Wie Schauspielerinnen im komischen Fach Geschlechterstereotype wegfegen
Schluss mit der dienenden Rolle
von Anna Opel
Berlin, 30. August 2018. Die Königin hat keinen Bock aufs Regieren. Dagmar Manzel nölt wie ein Teenager auf Handyentzug und berlinert, was das Zeug hält. Im Libretto zu den "Perlen der Cleopatra" aus dem Jahr 1923 von Julius Brammer und Alfred Grünwald steht die Genderwelt Kopf. Die Verehrer Silvius und Beladonis geben aufgeblasene Witzfiguren ab, nur Cleopatra und ihre Hofdame Charmian bieten sich qua komplexer Persönlichkeit zur Identifikation an. Und die Cleopatra ist eine Paraderolle für Manzel: komisch, pointensatt, alle Farben zwischen Verzweiflung und Lust. Die Schauspielerin ist der schlagende Beweis gegen das alte Vorurteil, Frauen hätten kein Talent zur Komik.
Heldinnen jenseits der Dreißig
Und sie ist nicht allein. Ganze Generationen witziger Frauen drängen ins Rampenlicht. Im Bereich Kabarett und Comedy: Carolin Kebekus, Idil Baydar, Maren Kroymann. Und im Theater neben Dagmar Manzel auch Maria Happel, Caroline Peters, Vanessa Stern, Anne Haug oder Melanie Schmidli vom Projekt Schooriil. Klar, komische Frauenrollen gab es schon immer. Komische Schauspielerinnen auch. Aber nie genug. Die zunehmende Eroberung der witzigen Seite des darstellerischen Spektrums lässt sich als Strategie lesen, den engen Rollenbildern des bürgerlichen Schauspielrepertoires zu entkommen, all den leidenden Heldinnen unter Dreißig. Und zugleich Stereotype wie die "komische Alte" hinter sich zu lassen oder lustvoll zu brechen.
Denn während die gesellschaftliche, neuerdings auch die theaterinterne Diskussion über die Geschlechter bereits die nächste Umlaufbahn erreicht hat, hängt die Arbeitsteilung bei den Theaterrollen noch immer im 19. Jahrhundert fest: Männer sind dominant, brachial oder komisch und vor allem sehr präsent; Frauen dünn, emotional, geheimnisvoll – und beziehen sich meist auf die handelnden Männer. Die marginale Position von Frauen in der Dramenliteratur von Shakespeare bis Goethe geht auf Gesellschaftsordnungen vergangener Jahrhunderte zurück. Frauen hatten da nicht komisch zu sein – Ausnahmen bestätigen die Regel. In der zeitgenössischen Dramatik, etwa bei Yasmina Reza, Tracy Letts und Noah Haidle sieht es im Hinblick auf interessante Rollen (und auf Komik) anders aus. Aber immer noch sieht man Frauen viel zu selten gewichtige Monologe an der Rampe halten. Was tun?
Die Limitierungen des Kanons
Erstens: Große, eigentlich männliche Rollen der Dramenliteratur werden mit Schauspielerinnen besetzt. Angela Winkler spielte Hamlet, Marianne Hoppe König Lear, Jana Schulz Macbeth, Barbara Nüsse Prospero. Allerdings ändert das an der fehlenden Repräsentation starker, handelnder Frauenfiguren wenig. Zweitens: Romanadaptionen und die Textflächen der Postdramatik bieten andere Freiheiten. Drittens: Neue Texte, andere Rollen müssen her. Das fordern Schauspielerinnen und Regisseurinnen, fordert auch der Verein "Pro Quote Bühne".
Allerdings kommt auch neue Dramatik an ihre Grenzen, wenn das Umfeld nicht stimmt: Als Anja Hilling in ihrem Auftragswerk "der garten" für das Schauspielhaus Wien von den Schmerzen des Älterwerdens in der Berliner Yuppie-Szene erzählte, war die älteste Schauspielerin im kleinen Ensemble 42 Jahre alt. Die Figuren mussten jünger geschrieben werden. Weil Schauspielerinnen jenseits der 45 wenig gefragt sind, fehlen sie in etlichen Ensembles. Und am Ende werden sie auf der Bühne nicht repräsentiert. Ein Teufelskreis.
