Die Pressekonferenz von Oliver Reese und seinem Team zum Intendanzstart am Berliner Ensemble 2017/2018
Das Herz des Spiels
von Georg Kasch und Christian Rakow
Berlin, 30. Mai 2017. Große Fußstapfen locken ihn, scheint’s. Der Gang ins Berliner Ensemble ist der Eintritt in eine mächtige Traditionslinie: von Ernst Josef Aufricht, Bertolt Brecht, Helene Weigel, Ruth Berghaus und Heiner Müller. Sie alle nennt Oliver Reese auf seiner Antrittspressekonferenz, die heute Vormittag im Rangfoyer des Berliner Ensembles über die Bühne ging. Vorgänger Claus Peymann ward aus dieser Linie geflissentlich ausgespart. Manchmal ist auch ein Verschweigen ein Seitenhieb. Und durchaus verständlich als zarte Retourkutsche für die harten Kanten, die Peymann gegen seinen Nachfolger zu Zeiten ausgeteilt hatte (wegen der Nichtverlängerungen des Peymann-Ensembles, wegen der Nähe zum "Phänotyp" Tim Renner, man erinnert sich...).
Ende des "Theatermuseums"
Geplänkel gehören zu einem Intendanzwechsel dazu. Zumal nach 18 Jahren. Zumal, wenn es gilt, den Geist des "Theatermuseums", als das das Berliner Ensemble vielen Beobachtern über die Jahre galt, auszutreiben. Gemessen am Kulturkampf, der um die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz tobt, war der indirekte Schlagabtausch am Schiffbauerdamm ohnehin ein eher harmloser Fall von Häuschen-wechsel-dich-Folklore. Entsprechend die Atmosphäre an diesem Vormittag: gelöst, heiter, erleichtert. Drei Wochen nach der skeptisch beäugten und weiterhin heiß diskutierten Dercon-Pressekonferenz in Tempelhof gab's am BE bei Medienvertreter*innen und den zahlreichen Künstler*innen und Ensemblemitgliedern im Raum vor allem Vorfreude. Auch auf viel Vertrautes.
Oliver Reese ist also zurück in Berlin. Wohnhaft in Schöneberg, wie man erfährt. Am Gorki Theater hat er einst als Chefdramaturg gearbeitet, am Deutschen Theater – zunächst als Chefdramaturg, dann als Interimsintendant – seinen Ruf als umsichtiger Theatermanager aufgebaut. Seine vergangene Intendanz in Frankfurt am Main gilt als beispielhaft für modernes Stadttheater, breit aufgestellt, solide fundamentiert, künstlerisch glanzvoll in Momenten.
Von seinen Plänen fürs BE war bereits reichlich durchgesickert. Ein Autorentheater will Reese kreieren (und hat sich dafür Moritz Rinke als Mentor ins Boot geholt). Michael Thalheimer tritt als Hausregisseur dem Leitungsteam hinzu (und wird zwei Inszenierungen pro Spielzeit zum Repertoire beisteuern). Sibylle Baschung übernimmt die Chefdramaturgie; Clara Topic-Matutin verantwortet als Kuratorin den Bereich neue Formate.
Frank Castorf kommt ans BE, kriegt aber – hier irrten die Gerüchteköche – nicht die Spielzeiteröffnung (sondern Victor Hugos "Les Misérables" im Dezember). Den Auftakt übernimmt Antú Romero Nunes mit Camus' "Caligula" (Nunes, der am Gorki Theater unter Armin Petras aufgebaut wurde und inzwischen regelmäßig am Thalia Theater Hamburg und am Wiener Burgtheater inszeniert). Shootingstar Ersan Mondtag wird neben dem Gorki Theater jetzt auch am BE inszenieren.
Magnet Thalheimer
Und dann die Spieler, das "Herz" des Theaters, wie das Leitungsteam nicht müde wurde zu betonen: Constanze Becker kehrt zurück nach Berlin, Stefanie Reinsperger kommt aus Wien, Andreas Döhler verlässt das Deutsche Theater Berlin. Überhaupt hat Michael Thalheimer viele seiner edelsten Spieler*innen gecastet: Ingo Hülsmann, Peter Moltzen, Stephanie Eidt, Judith Engel – da blutet die Schaubühne ein wenig.
