Ab ins Trumpiversum

24. November 2022. Der Freiheitsheld von einst ist heute ein polternder Troll mit Weltherrschaftsanspruch. In Basel haben Lasse Koch und Jörg Pohl eine großartige wie umwerfend komische Mediensatire inszeniert.

Von Jürgen Reuß

"Wilhelm Troll" am Theater Basel © Ingo Höhn

24. November 2022. Wer reklamiert in der heutigen westlichen Zivilisation eigentlich noch die Figur des Freiheitskämpfers für sich? Von links werden eher immer neue Regeln gefordert. Ob zur Rettung des Klimas oder zur Anerkennung immer feiner definierter Identitäten oder zur besseren Austarierung des Establishments. Die Posen des Kämpfers gegen das verkrustete System, des "Gebt Gedankenfreiheit, Sire"-Messias, des "Ich piss auf das System"-Punkers oder des erlösenden Politrockstars sind alle nach rechts gewandert.

Die Kleine Bühne im Theater Basel nimmt jetzt sein Publikum mit zu einer Medienkritik, die als Par-Force-Ritt durch Aufstieg und Fall des trollende Wutbürgers zum Erlöserführer verkleidet ist. Willkommen im Lager der Trolls. Genauer des alternden, weißen, gecancelten Wilhelm Troll.

"Hi Leute. Ich bin Hitler."

Im Hilliebillie-Hipsterlook zwischen geschasstem BILD-Chef und identitärem Mobster grüßt die dauerbeleidigte Leberwurst das Publikum mit einem pampigen: "Hi Leute. Ich bin Hitler." Sein Schmollwinkel, hübsch als moderner Wiedergänger einer Dachstube des armen Poeten gestylt (Bühne: Lena Schön, Helen Stein), weckt klug Reminiszenzen an die Karriere eines früheren gescheiterten Künstlers, aber auch an die Frühzeit der massenmedialen Fakenews im 19. Jahrhundert.

Wunderbar, wie sich Jan Bluthardt durch die "Ich darf nichts mehr sagen"-Omnipräsenz der vielen Geistesbrüder seiner Bühnenfigur wütet, stets von einem ballettösen Political-Correctness-Chor in Sherifuniform begleitet, bis er unter Hashtag gecancelt sein digitales Leben zurückbekommt, die Welt in sieben Akten aus dem Chaos ins Trumpiversum erlöst und das anfänglich freundlich leuchtende "Hello There" zur unübersehbaren "Hell Here"-Schrift an der Wand verkürzt.

Ins Nichts salbadernder Quotenlecker

Sein assistierender Mephisto, das von Fabian Dämmich grandios verkörperte Internet, ist immer zu Zerstreuung aufgelegt, gern mal mit billigen Zaubertricks und Werbung verführend oder als stets verneinender Geist in der Talkshow Dinge wie Klimawandel vor quotenleckendem Talkmaster – besser -slave – ins Nichts salbadernd.

Wunderbar, wie auf der Bühne Fenster nicht aufgeklickt, sondern mechanisch aufgeschoben werden. Wie überhaupt die ganze ins Digitale aufgepeppte menschliche Komödie mit den einfachsten Mitteln des Tür-auf-Tür-zu-Durchs-Fenster-Boulevards ohne jedes elektronisches Blingbling zur Kenntlichkeit befreit wird.

WilhelmTroll3 Ingo HoehnSonst noch jemand ohne Fake-News? © Ingo Höhn

Zum Höhepunkt im fünften Akt, wo der medial vernetzten Welt, in der wir unrettbar verstrickt sind, mit geradezu erschreckend tragischer Konsequenz nicht nur jeglicher Boden, sondern die Wände gleich mit entzogen werden, wirft sich der Chor (Flamur Bakaj, Jonathan Fink, Elena Marieke Gester) passend ins Gewand der griechischen Tragödie. Die hat nichts von ihrer Wucht verloren, auch wenn sie auf der Kleinen Bühne als Farce daherkommt.

Gottkaiserliches Finale

Wie dann aus den Ruinen der Gewissheit der neue Führer als Trumpsche Zitatcollage samt Orangefacing ersteht, mag textlich ein Verfallsdatum haben (Text: Lasse Koch). Auch dass der Präsident als einschwebender Gottkaiser-Rockstar die Welt zurück in die finsterste Gaswolkenhölle WWI-Style führt, ist dick aufgetragen, aber musikalisch so mitreißend wie das epilogische Weltfluchtende im Mamasöhnchen-Musical (Komposition: Evelinn Trouble).

