Jelisaweta Bam - Theater Zwickau-Plauen
Dem Terror eine Nase gedreht
2. Februar 2024. Vor 82 Jahren starb der sowjetische Autor Daniil Charms in einem Leningrader Gefängnis. Mehrfach denunziert, war er Opfer von Stalins Terrormaschinerie geworden. Charms selbst ist heute fast vergessen, sein einziges Stück aber gilt als Klassiker des Absurden. Regisseur Carlos Manuel hat es nach Plauen geholt. Eine Heldentat!
Von Michael Bartsch
2. Februar 2024. Lohnt es sich, bis in die Vogtlandhauptstadt Plauen zu fahren, um quasi einer archäologischen Ausgrabung eines nur noch Theaterprofis bekannten, versponnenen russischen Autors beizuwohnen? Wer im einstigen Sowjetimperium zur Schule ging, kennt immerhin noch seine vor Fantasie überquellenden Kindergedichte. Und auf Youtube kann man einen russischen Kurzfilm mit Illustrationen dieser Gedichte abrufen. Der Plauen-Zwickauer Generalintendant Dirk Löschner erinnert sich noch an eine Aufführung von Charms einzigem 1928 uraufgeführtem Theaterstück "Jelisaweta Bam" im Berliner Theater unterm Dach kurz vor Ende der DDR, ebenfalls in Berlin war es vor rund sechs Jahren am Maxim Gorki Theater zu sehen.
Nun also auf der Kleinen Bühne in Plauen. Auf den ersten Blick nichts Spektakuläres. Ein riesiger Schrank in der Mitte erweist sich beim Öffnen als ein spießiges Minizimmer mit Blümchentapete, lässt sich später in einen Kiosk umfunktionieren. Multifunktionell wird auch eine halbschräge, mit Goldfolie bespannte Gerüstwand eingesetzt.
Ein noch nicht begangener Mord
Wichtigstes Arbeitsmittel ist ein Flügel, von dem aus Sebastian Undisz mit zwei einsamen Skalp-Locken auf dem kahlen Haupte treffliche Szenenmusik improvisiert, um dann selbst immer wieder in die Szene einzusteigen. Bis hin zu einem an Monthy Python erinnernden ritterlichen Zweikampf, mit dem er "seine" Tochter, Zimmermädchen und Titelheldin Jelisaweta retten will.
Jelisaweta nämlich, von handfester russischer Anmutung, soll von den Schergen Pjotr und Iwan wegen eines angeblichen Mordes verhaftet werden, der aber erst noch stattfinden wird. Sie hat Angst, schließt sich ein. Ein Generalmotiv von Daniil Charms, obschon zu diesem Zeitpunkt Stalins große Terrorwelle erst im Anrollen war.
Scherz, Satire, Ironie
Trotzdem darf ob der voll ausgereizten Situationskomik auch aus vollem Halse gelacht und damit die gesamte Spannweite des Stückes ausgereizt werden. Und dieser Einstieg, zu dem später das Finale zurückkehrt, lässt die folgenden sprühenden Einfälle, die Kombinationen des scheinbar Unzusammenhängenden und das unerschöpfliche Spiel mit Rätseln noch nicht einmal ahnen.
Im Folgenden werden die beiden Schergen nicht nur mittels ihrer eigenen Mutationen, sondern auch in der Konfrontation mit Jelisaweta und ihrer kaum als Mutter glaubhaften Mariia Chechel vorgeführt und verspottet. Letztere tritt divenhaft in enganliegenden Kleidern und mit Lockenwicklerperücken russisch singend und sprechend auf, beeindruckend in ihrer vertikalen Ausdehnung und doch eher am Horizontalen interessiert.
Parodistisch angelegt sind von Anfang an auch die verkündenden Szenenüberschriften. Das "Realistische Monodrama" erinnert an Charms "Oberiu" genannte Künstlergruppe. Es folgen unter anderem "Monolog, zur Seite gesprochen", "Klassisches Pathos" bis hin zum "Opernfinale" Nummer 19. Zwischendurch Persiflagen auf die französischsprachige alte russische Salonkultur. Weg mit allen stringenten dramatischen Kategorien! Dennoch lässt dieses sprunghafte Puzzlespiel einen Plot ahnen.
Absurde Verhältnisse
Unter anderem darin liegt das doppelte Verdienst der Plauener Wiederentdeckung. Charms ist ein Pionier des absurden Theaters. Der vier Jahr später geborene Ionescu entfaltete sich erst nach dem Krieg. Ob er in der fernen Sowjetunion tatsächlich vom zeitgleichen Zürcher Dadaismus beeinflusst war, ist umstritten.
Was unser gegenwärtiges, eher zu Schwermut und sublimierter Empörung neigendes Theater lernen kann, ist auf jeden Fall der spielerisch-offensive Umgang mit Nöten, das im Halse stecken gebliebene und sich dennoch befreiende Lachen. Den Glauben an die überwindende Kraft von Esprit, Fantasie und Jonglage mit den Weltproblemen. Denn im Vergleich mit unserem heutigen, meist autosuggerierten Elend waren die damaligen Verhältnisse wirklich existenzbedrohend.
Aus Personalnot eine Tugend gemacht
Regisseur Carlos Manuel bringt Witz und Charme mit, inszeniert aber ohne billige Lacherköder. Er springt sogar selbst als hinzuerfundener blinder Kulissenschieber ein. Denn Hanif Idris als Scherge Iwan verletzte sich bei der Hauptprobe, hat stets eine Krücke dabei und handhabt die virtuos, so dass jeder an einen Running Gag glaubt. Nur umräumen kann er nicht.
Wohl nur an einer bis zum Existenzminimum zwangsgeschrumpften "Provinzbühne" und nicht an einem steifen Staatstheater denkbar: Lediglich neun Schauspieler bewältigen den Sprechtheater-Spielplan nicht, die beiden Damenrollen mussten mit je einer hochbegabten Inspizientin und einer Regieassistentin besetzt werden. Sehr zum Vorteil! Eine Offenbarung in Plauen, wie Theater schon mal ging und auch heute wieder anders gehen könnte.
Jelisaweta Bam
von Daniil Charms, aus dem Russischen von Lothar Trolle
Regie: Carlos Manuel, Musikalische Leitung: Sebastian Undisz, Bühne und Kostüme: Annabel von Berlichingen, Dramaturgie: Isabel Stahl.
Mit: Elisa Ender, Mariia Chechel, Sebastian Undisz, Friedrich Steinlein, Hanif Idris.
Premiere am 1. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.theater-plauen-zwickau.de
"Das Zimmer auf der Bühne wandelt sich zum Zauberkasten. Es entwickelt sich ein Galopp durch alle Genres, der sich bald zum Wunderland-Horrortripp verzerr", so Nicole Jähn in der Freien Presse (3.2.2024). Den Stoff mache das beängstigend. "Alles folgt einer strengen Choreografie und Ordnung, die auch auf den zweiten Blick gaga bleibt und sich bekannten Mustern entzieht. Das ist gewollt." "Wer das Impro-Format Theatersport des Schauspielensembles mag, wird diesen 90-minütigen Ausflug lieben."
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Ich kann dem Rezensenten nur beipflichten, dass dieser Abend an keiner Stelle Pointen nur der Knalleffekte wegen ausschlachtet. Stattdessen sucht er die wunden Stellen der Inkongruenz unseres sozialen und gesellschaftlichen Lebens auf und piekst genussvoll und ausdauernd hinein. Dankeschön!