Mit Veit Schubert und Peter Luppa bleiben zwei aus dem Peymann-Ensemble am Haus. Das gehört in den Bereich der Überraschungen. Ebenso die Anstellung von Annika Meier aus der Herbert-Fritsch-Familie und die Abwerbung von Fritschs kongenialer Dramaturgin Sabrina Zwach. Fritsch geht bekanntlich an die Schaubühne. Und dann doch noch eine kleine Verbeugung vor Claus Peymann: seine Abschiedsinszenierung "Prinz Friedrich von Homburg" wird ins neue Repertoire übernommen, ebenso wie Robert Wilsons finales "Endspiel", daneben die Klassiker Dreigroschenoper (Regie: Robert Wilson) und Gott des Gemetzels (Regie: Jürgen Gosch) und der All-Time-Hit "Arturo Ui" in der Inszenierung von Heiner Müller, mit Martin Wuttke als Ui.
State of the Art
Das achtundzwanzigköpfige feste Ensemble versammelt im Ganzen zahlreiche der allerersten Spieler: Patrick Güldenberg kommt von der Volksbühne, aus Frankfurt bringt Reese u.a. Nico Holonics und Felix Rech mit. Bettina Hoppe, Corinna Kirchhoff und Wolfgang Michael sind Berlin-Heimkehrer. "Menschendarsteller" sollen die Akteure sein, wirft Moritz Rinke mit programmatischer Geste in den Presseraum. Ohnehin seien Schauspieler/Verwandlungsspieler der wichtigste Bezugspunkt für Dramatiker. Olga Grjasnowa, Dirk Kurbjuweit und Burhan Qurbani sind für das Autorenprogramm angekündigt. Prononcierte, vor allem jüngere Regiehandschriften weden gleichwohl auch zu haben sein: Robert Borgmann, Alexander Eisenach, dazu Nunes, Mondtag, David Bösch. Johanna Wehner, Lily Sykes und Bernadette Sonnenbichler werden kommen. Und Dieudonné Niangounak ist für eine Stückentwicklung eingeladen.
Kurzum: Das ist ziemlich der State of the Art, den man sich von einem der führenden Sprechtheater des Landes erhoffen und erwarten darf. "Konsenstheater" raunte ein Kollege. "Wohltuend, mal Leute zu hören, die wissen, wovon sie reden", ein anderer. Das Deutsche Theater wird sich warm anziehen müssen, wenn die neue Konkurrenz vom Schiffbauerdamm ihre Versprechen auch nur halbwegs einlöst. Ach ja, und die beliebte DT-Reihe "Gregor Gysi trifft" gibt's am BE mit Michel Friedmann. Könnte man Kopie nennen oder einfach pfiffige Adaption, Anschluss an Bewährtes. Alles Neue ist besser als alles Alte. Sagte Brecht. Aber er muss ja nicht in allem Recht haben.
Alle Angaben zum neuen Berliner Ensemble finden Sie auf neu.berliner-ensemble.de
Der Text wurde am 31. Mai 2017 um 9.15 Uhr aktualisiert.
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Ansonsten klingt das alles aber sehr viel versprechend.
PS: Da klingen Khuons Ankündigungen anlässlich seiner Verlängerung und die neue Spielzeit am DT wirklich spannender:
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/theater/deutsches-theater-intendant-ulrich-khuon-verlaengert-seinen-vertrag-bis-2022-26985248?originalReferrer=
Vielleicht tut das der Schaubühne auch ganz gut. Dort habe ich schon länger den Eindruck, dass man es sich etwas zu bequem gemacht hat.
Ad Ensemble: Was für ein Cast!! Wow. Güldenberg und Reinsperger sind - neben dem Halbgott Veit Schubert - meine Favoriten. Geil. Ich muss zugeben echt Bauklötzer zu staunen. Das ist mal ein Schauspielensemble. Das erinnert mich ans Residenztheater in München, in seiner Güte und Komposition.
Ad Castorf: Ich weiß, dass das leider eine unüberprüfbare Tatsachenbehauptung ist, aber es wurde schon seit Monaten von dem Dächern gepfiffen, dass der Castorf (erst) im Dezember kommt! Nur wenn erst dann die Spielzeit eröffnet worden wäre, wäre ein Eröffnungscastorf infrage gekommen. Zudem hat Castorf am 28.9. in Zürich Premiere (seit 23.5. publik), somit wäre eine Inszenierung zur BE-Eröffnung im Herbst zusätzlich unwahrscheinlich gewesen.