Was für ein großartiges Plädoyer für die Relevanz von Theater, das Jörg Pohl da inszeniert hat. Beeindruckend, wie das von Texter Lasse Koch aufgespannte Jetztzeituniversum mit dem All-Time-Universum theatraler Mittel verknüpft wird. Ernüchternd, dass nicht mal die Premiere ausverkauft ist. Wo suchen eigentlich die, die sich so etwas entgehen lassen, ihre Erkenntnis? Sicher am falschen Ort, wenn sie sich "Wilhelm Troll" entgehen lassen. So viel Werbung muss nach diesem Theaterabend sein.

 

Wilhelm Troll
Eine Faktenaustreibung von Lasse Koch
Uraufführung
Inszenierung: Jörg Pohl, Bühne und Kostüme: Lena Schön, Helen Stein, Mitarbeit Bühne: Klara Mand, Komposition: Evelinn Trouble, Dramaturgie: Kris Merken.
Mit: Jan Bluthardt, Fabian Dämmich, Flamur Blakaj, Jonathan Fink, Elena Marieke Gester
Premiere am 23. November 2022
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.theaterbasel.ch


Kritikenrundschau

"Das Miteinander von Wutbürger und Internet inszeniert der Regisseur als rasantes Spiel mit düsterem Ende, stets
unterlegt von mitreissender Musik und Chorgesang aus der Feder der Zürcher Popsängerin Evelinn Trouble", schreibt Mélanie Honegge in der BZ Basel (24.11.2022). "Ein fulminanter Abend, der nach der grandiosen ersten halben Stunde bisweilen leider arg abfällt und sich in belanglosen (und ohrenbetäubenden) Redeschwällen verliert. Dennoch, so viel Aktualität und Politik gibt es im Theater nicht oft zu sehen."

"Wilhelm Troll" hätte als 60- bis 90-Minuten-Stück besser funktioniert, schreibt Raphaela Portmann in der Basler Zeitung (24.11.2022). "Schon nach wenigen Minuten lernt man, es zu lieben, den Troll zu hassen."

"Wenn das traditionell linke Theater seinem Stammpublikum toxische weiße Männer in der Manege des Einvernehmens vorführt, kann das zur Negation der diskursiven Reibungsäche führen, die es gerne zum Markenkern erhebt", schreibt René Zipperlen in der Badischen Zeitung (24.11.2022). "Dass Lasse Kochs jetzt am Theater Basel uraufgeführter "Wilhelm Troll" dennoch funktioniert, liegt am oft virtuosen Text und daran, dass Regisseur Jörg Pohl ganz auf die Stärken des Theaters setzt und Akteure für einen 10 000-Volt-Abend hat."

Kommentare  
Wilhelm Troll, ATT Berlin: Nur anfangs vergnüglich
In kabarettistisch-farcehaften kleinen Tableaus zeichnet Lasse Kochs Text nach, wie Tech-Nerds von Zuckerberg bis Musk dem verunsicherten Tropf eine Social Media-Nische zur Verfügung stellten, in der er seinen Unmut und seinen Hass in die Weiten des Internets rausbrüllen kann.

Vergnüglich ist die erste Stunde dieses Regie-Debüts von Jörg Pohl, der am Thalia Theater Hamburg oft begeisterte und seit 2020 nicht nur Ensemble-Mitglied, sondern auch Co-Schauspieldirektor in Basel ist. Der Schluss fällt dagegen deutlich ab.

Zu plakativ und eindimensional wird die schillernd-vielschichtige „Wilhelm Troll“-Figur der ersten Stunde zu einer reinen Donald Trump-Karikatur. Mit wörtlichen Zitaten und der Orangenhaut-Maske, hinter der Fabian Dämmich steckt, wird das Phänomen rechter Trolle zu sehr auf diese eine Person verengt, die nach seiner Abwahl im Herbst 2020 nun wieder stärker durch die Medien geistert, da er sich auf einen neuen Anlauf aufs Weiße Haus vorbereitet.

Ein interessanter Zufall ist, dass Trump am Abend dieses sehr gut besuchten Berliner ATT-Gastspiels in New York in einem Vergewaltigungs-Prozess schuldig gesprochen wird. Dass ihn und seine rechten Troll-Anhänger stoppen wird, bleibt leider zu bezweifeln. Deshalb ist „Wilhelm Troll“ eine thematisch wichtige, aber am Ende zu plakative Uraufführung.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/05/10/wilhelm-troll-theater-kritik/
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