Ab jetzt geht’s bergab

21. Juni 2023. Künstliche Intelligenz ist das Thema der Stunde. Auch bei Kai Krösche und seinem Darum-Team, die das Publikum in die Untiefen von KI-Texten und Verschwörungserzählungen entführen. Gibt es wirklich kein Entkommen?

Von Martin Thomas Pesl

"Linie Q. Ein No-Escape-Room" am WUK Wien © Apollonia Theresa Bitzan

21. Juni 2023. Die erste Lüge glaubt schon mal keine:r. "Sorry, we’re closed", sagt Victoria Halper den 26 Premierengästen. Sie trägt einen schwarzen Arbeitseinteiler und ein Klemmbrett und betont, sie meine es ernst, man warte nach einem Kurzschluss auf den Elektriker, sorry.

Niemand rührt sich. Den ersten Test hätten wir bestanden, schmunzelt Halper und bittet in einen Raum voller Bildschirme und QR-Codes im Magazin der alten Wiener Wirtschaftsuniversität. Escape-Room dürften wir jedenfalls keinen erwarten. Tun wir aber eh nicht, denn das Stück heißt "Linie Q. Ein No-Escape-Room".

Was die KI alles kann

Letzten Herbst war im selben Gebäudekomplex die phänomenale Produktion Heimweh des Kollektivs Darum zu erleben. Da in der neuen Arbeit Victoria Halper live auftritt, firmiert Kai Krösche als alleiniger Regisseur. Trotz des identen Kernteams handelt es sich nicht um eine Darum-Produktion, Koproduzent ist wie bei "Heimweh" WUK performing arts.

LinieQ 03 805 Apollonia Theresa Bitzan uAm Lagerfeuer der KI © Apollonia Theresa Bitzan

Als freilich die Stadt Wien 2022 eine Förderung zusagte, hatte das Projekt noch einen ganz anderen Fokus. Um Verschwörungserzählungen wie QAnon ging es ursprünglich, inspiriert von Friedrich Dürrenmatts Kurzgeschichte "Der Tunnel", worin ein junger Mann als einziger Passagier eines Zuges bemerkt, dass dieser schon bedenklich lange in einem eigentlich sehr kurzen Tunnel fährt. Mittlerweile lautet das Thema: Was die KI alles kann.

Den englischen Text im ersten der drei Teile, verfasst vom Kanadier James Stanson, prägt noch die Vorlage. Während das Publikum über eine zuvor heruntergeladene App einen QR-Code nach dem anderen scannt und abwechselnd zu Medienschnipseln und unheimlichen Bildern geleitet wird, zeigen kleinere und größere Fernseher Überwachungskameraaufnahmen des Schauspielers Simon Dietersdorfer in einer U-Bahn. Von einer Siri-ösen Frauenstimme als "Dear Passenger" begrüßt, fragt er, warum der Zug nicht halte. Daraufhin entspinnt sich vor einer sich zunehmend verdichtenden Soundkulisse ein dystopisch-frustrierendes Gespräch, der Zug wird immer schneller und scheint nun zu allem Überfluss abwärts zu fahren.

Mann, Frau, alt, jung

Und auch das Publikum wird eine Ebene tiefer geschickt (nachdem sich buchstäblich eine "Pandora’s Box" laut ächzend geöffnet und diese Holzkiste ein silbernes Radio freigegeben hat – dem Ausstatter Matthias Krische wurde inmitten des virtuellen Overkills eine rare analoge Spielerei gegönnt). Hier soll es sich auf verschiedene Zelte aufteilen und weiter QR-Codes scannen. Die Screens zeigen Dietersdorfer diesmal in der Rolle eines Prepper-Gurus, die akustisch begleitende literarische Endzeitklage stammt vom deutschen Autor Emre Akal. Einzig dem Programmheft ist zu entnehmen, dass Dietersdorfer den gesamten Text allein einsprach. Die KI machte daraus viele täuschend echte Stimmen: Mann, Frau, alt, jung.

LinieQ 01 805 Apollonia Theresa Bitzan uDa ist er, der Guru aus der KI-Box (Victoria Halper) © Apollonia Theresa Bitzan

Zum Abschied geht es schließlich noch eine Ebene tiefer. Der Raum ist in schimmerndes Alu gehüllt, sogar die Decke. Da steht er nun vermeintlich live, der Guru, im Hoodie, das eigene Gesicht als digitale Maske tragend, und predigt englisch (wir sind also wieder bei Stanson) von Verschwörungen und Wahrheiten. Dahinter ein Videostream aus fast bis zur Übelkeit künstlichen Bildern im Wechsel mit Computerbefehlszeilen. Hinter der Dietersdorfer-Maske steckt, wir ahnten es, Halper, die ihre Testpersonen eilig nach draußen bittet.

Selbst die Kostüme sind KI-basiert

Die Gefahren der generativen KI werden zurzeit viel diskutiert (gerade erst von Wolfgang Behrens im Hinblick auf die Theaterkritik!). Und sie ist auch böse, hat sie doch den künstlerischen Arbeitsprozess des "Linie Q"-Teams völlig vereinnahmt, inhaltlich wie ästhetisch. Vor einem halben Jahr sei das alles noch nicht gegangen, staunt Kai Krösche im Programmheft. Einzelne Textteile schrieb ChatGPT, Midjourney entwarf Kostüme.

Sicherlich weisen Krösche und Co. auch darauf hin, wie leicht KI-generierte Verschwörungsnarrative perfekt und blitzschnell platziert werden könn(t)en. Aber mehr noch ist der Inszenierung ihre Faszination für das Phänomen anzumerken. Auf die "Dear Passengers" springt die nur bedingt über. Jeder der drei Teile hat seine Leerläufe, man sieht sich an der Flut der KI-Bilder umso schneller satt, je weniger Aufwand sie offenbar verursachten, und läuft so kaum Gefahr, einer Manipulation zu unterliegen.

Anders als den letzten immersiven Darum-Arbeiten gelingt es "Linie Q" nicht, seine Thematik dem Publikum schier aufzuzwingen. Gewissermaßen ist das die Überraschung an diesem Abend: dass es eben doch ein Entkommen gibt.

Linie Q. Ein No-Escape-Room
Uraufführung
Regie: Kai Krösche, Konzept und Licht: Matthias Krische, Kai Krösche, Texte: Emre Akal, James Stanson, ChatGPT, Ausstattung: Matthias Krische, Kostüm: ChatGPT, Midjourney, Musik und Sounddesign: Simon Dietersdorfer, Videos und Projektionen: Victoria Halper, Programmierung Q-App: Kai Krösche, Chat-GPT, Bilder Q-App: DALL•E 2, Technische Leitung: Lukas Saller (planB), Outside Eye (Gamedesign): Florian Bösel.
Mit: Simon Dietersdorfer, Victoria Halper.
Premiere am 20. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.wuk.at

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