Ad Konsenstheater: Naja, das kann man so sehen. Unter diesen Voraussetzungen (Ensemble, Stücke, Regien) kann immernoch jede Menge schief gehen. Aber der Ausgangspunkt für reichhaltiges Theater ist ziemlich geschickt tariert. Konsens im Spielplan ist noch nicht Konsens in der Kunst. Und vielleicht ist Konsens als Ausgangspunkt für dann umso härtere, konstruktiv-kritische Auseinandersetzung nicht das Schlechteste: Der friedliche Rahmen für Streit durch (und nicht: über) die Kunst (und nicht: deren Bedingungen) steht.
Ad Vorgänger: Beim Homburg würde ich neben der Verbeugung vor Peymann auch ein rein dispositionelles und Marketingargument sehen. Die Inszenierung ist (in Bezug auf Ihren Premierentermin) taufrisch und wird sicherlich noch Publikum ziehen, ohne dass man dafür Probenkapazitäten einpassen muss. Das ist einfach ein sicherer Schachzug der Betriebsdirektion, gleiches gilt für "Endspiel".
Ad Aufschrei: Regie-Schieflage im Großen Haus (7 Männer, 2 Frauen), ausgewogen im Kleinen Haus (4 Männer, 4 Frauen), was die Premieren betrifft. Bei den Übernahmen nur Männer. Bin gespannt auf alle Arbeiten, vielleicht erlaubt das dann ein Überschwappen vom Kleinen ins Große Haus. Auf Ola Mafaalani bin ich irre gespannt. Nicht zuletzt: Sibylle Blaschung ist Chefdramaturgin. Und als solche hat man ja neuerdings gute Chancen auf mittlere Sicht Staatstheaterintendantin zu werden. ;-)
Ad Schaubühne-Blut: Auwei. Dann darf man jetzt gespannt sein, was da passiert.
Ad Kooperationen: Reese hat vor Amtsantritt mit Annemarie Vanackere Kontakt aufgenommen. http://www.fr.de/kultur/theater/oliver-reese-in-berlin-herrscht-staendiges-kommen-und-gehen-a-1287188
"FR: Sie werden Kooperationen versuchen mit anderen Häusern in Berlin?
Reese: Ich fange nicht damit an. Aber ich weiß: Es wird sich ergeben. Auch mit der freien Szene. Ich gehe mit Offenheit in die Berliner Szene. Ich kann mir auch vorstellen, mit Museen zu kooperieren, wie wir es in Frankfurt oft gemacht haben."
Alles in allem bin ich positiv überrascht. Auch wenn ich Peymanns Managertypen-Vorwurf an Reese im Kern teile, überzeugt mich das bislang Präsentierte für den Moment überraschend stark. Punkt für Reese und Mannschaft.
"Wenn jemand bei uns kontinuierlich als Regisseur arbeitet, soll er bitte an keinem anderen Berliner Theater vorkommen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dimiter Gotscheff hat immer am Deutschen Theater und an der Volksbühne gearbeitet, Ersan Mondtag hat am Gorki Theater gearbeitet, und wir haben eine lange Verbindung mit ihm. Manchmal soll man Gelassenheit an den Tag legen."
@1: Das Dachlogo wird hoffentlich bleiben! Ob es in der Corporate Identity bleibt, ist in der Tat fraglich. Im Spielzeitheft nicht enthalten.
Und zum Schluss - danach bin ich ruhig - noch mein vollkommen naiver Tipp für die Longlist der Misérables-Besetzung:
- Patrick Güldenberg
- Veit Schubert
- Stefanie Reinsperger
- Aljoscha Stadelmann
- Moltzen oder Döhler
- Hoppe
- Luppa
- Wehlisch
- und hoffentlich: Martin Wuttke
ich wollte nur kurz ein zwei Sachen zu Ihrem Kommentar anmerken:
Die Inszenierung "Clockwork Orange" von Christopher Rüping ist eine Wiederaufnahme vom Schauspiel-Frankfurt, "Selbstbezichtigung" von Parizek der Wiener Soloabend von Stefanie Reinsperger. Die zwei Abende holt Reese mit nach Berlin, in dem Sinne finde ich es aber schwierig davon zu sprechen, dass er die Regisseure ebenfalls engagiert (Die sind bei Wiederaufnahmen oder Übernahmen ja meistens nur 3-5 Tage am Haus).
