Herbstlich gestimmt

10. September 2022. Wie schauen die Theater dem Herbst und Winter entgegen? Im Zuge der Vorbereitung auf den Theaterpodcast #49 hat Konstanze Grotkopp vom Netzwerk Performing for Future sich bei Kolleg:innen umgehört.

Einige Antworten haben wir hier gekürzt zusammengestellt.

Energetische Sanierungen am Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold

Stadttheater Gießen

"Das Stadttheater Gießen ist schon seit einiger Zeit sowohl in einzelnen Projekten, als auch gesamtbetrieblich nachhaltig orientiert und es werden Arbeitsprozesse und der Umgang mit Ressourcen intern möglichst nachhaltig geplant und evaluiert. Der Ankauf von 'refurbished' Geräten und nachhaltigen Materialien im Bühnenbau, im Kostüm und der Requisite ist ebenso auf unserer Agenda, wie der stetige Ausbau energiesparender Technik und die digitale Archivierung des Fundus u.a. zur Vermeidung von unnötigen Ankäufen. Das Große Haus verfügt über einen Strom-Hauptschalter, der täglich: nach Beendigung der Arbeit im gesamten Haus den Strom komplett ausschaltet (mit Ausnahme der Server). … Die Außenbeleuchtung der Fassade des Theaters wird von der Stadtverwaltung gesteuert und aktuell nicht mehr genutzt. Unser Theater wird in dieser Spielzeit Diskussionen und Veranstaltungen zum Themenkreis der aktuellen, multiplen Krisen durchführen."

(Patrick Schimanski, Stadttheater Gießen)

Schauspiel Leipzig

"Ich bin sehr froh, dass wir uns am Schauspiel Leipzig schon vor fast fünf Jahren mit den Themen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz beschäftigt haben und unter anderem auch Überschüsse aus unseren erfolgreichen Spielzeiten dafür genutzt haben, diese Sanierung voranzutreiben. Die dadurch möglichen Energieeinsparungen werden dazu beitragen, den Energiehaushalt des Theaters und damit auch der Stadt Leipzig zu entlasten. Wir werden das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft auch unseren künstlerischen Produktionsprozessen noch stärker zugrunde legen."

(Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiel Leipzig)

Hans-Otto-Theater Potsdam

"Wir schauen mit Sorge auf den Winter. Wir haben zwar bereits vor zwei Jahren angefangen, unsere Beleuchtungsanlage auf stromsparende LED-Leuchten umzustellen, die meisten größeren Maßnahmen können jedoch erst langfristig umgesetzt werden. Dazu gehören beispielsweise Wärmeisolierung / Fassadenisolierung an Probebühnen und Spielstätten, die teilweise denkmalgeschützt sind. Wir sind zusätzlich Mieter unserer Gebäude und nicht Eigentümer.  Natürlich setzen wir die gesetzlichen Verordnungen um (Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung), zum Beispiel Reduzierung der Temperaturen in den Büros auf 19 Grad, Abschaltung der Außenbeleuchtung etc. Wenn es hart auf hart kommt, wird es hoffentlich nicht zu Einschnitten in den künstlerischen Abläufen und dem Vorstellungsbetrieb kommen. Wir prüfen gerade verschiedene Szenarien."

(Matthias Müller, Technischer Direktor am Hans-Otto-Theater, Potsdam)

Dock 11 Berlin

"Wir planen seit 2020 einen Umbau des Foyers, da es geht u.a. auch um eine energetische Sanierung. Dieser Umbau wurde immer wieder verschoben. Erst haben wir während Corona monatelang auf die Baugenehmigung gewartet. Jetzt finden wir keine Firmen, die den Bau mit dem uns zur Verfügung stehenden Geld, realisieren können. Wir sind inzwischen bei der doppelten Bausumme angekommen, finden aber trotzdem keine Firmen, alles ist irre teuer: Holz, Entsorgung Baustoffe, Arbeitsleistungen der Gewerke Fussboden, Gas/Wasser/Sanitär…. Wir konnten 2020/21 Rücklagen bilden, die wir für den Bau verwenden wollen. Das Geld reicht aber nicht aus."

