Lazarus - Schauspiel Leipzig
Ritt auf der Retrowelle
von Tobias Prüwer
Leipzig, 15. Juni 2019. "We can be heroes just for one day / We can be heroes..." Licht aus. Der halbe Saal steht, der ganze jubelt. Licht an und auf der Bühne zeigen sich erleichterte Gesichter. Das Ensemble meistert David Bowies "Lazarus" mit handwerklicher Bravour. Hubert Wild gibt einen zünftigen Regieeinstieg in Leipzig. Und das Schauspiel hat sein eigenes Pop-Musical. Alle Erwartungen wurden erfüllt, tschaka, und gemeinsam klatschen Publikum und Schauspielende zum Schlussbild rhythmisch mit, ein Pärchen schwingt Bowie-Shirts wie Fahnen über den Köpfen: Helden für einen Tag.
Unsterblich und unglücklich
Routiniert zündet auch in Leipzig die Bowie-Rakete, die den Alien nach Hause bringen soll. Der Popstar spielte 1976 im Film "The Man Who Fell to Earth" die extraterrestrische Figur des Thomas Jerome Newton. Er findet keinen Weg zurück auf den Heimatplaneten, also geht er den Weg des Irdischen und wird durch Technikpatente reich. Allerdings kann er nicht sterben. Deswegen weist er seine Geliebte Mary Lou zu ihrem Schutz von sich, sie soll nicht leiden, und vegetiert Gin-trunken vor sich hin.
Daraus machte Bowie zusammen mit dem Dramatiker Enda Walsh 30 Jahre später das Musical "Lazarus". Im Zentrum steht eben der siechende Newton, um ihn dreht sich alles. Manchmal erscheint eine imaginäre Frau als Dialogpartnerin beziehungsweise Erzählerin seiner Story. Das vermischt sich mit Momenten, die entweder aus der Vergangenheit stammen oder Newtons Kopfgeburten sind. Das ist nicht zu entscheiden, aber auch nicht wichtig. Denn die Geschichte ist dünn und dünner.
16 Bowie-Songs bilden das Gerüst des Abends, und das ist der Grund, warum der Abend zündet. Alle sind Gassenhauer, haben den Rhythmus, bei dem man immer mit muss. Das ist bereits das grundlegende Kalkül bei "Lazarus": Es ist halt ein Musical einer Popikone. Und weil sich dieses um das Thema Sterben, Ableben und Hinterlassen dreht, spickt Bowies Krebstod kurz nach der Uraufführung 2015 die Produktion noch mit dem "Drama, baby"-Aufmerksamkeitseffekt, den die Popmaschinerie so liebt.
Bunte 70er-Verklärung
In Leipzig mäandern die Spielenden über und durch ein Bühnengestell, das eine Mischung aus Laufsteg und Rampe, Showtreppe und Techniktraverse ist. Unten ist eine Bar verbaut, nebenan hat die Liveband ihren Platz. Die trumpft ordentlich auf, wobei Bowie-Songs für ausgebildete Musiker nun auch nicht den Härtefall darstellen. Leider war der Ton bei der Premiere für ein Popkonzert zu leise.
Den Experiment-Charakter von einst hat die Musik verloren, die damit aber zum Charakter der Gesamtinszenierung passt. Die Show setzt auf viele visuelle Effekte, insbesondere geschickte Lichtinszenierungen, ist ansonsten aber harmlos. Hauptsache Quietschig-bunt hat sich Regisseur Wild wohl gedacht. Bunt sind Licht, Kostüme, Haare, Konfetti und Luftballons – alles ist auf 70er gebürstet. Ein eigener konzeptioneller Zugriff lässt sich nicht erkennen, zwischenzeitlich sieht sich der Abend wie ein musealer Ritt auf der Retrowelle an.
Die Darstellendenleistung nötigt Respekt ab. Kletter- und Tanzeinlagen haben akrobatische Ausmaße. Die zwischen die Songs geschalteten Spielszenen gehen jedoch unter, was auch daran liegt, dass sie durch Mikros gesprochen werden. Dadurch wird die Sprache indirekt, fehlt die Richtung. Man merkt den Szenen ihre Rolle als bloßer Übergang zum nächsten Liedchen an.