Meine persönliche Meinung ist, dass es ja sehr viele Regisseure gibt, die in den letzten Jahren in Berlin inszeniert haben, dass sich da einige Namen doppeln, habe ich um ehrlich zu sein erwartet. Von Bösch, Nunes und Borgmann lief zudem ja lang nichts mehr in Berlin - da freue ich mich sehr drauf. Arbeiten von Regisseurinnen und Regisseure wie Thomas Bo Nilsson, Bernadette Sonnenbichler, Madera Koleznik, Ola Maafalani, Dieudonné Niangouna, Clemens Sienknecht und Johanna Wehner habe ich hier - so weit ich mich erinnere - noch nie außerhalb eines Festivals gesehen.
Und mit Namen wie Constanze Becker, Wolfang Michael, Stefanie Reinsperger, Nico Holonics, Felix Rech, und Corinna Kirchhoff sind doch einige große Schauspieler/-innen Namen dabei, oder nicht? Und ich verstehe Ihren Begriff "Konsens-Ensemble" nicht, können Sie mir da aushelfen?
Herzlich,
Carl
Man sollte sagen: mit dieser weichgespülten Stadttheater-Ausstattung kann nichts schief gehen! Die allseits bekannten, männlichen Namen inszenieren überall in Deutschland, es ist das Immergleiche und dazu komplett erwartbar.
Gut abgegrenzt zur Volksbühne und damit in meinen Augen umso langweiler. An der Stelle hintefrage ich die Kulturförderungen: warum immer die gleichen Ästhetiken fördern? Warum nichts wagen?
(Ja: Barbara Bürk, Mateja Koležnik, Ola Mafaalani, Bernadette Sonnenbichler, Johanna Wehner. Allerdings inszenieren nur zwei von ihnen auf der großen Bühne. MfG, Georg Kasch / Redaktion)
http://www.kulturradio.de/programm/schema/sendungen/das_gespraech/archiv/20170507_1904.html
Das tut so, als ob Künstler nur Maschinen sind, die algorithmisch Ihr Programm bis zum Lebensende abspulen.
Wichtiger aber: Was sind denn aus Ihrer Sicht "nicht immer gleiche" Ästhetiken, die "gewagt" werden sollten? Wer wäre das?
Wagnisse finden Sie (in Berlin): am Ballhaus Ost, am Ballhaus Naunynstraße, am Radialsystem, in den Sophiensaelen, im HAU1, im HAU2, im HAU3, im Heimathafen Neukölln, in der Neuköllner Oper, im Theaterdiscounter, in den Berliner Festspielen, BAT. Alle diese Häuser sind auf verschiedene Weisen öffentlich gefördert. Und dann haben wir über die ganzen Theater unterhalb dieser Radarschwelle noch gar nicht gesprochen: Uferstudios, ZKU, usw.
Aufgabe der Kulturpolitik ist es, ausgewogene Rahmenbedingungen zu schaffen. Innerhalb derer kann gewagt und gewonnen werden. Die Direktionen der Häuser haben in den allermeisten Fällen viel mehr Ahnung, was ein theatrales Wagnis ist und warum es sich lohnt, es einzugehen. Das liegt daran, dass die Direktionen sich um die Produktionen kümmern, und die Politik eben um die Rahmenbedingungen. Würde die Politik noch stärker eingreifen, hätte ich große große Sorgen um die Kunst.
Natürlich kann die Politik mithin über Besetzungsentscheidungen an der Wagnisschraube drehen. Bei Reese sollte aber das vorgelegte Programm nun nicht verwundern. Insofern wäre die Kritik an der Personalentscheidung für Reese an die Politik zu richten. In diesem Falle: den damaligen Entscheider und jetzigen Charlottenburger SPD-Kandidaten Tim Renner, sowie seinen damaligen Dienstherrn Wowereit.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/oliver-reese-wird-intendant-am-be-berliner-ensemble-klausel-fuer-das-geisterhaus/11059254.html
PS: Wenn das alles so erwartbar (gewesen) ist, wie wäre es, wenn sie in Zukunft der versammelten Leserschaft *vorher* ein paar konkrete Thesen und Gegenthesen schicken vor den nächsten Personal- und Spielplanentscheidungen? Davon könnten wir alle profitieren. (Im Nachhinein Erwartbarkeit zu monieren ist leicht.) Das geht auf meine Anfangsfrage zurück. Wer und/oder was wäre denn "gewagt"??
PPS: Übrigens zieht das von Ihnen behauptete "Immergleiche" offenbar jede Menge Publikum und Direktionen in ihren Bann. Sonst würden sie ja nicht allerorten wieder und wieder inszenieren (dürfen). Vielleicht ist immergleich nicht immer gleich.
