Die Panik - Andreas Herrmann bringt Rafael Spregelburd zur Schweizer Erstaufführung
Am Puls des Hohlen
von Christoph Fellmann
Luzern, 21. Mai 2008. Sie haben den Schlüssel zum Bankschliessfach des toten Emilio verloren, in Wahrheit aber – aufgepasst jetzt! – fehlt ihnen der Schlüssel zum Weiterleben. Nein, das ist kein Roman von Paulo Coelho, das ist ein Theaterstück von Rafael Spregelburd; bloss, dass es tut, als sei es ein Film von Pedro Almòdovar. Sie wissen schon: Alle angeknallt und exaltiert. In Deutschland wurde "Die Panik" im Januar 2007 in München erstmals gezeigt, jetzt ist das argentinische Stück auch im Land der Bankschliessfächer angekommen; Andreas Herrmann, Chef des Schauspiels, hat es am Luzerner Theater gleich selber inszeniert. Und siehe da, aus Almòdovar, der Coelho verbirgt, ist im Handumdrehen eine bieder-schweizerische Boulevardkomödie geworden. Sagen wir mal: Hans Gmür (muss man woanders nicht kennen).
Dabei sind die Themen gross, aber hallo: Die Menschheit ist ohne Gott, und die Toten sind auch weg und vergessen. So wird das Leben ganz absurd, und es lebt sich haltlos und, genau: panisch. Vor dem Tod wie vor dem Leben. Und im Hintergrund bimmeln bei Spregelburd ja immer noch die sieben Todsünden, denen er je ein Stück gewidmet hat, wobei die "Panik" der "Trägheit", wie soll man sagen: angelehnt ist; – ein Begriffpaar, das Spregelburd im Programmheft als "willkürlich" beschreibt.
Gewitternde Bedeutungsmaschinerie
Es handle sich um "zwei Konzepte, die, wenn sie zusammengebracht werden, die Lunte der Bedeutungsmaschinerie in unseren Hirnen entzünden". Dies auf die Gefahr hin, dass sich die Bedeutungsmaschinerie nicht dezent in den Hirnen verbirgt, sondern dass sie recht offensichtlich auf der Bühne knattert. Die Lunte wäre in Luzern dann ein kurzes Gewitter von Elektrofunk, das aus den Boxen weniger knistert als böllert. Dann geht's los.
Das Personal dieser "Panik" befindet sich auf einem breit verlegten Plastik, der sich im Verlauf des Abends als aufblasbar erweist. Das gibt ein paar schöne Bilder her, zur Pause aber ist noch nicht aus dem Plastik, freilich aus der Idee die Luft draussen. Die Figuren, die von Spregelburd bereits hübsch aufs Klischee hin gestaltet sind, macht Andreas Herrmann endgültig zu Chargen. Das Spiel ist überkandidelt, hohl und mit wenigen Ausnahmen schwach.
Die Esoteriktante, der Psychotherapeut, der Immobilienmakler, die Bankbürokratin, die egomane Künstlerin, der sexuell herausgeforderte Jüngling, die hier nicht weniger als den "Zusammenbruch einer Ordnung" (Spregelburd) vorführen sollen – hach, sie sind noch für jedes satirische, karikierende, witzelnde Tätärätä zu haben. Bloss glaubt man sie in dieser Nummernshow einfach nicht, die Panik; die Panik, im Büro, im Bett, auf der Bühne und im Leben nicht zu genügen.
Kurzer, wunderbarer Moment
Nur ein einziges Mal an diesem Abend blitzt sie auf: Anja Schweitzer versucht als Medium, den toten Emilio anzurufen. Und als das Publikum noch leidlich über den Scherz lacht, dass sie dies nämlich am Telefon tut, geht am anderen Ende ihre Mutter ran. Da ist sie, die Panik, für Sekunden zu sehen auf dem Gesicht einer tollen Schauspielerin, die man in Luzern vermissen wird, wenn sie jetzt mit zahlreichen weiteren Mitgliedern des Luzerner Ensembles nach Oberhausen wechselt. Nach diesem kurzen, wunderbaren Moment ist wieder die Bedeutungsmaschinerie an der Reihe, und weil es keine Menschen, sondern doofe Karikaturen sind, die so geschäftig an ihr kurbeln, ist's umso schlimmer – da geht dann gar nichts mehr auf, da will die Inszenierung nur noch durchkommen.
Seifenopernprobleme
Jedoch noch bevor einen der verschmockte, mythologisch aufgedonnerte Schluss ereilt, heisst es: "Der Schlüssel ist an einem Ort, der keinen Namen hat." Und dergestalt in die Tragweite der doppelten Bedeutung eingeweiht, die so ein "Schlüssel" annehmen kann, darf man dann schon peinlich berührt sein.
Aber weil man ja doch gerne verstehen würde, was Spregelburd in seinem Stück nun eigentlich sagen wollte, liest man weiter im Programmheft: "Diese ganz dumme Erwachsenenwelt mit ihren billigen Seifenopern-Problemen führt seltsamerweise zum versteckten Puls von etwas Grossem, Erschreckenden, das dahinter zu liegen scheint.
Das ist unsere Panik. Wir haben echte Angst davor, das Transzendente zu erblicken, die Bedeutung des Todes zu verstehen." Gut geraunt. Während der Puls des grossen Verborgenen aber nicht erschreckt an diesem Abend, verflacht der Puls der Theaterkunst gegen Null. Dann lieber dumme Erwachsenenwelt.
Die Panik
von Rafael Spregelburd
Schweizer Erstaufführung
Regie: Andreas Herrmann, Bühne: Max Wehberg, Kostüme: Birgit Künzler, Musik: Jacob Suske, Choreografie: Darie Cardyn, Licht: Peter Weiss. Mit: Elisabeth Seiler, Annika Meier, Manuel Kühne, Jörg Dathe, Valeria Klapproth, Anna Katharina Schwabroh, Anja Schweitzer, Darie Cardyn
www.luzernertheater.ch
Mehr lesen? Hier geht es zur Nachtkritik von Burkhard C. Kosminskis Uraufführung von Spregelburds Die Dummheit in Frankfurt.
Kritikenrundschau
Beeindruckt vom Stück, weniger jedoch von seiner Inszenierung durch den Luzerner Schauspieldirektor Andreas Herrmann zeigt sich in der Neuen Zürcher Zeitung (23.5.) ein(e) toh kürzelnd(r) RezensentIn. Der argentinische Autor verhandele in einer Reihe von Stücken die berühmten sieben Todsünden, diesmal nun die Trägheit, die sich in unserer Zeit mit Hyperaktivität tarne. Doch das Ungenügen des Rezensenten fängt schon mit dem Bühnenbild an, einem riesigen Luftkissen, das für "toh" die metaphysische Leere, von der das Stück aus seiner/ihrer Sicht handelt, eher verdeckt als illustriert. Zwar ermögliche es viele "sinnlose Luftsprünge". Aber sonst? Da herrsche schrille Burleske statt existenzielle Abgründigkeit, was sich "toh" auch mit der Saturiertheit der Schweizer erklärt, denen Spregelburds Gespenster und Ängste wohl eher fremd seien. Schade, spürt man "toh" rufen, der sich, wie man der Schilderung entnehmen kann, eher wie der Teilnehmer einer Geisterbahnfahrt, als einer Reise in echte Tiefen und Abgründe vorgekommen ist.
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