Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen – Enrico Lübbe überblendet in Leipzig Aischylos und Elfriede Jelinek
Wo Fremde (keine) Zuflucht finden
von Tobias Prüwer
Leipzig, 2. Oktober 2015. Angst vor der Zwangsheirat treibt 50 Frauen aus ihrer Heimat Ägypten fort. Wo Schutz erflehen? Es bleibt ihnen nur der Weg übers Mittelmeer nach Griechenland. Vor knapp 2.500 Jahren machte Aischylos mit "Die Schutzflehenden" ein Geschehen zum Thema, das sich so auch in der Gegenwart noch ereignen könnte. Im Schauspiel Leipzig überblendet Enrico Lübbe diese Flüchtlingstragödie mit Elfriede Jelineks Aischylos-Bearbeitung "Die Schutzbefohlenen".
Göttlicher Schutz
Wie Donner hallt ein Klopfen, das von der Rückseite des geschlossenen eisernen Vorhangs herkommt. Davor ragt links eine halbierte rostige Röhre rampenartig in den Zuschauerraum, die an die Halfpipe der Skateboardfahrer erinnert. Immer wieder dröhnt der Bühnendonner. Dann hebt sich der eiserne Vorhang, in weißen Brautkleidern und mit an antike Vorbilder erinnernden Masken tritt der Chor der Schutzflehenden auf. Die Töchter des ägyptischen Königs Danos bitten in Argos buchstäblich um Asyl vor zudringlichen Freiern.
Ásylon hießen die Orte, wo Fremde Zuflucht fanden und direkt unter Zeus' Schutz standen. Pelasgos, der König von Argos, sieht sich vor einem Dilemma. Einerseits muss er aus heiligem Recht Asyl gewähren, andererseits fürchtet er einen möglichen Krieg mit Ägypten sowie den fremdenfeindlichen Unmut seiner Bürger. Die aber wollen trotz ihres Argwohns die Fremden aufnehmen, welche sich wiederum bemühen, möglichst wenig fremd zu erscheinen. So ist es bei Aischylos.
Für einen kurzen Actionmoment
In Leipzig erhält man nur eine Ahnung davon. Hinter ihren Masken sind die Männer, die hier die Frauen spielen, als Chor nicht immer gut zu verstehen, auch wenn das Sprachtiming perfekt sitzt. Es klappern die Töchter am laufenden Band: Weil sie sich in Holzpantinen über die Bühne bewegen, geht manchmal Pelasgos' Sprechpart unter, der von einer maskierten Frau dargestellt wird. Mehrfach bewegt sich der Chor geräuschvoll nach vorn und nach hinten im Bühnenraum, um – dann wieder stehend – die nächsten Verse zu intonieren.
Wie ein SEK seilen sich einmal die Verfolger ganz in Schwarz zu lautem Dröhnen für einen kurzen Actionmoment vom Schnürboden ab. Dann ebbt die Spannung im Aischylos-Teil schon wieder ab. Emotionen jenseits der zwei Mal den Zuschauerkörper kitzelnden Verstärkerbässe kommen nicht auf. Die Chor-Gestik beschränkt sich auf die Arme über den Kopf heben. Der durchgängig gleichbleibende Sprechrhythmus nimmt den Worten ihre Ausdruckskraft. Selbst wenn der Chor von der Rampe ins Publikum ruft, hat das nichts Unmittelbares. Doch die Steifheit dieser Karikatur antiken Theaters entspricht offenbar dem Inszenierungswillen.
Der Bruch dieses Dreiviertelstunden-Prologs erfolgt übergewaltig durch Musik aus dem Off. Teile fliegen aus der Rampe, wo ein Loch in Form eines gekippten Kreuzes entsteht. Jelinek macht, Aischylos kommentierend, Asylbewerber zum Thema, die ab Winter 2012 mit einer Besetzung der Wiener Votivkirche gegen ihre Abschiebung protestierten. Erfolglos.