PPPS: Und welche vermeintlich edgy Arbeiten intellektuell weichspülend wirken, darüber können wir - mit Verlaub - lieber bei einem gepflegten Soja Latte schwadronieren. Was wäre denn aus Ihrer Sicht "nicht weichgespült"?
(Sehr geehrter Hannes, das war ein Versäumnis im Bericht und wurde nachträglich korrigiert. Vielen Dank. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow, Georg Kasch / Redaktion)
@16: Hier erste Anhaltspunkte zu Mateja Koleznik https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_seoglossary&view=glossary&catid=78&id=549&Itemid=67#
@12 & @17: In Ergänzung der Antwort von Georg Kasch darf ich noch auf meine Anmerkung unter #5 hinweisen, wie sich die Regieaufträge auf die beiden Bühnen des neuen BE verteilen. Kurz: im Großen Haus sehr ungleich, im Kleinen Haus voll ausgewogen.
@13: An welcher Stelle? Ist doch eine heitere Angelegenheit. Klar, Claus Peymann ist ein Egoman. Aber ein interessanter, und vor allem ein lustvoller. Er sagt ja selbst "... an der Grenze zum Greisentum". Verschmitzt, großmaulig, aber mit Haltung. Ein wenig Pathos sei da gestattet.
@8: Das ist scharf beobachtet. Soweit der Konsens. Aber nun geht es an die Auslegung. Sehen wir uns doch einmal die Daten an. 31,4% aller Berliner/innen haben Migrationshintergrund. In der Bundesrepublik insgesamt haben den etwa 20%. (Quellen: siehe unten.) Das bedeutet, dass - wenn man eine Art Repräsentativität andenkt (und schon darüber könnte man diskutieren) - ein Fünftel bis ein Drittel der Intendanzen, der Ensembles, der Regieaufträge in die entsprechende Richtung bewegt werden sollten. Richtig? Machen wir also die Rechnung: Intendanzen: 2 von 5 (Langhoff, Dercon), also satte 40%. Check! Wenn man das HAU mitzählt, sind wir bei 3 von 6. Bei den Regieaufträgen ist es aufgrund der vorgenannten Häuser ähnlich. Bei den Ensembles ist das Gorki selbsterklärt Vorreiter mit beinah 100% Schauspieler/inne/n mit Migrationshintergrund. Das macht nicht ganz 20% der Berliner Ensembles aus, aber hinzu kommen wenigstens einzelne am DT, an der Schaubühne, am HAU (wenn man deren gastierendes Performerpersonal einkalkulieren möchte).
Alles in allem kann ich also *nicht* erkennen, dass die Berliner Theaterlandschaft reinweiß ist. Im Gegenteil, sie bildet Berlin und die BRD ziemlich exakt ab. Dass das nicht für jedes Haus im Einzelen gelten muss/kann, versteht sich. Oder monieren sie auch die überwiegend/überproportional homosexuellen Direktionen der Berliner Opern?? Die Mischung im Gesamtbild macht es.
Bonusfrage: Wie sieht es mit Ostdeutschen aus? Oder waschechten Berlinern?
--
Datenquellen:
https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen/stat_berichte/2017/SB_A01-16-00_2016h02_BE.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_Deutschlands#Bev.C3.B6lkerungsentwicklung_durch_Migration
(Werter Oh weh,
mehrere Redakteure hatten den Eindruck, dass sich dieser Kommentar im Ton vergriffen hat. Vielleicht können die Punkte noch einmal versachlichend vorgebracht werden.
MfG, Georg Kasch / Redaktion)
Und, sorry, ich sags auch nochmal: wieder nur Männer, Männer, Männer auf der großen Bühne.
Wo sind eigentlich Monika Gintersdorfer, Jorinde Dröse (lange nichts mehr gehört!), Friederike Heller oder die erstaunliche Angela Richter?
Was ist da bloß los?
Und neoliberal? Definitiv.
