Prometheus remixed

von Andreas Klaeui 

Zürich, 24. April 2008. Das Opfertier liegt zerstückelt am Bühnenboden. Teile eines prächtigen Stiers hat Bühnenbildner Peter Meier über ein Felsentrümmerfeld von Bühnenpodesten verteilt, Brust, Laffe, Haxen, Nuss, fachmännisch zerlegt, ganz wie es Zeus gefällt. Oder ist es am Ende der Göttervater selbst, der hier in Stücken liegt? Der ja bei Gelegenheit auch schon mal Stiergestalt annahm? Und dessen väterlicher Regentschaft sich Prometheus, aus dem älteren Göttergeschlecht der Titanen stammend, als Anwalt der Menschen nicht unterwerfen, dessen Autorität er schlachten wollte. Damit ist er allein auf weiter olympischer Flur. Ein Rebell unter lauter Anpassern.

Alle sind sie zu den neuen Herrschern übergelaufen, selbst der Titan Okeanos rät seinem Vetter: "Erkenne dich selbst und pass dein Verhalten neu an, denn neu ist auch der Tyrann bei den Göttern." Das "Gnothi sauton" des delphischen Orakels, "Erkenne dich selbst", pervertiert zur Devise der Opportunisten! Wie muss das im Athen zu Aischylos’ Zeit geklungen haben.

Der Regisseur als ernster DJ

Im Zürich unserer Tage klingt es zunächst einmal ziemlich chic. Wer sich unter Titanen wilde, klobige und vor allem riesenhafte Gesellen vorgestellt hat, sieht sich getäuscht und einem schmächtigen, ephebenhaft eleganten Prometheus gegenüber. Regisseur und Prometheus-Darsteller Christoph Rath ist 29 und feingliedrig, für den Anlass hat er sich apollinische Stirnlocken drehen lassen. Chic auch sein Outfit: Er trägt einen weissen Ganzkörperanzug in einem technoiden Hybridstil aus antiken und futuristischen Elementen, mit dem er in jedem Club anerkennend hereingewunken würde (Kostüme: Stephan Brülhart).

Auch Cousin Okeanos, der Zottelbart (Adrian Furrer), die insektoide Io (Silke Buchholz), der metrosexuelle Hermes (Birgit Stöger) und Hephaistos, der Ledermann (Andreas Lehner), brauchten sich fürs Clubbing nicht umzuziehen. Zeitlose Eleganz. Es ist klar: Das Stück spielt "jetzt: seit ca. 470 v. Chr. = seit ca. 2478 Jahren", wie die Truppe ausgerechnet hat.

Das Schöne an Christoph Raths Beschäftigung mit dem Text von Aischylos ist, dass er ihn sehr ernst nimmt. Das soll nicht heissen, dass die Verse ehrfurchtsvoll heruntergeleiert würden. Rath stellt den dramatischen Ablauf um, fügt hier einen Fremdtext (etwas plakativ) hinzu, lässt dort ein Chorlied weg. Er geht an den Text wie ein DJ an einen Stapel Platten, lässt Dialoge im Repeat-Modus sich ausschwingen oder stockend anhalten. Prometheus remixed halt.

Frischer Klang und neue Dringlichkeit

Dennoch verrät er ihn nie. Am auffälligsten ist die Endlosschlaufe, in die Rath das Drama bringt: Prometheus lehnt sich immer neu gegen Zeus auf und wird von ihm immer neu dafür bestraft. Das ist freilich als theatrales Mittel nurmehr von bedingtem Interesse (ach, die ewige Wiederkehr des Gleichen!); gerade diese Endlosschlaufe hat aber auch wieder viel mit einer technoiden Ästhetik dieser – wie der Abend im Untertitel heißt – "Schau nicht zum Ruhm des Zeus" zu tun.

Schön bleibt die ernste Konzentration, mit der das Ensemble zugange ist. Sie schiesst nur gelegentlich über das Ziel hinaus ins Pathetische; hier gibt es keine Scheu vor grossen Gesten. Aber wie die fünf Darsteller den antiken Dialogen frischen Klang geben (in der Übersetzung von Walther Kraus), wie sie sie neu aufleben lassen, wie sich in poetischen Momenten auch mal deutscher und altgriechischer Text überlagern – das ist dicht und engagiert.

Aktualisierung kommt hier nicht von aussen, sondern von innen, aus dem sorgfältig ausgehorchten Originaltext. Das gibt dieser neuen Beschäftigung mit einem alten Stoff eine Dringlichkeit, die sich auf die Zuschauer zu übertragen vermag.

 

Der gefesselte Prometheus
nach Aischylos. Übersetzung von Walther Kraus
Regie: Christoph Rath, Bühne: Peter Meier, Kostüme: Stephan Brülhart, Musik: André Tschinder.
Mit: Christoph Rath, Silke Buchholz, Adrian Furrer, Andreas Lehner, Birgit Stöger.

www.theateramneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

Der Neumarkt-Prometheus von Christian Rath, schreibt Peter Müller im Zürcher Tages-Anzeiger (25.4.), sei  "ein Showman", ein "aufmüpfiger Narziss mit Lockenkopf". Er spiele den "komischen Protestler" gegen Zeus, der bald comichaft rülpst, dann wieder wütend aufstampft wie Rumpelstilz. Und zwischendurch mit österreichischem Akzent Verse rezitiere: "Der Kaukasus, Prometheus' Leidensberg, muss in der Steiermark liegen." Glatzköpfig der Chor der mitleidigen Töchter (und im Neumarkt auch Söhne) des Meergotts Okeanos, "Mickymaus-Ohren zieren die Frauen, die Männer tragen Fellschurz und Brustlatz. Eurhythmisch begleiten sie karikierend ihre Chorlieder, fallen vom Fistelton ins Bassgebrüll, raunen und quietschen." Am besten sei die Aufführung, wo sie auf Geisterbahngroteske, Puppenspiel und Mysterienklamotte verzichte. "Aischylos' Prometheus stellt radikal die Macht in Frage, die politische und die religiöse, die Zeus vereint." Einen 68er habe der Religionshistoriker, Jean-Pierre Vernant scherzhaft Prometheus genannt. Aber von dieser "Ungeheuerlichkeit" sei im Neumarkt kaum etwas zu erahnen. Mit Regie und Hauptrolle habe sich der 29-jährige Christoph Rath übernommen.