Der Westeuropäer als Bratwurst
Diese Asylbewerber erscheinen in Leipzig als dynamischer Frauenchor. Mit Hang zur Eindeutigkeit wird gestikuliert, hin- und hergelaufen. Was als Text die Münder der Frauen verläßt, wird sogleich illustriert. Beim Sprechen über Anträge wedeln sie mit Papierstapeln. "Ja, ihr seid gemeint" wird unterstrichen mit dem kollektiven Fingerzeig ins Publikum. Bald zerfällt die Inszenierung vollends in einen revueartigen Nummernreigen aus Illustrationen zu Jelineks Text.
Das Elend der Flüchtlinge zeigt Lübbe, indem er den Chor auf blaue Müllsäcke bettet. Ein Mann schwebt als Anna Netrebko in rotem Abendkleid in einer Badewanne über die Bühne. Bald erscheint die nuttig gekleidete Tochter von Ex-Präsident Boris Jelzin vorm als Partymaus-Hintergrund herumwippenden Chor. Beide Frauen wurden als Flüchtlinge sofort in Österreich eingebürgert, was den Asylbewerbern aus der Votivkirche verwehrt bleibt. Als Skandalisierung will das nicht gelingen, so sehr schwelgt man in Freude über diese Regieidee. Auch wenn sich Bratwurst, Bretzel und Hot Dog in Sonnenstühlen fläzen und als Westeuropäer über die Grenzen der Freiheit auslassen, wirkt eher schal als eindringlich.
Starke Texte im Guckkasten
Dass die Inszenierung nicht heranreicht an den Zynismus gegenwärtiger Kommentare zum Flüchtlingsthema und das Elend, von dem täglich TV-Bilder zeugen, kann man ihr kaum anlasten. Die Beibehaltung des Chors als durchgängigen Handlungsträger, gegen den die selten agierenden Schauspieler Statisten bleiben, ist eine gute Idee Enrico Lübbes – zumal die Chöre als Sprechorgane handwerklich sehr exakte Arbeit leisten. Der Übergang zum Bewegungs- oder gar bewegenden Chor gelingt der Aneinanderreihung illustrierender Bilder der zwei an sich starken Texte im Guckkasten aber nicht. Emotionalität – hier hätte das Theater mit seiner ureigenen Kraft punkten können – bleibt ebenso auf der Strecke, wie der Versuch, beide Stücke mit einander zu verschränken und in Beziehung zu setzen. Diese Schutzflehenden auf der Bühne gehen den Zuschauer leider nicht viel an.
Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen
von Aischylos (Die Schutzflehenden) und Elfriede Jelinek (Die Schutzbefohlenen)
Übertragung Aischylos: Dietrich Ebener
Regie: Enrico Lübbe, Bühne: Hugo Gretler, Kostüme: Sabine Blickenstorfer, Licht: Ralf Riechert, Video: Kai Schadeberg, Dramaturgie: Torsten Buß, Leitung der Chöre: Marcus Crome.
Mit: Erik Born, Andreas Dyszewski, Ellen Hellwig, Loris Kubeng, Hartmut Neuber, Michael Pempelforth, Julia Preuß, Bettina Schmidt, Stefanie Schwab, Brian Völkner, Lara Waldow.
Chor: Birgit Blaßkiewitz, Heidemarie Brosig-Brill, Sabine Brückner, Antonia Maria Cojaniz, Katrin Cunitz, Jennifer Demmel, Lenore Dietsch, Anke Dück, Ulrike Feibig, Gabriele Freitag, Luise Kind, Jenny Kühl, Rosemarie Langberg, Birgit Morkramer, Carmen Orschinski, Brigitte Puhlmann, Katrin Rivera, Uta Sander, Mirjam Schneider, Jana Schroeter, Birgit Steiner, Susanne Zaspel; Martin Biederstedt, Frank Blumentritt, Jens Brosig, Ulrich Brückner, Len-Henrik Busch, Heiko Fischer, Johannes Fleischer, Florian Fochmann, Günther Heinicke, Marcus Herrmann, Christian Humer, Robert Keller, Tim Kranhold, Frank D. Krüger, Kai Müller, Michael Peter, Miloslav Prusak, Ingbert Puhlmann, Reinhard Schäfer, Klaus Schaffranek, Kay Schwarz, Ron Uhlig, Jörg Wesser, Sören Zweiniger.
