seine selbstzerstörerischen Veteranen" machen.
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Wohl zu viel im Theater gewesen.
wo steckt denn ihr "tragischer kern", herr gambihler? wohl auch zu grunde gerichtet bei der überlegung, was man denn noch kritisieren und dann aber doch bloß nur andeuten könnte, damit ja niemand kommt und konkrete fragen stellt.
nein nein, das ist ein verbittertes plattitüdengerippe, aber keine kritik.
das war ein wahres fest für die sinne, ein äußerst gelungener abend usw.
hingehen, lang (ver)weilen und sich anschließend eine meinung bilden.
nicht über alles nachdenken, einfach fühlen und inspirieren lassen.
lernen Sie lesen. Oder aufmerksamer lesen. Zum Beispiel oben. Dann wüssten Sie mehr.
was glaubte er nicht alles während dieses Abends zu wissen. Dabei so unvollkommen, unvollendet. Schad' is!
Aber seitdem liebe ich Kruse. Als laute(re), poetische, sentimentale, tragische Stimme. So viel Liebe zur Bühne!
1. "Like A Rolling Stone" als Untertitel hat mit den Rolling Stones NICHTS zu tun. Der Song stammt von Bob Dylan. Der griff's von Muddy Waters auf. 1956! Das Ganze bitte bildlich zu begreifen: ein rollender Stein setzt kein Moos an, ist immer "frisch", immer "jung", selbst wenn er uralt ist. Diese Denke wollten Jagger/Richards/Jones/Watts bei Bandgründung.
Und das kann sich auch ein Don Juan nicht nur von Molière, sondern doch von Kruse nur wünschen!
Wer wäre er denn sonst? D'accord?
Den "Rolling Stone" haben dann auch irgendwann die Stones "besungen", allerdings NACH Dylan! Dessen Urheberschaft des (erweiterten) Zitats jedoch war auf dem kostenlosen Programmzettel zur Premiere klar zu lesen.
Den hatten Sie? Okay, warum dann:
"...wenn ein musizierender Herrenclub, der in seinen besten Zeiten jedes Hotelzimmer versaute, im Stücktitel herum geistert und irgendwie seine Finger im Spiel haben muss..."
Sie denken die Stones hin, wo keine sind. Fehler 1!
2. Kruse nähert sich - und alles nachfolgende ist bekannt, ist Gemeinplatz - seinen Produktionen immer über Musik, seine Urfesten sind neben Dylan auch die Stones.
Es kommen aber auch Bee Gees et al. zu Gehör. Und nicht zuletzt Paul Lemb, der Komponist seiner Bochumer Zeit. Der war auch zu hören. Das war wunderschön!
Das vorletzte Musikstück im hiesigen Don Juan - diesmal wirklich von den Stones: Yesterday's Papers: "Yesterday's papers, yesterday's girls..." - da isses doch, voilà: "Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern" vs. "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment".
Das ist Stones, nicht Kruse oder ich! Das kann man hören! Wie tight passt das auf Don Juan? Und bitte, das weiß man, nicht zuletzt, weil Kruse das vor vier Wochen im Kreuzer hat protokollieren lassen! Wenn Sie das nicht beachten bei einer Rezension, dann ist's Fehler 2!
3. Kruse denkt Molières Lebensart des "Planwagen-Theaters" mit. Dafür hat er gelebt, gelitten und ist letztlich daran verreckt. Sie schreiben - und das ist unverzeihlich! - von "Brechts Marketenderwagen (sehr klein)".
Aber es geht hier nicht um Mutter Courage in der Weigel-Ur-Lesart am BE, nee! Es geht um die bescheidenen Lebensbefindlichkeiten von Molière, Kruse hat die nur aufgegriffen! Fehler 3!