#23:
Ja, das ist halt das BE - da machen traditionell die Männer das Genie und die Frauen die Mitarbeit. Wie sonst auch, nur dass das BE-Genie traditionell lange Zeit genialer war als das der Männer anderswo - es kann ja nicht immer alles so bleiben wie es war-
Ich gebe ein Beispiel aus der Literatur: Verlage haben vor einiger Zeit beschlossen, dass es ohne übermäßig fachkundige Lektoren besser geht. Die haben dann Literaturagenturen gegründet. Die haben sich jetzt ganz üblich also zwischengeschaltet zwischen Autor*in und Verlag. Wo doch schon der Verlag zwischengeschaltet hat zwischen Autor*in und Leserschaft. Also jetzt üblich geworden zweimal zwischengeschaltet. Im Idealfall hat ein/e Ex-Lektor*in noch Beziehungen zu ihrem/seinem früheren Verlag und sowie ein Management-Studium und buchhändlerische PR-Kenntnisse und weiß erstklassig, was der Buchhandel vom Verlag will, damit ein/e Autor*in auch zu Leserschaft überhaupt kommt.
Solche – die besten, denen es bekennend um wirkliche Literatur geht - Agenturen sich vollmundig darüber, wie sehr sie begehren würden, DEN zeitgenössischen großartigen Roman finden zu wollen. Und preisen gleichzeitig sich selbst genau damit an, dass sie den Autor*innen zunächst raten, zurückhaltend zu sein. Formal wie inhaltlich bitte. Nicht zu mutig oder gar experimentell. Bis sie erst einmal einen Namen durch etwas weniger formal Außergewöhnliches bei gleichzeitigem abgebremsten inhaltlichen Mut haben. Etwa durch einen schönen hochliterarischen Porno oder Fantasy-Klassiker zu Ansehen gekommen sind. Mit PR-geschulter Agenturhilfe natürlich! - DANN könnten sie auch n a c h und n a c h mutiger werden! Und ihre Meinung der Gesellschaft auch einmal - vorsichtig formal natürlich - geigen! –
Aber vorher natürlich nicht. Erst der Name, dann die auch bittereren Wahrheiten bitte. -
Und genau so läuft es eben beim Theater auch. Nur dass da noch mehr zwischengeschaltet ist vor das Publikum. Für die/den Autor*in. Nämlich erst die Literaturagentur – (Es gibt eigentlich keine, die für die Weitergabe an Theaterverlage zuständig ist. Ich habe das durch einen Praktikanten prüfen lassen.). Aber selbst wenn es eine gäbe, gibt es noch vor die Theater vorgeschaltete Theaterverlage. Und in den Theatern vor die Regisseur*innen vorgeschaltete Dramaturg*innen und Intendant*innen. Und vor die Dramaturg*innen und Intendant*innen noch die vorgeschalteten Referent*innen, die schauen, was dem/der Chef*in zuzumuten ist. Und vor die Referent*innen ist dann noch der mit blocking beauftragte Provider geschaltet, wegen der schließlich heuer überall bevorzugten Online-Einsendungen usw. usw.
Kürzlich riet mir ein wirklich sehr netter Mensch, der aus irgendeinem Grund dachte, speziell ich könnte mir das aus irgendeinem Grunde erlauben, unangemeldet direkt in Verlage zu gehen mit meinen völlig überflüssigen Stücken und einem völlig unsinnigen Roman und überhaupt mit meiner ganzen angesammelten, unveröffentlichten verachtenswerten Literatur. - Aber ich kann das gar nicht. Wenn er mitkommt tu ich es. Und sonst nicht. Sonst sehe ich es überhaupt nicht ein, dass die Regisseur*innen nicht die Intendant*innen und Dramaturg*innen und die Theater nicht die Verlage und die Verlage nicht die Agenturen und die Agenturen nicht die Buchhandelsprognosen überwinden, wenn sie Literatur für ihre Leserschaft/ihr Publikum wollen. DAS ist schließlich deren Beruf. Und ich werde den Teufel tun, und sie in dem Glauben wiegen, dass die den wirklich vollinhaltlich ausfüllen, wenn sie die Autor*innen durch reine Markterfordernisse zensieren.
Ich für meinen Teil weiß ganz genau, warum ich wem was von meiner Arbeit anbiete. Und ich verlange einfach von Verlagen und all diesen anderen Zwischenschaltern, dass die auch ganz genau wissen, warum die meine Arbeit an Leserschaft und Publikum bringen wollen. Denn wenn sie das nicht wissen, brauch ich auch nicht zu ihnen persönlich hingehen und mich durch ihre mangelnde Kompetenz demütigen lassen.
"Ja, das Programm ist halt das, was überall "gut" läuft. Gähn."
Keine Ahnung, was Sie gelesen haben, aber das BE bringt überproportional viele Uraufführungen und Erstaufführungen in der ersten Saison auf die Bühne.