Eine Lösung: die direkte Ansprache
Wie lässt sich trotz allem die Bühne mit weiblichen Perspektiven entern? Mit Komik! Zuletzt rockte Comedy-Star Idil Baydar (alias Jilet Ayşe) mit ihrer direkten Ansprache ans Publikum Falk Richters Hamburger Inszenierung von Elfriede Jelineks "Am Königsweg". Katharina Thalbach macht seit Jahren den Boulevard unsicher. Sibylle Bergs tragikomische Frauendiskurs-Serie am Maxim Gorki Theater (Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen, Und dann kam Mirna, Nach uns das All) mit ihrer vervierfachten Heldin ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Welt der Geschlechter-Repräsentation in Ordnung sein kann, wenn Theater, Dramatikerin und Regieteam das wollen.
Auch die zweite Karriere der großen Dagmar Manzel ist ein Triumph des Witzes über die strenge Trennung zwischen ernstem und komischem Fach, wie sie lange symptomatisch gewesen ist für die hiesige Kulturlandschaft. Seit 1983 hatte Dagmar Manzel am Deutschen Theater so gut wie alles gespielt. 2002 übernahm sie ihre erste Operettenhauptrolle als "Herzogin von Gerolstein" in der Kammer und enterte zwei Jahre später an der Komischen Oper als Mrs. Lovitt im Musical "Sweeney Todd" die große Bühne. Als Manzel in der Spielzeit 2008/09 in der Regie von Barrie Kosky die Titelrolle in Cole Porters Musical "Kiss me, Kate" gab, war der Star Dagmar Manzel endgültig neu geboren: Mit enormer darstellerischer Freiheit, Esprit und Erotik trug sie den Abend. So geistreich und lebensprall, so lustig und gendermäßig progressiv hatte man Musical und Operette bis dahin selten erlebt. Weitere legendäre Inszenierungen des Dream-Teams Manzel/Kosky folgten – bis heute.
In der Oper, in der Operette, im Musical gibt es sie noch, die Kunst der Verwandlung. Das biologische Alter ist da ziemlich egal, legt einen auch bei fortgeschrittener Karriere nicht auf bestimmte Rollen fest, solange die Stimme mitmacht. Wer Vamp ist und wer Verführerin, jugendliche Geliebte und charmante Draufgängerin, entscheiden Rollenfach, Esprit, Make-up und enthemmtes Spiel.
"Was, bitteschön, wollen Sie denn spielen?"
Anders sieht es im Sprechtheater aus. Maria Happel wäre noch vor ihrer Schauspiel-Ausbildung beinahe an Genderkriterien gescheitert: "Ich war weder groß, noch schlank, noch blond und wurde trotzdem immer zu Partys eingeladen. Ich konnte Witze erzählen und Klavier spielen." In den 1980ern habe die junge Maria Happel, Jahrgang 1962, eigentlich nicht ins Theater gepasst, sagt sie. Sie war nicht der "deutsche Typ". "Was, bitteschön, wollen Sie denn spielen?", habe man sie bei der Bewerbung an der Schauspielschule gefragt. "Immerhin bin ich ein Typ" stellt Happel beim Gespräch im Garten des Max-Reinhardt-Seminars in Wien klar. Und sie ist weit gekommen, gerade weil sie das Komische im Gepäck hat.