4. Sie sehen "Kafkas Käfer". Holla! Da reitet denn einer auf einem Skarabäus direkt an der Rampe rum. Nennt den Käfer auch noch "Blattlaus", damit sich so Symbolhäscher wie Sie irgendwann gar nicht mehr auskennen. Darf ich Sie mal fragen, bevor ich annehmen müsste, Sie wären evtl. im falschen Stück gewesen: WO war IHR Samsa an diesem Abend? Na? Wo hat er sich versteckt, der Gregor?
Glauben Sie ernstlich, dass Kruse Kafka bräuchte, um einen Molière zu erzählen?
Lesen Sie Insekten wie Sie wollen, aber hier Kafka: Fehler 4!
5. Bühnenbild: nicht nur zaghaftes "Memento mori", sondern volle "Vanitas"-Breitseite! Überladen, überbordend. Und das darf so überfrachtet wie voll sein!
Ein Barock-Gemälde in 3D! Zudem streng katholisch, wie's sich für die Zeit gehört.
Denken Sie den "Tartuffe" Molières mit, das Werk VOR "Don Juan", Molières Knatsch mit dem Klerus? Das Kreuz, darum der Jesus? Seine Reaktion darauf, die nur "Don Juan" lauten KONNTE?
Seltsame Leichtfertigkeit der Bild-Deutung - Fehler 5!
Kruse braucht bei allen, die guten Willens sind, mehr als einen Durchlauf. Und bestimmt keine verfrühte "Kritik" in diesem Forum!
Bedenkt?
Bedankt!
schon mal was davon gehört, dass Kunst etwas mit POLYVALENZ zu tun hat? Und dass die Dinge entsprechend nicht auf eindeutige Bedeutungen hin lesbar sind? Deshalb gibt es da auch kein klares Richtig und Falsch, keine eindeutigen "Fehler" (oje, oje...) wie du es hier suggerierst. Als sei es objektiv "falsch", bei Käfer Kafka zu assoziieren – so ein himmelschreiender Blödsinn! Bitte überdenk doch mal dein Kunstverständnis.
"Es kann nur EINEN geben" (Christopher Lambert)
dieses Aufzählen von angeblichen Fehlern, dieses Belehren und Besserwissen ist nicht nur langweilig, sondern auch sehr selbstentlarvend. Wer so wie Sie im Theater sitzt und Kritiken liest, tut mir ehrlich gesagt nur leid. Das ist erbärmlich, wirklich. Und es ist völlig nichtssagend, was sie da aufzählen. Fällt es Ihnen so schwer, eine andere Meinung gelten zu lassen? Sie Armer, und leider klingt es sehr danach, als seien sie die beleidigte Leberwurst aus der dritten Assistenzreihe. Die Kritik hier auf der Seite muss man nicht teilen, aber man kann sie bitteschön auch mal zur Kenntnis nehmen - denn da gibt es genügend Dinge, die das Nach-Denken lohnen. Schreiben Sie Tagebuch, wenn Sie Ihren Krimskram loswerden wollen, aber bitte verschonen sie andere Leute damit. Und Kruse braucht ihren schleimigen Beistand ganz sicher als allerletzter.
danke für deinen Beitrag und die darin erwähnte POLYVALENZ. - Im übrigen habe ich ein Problem mit altgriech.-lat. Komposita, mithin "Bastardworten", schon wegen der mangelnden Sprachschönheit, aber wenn jegliche Wissenschaft diese generieren muss, um als ernst angesehen zu werden - sei's drum.
Lass uns aber nicht in semantischen Spitzfindigkeiten verlieren, ich fände "Mehrdeutigkeit" oder "Mehrwertigkeit" für dieses "Poly..dings" nur eine zielnähere Entsprechung, mithin deutlich treffender. Warum sich verschanzen hinter solchen Fremdkörper-Worten? Was steht dafür?
