Getränk Hoffnung - David Lindemanns Finanzkrisenkomödie in Wien uraufgeführt
Dann halt nicht
von Kai Krösche
Wien, 25. März 2012. Wer weiß, vielleicht wünscht sich gar der eine oder andere diese neue Form der Kundenbetreuung. Aber nein, so recht überzeugend will das vertraute Gespräch mit der Finanzberaterin auf – und wohlgemerkt nicht in – der Bank im Park selbst zu Beginn nicht wirken.
Einen Tick zu freundschaftlich, ein klein bißchen zu persönlich verhält sich diese Frau Merkel gegenüber ihrem kreditsuchenden Kunden Herrn Bond, der sich selbst gern als "gebranntes Kind" der Krise bezeichnet und mit entsprechender Skepsis seinem Kreditinstitut entgegentritt. Nein, da bedürfe es gewisser Sicherheiten, bevor er noch einmal sein Geld anlegt. Dass Frau Merkel und bald auch ein zunehmend aufdringlicher Analyst der Bank anstelle von Sicherheiten auf Vertrauen setzen, erfreut Bond zwar, kann aber seine Skepsis nicht ausräumen, weshalb sie ihm schon bald handfest aus dem Sinn geprügelt wird.
Die Helden der Luftschlösser
Es ist ein buntes und wirres Bild einer Welt nach der Finanzkrise, das Autor David Lindemann in seiner im Vestibül des Wiener Burgtheaters uraufgeführten bösen Komödie "Getränk Hoffnung" zeichnet: Da versprechen Bankangestellte die totale Kundenbetreuung bis zum bitteren Ende, faseln von der Notwendigkeit eines bedingungslosen Vertrauens, dulden aber zeitgleich keine Widerrede. Abhauen ist nicht erlaubt, der Ort des Gesprächs ist – einmal losgekoppelt von den Räumlichkeiten der Bank – ohnehin überall (ob auf der Parkbank oder in der Disco). Die Geschäftszeiten sind ebenso aufgehoben wie die professionelle Distanz zwischen Bankangestellten und Kunden.
Und so passiert es auch mal schnell, dass der Analyst den eigenen Kunden auf dem Disco-Klo zusammenschlägt, wenn dieser einen geplanten Deal abzulehnen versucht, weil er sich bei den Worten "Dann halt nicht" an eine immer noch nagende Jugenderfahrung erinnert fühlt. Kein oder vielleicht eher doch ein Wunder, dass Herr Bond letztlich sein vollständiges Vertrauen der Bank schenkt: Am Ende wird er gemeinsam mit seinen neuen "Freunden" buchstäblich beflügelt vom Dach eines Bankenwolkenkratzers in die Luft davon spazieren.
Der Analyst, dein Freund und Helfer
Was zusammengefasst konfus klingt, wirkt in der Inszenierung von Michael Schachermaier im kleinen Saal des Vestibüls leider nicht viel klarer: Sicher, "Getränk Hoffnung" will einen humorvollen Blick auf eine Welt nach der Krise werfen, in der sich Banken neue hanebüchene Strategien der Kundenbindung ausdenken, um so – das ist wohl die wenig optimistische Erkenntnis des Ganzen – weiterhin das alte System aufrechtzuerhalten. Leider gelingt dem Abend nicht das, was ihm doch im Grunde am zwingendsten, weil für die Wirkung des Stücks essentiellsten gelingen sollte: wirklich witzig zu sein.
Was wiederum nicht an den fünf überzeugenden Darstellern liegt, die jederzeit konzentriert und temporeich bei der Sache sind. Insbesondere Dietmar König als gebeutelter, hin- und hergerissener Kunde Bond und Marcus Kiepe als unberechenbarer und zwischen Aggression und verdächtiger Freundlichkeit umschaltender Analyst tragen über weite Strecken dazu bei, dass der Abend nicht an Spannung verliert. Das täuscht aber nicht hinweg über die humortechnisch oft bemühte Vorlage. Sprechende Namen sind nicht per se witzig; die zunehmende Überzeichnung des Geschehens wirkt oft zu sprunghaft, über- und abgedreht, als dass so etwas wie ein komischer Sog entstünde.
Auch die Inszenierung schafft es nicht, den Zynismus in den Dialogen auf jenen fragilen Punkt zu treiben, an dem Lachenmüssen und Nichtlachenwollen des Betrachters zugleich provoziert würden. Das führt schließlich dazu, dass die Stellen im Stück, an denen der Witz schlagartig in unangenehmen Ernst umschlägt, nicht kontrastreich genug wirken, um wirklich zu berühren oder so etwas wie ein tiefgreifendes Unbehagen (das über das automatische Mitgefühl zu Bond hinausgeht) zu vermitteln.
Ein Mix aus Trash und Realismus
So dümpelt der Abend unterhaltsam-gefällig vor sich hin, lässt aber weder im Text noch in der ästhetisch unentschiedenen Inszenierung so etwas wie einen roten Faden oder eine Form der Dringlichkeit erkennen. Zwangsläufig stellt sich die im Grunde blödeste (weil im Idealfall überflüssigste) aller Fragen, was oder wovon einem da eigentlich erzählt werden soll: dass nach der Krise vor der Krise ist? Dass Banken auch nur aus Menschen bestehen (inkl. Stärken und Schwächen) und dass in Zukunft nicht mehr Institutionen, sondern Einzelpersonen vertraut wird?