Happel spielte sehr gern die Schrägen und Verrückten, aber sie war weder Gretchen noch Käthchen. Weder der hohe Ton noch das Naive lagen ihr. Die Lehrerin in der Schauspielschule rutschte vor Lachen vom Stuhl, als sie die selbstgearbeitete Antigone vortrug. Und in einer frühen Rolle musste sie den Puck als geschlechtslosen Schimpansen spielen. Unter Seelenleid, denn sie war in den Regisseur verliebt. Erotik und Komik passten in der alten Theaterwelt in Bezug auf Frauen nicht zusammen. Inzwischen spielt sich Happel am Wiener Burgtheater quer durchs Repertoire. Aktuell ist sie im Besuch der alten Dame die Claire Zachanassian, die aus verletzter Liebe Rache übt (Regie: Frank Hoffmann). "Das Komödiantische ist immer die Kehrseite der Tragödie", sagt Happel und hat, sagt sie, vielleicht weil sie ein Typ ist, mit Vorurteilen wenig zu tun gehabt.
Kein Platz für Angry Young Women im Repertoire
Der Schauspielerin Caroline Peters, ebenfalls Ensemblemitglied am Burgtheater und auch bekannt als Pollesch-Protagonistin und als Kommissarin Sophie Haas aus der Kultserie "Mord mit Aussicht", hat das Komische geholfen, ihr Spektrum zu erweitern. Am Set der Kultserie musste sie ihre Komik und ihr Kostüm allerdings gegen Widerstände durchboxen. Dass Frauen nicht intelligent und schlagfertig genug seien, um komisch zu sein, diese Auffassung begegnet ihr oft. Sie stemmt sich gegen solche Klischees, aus Prinzip, aber auch, weil sich Ungerechtigkeiten daraus ergeben. "Uns Schauspielerinnen fehlt es in vieler Hinsicht an Anerkennung, das gilt für die Bühne wie für Probensituationen. Zuerst werden die männlichen Kollegen gesehen und gefragt. Frauen sind es gewohnt, marginalisiert zu werden. Das gilt für Inhalte, wie für die Bezahlung." Als junge Schauspielerin hat sie im Repertoire vergeblich nach "angry young women" gesucht, erzählt sie. Ist dann aber rechtzeitig Regisseuren begegnet, die, wie sie selbst, Geschlechterrollen durchlässiger definieren wollten. René Pollesch, Nicolas Stemann und Simon Stone erneuern das Theater auch auf diesem Gebiet.
Wer Caroline Peters und Martin Wuttke als streitendes Ehepaar in Simon Stones düster-komischem Hotel Strindberg am Wiener Akademietheater zusieht, kommt kaum hinterher. Mitten in der Depression des Geschlechterkampfes, aus ihr heraus entwickelt Stone diese komische Ehekriegsszene. Vorwurf, Fürsorge, Hass, Rache, Körperslapstick, und das alles im falschen Hotelzimmer. Ein tragikomisches Gefecht. Peters und Wuttke schenken einander nichts, sind gleichwertige Partner. Beider Rollen hochgradig ambivalent, schwankend zwischen Macht und Ohnmacht.
Auf und hinter der Bühne kämpft Peters dafür, dass sich die Repräsentationsmaschine in eine andere Richtung bewegt. In die Richtung, in der Schauspielerinnen auf der Probe nach ihrer Meinung gefragt werden. Eine Richtung, in der Geschichten, in denen eine Frau Hauptfigur ist, nicht mehr als Frauengeschichten marginalisiert werden, während eine Geschichte um eine männliche Hauptfigur als universell eingestuft wird. "Ein männlicher Hauptdarsteller steht für alle Menschen, eine weibliche Hauptdarstellerin für bewegte Frauen."