Siehste aber, und um genau DAS ging's mir doch aber in meinem Eintrag! Deswegen habe ich mich doch so aufregen müssen über die Kritik in diesem Forum über diesen Kruse-Abend, eben weil Gambihler dieses Polydings nicht mitdenkt! Weil er SEINE Lesart als "gesetzt" formuliert und keinen Spielraum für Alternativen zu lassen scheint. Meine Alternativen? Deine Alternativen?
Und deswegen habe ich in deinen Ohren vielleicht zu schulmeisterlich "doziert" über Kafka vs Käfer, Brecht vs Molière.
Aber warum denn wohl?
Weil ich nämlich glaube, dass ein Kritiker, auch wenn sein Beitrag immer nur die Reibfläche SEINER Meinung des Abends liefern kann (wie professionell auch immer er agiert - a.k.a. "objektiv"), dennoch die GESAMT-Lesart der Vorstellung und ihre potentiellen Auswüchse mitdenken sollte. Dafür ist er Kritiker, meiner Meinung nach. Und dafür sollte er über eben einen entsprechend großen, mit der Zeit gewachsenen "Zeichenvorrat" als Grundmittel in Kommunikation verfügen.
Das scheint bei Kruse-Theater nahezu unmöglich. Diese Überflutung... aber trotzdem: Fändest du das obige anmaßend von einem Kritiker zu fordern? Wir reden hier nicht von Leuten, die Im Forum posten, wir reden von Kritikern.
Okay, vielleicht ist es das auch, bitte bedenke aber:
Ein ehrlicher Kritiker hat vor Besprechung eines "klassischen" Konzerts und vor Konzertbeginn die Partitur desselben gelesen, wenn er sie nicht schon kennt.
Ein ehrlicher Kritiker ein Rock-/Pop-Konzerts kennt die Disko- und Biografie der Band(s), über die er berichten wird.
Ein ehrlicher Kritiker eines Theaterstücks hat vor der Besprechung den Text gelesen.
ABER im Falle eines Theaterstücks muss er (zusätzlich zu obigen Forderungen) auch immer die inszenatorische Lesart eines Regisseurs et al. mitdenken.
Dazu gehört für mich, dass er sich über die bisherigen Inszenierungen/ Arbeiten desselben hinlänglich vertraut gemacht hat und evtl. über BESONDERHEITEN in punkto Arbeitsstil informiert ist.
Denn sonst hieße bloße post-hoc Schilderung des Abends im Rahmen einer Kritik brachial-eitles Vorbeimeißeln am Gewollten der Regie, bloße Selbstspiegelung.
Nur: für WEN schriebe er dann, der Kritiker? Am Ende für sich, als letzten Unverstandenen? Das will ja keiner wünschen!
Siehste, und deswegen sage ich dir:
DIES kann, dies darf ein Kritiker niemals wollen, auch wenn wir von ihm nicht verlangen können, dass er uns einen unverstandenen Abend im Rahmen einer Rezension erklären soll. Das ist auch nicht sein Job!
Aber er sollte einem zumindest das Gefühl geben, dass es über seinen Tellerrand hinaus noch andere, wie auch immer zu bezirkelnde, Welten gibt.
D'accord?
wer sind Sie denn überhaupt, müsste ich Sie ernst nehmen?
Sie schreiben furchtbar flüchtig, flachpinselig, verfaselt - kein Satz in Ihrem "Text" findet vor dem Punkt das Ziel der Aussage, der vermuteten. Vielleicht wollen Sie auch keine treffen?
Aber was soll das dann hier? Was ist denn das Ziel Ihres schreiberischen Humbugs in diesem Forum?
Beispiel bitte:
"Wer so wie Sie im Theater sitzt und Kritiken liest, tut mir ehrlich gesagt nur leid."
Hä? Waswieistdasdenn? Häää?
Okay, ich versuche eine zaghafte Deutung, voilà:
Aha, ich sitze also Reihe 13, Platz 9 und lese Kritiken. Ich schaue nicht auf die Bühne, neenee, ich lese! Kritiken lese ich! Deswegen gehe ich ins Theater! Um Kritiken zu lesen! Ich sitze im Theater, um Kritiken zu lesen. Das mache ich immer und dauernd, damit Henrich was zum Echauffieren hat!