"Und, sorry, ich sags auch nochmal: wieder nur Männer, Männer, Männer auf der großen Bühne."
Und sorry, zu Ihrer Bemerkung sage ich auch nur: Gähn, gähn, gähn.
Sehr geehrte/r Herr Reese, Herr Fischer, Frau Baschung, Frau Topic-Matutin, Herr Reitzler, Herr Rinke und Herr Thalheimer,
ich wende mich an Sie und die Öffentlichkeit aufgrund einer Ihrer Programmpunkte in der Ankündigung, der mich beunruhigt. Sie wollen eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Europa! Friedman im Gespräch“ etablieren, bei der Herr Michel Friedman im Berliner Ensemble jeweils einen Gast zu Europa befragen wird. Am 25.09.2017 wird Herr Joschka Fischer als erster Gesprächspartner eingeladen sein.
Das Datum ist einen Tag nach der Bundestagswahl geschickt gewählt. Man wird sich im Nachhinein über das Ergebnis nicht sonderlich wundern und schon geahnt haben, dass die Wahl so und nicht anders ausgehen wird. Vielleicht hat man noch die niedrige Wahlbeteiligung zu beklagen.
Ich bin aus mehreren Gründen gegen diese Veranstaltung in dem Format, wie Sie es geplant haben. Am 10. Juni 2016 wurde das „Center for Applied European Studies“ in Frankfurt eingeweiht. Herr Friedman fungiert als Geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums an der Frankfurter Universität, das sich zum Ziel setzt anwendungsorientierte Lösungsvorschläge für europäische Fragen und Herausforderungen zu entwickeln. Zur Eröffnung waren mehrere Personen des öffentlichen Lebens geladen, einige von ihnen hielten eine Rede. Einer der Redner war Joschka Fischer.
Keine alten Stiefel für Berlin!
Mit seinem 2014 erschienenen Buch „Scheitert Europa?“ hat Herr Fischer deutlich gemacht welche Ideen er sich für Europa wünscht. Herr Fischer arbeitet seit seinem Rückzug aus der Politik als Lobbyist und damit für die Interessen mehrerer (!) großer Konzerne. Kann er sich in solch einer Position eine eigene Meinung bilden? Wie glaubwürdig kann diese Meinung sein? Die Interessen des Lobbyisten sind zu allererst wirtschafts-, nicht aber gesellschaftsrelevant. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, das Interesse des Repräsentanten eines Großkonzerns als unvoreingenommene, unparteiische Personenmeinung hinzunehmen.
Die Idee von Herrn Fischer, die EU nach Vorbild der Schweiz zu reformieren um die politische Integration europäischer Bürger zu fördern, ist keineswegs ein Garant für mehr Demokratie. Die Wahlbeteiligung in der Schweiz ist seit den 1970ern stetig gesunken und hat sich momentan bei knapp 45% eingependelt. Eine aktive Bürgerbeteiligung ist dieser Zustand nicht zu nennen. Wir reden also von einer Politikverdrossenheit der europäischen Bürger.
Zu erwähnen ist auch: Wer hat mehrheitlich bei dem Volksentscheid in Großbritannien für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt? Menschen, die in Ihrem Alter sind!
Inwieweit öffnet man also mit dem Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung dem Konservatismus und Populismus Tür und Tor? Und vergessen Sie nicht: Herr Fischer und Herr Friedman haben beide auch ihren Anteil an einem mangelnden Interesse der Bürger an (deutscher) Politik.
Ich muss bezweifeln, dass es sich bei den beiden Gesprächspersonen um ethisch korrekte Persönlichkeiten handelt. Beide Männer sind in ihrer ethischen Integrität, milde ausgedrückt, in der Vergangenheit als zumindest fragwürdig aufgefallen. Die Gründe sind ersichtlich.
Die weithin bekannte Gesprächsführung von Herrn Friedman ist weder eine tiefgreifende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Thematik noch ist er mit den Mitteln der Wechselrede vertraut. Seine „Show“ dient allein der Maxime einen Unterhaltungswert zu generieren, gemessen an Einschaltquoten. Zu lernen gibt es wenig. Positiv hervorzuheben bleibt, dass Herr Friedman sich schon 2003 mit anderen Bundestagsabgeordneten persönlich als Pionier einer EU-Osterweiterung begriff und sich intensiv um eine Annäherung an die Ukraine bemühte.