Der Schritt vom Gretchen in die Freie Szene
Jammern hilft nicht, Selbermachen ist ein Weg. Und das geht naturgemäß in der freien Szene leichter. Das kultige "Projekt Schooriil" von Anne Haug und Melanie Schmidli ist an den Berliner Sophiensaelen beheimatet, einem der zahlreichen freien Produktionshäuser, die von einer Frau geleitet werden (Franziska Werner). Die beiden Künstlerinnen produzieren, schreiben und spielen selbst. Zu den wiederkehrenden Bausteinen der Serie gehört laut Anne Haug "die Steinzeittheorie als Parodie auf eine gewisse Pseudologik und Pseudowissenschaft, die einem überall begegnet". Selbstgefällige O-Töne prominenter Kollegen, typische Arbeitssituationen und Darstellungsklischees werden lustvoll durch den Kakao gezogen. "Projekt Schooriil" ist ein komisches Reenactment dessen, was frau in Ausübung ihres Berufs in der misogynen Branche erlebt. In jeder Folge ("Krisis", "Existenzangst" usw.) zeigen die beiden in Video-Einspielern, wie sie auf Proben und am Filmset als kurvige Deko und Stichwortgeberinnen herumgeschoben werden. Die Idee entstand bei der Sichtung selbstproduzierter Showreels, wie sie im Netz massenhaft zu finden sind. Sie richtet sich – extrem unterhaltsam und aufklärerisch – gegen stereotype Inszenierungen von Geschlechterrollen.
Als "Mutter" der ins Komische gewendeten Berliner Schauspielerinnenkrise darf die unvergleichliche Vanessa Stern gelten. Aus der Ödnis des Stadttheaterrepertoires hat sie vor Jahren die Flucht nach vorn angetreten. Stern war, anders als Maria Happel, durchaus der deutsche Typ, sie spielte das Käthchen und das Gretchen. "Ich bin ständig gestorben und musste unentwegt weinen. Das bringt neben anderen Ärgernissen erhebliche Einschränkungen mit sich, was das darstellerische Spektrum angeht." Stern quittierte den Dienst und gründete 2010 nach einem Intermezzo bei den Systemkritikern von Attac an der Berliner Universität der Künste das Krisenzentrum für weibliche Komik. Sie forschte dort in der Grauzone zwischen Wissenschaft und Kunst. Irgendwie schien die weibliche Komik in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Wie könnte sie aussehen, jenseits von obsessiver Selbstkritik?
Seither tritt Stern regelmäßig an den Berliner Sophiensaelen in ihrer Late Night "La Dernière Crise. Frauen am Rande der Komik" mit Gästen auf. Das Überwältigungspotential der Komik dient als Werkzeug gegen systematische Marginalisierung. In Eigenproduktionen an den Sophiensaelen setzt Stern ihre bei Christoph Schlingensief erlernte Methode ein: Zweifel, Sorgen und Hindernisse rückhaltlos veröffentlichen. Ihre jüngste Arbeit Die Umschülerinnen. Komödie der unbegabten Kinder ist ein komischer Kommentar zu den vielfältigen Sexismen der Branche. Und den eigenen Unzulänglichkeiten. Gespielt von durch und durch überzeugenden Protagonistinnen, die im echten Leben um ihre Existenzen bangen. Politische Kraft entwickelt Sterns Arbeit da, wo klar wird, dass eine holprige Arbeitsbiographie eben nicht nur Privatsache ist. In einem Postgraduiertenprojekt an der Universität der Künste hat Stern übrigens etlichen Frauen die "Werkzeuge des Komischen" vermittelt. Auf dass ihr Engagement Früchte trägt – und komische Frauen dann kein Thema mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit sind.
Anna Opel, Jahrgang 1967, seit 1989 in Berlin. Promotion im Fach Theaterwissenschaft. Übersetzt Theaterstücke von Tracy Letts, David Lindsay-Abaire, Christopher Durang u. a., Buchautorin und freie Kritikerin für zitty, Theater der Zeit, Missy Magazine, Freitag. Gelegentlich auch als Dramaturgin unterwegs. (Foto: Olaf Kripke)
www.annaopel.de
Mehr zu Geschlechterfragen im Theater: Anne Peter beschreibt in einem Grundlagentext Gründe für die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Theaterbetrieb und mögliche Lösungsansätze. Dazu die Diagrammserie mit Zahlen und Fakten. Den "Verein Pro Quote Bühne" und seine Reformbestrebungen stellen Anne Peter und Sophie Diesselhorst im Interview mit zwei der Gründerinnen vor.
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