Überprüfen Sie doch bitte bei Gelegenheit nicht nur Ihre - scheint's - verkrüppelte Syntax, sondern doch auch besser Ihre Denkungsart gegenüber Ihren Mitmenschen und deren Äußerungen!
PS: Kruse braucht niemandes Beistand - weder Ihren, noch meinen (von Ihnen vermuteten).
Aber was soll das, sich hier gegenseitig fertig zu machen? Wie wäre es mit richtigen Diskussionen über die Inszenierung? Mit Fragen und Antworten? Argumenten und Gegenargumenten? Tut doch nicht so, als hättet ihr, und nur IHR, Kruse verstanden! Sondern unterhaltet euch und tauscht euch aus. Vielleicht habe ich das falsch verstanden, aber dafür ist doch dieses Foum gedacht.
So kann Theater nie politisch werden. Und verharrt genau da, wo Hartmann es gerade hinsteuert, Menschen in Schwarz erklären anderen Menschen in Schwarz, wo der Hammer hängt. Tür zu. Fertig. Das soll ein Kommunikationsmedium sein? Soll es das noch?
Mich würde zum Beispiel ernsthaft interessieren, wie Kruse zu den Gothic-Assoziationen kam. Western leuchtet mir ein (Planwagen eben), aber Grufti? Kann doch nicht meinen, dass er Don Juan beerdigt? Oder doch? Und das ist eine ernstgemeinte Frage; wenn ihr alle solche Theater-/ Kruse-Spezialisten seid, vielleicht hat ja der ein oder andere eine Idee.
meiner Meinung nach verlangst du entschieden zu viel von einer Theaterkritik, in mehrerer Hinsicht.
Was soll sie denn? ALLE Lesarten aufschreiben? Da kann ich dann wieder nur fragen: schon mal was von per se UNABSCHLIESSBAREN Deutungsprozessen im Zusammenhang mit Kunst gehört?
An den von dir gesetzten Maßstäben muss ein Text also von vornherein scheitern. Für mich ist eine Kritik die Einschlagung EINES Weges, das gesamte Labyrinth auszuschreiten, ist unmöglich.
Im Übrigen formulierst du DEINE Lesart mindestens als genauso "gesetzt" (und ein-wegig) wie Ralph Gambihler, schließlich sprichst du gar von "Fehlern", was bestimmte Deutungen schlichtweg ausgrenzt. Aber offenbar verstehst du dich als einsamen Spitzenkenner von Kruse-Abenden, weshalb dir natürlich die Deutungshoheit zugesprochen werden sollte, wie?
Und was soll dieses moralische Schreiben über die EHRLICHEN Kritikern? Als seien das unwürdige Menschen, wenn sie deine hohen Anforderungen nicht erfüllen.
Dass sie hoch sind, wüsstest du, wenn du dich mal einen Moment in den Kritiker hineindenken würdest (aber so viel Einfühlsamkeit haben die wohl nicht verdient, außerdem geht ja vermutlich schon das ganze Einfühlungsvermögen dafür drauf, sich in die Theatermacher hineinzuversetzen...).
Ich würde zustimmen, dass ein Kritiker so informiert wie möglich ins Theater gehen sollte, glaube aber auch, dass es im Arbeitsalltag vermutlich unrealistisch ist, immer alle Stücke, Romanvorlagen, Filme, CDs, Platten, Ausstellungen gelesen/gesehen/gehört zu haben, die für eine nach deinem Verständnis EHRLICHE Kritik ausreichend wären. Ach ja, und dann muss er ja noch alle übrigen Inszenierungen des Regisseurs kennen.