(Anna Bergel, Dock Art, Berlin)

Lichthof Theater Hamburg

"Die kleinen und freien Spielstätten in Hamburg, zu denen das Lichthof Theater gehört, stolpern ohne Fernsicht in diesen Herbst, wie die letzten zwei Jahre auch. Nur kommt zu der ungewissen Coronalage hinzu, dass wir Sorge haben, ob wir mit den nächsten Nebenkostenabrechnungen nicht den Laden dicht machen müssen oder ob wir die Kostensteigerung aus der inflationären Lage stemmen können, denn in der Regeln bieten die Budgets gerade der kleinen Häuser keinen Spielraum. Nachhaltige Maßnahmen auf der institutionellen Ebene bedürfen einer zumindest mittelfristigen Planung und eines Zusammenspiels zwischen Häusern, Verwaltung und Politik. Die Off-Theater in Hamburg haben sich in einen solchen Prozess begeben, aber der braucht Zeit."

(Matthias Schulze-Kraft, Künstlerischer Leiter des Lichthof Theaters, Hamburg)

Landeszentrum Freies Theater Sachsen-Anhalt

"Wir dürfen nicht dem Irrglauben aufsitzen, es handele sich dieses Jahr um 'diverse Krisen, deren Themen sich komplex addieren' – wir befinden uns in einem Krisencluster, dessen Auswirkungen sich potenzieren und gerade soloselbstständige Künstler*innen oder Träger kleiner spartenbezogener Spielstätten vor unlösbare Aufgaben und Verstrickungen stellen. Solidarität in verschiedener Form ist die einzige adäquate Antwort, und nicht nur für die soloselbstständigen Künste: Kooperationen, Kostenerlasse, erweiterte Fördertöpfe und vereinfachte Verwaltungsvorgaben. Menschen müssen sich abgesichert fühlen, dürfen nicht Mut und Zuversicht für die Zukunft verlieren. Die große Herausforderung wird sein, jetzt nachhaltige Lösungen zu finden, die nicht nach einem politisch definierten Ende der Krise zurückgenommen werden."

(Maria Gebhardt, Geschäftsführung des Landeszentrums Freies Theater Sachsen-Anhalt e.V. )

Theatermacher:innen in Sachsen-Anhalt, die von ihrem Landeszentrums Freies Theater Ende August zur Energiekrise befragt worden sind, sehen als Auswirkungen auf die eigene künstlerische und/oder organisatorische Tätigkeit etwa "steigende Kosten bei gleichbleibendem Verdienst" (Juliane Barz, Theaterpädagogin), was Gastspielreisen unrentabel machen könnte (Ensemble Theatrum), und "explodierende Kosten beim Erhalt der Spielstätte (Heizung)".

Die Erhöhung der Kosten könne nur bedingt ans Publikum weitergegeben werden (Anja Herbener, Figurentheater Cirquonflexe), denn beim Preis von Eintrittskarten sei "die Schmerzgrenze für die Kleinkunst erreicht“ (Hagen Möckel, Schauspieler) – es gibt ohnehin "die Befürchtung, dass ab Herbst, spätestens Anfang des kommenden Jahres das Publikum ausbleibt (die ersten privaten Einsparungen erfolgen immer im Bereich der Kultur und Gastronomie)" (Hagen Möckel, Schauspieler). Auch "finanzielle Engpässe der Veranstalter" (Theaterlandschafft) oder der Rückzug von Sponsoren aus der Kulturförderung (Hagen Möckel) werden als Probleme benannt.

Gerade freie Künstler:innen und kleine Spielstätten könnten damit vor den gleichen Problemen stehen wie schon aufgrund/während der Corona-Pandemie: "Wenn Kosten nicht mehr gegenfinanziert werden können, so muss das künstlerische Schaffen eingestellt werden. Dies ist die absehbare Auswirkung der Energiekrise." (Burger KleinKunstBühne) Auch daher wird eine "Weiterführung der bestehenden Fördermaßnahmen" gefordert, "da die Situation mindestens genauso prekär bleibt, wie sie während der 'Coronakrise' war" (Figurentheater Cirquonflexe).