Und wozu das Klischeebild der bettelnden "Zigeunerin", das offenbar nur deshalb eingeführt wird, um es sogleich in einem gestelzten Monolog metamäßig zu brechen? Am Ende bleiben vor allem konfuse Fetzen, ein unentschiedener Mix aus Realismus, künstlicher Überhöhung bis hin zum völlig überzeichneten Trash – und die Erkenntnis, dass das Theater offenbar auch keine überzeugenden Antworten auf "die Krise" findet.
Getränk Hoffnung (UA)
von David Lindemann
Regie: Michael Schachermaier, Bühne: Stefanie Muther, Kostüme: Susanne Özpinar, Musik: Thomas Felder, Licht: Marcus Loran, Dramaturgie: Andreas Erdmann
Mit: Brigitta Furgler, Alexandra Henkel, Marcus Kiepe, Hans Dieter Knebel, Dietmar König
www.burgtheater.at
Als Werkstattinszenierung lief David Lindemanns "Getränk Hoffnung" in der Langen Nacht der Autoren bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin 2011.
Im Deutschlandfunk (26.3.2012) findet Beatrix Novy das Stück von David Lindemann "sehr witzig, wenn auch nicht zum Schreien komisch." Es gehe auch nicht unter die Haut, "kein Lacher will im Hals steckenbleiben; der Bosheit fehlt es an Säure, zuwenig entfaltet sich neben und unter den Variationen der einen Idee." Überraschungseffekte wie die immer wieder auftauchende schnorrende Zigeunerin, den den allzu notorischen Kontrast zum mittelständischen Personal gebe, überraschten nicht mehr, so Novy. Was Michael Schachermeier in seiner Inszenierung draus gemacht habe, sei "weniger Komödie als Kabarett, wenn auch auf hohem Schauspieler-Niveau".
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ich wollte gar nicht fordern, daß es Antworten finden soll oder muß. Im Gegenteil: Ich finde es sehr schön, wenn das Theater eben gerade keine klassischen "Antworten" findet - Fragen sind ja meist ohnehin die besseren Antworten. Aber dieses Nichtfinden kann halt auf produktive Weise geschehen - oder eben auf banale Weise. Im Fall von "Getränk Hoffnung" fand ich dieses Scheitern einfach nicht sonderlich spannend (siehe meine Kritik).
"Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus... Ein ungeheures Schuldbewußtsein das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen... und endlich und vor allem den Gott selbst in diese Schuld einzubegreifen... Aber er ist nicht tot, er ist ins Menschenschicksal einbezogen."
Die Figur der Zigeunerin bricht diese Einbahnstraße der Moral, indem sie hier nicht allein als nur mitleidheischendes "armes Geschöpf", sondern als starke Persönlichkeit dargestellt wird, welche als Schwache nicht automatisch nur gut ist und sich auch nicht so schwach halten lässt, wie es sich der Analyst möglicherweise wünscht, um seine überlegene Position aufrechterhalten zu können. Zugleich wird über die Figur der Zigeunerin ein Diskurs über das Fremde aufgemacht, welches als Fremdes nicht bruchlos in ein (biologistisch) abgeschlossenes Weltbild eingeordnet werden kann. So muss die Zigeunerin in einem bis in die Besetzung (gewaltbereiter Drogendealer mit Migrationshntergrund) klischeebehafteten Film mitspielen, in welchem sie von einem befreundeten Roma vergewaltigt wird. Dieser zeigt erst in dem Moment das vom Regisseur geforderte Unrechtsbewusstsein für seine Tat, als die Zigeunerin ihm das Stichwort "Grenzpolizei" einflüstert. Dem Filmdrehbuch nach folgen alle Beteiligten allein ihren egoistischen Interessen, aber entsteht daraus - analog zum virtuellen Finanzkapitalismus - automatisch ein fairer Wettbewerb? Ist eine Welt ohne Solidarität und ohne gemeinsamen politischen Widerstand lebenswert? Kann die Integration "des Fremden" mit dem kompletten Verzicht auf das Eigene dieses Fremden erkauft werden? Wenn man sich von den eigenen ethnischen und historischen Wurzeln abschneidet, schneidet man sich dann nicht auch von sich selbst ab?
Kurz: Funktioniert die unsichtbare Hand des Marktes oder nicht? In der Utopie von David Lindemann funktioniert sie, aber nur insoweit, wie ich als Zuschauerin bereit bin, an diese Utopie zu glauben. Ein Abgleich dieses risikoneutralen Traumes mit der Realität des virtuellen Finanzkapitalismus zeigt mir eher das Gegenteil, und genau das macht das Komische dieser Inszenierung aus. Ach, wenn Menschen doch fliegen könnten wie die volatilen Werte der Finanzökonomie! Ein schönes Bild für die "abstrakte Genusssucht" (Marx) des Kapitalisten, dessen Akkumulation von Geld und Kapital sich mit keinem konkreten Bedürfnis abgleichen lässt.
Fazit: Ich sage nicht ja, sondern nein zur Finanzialisierung des gesellschaftlichen Feldes. Und ausserdem geht es nicht um das moralische Verurteilen, sondern vielmehr um dialektisches Denken und verantwortungsvolles Handeln! Wir müssen das Ökonomische enttheoretisieren!
Grundsätzlich gilt: Alle Menschen sind gleich viel wert, aber nicht gleich. Und gleich viel wert heisst nicht, dass der Tod des einen mehr wert ist als der des Anderen. Lebensversicherungen sollen in diesem Zusammenhang ja keine unwesentliche Rolle spielen.