Schwelgen ist auch Gefahr
Gesanglich gibt es – für den Theaterkritiker, der Laie im Musiktheater ist – nichts zu meckern. Leider bleibt Christopher Nell mimisch etwas blass. In Gesang und besonders in ihrer Körpersprache glänzt sein Gegenüber Anna Keil als das Mädchen wie ein Stern. Ihre kleinen Zuckungen, Drehungen, Körperwiegen und Kopfbewegungen sind von besonderem Ausdruck, da klingt mehr an als typische Musicaldarstellung. In dieser Hinsicht ist Dirk Lange hervorzuheben. Gut, sein schwuler Satansbraten Valentine ist nur dafür gemacht, dermaßen drüber zu sein. Aber das wären auch andere Figuren. Lange agiert so überschießend mit gestelztem Gang, großem Gestus und grimassierendem Gesichtsspiel, dass er zugleich auch eine Musical-Parodie ist. Er bringt das Publikum in Wallungen und legt zugleich eine ironische Spur, dem perfekt inszenierten Unterhaltungs-Tam-Tam doch nicht einfach so auf den Leim zu gehen. Bei ihm ist eine leise Warnung zu spüren, Pop als Masseninszenierung nicht einfach hinzunehmen, davor, dass bloßes Schwelgen auch Gefahren beinhaltet. Nur: Er ist allein damit.
Denn jede Auseinandersetzung lässt die Leipziger Inszenierung vermissen. Da wird eins zu eins ein Musical inszeniert – mit perfekten Musicalmitteln. Warum das in einer Stadt, zu deren städtischen Kulturbetrieben Oper und Ballet und mit der Musikalischen Komödie noch eigens ein Haus fürs leichtere Musiktheater zählt, am Stadttheater geschieht, steht in den Sternen. Vielleicht wollte man auch einfach mal bedenkenlos eine Rakete fürs Repertoire zünden.
Lazarus
von David Bowie & Enda Walsh nach dem Roman "The Man Who Fell To Earth" von Walter Tevis
Deutsch von Peter Torberg
Regie: Hubert Wild, Musikalische Leitung: Stephan König, Bühne: Susanne Münzner, Kostüme: Dagmar Elizabeth Mecca, Video: Heta Multanen, Dramaturgie: Georg Mellert, Choreographie: Salome Schneebeli.
Mit: Christopher Nell, Tilo Krügel, Luise Schubert, Thomas Braungardt, Julia Zabolitzki, Christine Fischer, Daniela Keckeis, Enis Turan, Anna Keil, Dirk Lange, Brian Völkner. Musiker: Stephan König, Melchior Walther, Frank Nowicky, Matthias Büttner, Lars Kutschke, Georg Spieß, Jacob Müller, Dominique Ehlert.
Premiere am 15. Juni 2019
www.schauspiel-leipzig.de
Mehr Lazarus-Inszenierungen: Matthias Hartmann inszenierte im Februar 2018 in Düsseldorf die deutschsprachige Erstaufführung von David Bowies und Enda Walshs Musical. Falk Richter inszenierte im November 2018 am Schauspielhaus Hamburg mit dem großartigen Alexander Scheer in der Hauptrolle.
"Die Bowie-Klassiker strukturieren den Abend, spielfreudig umgesetzt von der Live-Band, vom Publikum zunehmend mutig beklatscht. Allzu kühne Interpretationen dürften schon an den Rechteinhabern scheitern", schreibt Dimo Rieß in der Leipziger Volkszeitung (17.6.2019). "Trotzdem nutzt der Abend, der zur Premiere noch mit Soundproblemen zu kämpfen hatte, Spielräume." Das "gut performte Musical" dürfte, so Rieß, ein Publikumserfolg werden.
"Für das Leipziger Schauspiel dürfte das Musical ein Zuschauer-Magnet werden", meint auch Matthias Schmidt auf MDR Kultur (17.6.2019). Die Inszenierung schaffe es, Bowies Musik sehr professionell und mitreißend zu präsentieren: "Das ist kein Stadttheater-Musical, sondern wirklich erste Liga!" Vor allem Christopher Nell als Thomas Newton versuche spielerisch, David Bowies Exzentrik durch den gesamten Abend zu ziehen. "Er singt nicht nur, er spielt den Bowie und hält das sogar durch, als sein Mikroport ausfällt und man ihm ein Handmikrofon reichen muss. Sehr sehenswert!" so Schmidt. "Die Kostüme sind schrill, auch daran sieht man, dass das Konzept auf Show setzt und nicht auf Kammerspiel." "Lazarus" bleibe trotzdem "im wesentlichen Unterhaltung, aus der dann jeder mehr machen kann, wenn er mag. Zum Beispiel wieder mehr Bowie hören, was ja auch kein schlechtes Ergebnis ist."