Gewünscht werden von der Politik "Entlastungen. Preisdeckel. Bekämpfung der Inflation" (Burger KleinKunstBühne), die "Anpassung der Mindestgage an die Teuerungsrate" (Kult e.V./ Kammerspiele MD) oder die "Unterstützung nachhaltiger und energiesparender Investitionen durch unbürokratische Förderungen" (Figurentheater Cirquonflexe).

Neuköllner Oper Berlin

"Da wir als sehr kleines Haus kaum an die Energiekosten der großen Häuser heran reichen, gehen wir davon aus, dass wir gut durch die Energiekrise des Winters kommen werden. Wir arbeiten grundsätzlich mit einem relativ geringem Energieverbrauch (Spielen ensuite, längere Umbauphasen haben wir alle 6-8 Wochen, keine Klimaanlage). Auch haben wir bereits Anfang des Jahres mit steigenden Preisen kalkuliert und Budget vorgehalten und werden – soweit erlaubt – im Normalbetrieb bleiben. Mehr Sorgen macht uns der Publikumsschwund – hier versuchen wir mit publikumsbezogenen Formaten der Entwicklung entgegen zu wirken."

Theaterwerkstatt Pilkentafel

"Nachhaltigkeit hat in der Theaterwerkstatt Pilkentafel, schon aus der vergangenen, finanziellen Not heraus, eine lange Tradition. So wird auf einen reduzierten Papierverbrauch und Recycling wert gelegt. Eingesetzte Bühnenbilder finden auch weiterhin Verwendung im Hause. Im Energiebereich wurden Nachhaltigkeitsmaßnahmen umgesetzt, so wurde die Lichttechnik im Hause schon vor längerer Zeit auf LED-Leuchtmittel umgerüstet. Auch im Aufführungsraum wurden neue Scheinwerfer mit LED-Technik angeschafft, die den Stromverbrauch z.T. erheblich reduzieren. Für die weitere Zukunft wünscht sich das Haus eine umfassende Energieberatung, die neue Möglichkeiten der Energieeinsparung aufzeigt und Möglichkeiten für Maßnahmen zur alternativen Energiegewinnung an den historischen Gebäuden des Theaters untersucht....
Das Haus geht, trotz der Krisen, zuversichtlich und neugierig in die Herbstspielzeit. Derzeit wird davon ausgegangen, dass der Spielbetrieb nicht eingeschränkt wird. Ein genereller Publikumsschwund kann nicht festgestellt werden, wohl aber das Bedürfnis, über das aktuelle Zeitgeschehen ins Gespräch zu kommen. Diesem Bedürfnis des Publikums wird mit einem Angebot kleinerer Gesprächsformate Rechnung getragen."

(Nicolas Jähring, Theaterwerkstatt Pilkentafel, Flensburg)

Netzwerk Freier Theater

"Für die Mitgliedshäuser des Netzwerks Freier Theater ist der verschärfte allgemeine Krisenmodus, der spätestens seit der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Lockdowns herrscht, ein außerordentlich herausfordernder Zustand. …Gleichzeitig verstärken die konkret krisenbedingten Reaktionen aber Prozesse, die in den Häusern schon vorher virulent waren und angestoßen worden sind: … Nicht erst die vermeintlich drohende Energieknappheit hat eine Neuorientierung in Fragen von Beleuchtung und Material-Nachhaltigkeit ausgelöst, sondern eine generelle Sorge um den eigenen Beitrag zur menschengemachten Klimakatastrophe. ...
Neben allen Krisen und Sorgen erscheint uns gerade jedoch auch ein Moment zu entstehen, wo sich die Gesellschaft wieder spürt, sich mobilisiert und auch zusammenkommen will. Dafür kann das Theater ein wichtiger Ort sein, zum Austausch und zur Reflexion. Aber darüber hinaus auch, um sich neben den immer monothematischeren Krisenberichterstattungen auch mit anderen Themen und Narrativen zu befassen oder mal in eine Geschichte ein und aus der Krisenwahrnehmung temporär auszusteigen.“

(Maximilian Grafe und Michael Müller, Netzwerk Freier Theater)

 

Umfrage: Konstanze Grotkopp, Performing for Future. Redaktion: Elena Philipp, nachtkritik.de

mehr debatten

Kommentar schreiben