Dauer: zwei Stunden, keine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
Kritikenrundschau
Ein ungenannter Autor schreibt in der Leipziger Volkszeitung online (3.10.2015): Regisseur Lübbe stelle beide Stücke mehr nebeneinander, als dass er sie verbinde. "Licht und Schatten" kämpften "mehr im Bühnenbild als im Text". - "Eine humanistische Utopie" nenne Lübbe den antiken Stoff," ein Gegengewicht, ein Hoffnungsschimmer zur Wut der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin" solle Aischylos sein, habe Intendant Lübbe erklärt. "Dieses Gewicht erlangt es kaum". Zu "lose" sei die Verbindung zu" Jelineks Sprachspielereien und Wuttiraden über die Ignoranz" gegenüber dem anonymisierten Leid der Flüchtlinge. "500 Zuschauer sind zur Premiere am Freitag gekommen, ihr Applaus für die mit Klischees und Bildern überfrachtete Inszenierung fällt gemischt aus. Jubel trifft auf viele Höflichkeitsklatscher."
Dazu im Gegensatz schreibt Dimo Riess In der gedruckten Leipziger Volkszeitung (5.10.2015): Um Fragen und Selbstbefragungen gehe es der Inszenierung, im Jelinek-Teil um die Frage, "warum ein humaner Umgang mit Flüchtlingen so schwer ist". Zunächst erscheine die Inszenierung "nüchtern und dem Text verpflichtet", "erwartbar", wie von Lübbe gewohnt bislang, die Figuren "schlüssig aber eindimensional umgesetzt". Im Jelinek-Teil werde die Bühne dann aber vergleichsweise zum "Ort des Übermuts", wie "angesteckt von den fortwährenden, mal treffenden, in ihrer Penetranz bisweilen nervenden Sprachspielereien Jelineks". Insgesamt ein Abend, "mitunter harmlos zwar, aber letztlich gut austariert zwischen Nachdenklichkeit, Schauwert, und der Ästhetik des Chores". Ein Abend, der gerade deshalb dem "komplexen Thema" angemessen sei, weil er auf "ein Gut-Böse-Schema" verzichte, sich mit Anklage zurückhalte, "weil er Antworten sucht und nicht gibt". Und "berührt".
In der Leipziger Internet-Zeitung (3.10.2015) schreibt Martin Schöler: Es handele sich um die "bislang politischste Inszenierung" von Enrico Lübbe in Leipzig. Lübbe nutze die Aischylos-Tragödie "gleichermaßen zum Spannungsaufbau und als Triebfeder, um dem Zuschauer den gewaltigen Gehalt des Jelinek-Textes zu vermitteln". Der Abend treffe den "sächsischen Zeitgeist". Lübbe begehe nicht den Fehler, "Jelineks Anklageschrift gegen die rassistische Asylpolitik in Österreich", Flüchtlingen in den Mund zu legen. Ganz bewusst lasse er die Wutrede bei der Autorin. "Von Humanismus und Nächstenliebe fehlt in Jelineks Text jede Spur." - "Julia Preuß, Bettina Schmidt, Hartmut Neuber und Michael Pempelforth nehmen als Bratwürste, Hotdog und Brezel verkleidet im Vordergrund auf Liegestühlen Platz, um über die Krise zu lamentieren. 'Was werden sie morgen verlangen?' 'Wenn sie erstmal da sind, liegen sie uns auf der Tasche.' Alltagsrassismus trifft Menschenverachtung. Die Schlüsselszene des Abends."