Womit wir bei einem weitern Punkt wären: das "GEWOLLTE des Regisseurs"! Ist es für dich wirklich die Aufgabe einer Kritik, die Intention des Regisseurs herauszumeißeln? Das alte "Was will der Autor damit sagen?" Kann doch nicht sein, oder? Da lauert schon wieder die Festschreibung des Kunstwerk auf das EINE Gemeinte, Gewollte. Und das hat der Kritiker bitteschön hinzuschreiben? Mann, mann, mann...
Ich weiß immer noch nicht, warum die Assoziation Molière-Wagen näher liegen sollte als Mutter Courage? Woher kommt da die Hierarchie der Deutungen, die die eine richtiger als die andere machen? Auch Dirk Pilz assoziiert übrigens Brecht, scheint also keine absolute Privat-Assoziation von Gambihler zu sein. Aber halt, das ist ja auch so ein dummer Kritiker...
Lieber J. Bauer (und noch mal: lieber Simon),
selbst wenn die Assoziation "Stones" nicht von Kruse INTENDIERT gewesen sein mag, Gambihler hat in diesem Don Juan ja offenbar auch einen "Alt-Erotomanen" à la Mick Jagger gesehen. Und das scheint doch gar keine so unsinnige Deutung, oder?
Was nervt, ist übrigens allein der extrem "besserwisserische" Ton, seine Formulierungen. Ich finde Herrn Simons Ausführungen auch durchaus interessant und überhaupt nicht unklug, aber sie treten mit einem solchen Alleingültigkeitsanspruch auf, dass ich, da kann ich mir nicht helfen, bloß Oberlehrerhaftigkeit ("Fehler"!) darin sehen kann.
So, das musste raus.
Nun also: Natürlich ist es Hose wie Jacke, ob der Mann Lemb oder Lemp heißt. Ihnen aber ist es daran gelegen, Herrn Gambihler Fehler nachzuweisen, weil Sie so seine Ihnen unliebsame Argumentation diskreditieren wollen. So einfach aber geht es nicht! Und Ihre Voraussetzungen, was ein "ehrlicher Kritiker" mitbringen müsse, laufen darauf hinaus, dass man immer den voreingenommenen Blick braucht, nämlich den des Regisseurs. Es kann aber auch ein frischer, unverbildeter Blick einiges zutage fördern, was dem Verbildeten verwehrt ist. Wohlgemerkt: kann! Beide Herangehensweisen haben ihr Recht, was zählt, ist das Argument. Und in dem spielen weder Dylan noch Lemp noch die Rolling Stones noch die Temptations eine große Rolle. Und vor allem nicht, was Kruse im Kreuzer protokollieren lässt.
dann lesen sie halt nicht mit, wenn sie sich gemissbraucht fühlen
so uninteressant ist das doch eigentlich gar nicht, was die da diskutieren. Schließlich geht's um die Kritiker-Wurst. Was sollen die, was sollen die nicht? Was erwartet man von Kritik? Insofern keine Privat-Diskussion, oder?
Aber jetzt könnte man in der Tat langsam mal wieder zu Kruses Inszenierung zurückkommen...
die Diskussion hier ist großartig, weil sie letztlich von so viel Leidenschaft für den Abend, fürs Theater zeugt! Was auch immer wer dazu und in welcher Form zu sagen hat! Bitte: ließe uns das alles kalt, würde schließlich keiner hier was schreiben.
Die Missverständnisse untereinander beruhen vermutlich darauf, dass man sich nicht von Angesicht zu Angesicht SAGEN kann, was man denkt und fühlt. Und so SCHREIBT man's halt. Dabei geht viel "Kommunikation", viel "Interaktion" verloren, so gesprächig auch alle hier agieren.
Wir meinen vermutlich alle ähnliches, aber sagen tut's keiner, und deswegen mäandert es letzten Endes geschmeidig-doof an Kruse und dem Abend vorbei...