Die Entscheidung von Herrn Fischer als Bundesaußenminister, einen Kriegseinsatz in Jugoslawien mit propagandistischen Mitteln gutzuheißen, ist noch heute schwer nachvollziehbar.
In den letzten Jahren hat er durchaus bewiesen, dass er mit einem langen Löffel speist.
Die Tätigkeit als Lobbyist ist eine offene Diskreditierung der Demokratie.
Dieses Verhalten ist nicht im Sinne einer Versöhnung zwischen den Völkern, nicht zwischen denen Europas und auch nicht denen der Welt.
Die Debatte um die Zukunft Europas im Berliner Ensemble darf nicht allein von zwei Repräsentanten der Oberen Zehntausend der deutschen Gesellschaft geführt werden.
Öffnen Sie die Veranstaltung für die Bürger!
Wäre das nicht ein Schritt in die richtige Richtung?
Laden Sie Schüler, Studierende, Auszubildende und Arbeitslose ein! Ansonsten dient das Gespräch allein Ihren Abonnenten, wobei davon auszugehen ist, dass der Altersdurchschnitt bei 65 Jahren liegt.
So lässt sich keine Zukunft gestalten!
NEIN zu solchen Vorbildern!
NEIN zum Austausch von Schmeicheleien!
NEIN zu zwei Repräsentanten des Systems, die von Krisen profitieren!
NEIN zum Vorwand eines investigativen Journalismus, der nichts weiter ist als eine Tribüne der Selbstdarstellung!
Mit bestem Gruß,
Ihr Bertolt Brecht
P.S.: Ich wünsche mir eine pinkel-freie Zone im Berliner Ensemble.
P.P.S.: Sollten beide Herren dennoch darauf bestehen, im Berliner Ensemble zur Geltung zu kommen, so bin ich nicht abgeneigt, meinem Freund Frank Castorf vorzuschlagen Herrn Friedman und Herrn Fischer als Schauspieler in dessen Bearbeitung des Dramas „Les Misérables“ zu engagieren.
Heute machen aber Theater überall so auf Format mit Film-Serien und Talk-Show, weißte. Das kommt, weil sie sich an die lieber Fernseher/Bild-Schirm sehenden Zuschauer schon anbiedern wollen, noch bevor die überhaupt da sind und auf sie unkontrolliert neugierig werden könnten!
Heute laden überall die Theater auch "Schüler, Auszubildende, Studenten und Arbeitslose" ein (merke: das wird heuer in e i n e m Satz ausgesprochen, scheint also irgendeinen inneren Zusammenhang zu bergen, den die Sprachforschung nur noch nicht erkannt zu haben scheint), mitzudiskutieren. Wie zu Hause am Stammtisch. Nur dass sie dafür bezahlen müssen. Wenig, aber immerhin bezahlen für Theater-Gesprächsbereitschaftsbuchung. Es sind also keine wirklichen Einladungen im Sinne von ihnen zuhören und Gesprächspartner spendieren. Sondern das Abfassen von materiellen Ressourcen selbst von gesellschaftsrelevant unter Nichtachtung leidenden Nicht-Verdienern und Dauerlosern, wenn da schon aus diesem Sozial-Pool keine Abonnenten vom Theater gewonnen werden können...
Castorf wird sich außerdem beeilen müssen mit seinem Friedmann/Fischer-Mitspielangebot, auch wenn ein Brecht es ihm vorschlägt und er nicht selbst auf die Idee kam - Es gibt nämlich heute immer mehr Politiker, die alles dran geben, selbst im Theater spielen oder wenigstens mit einfühlsam verstellter Stimme vorlesen zu dürfen. Kannste glauben! - Da kann der Castorf ja schon froh sein, wenn ihm keine Reese-Weisung erteilt wird, die beiden in seiner Elenden-Inszenierung zu besetzen!
Die pinkelfreie Zone wird sich einrichten lassen - das ist heute selbstverständlich und man kann am Reese-BE sogar mit umgedrehtem! Wasser nachspülen gegen aufkommende unangenehme Gerüche. Sonst gehste halt nach draußen ums Eck zu Ganymed...
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Lieber Stefan, unseren Informationen nach arbeitet Ingo Hülsmann derzeit freischaffend. Aktuelle Infos zu Produktionen mit ihm sind hier aufgeführt: https://www.schauspielervideos.de/fullprofile/schauspieler-ingo-huelsmann.html
Viele Grüße aus der Redaktion