Claudia Euen schreibt in der Sächsischen Zeitung aus Dresden (6.10.2015): Enrico Lübbe treffe mit dieser Doppelpremiere "eindrucksvoll den Nerv der Zeit". Leider verzahne er die beiden Stücke weniger, als dass er sie nebeneinander stelle. Der Chor brilliere durch "handwerklich hochkarätigen Sprechgesang", der den "theoretisierenden Text quasi in die Köpfe der Zuschauer hämmert". Das "Emotionale" aber bleibe so auf der Strecke. "Mit erhobenem Zeigefinger deuten die Asylsuchenden auf das Publikum. Die Auseinandersetzung mir uns selbst aber funktioniert nur selten durch Schuldzuweisung." Die eigentliche Botschaft verliere dadurch zwar an Wucht, bleibe aber "bedeutsam". Denn "die Utopie der Vergangenheit und die Realität der Gegenwart" spiegelten schmerzhaft unser "menschliches Versagen".
In der Süddeutschen Zeitung (7.10.2015) berichtet Helmut Schödel, Elfriede Jelinek habe für ihre "Schutzbefohlenen" eine "Verquickung der Szenen" mit Aischylos "Schutzflehenden" nicht erlaubt. Wie man sehe, habe das Stadttheater "durchaus die Fähigkeit, drastisch zu argumentieren, wenn die Theaterleute ihr Handwerk beherrschen". So habe die Leipziger Aufführung "den Bogen vom antiken Ritus zum heutigen Chaos, von der göttlichen Regel zur politischen Improvisation, von einer wertebewussten Gesellschaft zur Modernisierung eines Dilemmas" geschlagen. Im Jelinek-Teil bemühe sich Lübbe, "auf den immer auch ironischen Gestus von Jelineks Schreiben einzugehen, das sich über Wortspiele als Motor in die Stoffe bohrt". Der Abend zeige neben dem Chor auch durch die Schauspieler "große Wirkung und sei "zu Recht bejubelt" worden.
"Plötzlich ist das Theater doch die moralische Anstalt, für das die Leute an der Kasse sogar Schlange stehen", schreibt Joachim Lange in der Mitteldeutschen Zeitung (20.10.2015). Lübbe mache aus den Stücken des alten Griechen und der gegenwärtigen Österreicherin ein atemberaubendes Ganzes.
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Es ist doch so durchschaubar, Herr ELB, dass Sie das sehen, was Sie sehen wollten. Und das Sie es noch gar nicht gesehen haben.
Ich erlebte in der Premiere ein Publikum (inklusive mich), dass stehend applaudierte, weil der Abend eben nicht "Einfühltheater" war oder politisch korrekt sein wollte. Die Inszenierung vermochte alle, ich unterstreiche, ALLE Klippen, die dieses Thema momentan für die Theater aufwirft, klug zu umschiffen. Keine realen Refugees auf der Bühne. Keine mitfühlenden Schauspieler. Bildgewaltig, sprachgewaltig, rhythmisch, musikalisch perfekt. Mit einem gigantischen Herren- und Damensprechchor!
Er zeigte viele Theaterstile - vom antiken Masken-Sprachtheater - bis zum Würstchenchor und Anna Netrebko in der Badewanne genial miteinander vermixt.
Am Ende, wenn die Bühne einem Trümmerfeld gleicht, enthüllt sich Frau Netrebko zum Mann, hüllt sich in eine Decke und wird von einem sakralen Requiem zugeschneit! Was für ein BILD!!! Und dann gehen die Saaltüren auf und 100 Männer stimmen mit ein. Solche Momente erlebe ich selten im Theater.
