k. - Schauspiel Leipzig
Zoon Zoomicon
von Falk Schreiber
Leipzig/Hamburg, 4. April 2020. Wind pfeift über die feindliche Schneelandschaft, Musik dräut, minutenlang. Durch diese unangenehme Welt zieht ein Wanderer, der zunehmend die Orientierung verliert, der keinen Bezug mehr zu seinen Mitmenschen hat. Es ist k., der bald einer abweisenden Dorfgemeinschaft gegenübersteht: Im Schloss oberhalb des Dorfes wird ein Landvermesser gesucht, und k. plant, diese Rolle einzunehmen. Aber ob k. tatsächlich Landvermesser ist, bleibt unklar. Womöglich hat die Dorfbevölkerung recht, wenn sie dem Neuankömmling vorwirft, ein Hochstapler zu sein.
Wenn das Internet ächzt
Philipp Preuss’ Kafka-Inszenierung "k.", die ursprünglich als "Das Schloss" fürs Leipziger Schauspiel entwickelt und im Zuge der Corona-Pandemie über das Konferenztool Zoom ins Internet verlegt wurde, bleibt inhaltlich nah am aktuell viel auf die Bühne gebrachtem Roman (erst Mitte Februar inszenierte Viktor Bodo eine Fassung am Hamburger Schauspielhaus). Allerdings bricht sie nach ungefähr einem Drittel der Vorlage ab: "k." ist als insgesamt vierteilige Serie angelegt, jede Woche wird die Handlung weitergeführt, das Schauspiel Leipzig hat "weitere Texte Franz Kafkas" zur Ergänzung angekündigt.Was noch spannend werden könnte: Die erste Folge jedenfalls findet zwar stimmige Bilder für den "Schloss"-Stoff, bleibt aber so dicht am schon mehrfach stimmig bebilderten Stoff, dass man sich fragt, wo der Mehrwert der aufwendigen Internet-Produktion eigentlich liegt.
Immerhin, über die erschwerte Kommunikation lässt sich ein Zugang erschließen: Nach und nach wird k.s Problem deutlich, dass er nicht wirklich kommunizieren kann. Jedes Gespräch mit seinen Auftraggebern läuft über den Boten Barnabas (Markus Lerch), aber der wirkt zeitweise wie eine Instanz zur Kommunikationsverhinderung, wenn nicht aus Berechnung, dann doch zumindest aus Unvermögen. Und vielleicht ist die Kommunikation in der Pandemie-bedingten Isolation ja vergleichbar schwierig: Einen Arbeitsalltag mit Programmen wie Zoom zu organisieren, das ist kein Vergnügen, zeigt die Leipziger Inszenierung. Zumal die vielschichtigen Hintergrundvideos viel Bandbreite beanspruchen und das Internet zumindest zu Stückbeginn schwer ächzen lassen.
Isolation als Gruppenerfahrung
Über das Kommunikationsmotiv hinaus nutzt Preuss die Zoom-Eigenarten aber wenig. Tatsächlich ist "k." mehr statischer Film als echtes Netz-Experiment: Als Zuschauerin darf man ausschließlich konsumieren, was auf dem Zoom-typisch in mehrere Screens gesplitteten Computerbildschirm passiert – ins Geschehen eingreifen kann man nicht.
Andererseits: Was sollte man auch machen? Selbst die Figuren haben keine Chance, irgendwelchen Einfluss zu nehmen. Wie k. erfolglos nach Handlungsoptionen sucht, ist im Grunde das Zentrum von Kafkas Roman. Insofern hat Preuss den Stoff schon gekonnt im Griff, auch wenn die Produktion so haarscharf an den Möglichkeiten des Internets vorbeirauscht. Der neue Mensch "Zoon Zoomicon", der laut Dramaturgieangaben als ausschließlich in Chatplattformen sich bewegendes Wesen im Entstehen sein soll, bleibt Behauptung.
Zum Schluss mündet die Auftaktfolge in einen Cliffhanger: Die das gesamte Stück über spürbare passive Aggression droht, in echte Gewalt umzuschlagen, Hunde knurren, das Ensemble fletscht die Zähne, und Kornelius Heidebrechts mollige Klavierakkorde machen Platz für schneidenden New Wave. Dazu singt Ian Curtis "Isolation" – was einerseits einen Landvermesser beschreibt, der nicht in Kontakt zu seiner Umgebung treten kann, andererseits ein Theater, dem die Ausgangssperren den Kontakt zum Publikum verunmöglichen.
k.
ein Internet-Projekt nach Texten von Franz Kafka
Regie: Philipp Preuss, Kostüme: Eva Karobath, Video/Moderation: Konny Keller, Musik: Kornelius Heidebrecht, Dramaturgie: Georg Mellert.
Mit: Alina-Katharin Heipe, Roman Kanonik, Anna Keil, Andreas Keller, Markus Lerch, Marie Rathscheck, Felix Axel Preißler, Annett Sawallisch.
Premiere am 4. April 2020
Dauer: 35 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
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nachtkritikvorschau
Der erste Teil der „K.“-Serie folgt dem Protagonisten zu sanfter Klaviermusik durch einen Schneesturm. Das Format steckt sichtlich noch in den Kinderschuhen, die Bilder ruckeln gewaltig, vom Live-Theater-Erlebnis oder der Bildqualität eines Kinoabends ist dieses aus der Not geborene Experiment noch weit entfernt.
Das Publikum ist eingeladen, den „K.“ beim Herumirren zu begleiten und mitzuerleben, wie sich das Schauspiel Leipzig an neue Live-Formate im Netz herantastet. Vielleicht reift das Projekt in den kommenden Wochen noch heran.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/04/04/k-philipp-preuss-nach-kafka-schauspiel-leipzig-kritik/
Vielleicht sollten die vielen von Steuergeldern durchfinanzierten Theaterfürsten, denen als erstes einfällt (in einer für viele existentiell bedrohlichen Situation) unter Berufung auf "höhere Gewalt" ihre Gäste an den Theatern nicht bezahlen zu wollen (...) über solche Formate intensiver nachdenken. Zum Einen hat man die Möglichkeit weiter zu arbeiten und seine Zuschauer*innen zu erfreuen. Zum Anderen wirkt es einem Vergessen entgegen und ist eine Möglichkeit "die Wirklichkeit (weiter) unmöglich zu machen"... Vielen Dank an Philipp Preuss und sein Team.
Für die Nichtbezahlertheater in Deutschland schlage ich frei nach Heiner Müller folgendes vor, diese Theater ein Jahr zu schließen. "Man kann die Leute weiter bezahlen, sie werden sowieso bezahlt. Aber ein Jahr lang gibt es kein Theater... man merkt ob da was gefehlt hat und ob es überhaupt fehlt..."
(...) Die ganzen Nichtbezahler würden mir nicht fehlen... Schämen sollten die sich.
(Anm. der Redaktion: Aus diesem Kommentar sind zwei Anwürfe gegen Intendanten entfernt worden, die einer eingehenden Recherche samt Gewichtung der Positionen bedürfen, die wir in diesem Umfang aktuell nicht leisten können. Wir haben das Thema aber im Blick. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)