Kriegsmutter - Zittau bringt Data Tavadzes Kammerspiel als eines der Siegerstücke des osteuropäischen Dramenwettbewerbs "Talking about borders" auf die Bühne
Das Labor in der Kampfzone
von Michael Bartsch
Zittau, 20. Februar 2015. Was ist der Krieg? Sein äußeres Gesicht zeigten in diesen Tagen die Bilder aus dem ostukrainischen Debalzewe. Wie Krieg auch ohne unmittelbare Todesgefahr Menschen deformiert, schildert der erst 25-jährige georgische Autor Data Tavadze in seinem aufrüttelnden Kammerspiel "Kriegsmutter". Das Stück erhielt im Vorjahr gemeinsam mit "Angry Bird" den ersten Preis des zum neunten Mal ausgeschriebenen osteuropäischen Dramen-Wettbewerbs "Talking about borders".
Nur einen Tag nach der Uraufführung von "Angry Bird" in Nürnberg kam "Kriegsmutter" jetzt in Zittau auf die Hinterbühne des Gerhart-Hauptmann-Theaters. Zufall, wie Intendantin Dorotty Szalma sagt. Kein Zufall ist indessen der Uraufführungsort. Szalma gehörte 2014 in Tiflis der Jury an und war von diesem Dramentext so fasziniert, dass sie ihn im Dreiländereck an der Neiße umsetzen wollte. In dieser Spielzeit immerhin schon die dritte Uraufführung an dem unter heftigem Spardruck stehenden Görlitz-Zittauer Theater.
Beklemmendes Kammerspiel
Kulisse dieses Stücks ist der Kaukasuskrieg um Südossetien 2008. Damals begann der kaum zwanzigjährige Schauspieler und Regisseur Tavadze, seine persönlichen Erlebnisse zu einem Bühnenstoff zu verarbeiten. Ein halbes Jahrzehnt nahm dieser Prozess in Anspruch. Orts- oder Zeitbezüge werden aber im Drama nur angedeutet. Das einsame Haus in einem umkämpften Dorf könnte an jedem Kriegsschauplatz dieser Welt stehen.
Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften erforschen hier in der Abgeschiedenheit zwei Wissenschaftlerinnen die Ursachen einer (auch metaphorisch sinnfälligen) Heuschreckenplage. Bühnenbildner Jan Kozikowski hat zwischen zwei Wellblechwänden ein karges, heruntergekommenes Labor gestaltet, wie man es als Relikt der verflossenen Sowjetunion noch mancherorts entdecken kann. Auf folkloristischen Schnickschnack wird vollkommen verzichtet.
In diesem hermetischen Raum beginnen die exogen bedingten Konflikte wie in einer verschlossenen Sektflasche zu gären. Zunächst zwischen Sina und Manana im weißen Kittel, als die Panik des Krieges durch Berichte von draußen eindringt. Sina will auch nach der kriegsbedingten Rücknahme des Auftrags weiterforschen, die pragmatische Manana (von Renate Schneider gespielt) flüchtet in die Hauptstadt Tiflis. Sina ist die ältere, dominante Frau, die ihren Stolz nicht brechen lassen will und die Restliebe zu ihrem nicht so wohlgeratenen Sohn da draußen im Krieg verteidigt. Sabine Krug geht ganz auf in dieser Rolle zwischen Heroismus und Tragik. Sie ist die Kriegsmutter, leidenschaftlich bis an den Rand des Wahnsinns, resolut fordernd und halluzinierend zugleich. Ihr zentraler Satz "Der Krieg nimmt mir alles, was ich liebe" hat es bis in das wie immer knapp-informative Programmheft im Taschenformat geschafft.
Ein Bündnis der Frauen
Ihre Liebe zum Sohn-Soldaten mit dem ungewissen Schicksal ist das Bindeglied zu ihrer Gegenspielerin Tina, die zugleich Sinas Alter Ego und den unerfüllten Wunsch nach einer Tochter verkörpert. Angeblich ist Tina von ihrem Sohn schwanger, als sie unverhofft mitten in den Kriegswirren auftaucht. Anfangs unsicher und verschlossen, wird sie für Sina immer unentbehrlicher. Die junge Katinka Maché zeigt nicht nur Lebensjunger, sie erliegt später auch den Verrohungen des Krieges, als plötzlich unerwartet viel Geld ins Haus kommt.
Dieses Geld bringt der männliche Part in diesem Beziehungsdreieck, ein eiskalter Kurier mit verschlossener Miene im Kampfanzug. Es ist eine Art Rente für Soldatenmütter, die zugleich signalisiert, dass der Sohn noch lebt. Stefan Sieh spielt diese Figur am Rande des Absurden, begehrt von Tina, verklärt als Sohn von Sina, schließlich als Verkörperung des männlichen Prinzips von Krieg und Gewalt von den beiden Frauen ermordet.
Menetekel für ein selbstzufriedenes Europa
Was zunächst konstruiert wirken mag, entwickelt doch in zwei beklemmenden Spielstunden eine erschreckende Logik und eine sich stetig steigernde Spannung. Regisseur Piotr Jedrzejas aus dem benachbarten Jelenia Góra, mit dem Zittau ohnehin viel zusammenarbeitet, hat einige drastische Anweisungen des Textbuches gemildert. Seine Energie steckt er in eine genaue Personenführung, und zum wiederholten Male darf man staunen, welches Potenzial das kleine Zittauer Ensemble entfalten kann.
Geschickt gemeistert hat Jedrzejas auch die Übergänge zu eingestreuten "Informationsblöcken", etwa zur soldatischen Waffenausrüstung. Vor allem bei der schier endlosen Aufzählung jüngster Kriege und ihrer Opfer zum Finale spürt man die Ambitioniertheit des jungen Georgiers Tavadze. "Kriegsmutter" kann man als Menetekel für ein selbstzufriedenes Europa verstehen, verfasst von einem Autor, der Krieg konkret erfahren hat. Das Publikum applaudierte ergriffen.
Kriegsmutter
von Data Tavadze
Uraufführung
Deutsch von Natia Mikeladse-Bachsoliani
Regie: Piotr Jedrzejas, Bühne und Kostüm: Jan Kozikowski, Musik: Slawomir Kupczak, Dramaturgie: Kerstin Slawek.
Mit: Sabine Krug, Katinka Maché, Stefan Sieh, Renate Schneider.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.g-h-t.de
Düster beginne die Inszenierung auf der Hinterbühne des Zittauer Theaters, schreibt Ute Grundmann in der Sächsischen Zeitung (23.2.2015). Werde die silberne Wellblechwand hochgezogen, wird ein bunkerartiges Labor sichtbar. Vom Regisseur beklemmend-realistisch inszeniert sei der Abend immer dann am stärksten, wenn er "fast schon mytisch den Krieg und seine Folgen beschwört. Wie er in jede Ritze, jede Phase des Lebens dringt sich festsetzt, mißtrauisch macht un dzugelich verletzlich". So ganz können Stück und Inszenierung die beklemmende Atmosphäe nicht halten. Und auch die abschließende Aufzählung all der Kriege und ihrer Toten braucht diese Inszenierung nicht.
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Generell ist es beeindruckend, was Frau Szalma aus der Zittauer Situation macht. Schon die "Prinzessin von Burgund" war für mich ein Ereignis, und auf deutlich andere Art "Der nackte Wahnsinn" nicht minder.
(Ich selbst fand es vorgestern ähnlich gut, bei Interesse auf teichelmauke.me zu lesen)