Ich bin völlig ausser Atmen vor Begeisterung bei Schreiben dieser Zeilen! Ein Hoch auf diese Inszenierung, eine unglaubliche Schauspieler- und Chorleistung. Und, ja auch, danke für die politische Haltung des Schauspiel Leipzig. Die eben nicht behauptet, es besser zu wissen oder es vorher geuzt zu haben, wie "ihr Bekannter"...
http://mephisto976.de/news/flucht-auf-rostig-roter-rampe-52051
Die große Entdeckung bei Lübbe ist der Aischylos-Vorspann. Was der König dort für ein Problem bekommt (und das wird auch toll gespielt), ist eine Dimension, die im Jelinek-Text so nicht zu finden ist. Wofür entscheide ich mich?! Gegen die Götter? Gegen Menschenrecht? Gegen den Staat?
Und was mich faszinierte, mit welcher Leichtigkeit Lübbe dieses komplexe Thema (dann im Jelinek-Teil) erzählt. Da wurde (!) und durfte (!) ja auch mal gelacht werden. Gott-sei-Dank! Weil: wir müssen im Theater nicht auch noch jeden Tag so tun, als ob gerade die Welt untergeht. Mein Gott, wir stehen gerade vor einem großen Problem, das aber lösbar ist. Und die Theater (siehe Steemann oder Thalheimer) hängen sich gerne an die Schlimmschlimm-Stimmung dran. Und alle nicken betroffen - aber das Theater bleibt doch das Theater. Mit seinen begrenzten Mitteln, die Weltpolitik zu verändern. Das ist nun mal so. Und auch nicht schlimm. Und das habe ich im Lübbe-Abend auch gesehen. Er tut erst gar nicht so, als wollte oder könnte er die Welt verändern. er beleuchtet sehr differenziert viele Facetten - im Gegensatz zu Stegmann (einzige Inszenierungsidee: reale Flüchtlinge) und Thalheimer (einzige Inszenierungsidee: Texte brüllen) - und ließ mich über viele Dinge nachdenken und sie neu anhören. Aber kaute mir nicht noch einmal seine eigene Betroffenheit oder politische Haltung vor. Das macht Lübbe als Intendant dann schon damit, dass er groß ans Theater das Goethe-Zitat über den Schutz der Fremden malt. Und an der Stelle ist es auch richtiger als auf einer Theaterbühne. Glückwunsch an die Leipziger.
Eine Inszenierung und eine heutige Aufführung, die wirklich gesehen werden sollte. Bravo!
Egal: ich kann nur allen empfehlen, selber sich ein Bikd zu machen! Und der Applaus, die stehenden Ovationen im ausverkauften Haus gestern Abend haben Gott sei Dsnk gezeigt, dass sich das Publikum von der NACHTKRITIK nicht beeinflussen lässt. Großer Abend!
das ist bösartiger Quatsch, den sie da schreiben. Was wurde denn bebildert, was eh schon da war? Haben Sie Flüchtling/e auf der Bühne gesehen oder einen Schauspieler, der einen Flüchtling spielen wollte?! Wo wurde gesagt, dass eine Operndiva mit Badewanne über die Bühne schwebt? Wo wurde von einem Chor von tanzenden Ski-Nutten gesprochen? Und traten nicht genau dann die Aischylos-Masken wieder auf?! Also in meiner Vorstellung war das so?! Der Übergang, den #9 beschreibt, war für mich: die Jungfrauen hängen ihre Brautkleider auf, die sich zu einer Wolke, dann Projektionswand verformen, auf der später Frau Jelinek erscheint und der letzten übrig gebliebenen Chorfrau sagt, freu dich nicht so früh, schauen wir mal was 2015 passiert (oder so ähnlich) und dann tröpfelte es Textblätter und Textstimmen von Jelinek, die von einem Chor von Jelinek-Hyänen überrannt wurden. Vielleicht waren sie ja in einer anderen Aufführung?!