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Insbesondere die drei Hauptdarsteller sind meiner Meinung nach positiver hervor zu heben Gesang und Spiel waren fantastisch.
Christopher Nell als Newton gab seiner Interpretation von Bowie eine eigene Note, die Spaß macht ihm zuzuschauen, Gänsehautmomente beim ersten Song von Luise Schubert als Elly ist garantiert, eine so glasklare Stimme mit dem nötigen Charakter der zu Bowie‘s Werken passt selten in einem Theater erlebt.
Ein weiterer Gänsehaut Moment erster auftritt Valentine eine stimmige Gesamtkomposition aus Kostüm, Licht, Charakter des Schauspielers und man kann allen nur empfehlen sich das anzusehen
Es erinnern nur Bühnenbild und Beleuchtung an das Flair des eines Stadttheaters.
Ich habe mehrere Lazarus Aufführungen gesehen und bis jetzt ist die Leipziger die mit Abstand beste.
Aus Leidenschaft für Kunst und Kritik
Die gesamte Situation Newtons, v.a. dass er nur mit seinen eigenen (Alp-)Traumgestalten konfrontiert ist, wird immer wieder verbalisiert; dies trägt sehr zum Verständnis der an sich verworrenen "Handlung" bei. Einzig der Inhalt und die Funktion der Video-Sequenzen hat sich mir nicht erschlossen; da sie (oft?) parallel zum Bühnengeschehen laufen, kann man sie teils nur als Hintergrundrauschen wahrnehmen. Schade drum.
Nun zur Darstellung: Christopher Nell als Newton hat diese Rolle mit extremer Präsenz gespielt, ständig erfährt man seine Verzweiflung durch Gestik, Mimik, vielfältige Bewegungen. Dies habe ich sogar aus großer Entfernung wahrgenommen. Es ist mir unbegreiflich, wie man das übersehen und seine Leistung lakonisch als "mimisch etwas blass" kommentieren kann. Was an Anna Keil zu Recht gelobt wird, kann man wortwörtlich auch auf ihn münzen. Er zeigt eine ausgefeilte, souveräne, rollengerechte Körpersprache mit irren Akrobatik-Einlagen. Und er war kein Bowie-Double, sondern stets Newton, was Matthias Schmidt genau richtig formuliert.
Die anderen Darsteller fand ich ebenfalls überzeugend, jede(r) auf seine Art. Und alle konnten wirklich gut singen! Die Funktion jedes Einzelnen bleibt manchmal etwas dunkel (was soll dieses Taxi-Pärchen rüberbringen?) - aber das ist Sache der Geschichte.
Bleibt die Frage nach dem Inhalt, der Message, dem "Bowie-Künstler-Vermächtnis" .... Tja, der Stoff ist vorgegeben und eine direkte Handlung gibt es nicht - was bleibt, ist die künstlerische Umsetzung des Zustands, der Phantasmen, der Wahnvorstellungen des Protagonisten - all das fand ich gut geleistet mit einem spektakulären Schlussbild.
Und natürlich stimmt es, dass die Songs die Kernpunkte und Highlights sind - aber so what:
Ein Musical ist ein Musical ist ein Musical ....und ich kenne kein Musical, das zugleich seine eigene Parodie ist und keins, das nicht "harmlos" ist.... Das Genre hat seine Grenzen, und wer sich nicht darauf einlassen will, soll sich eine Oper, ein Oratorium, ein Sprechtheaterstück oder ein filmisches Biopic zu Gemüte führen! Aber kein Musical.
Es war wieder einmal eine Inszenierung der inhaltlichen Leere, welche übertüncht wurde mit Effekthascherei. Die bloße (Show-)hülle anstatt Theater, das etwas will. (...)
Das Leipziger Publikum verdient mehr als das.