James Brown trug Lockenwickler - Theater in der Josefstadt Wien
Die Komik überforderter Eltern
16. Februar 2024. Zwei Jugendliche, die in ihrer Identitätsfindung von der Norm abweichen, und ihre verstörten Eltern sind die Zutaten von Yasmina Rezas neuestem Stück. Sandra Cervik hat es im Theater in der Josefstadt auf Komödie getrimmt.
Von Reinhard Kriechbaum
16. Februar 2024."Keiner der beiden lässt sich von der Biologie einschüchtern", befindet die Psychiaterin. Jacob nicht, der von früher Kindheit an besessen ist von Céline Dion. Er ist aus dem Rollenspiel vollends in die neue Identität hineingeglitten: Er ist jetzt Céline Dion. Der zweite, der seiner Biologie ein Bein stellt, ist Philippe: ein Weißer, der sich als Schwarzer definiert. Zwei solche passen so ganz und gar nicht in jene sich in Biedersinn kleidende Gesellschaft der vermeintlich "Normaldenkenden", die Yasmina Reza in ihren Stücken gerne ins eigene Messer rennen lässt. Die beiden jungen Leute befinden sich nun in einer "Anstalt".
Politisiertes Thema im Kammerspielformat
Fluide Geschlechtsidentität und kulturelle Aneignung. Das schürt Erwartungshaltungen, die Yasmina Reza in ihrem jüngsten Theaterstück nicht einlöst. Nicht zufällig haben so gut wie alle Rezensenten der deutschsprachigen Erstaufführung im März 2023 im Münchner Residenztheater ganz viel über die surreal überhöhende Regie von Philipp Stölzl geschrieben und sich eher nicht die spitzte Feder verbrannt, was Rezas Theatertext selbst anlangt. Der gleitet nämlich geschmeidig durch alle Kurven und verweigert sich ganz und gar den Ecken und Kanten gesellschaftlichen, gar gesellschaftspolitischen Diskurses.
Was gäbe das her, würden der aktuelle Stand von politischer Korrektheit und Wokeness mitverhandelt. "James Brown trug Lockenwickler" reduziert die vermeintliche "Malaise" des jungen Mannes auf die Enttäuschung der Eltern. Viel routiniertes Dialog-Handwerk, weitgehend ohne subkutane Angriffigkeit. Auf das Defizitäre im Text wird man mit der Nase gestoßen, weil in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt eine Schauspielerin Regie führt, die weniger die inhaltliche Perspektive interessiert, sondern die humoristische Wirkkraft. Sandra Cervik tut alles, um ihre josefstädtischen Ensemble-Kollegen komödiantisch auftrumpfen zu lassen.
Knallchargen und Metaphern
Es dürfen also Maria Köstlinger und Juergen Maurer alle Klischees eines verklemmten, mit der Situation überfordernden Elternpaars auskosten. Mal überdreht, mal zornig, mal anpässlerisch, mal trotzig. Alles kommt wie am Schnürchen – und wie zu erwarten. Selten so seicht gelacht. Alexandra Krismer ist die Psychiaterin. Das wäre jene Figur, die in ihrer dadaistischen Unberechenbarkeit zum Katalysator des Diskurses werden könnte. Hier steht sie, auf Knallcharge getrimmt, auf ziemlich verlorenem Posten.
Julian Valerio Rehrl schaut als Jacob/Céline verträumt in den Himmel. Der azurblaue Hosenanzug, der mantelartige Umhang, das Tuch – er ist von oben bis unten ganz auf Céline Dion eingestellt. Schön herausgearbeitet ist das zärtliche Verhältnis der beiden Freunde. Auch Philippe (Dominic Oley) wird sich nicht von seinem einmal eingeschlagenen Weg abbringen lassen. Rührend, wie die beiden die exotische, nur in eine Richtung wachsende Pflanze (Achtung, Metapher!) hätscheln.
Berührende Momente
Bühnenbildnerin Sabine Freude hat einen weißen Raum beigestellt, der an eine Gummizelle denken lässt. Jacob/Céline ist immer anwesend, wird von den Eltern die meiste Zeit aber nicht wahrgenommen. Anschaulich: Sie wollen ihn ja nicht sehen. Immer wieder nähert er sich Vater und Mutter an, verstohlen um ein wenig Aufmerksamkeit, um liebevolle Zuwendung heischend. Das sind einige berührende Momente.
James Brown trug Lockenwickler
von Yasmina Reza
Aus dem Französischem von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Sandra Cervik, Bühnenbild: Sabine Freude, Kostüme: Aleksandra Kica, Musik: Eva Jantschitsch, Licht: Sebastian Schubert, Dramaturgie: Barbara Nowotny.
Mit: Julian Valerio Rehrl, Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Dominic Oley, Alexandra Krismer.
Premiere: 15. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
www.josefstadt.org
Kritikenrundschau
"Die 95 Minuten lange Aufführung bleibt flockig leicht und vorwiegend fast heiter. Gesangseinlagen mit bekannten Melodien sind einschmeichelnd. Rühren kann die Sorge der Eltern, die sich immerzu schwertun, mit der Fantasiewelt Jacobs umzugehen", berichtet Norbert Mayer in der Wiener Presse (16.2.2024). "Sandra Cervik lässt in ihrer Inszenierung fünf Darstellende ihren Mut zu Klamauk und diversen Klischees von Korrektheit ausleben. Das ist fast schon wieder hinterfotzig."
"Betulich" findet Ronald Pohl von der Wiener Tageszeitung Der Standard (17.2.2024) Sandra Cerviks Regie. Das zugrunde gelegte Thema verpuffe daher rasch: "Die Beliebigkeit, mit der uns die Zurschaustellung von Identitäten abverlangt wird", gerät seinem Eindruck zufolge daher alsbald " in konfliktbereinigtes Komödienfahrwasser".
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