Frau Jelineks Text mag 2013/2014 seine Berechtigung haben, aber dass er jetzt an Aischylos angehängt wird, macht ihn in seiner Umsetzung am Schauspiel Leipzig noch plakativer und oberflächlicher. Es werden samt Klischees bedient, Tatsachen illustriert, Anklagen und Beschuldigungen erhoben, alles sehr einseitig, als wenn die Deutschen in großer Mehrheit nicht doch in jüngster Vergangenheit bewiesen haben, dass hier nicht alle böse, ignorant, wohlstandsgeil, rassistisch sind. Ein Theater sollte auch Respekt vor seinen Zuschauern haben. Aber darüber hinaus sind auch die Flüchtlinge, die Schutzsuchenden keine "Masse", sondern Menschen mit sehr unterschiedlichen Schicksalen und Zukunftswünschen, Bedürfnissen und Absichten. Vielleicht bin ich so ärgerlich, weil ich fast täglich sowohl mit Betroffenen als auch engagierten Menschen, nicht nur Deutschen, zu tun habe.
Ich verstehe ihre Verärgerung gar nicht. Mir ging es genau anders herum. Auch ich habe täglich in der Messehalle und Grube-Halle mit Flüchtlingen zu tun. Und die Leistung des Abends war gerade für mich, meine Bilder und Erfahrungen nicht noch mal zu zeigen. Genau andersherum. Die Aufführung stellte für mich viele Fragen und Gedanken noch einmal ganz neu dar und ließ mich Dinge, die mir alltäglich schienen, neu denken!
Ich bin Lübbe unendlich dankbar, nicht in den ganzen Flüchtlingskitsch eingestiegen zu sein, den hier viele gerade veranstalten (wollen). Der Theaterabend ist für mich sehr ehrlich - und weise. Weil er Fragen stellt. Und keine Antworten behauptet, die ich, die jeden Tag vor Ort bin, auch nicht mehr beantworten kann.
könnten Sie ganz konkret die Fragen formulieren, die sich nach dem Theaterbesuch bei Ihnen plötzlich stellten, welche Offenbarungen haben Sie erhalten? Da wäre ich sehr dankbar, denn vielleicht stellt sich auch bei mir dann eine Erleuchtung ein...
Da wird einem echt kalt!
Diskothek und Residenz aber inzwischen allet dufte?
Es ist schon erstaunlich, welche große Nachwirkung Sebastian Hartmann 2,5 Jahre nach seinem Abschied noch bei einigen Leipzigern hat. Das soll sein Nachfolger erst mal schaffen.
Das aktuelle Theater in Leipzig wirkt dagegen wie Dienst am Kunden. Im großen Saal werden die Texte leicht verständlich auf die Bühne gebracht, ohne dass sich jemand aufregt und die Zuschauer zufrieden nach Hause gehen. Und die Uraufführungen in der Diskothek wirken häufig so, als zeigt man sie, damit man viele Uraufführungen abrechnen kann.
Und um mögliche Spekulationen aus dem Weg zu gehen, ich bin nicht Herr Pannicke und kenne ihn auch nicht. Finde aber auch, dass der „Sommernachtstraum“ und „Und dann“ die besten Inszenierungen
in der Intendanz von Herrn Lübbe sind. Über den Rest möchte ich schweigen.
Ich habe die Schutzflehenden zwar noch nicht gesehen, muss dann aber doch mal eben der Unterstellung widersprechen, dass ich (oder Thomas oder EJB) gern "allein im großen Schauspielhaussaal" säßen bzw. gesessen hätten. Leere Häuser sollte man weder den Akteuren noch den Zuschauern wünschen (und wenn überhaupt, dann hätten sich diese ein paar unserer schönen neuen Leipziger Abiturstoff-to-go-Textaufsage-Abende redlich verdient).
Ich bleibe neugierig auf den Flüchtlingsabend - denn hier streiten die Geister spannenderweise mal über die erstaunlich eingefahrenen pro-und-contra-Hartmann-Fronten hinweg!