Kommentare  
Prometheus in Zürich: nachtkritik als Regulativ versagt
liebe redaktion,

es ist schon fatal zu sehen, wie das einst ambitionierte und couragierte theater am neumarkt zu einer kleinkunstbühne verkommt. was noch mehr überascht, ist dass die "nachtkritik" die sonst doch einen bekannt kritischen blick auf die szene wirft, hier keinen widerstand bietet und als regulativ versagt.

obwohl ich weiß gott kein freund vom herrn peymann bin, hier muss man ihn doch zitieren: wollen wir die probleme sehen, die jungregisseure mit ihrem puller oder ihrer mutter haben?

NEIN - das wollen wir nicht.
Prometheus in Zürich: Von wegen Kleinkunstbühne
Einen Kommentar, der so vollständig fehl am Platze ist wie der von "werner herbst", habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Kann ein Theater weiter weg sein von einer "verkommenen Kleinkunstbühne", als wenn es ein antikes Stück auf seinen Spielplan setzt? Und kann ein junger Regisseur weiter weg sein von den Problemen seiner Mutter, als wenn er sich mit einem urpolitischen Stoff beschäftigt, zudem, wenn man der Kritik glauben darf, auf ernstzunehmende Weise?

Nein, solche Kommentare wollen wir nicht.
Neumarkt Theater: Wann warst du dort?
drei fragen an "werner herbst":
1. hast du die aufführung überhaupt gesehen?
2. hast du in den letzten jahren sonst eine aufführung in diesem theater gesehen (und wenn ja, welche)?
3. wann war das "einst", als das theater am neumarkt deiner meinung nach so "ambitioniert und couragiert" war (und warum war es das "einst" im gegensatz zu heute)?
Prometheus in Zürich: Sprache ein Ärgernis
liebe "anonyme",

ich möchte nur daran erinnern, dass das neumarkt jahre lang neue stücke in der theaterwelt etabliert hat und so die szene bestimmte. wenn sie sich daran nicht erinnen können, bin ich offensichtlich länger regelmäßiger zuschauer als sie.
manchmal ist es eben nicht damit getan antike stoffe mit modernen mittelchen zu bearbeiten. um wirklich neue lesarten anbieten zu können, muss man nicht nur die stücke in sich hinein denken, sondern sie auch mit witz, intelligenz und handwerklichem geschick in ihrer eigendlichen absicht heben.

wenn mir einer von ihnen jetzt noch erklärt, dass die sprache (eines der grösseren ärgernisse der inszenierung) die das ensemble in dieser aufführung bemüht, der tiefe des gewählten sujets entspricht, wird es wirklich absurd.

meine damen und herren, gehen sie doch mal wieder in ihr schauspielhaus oder kommen sie nach münchen. vielleicht sehen sie hier, was sie am neumarkt vermissen.

beste grüße
Prometheus in Zürich: Was ist die Absicht eines Stücks?
Die "eigentliche Absicht" von Stücken... Mmmh. Was isn das? Schwieriger Fall, oder?
Prometheus in Zürich: alles andere als zwingend
die absicht des autoren. das ein regisseur versucht diese aus dem text zu analysieren, und damit zu beschäftigen halte ich für wesendlich.
sonst kann er jedes anderes stück machen. dann brauch es nicht zwingend diesen text.

und die premiere letzte woche, auch wenn es ganz amüsant war, war nun wirklich alles andere als zwingend, wenn man die vorlage kennt.
Prometheus in Zürich: Anders sehen
Neugierig geworden, habe ich (die die Inszenierung nicht gesehen hat, aber den Text kennt) gerade auf der Theaterwebseite die Kritiken gelesen und komme zu dem Schluss: Man kann diesen Abend offenbar auch anders sehen als Werner Herbst.
Prometheus in Zürich: Antwort von Werner Herbst
ihre schlussfolgerung besticht durch schärfe. oder sollte ich sagen von belanglosigkeit?

jetzt fehlt nur noch, dass wir anfangen darüber zu diskutieren, dass sowohl der künstlerische prozess als auch die rezeption von kunst subjektiv ist.
Prometheus in Zürich: Spricht W. Herbst aus dem Jenseits?
Lieber "Werner Herbst",
ich weiss nicht, ob Sie sich nur den Namen des kürzlich verstorbenen österreichischen Schriftstellers geliehen haben oder tatsächlich aus dem Jenseits sprechen. Ein wenig jenseitig klingt es allemal, was Sie da in Ihren Kommentaren schreiben, zumal Sie die Sprache als "eines der grösseren ärgernisse der inszenierung" ausmachen, aber das Kunststück fertig bringen, in einem einzigen Kommentar-Satz (6.Eintrag) drei grammatikalische bzw. Rechtschreib-Fehler unterzubringen. Das qualifiziert Sie nun wirklich zum Sprachkritiker. Ganz "unsubjektiv" gesagt.
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