Kruse-Abende bedürfen - salopp gesagt - mehrerer An- und Durchläufe (habe ich mir erzählen lassen von einer lieben Freundin, die nahezu alle seine Bochumer Arbeiten gesehen hat).
Und es war auch mein erster, aber offensichtlich habe ich mich besser informiert. Gambihler muss deswegen überhaupt nicht alle Arbeiten Kruses gesehen haben, um diesen Abend zu rezensieren, noch nicht mal eine!
Aber er muss seine Hausaufgaben machen! Was man ihm hier leider vorwerfen muss, ist schlussendlich mangelnde Recherchearbeit und damit - pardon! - unsauberes Handwerk.
Ich habe mich über die Starrheit geärgert, die in Gambihlers Zwischenzeilen-Trio - mit dieser Steigerung - lag: "Brechts Wagen, Kafkas Käfer, Jesus' Kreuz"! Das klingt, als ob hier kein Einspruch möglich wäre. Denn außer denn Genitiven stimmt hier nichts! Bei "Jesus' Kreuz" schallen hier alle Alarmglocken bei mir, mir schien seine Interpretation - erneut: pardon! - zu simpel! Als ob nur diese Lesart zulässig wäre!
Natürlich ist es auch arrogant von mir, ihm dann Deutungsalternativen unter dem Signet "Fehler" hinzurotzen. Aber wenn mich mal die Leidenschaft für irgendwas gepackt hat, dann aber...
Doch es stimmte auch einiges andere an dieser Kritik nicht, eben die missverstandenen Musikbezüge, die Musikquellen usw.
Und natürlich man muss nicht den Kreuzer lesen, um über Kruse informiert zu sein.
Es war lediglich das Medium, dass noch vor der LVZ über die kommende Premiere berichtete.
Aber in diesem Kreuzer-Interview hat Kruse gesagt, dass sein ursprünglicher "Nachtitel" für Don Juan eben nicht "Like A Rolling Stone" gewesen sei, sondern vielmehr die zweite Zeile: "Like A Complete Unknown"! Weil das besser passe.
Und genau deshalb stand dann auch das auf der Rückseite des kostenlosen Programmzettels zur Premiere, schön schwarz, fette Lettern: "Like a complete unknown/ with no direction home" (Bob Dylan).
Vermutlich hätte sich - wenn es wirklich "Don Juan (Like A Complete Unknown)" geheißen hätte - niemand an Gambihlers falscher Zuordnung abarbeiten müssen.
Kruses Zitatschatz (Text und Musik) ist offenbar sehr reichhaltig, da ist denn auch alles drin. Und EINE Denkart für das, was wir gesehen haben, gibt es ganz bestimmt nicht. Insofern mag (und vielleicht soll?) auch jeder sehen, was er will.
Trotzdem gibt es für mich hier bei nachtkritik einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Post eines Kritikers und dem eines Zuschauers. Das ist vielleicht sogar die Ebene Feuilleton vs Fanzine, wer weiß.
Und dass Gambihler das nicht mitdenkt, stattdessen hemdsärmelig deutet, ärgert mich einfach. Er muss doch nicht das ganze "Labyrinth" erklären, nochmals: das kann keiner verlangen, das will auch keiner.
Aber er sollte den Tellerrand FÜR SEINE LESER zumindest etwas offener gestalten. Einem zumindest das Gefühl geben, dass auch andere Deutungen machbar sind.
Haben wir uns jetzt wieder alle lieb? Hat das evtl. zur Aufklärung beigetragen?
Mit hochrotem Kopf noch folgendes: "Lemb" statt "Lemp" geht natürlich gar nicht. Sorry!
das ist ein sehr feines Statement, dieses nehme ich auf!
Danke für deine Größe!
Wir gehen lieber wieder in die Inszenierungen freier Theatergruppen, weil die sich Mühe um ihr Publikum geben und eine Inszenierung nicht als Selbstzweck ansehen.