Richard III - Elias Perrig kehrt in Shakespeares Oberbösewicht den tartuffösen Heuchler hervor
Das Böse stirbt nicht aus
von Thomas Rothschild
Heidelberg, 9. März 2016. Den Darstellern steht eine Fläche von geschätzten zwölf Quadratmetern zur Verfügung. Beate Faßnacht, das seltene Exemplar einer Bühnenbildnerin, die selbst auch Dramen schreibt, hat eine schräge schwarze Plattform in den Raum gestellt, die an einen Boxring mit kaputten Stäben anstelle der Seile erinnert und in einiger Entfernung umgeben ist von einer bedrohlichen Wand aus rostigen Stahlplatten wie von Richard Serra. Die Plattform muss von der offenen Unterbühne her hinten erklommen werden – der Begriff "Auftritt" ist in dieser Inszenierung wörtlich zu verstehen.
Gloster, der spätere Richard III, klettert gleich zu Beginn zu Heavy Metal und im Gegenlicht auf die Spielfläche und brüllt ins Publikum. Er steht die nächsten drei Stunden im Zentrum jenes Stücks, das wie kein anderes Gewalt und die Skrupellosigkeit von Machtgier zum Thema hat. Und dieser fieseste aller Shakespeare-Helden wird nicht von außen angetrieben zu seinen Morden wie Macbeth, er zögert nicht wie Hamlet – er ist einfach nur böse.
Ein Tartuffe, kein einsamer Mörder
Einfach nur? Die naheliegende Erklärung spricht Richard bereits im Auftrittsmonolog aus: "Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt, (...) und zwar so lahm und ungeziemend, dass Hunde bellen, hink ich wo vorbei", heißt es in der lange Zeit gebräuchlichen Übersetzung von Schlegel; "ich, dem das gute Gleichmaß grob verkürzt, (...) ein Auswurf, hinkend und so schief gebaut, dass Köter kläffen, hink ich dran vorbei", sagt die dem gegenwärtigen Deutsch angenäherte Übertragung von Thomas Brasch, die in Heidelberg verwendet wird. Regisseur Elias Perrig jedoch verzichtet auf klischeehafte Psychologisierung. Andreas Seifert in der Titelrolle hinkt nicht und er hat auch keinen Buckel. Er ist böse, weil er böse sein will. Und dafür ist ihm jedes Mittel recht, allem voran die Verstellung (das verbindet die literarische Figur mit dem Schauspieler).
Dieser Heidelberger Richard hat viel von einem Tartuffe. Nicht seine Mordlust – seine Heuchelei, etwa wenn er zum Schein die Krone ablehnt, ist der Skandal. Und dann: Richard ist böse, weil ihn seine Umgebung böse sein lässt. Sie ist es selbst auch, nur weniger konsequent, weniger ungeniert als Gloster. Erbarmungslos verhöhnen allesamt die gedemütigte Margaret, machen sich zu Komplizen Richards. Der ist nicht der einsame Mörder. Er braucht Handlanger und Vollstrecker. Irgendwelche Fragen zur Aktualität?
Das Gesicht sagt anderes als die Zunge
Perrig lässt die Schauspieler fast wie Puppen, meist frontal agieren, reduziert sie aber nicht auf Karikaturen, flüchtet sich nicht in den Klamauk. Da nimmt man es hin, wenn als Mordwaffe eine Handbohrmaschine dient. Die beiden Kinder, die Richard im Tower ermorden lässt, besetzt Perrig mit erwachsenen Schauspielern: bloß keine sentimentale Putzigkeit. Wenn Hastings bei Shakespeare sagt, man solle Richard seinen Kopf nach seiner Enthauptung bringen, so lässt Perrig tatsächlich einen abgetrennten Kopf auf die Bühne werfen. Das mag man, je nach Temperament, grauslich finden oder doch eher unabsichtlich komisch. Später folgt noch ein Unterarm nach. Nutzt nichts. Das können Splatterfilme besser.
Richard vermeidet weitgehend den Augenkontakt zu den anderen Figuren. Auch dies begünstigt das Motiv der Heuchelei: Andreas Seiferts Gesicht sagt etwas anderes als seine Zunge, aber nur die Zuschauer, nicht die Gesprächspartner sehen es. Sara Kittelmann hat den Darstellern fantasievolle Kostüme, größtenteils in Grautönen, verpasst, die aussehen, wie aus einem schlecht ausgestatteten Fundus zusammengeschustert. Über weite Strecken begleitet ein pulsierender Bass die Dialoge, um an signifikanten Stellen innezuhalten und die Stille wirken zu lassen.
Den berühmtesten Vers "Ein Pferd. Ein Pferd. Ein Königreich für ein Pferd" spricht Richard, unsichtbar, hinter dem Turm mit der Plattform. Und ganz am Schluss lässt Elias Perrig Richmond, der im Finale für Ordnung sorgt wie Fortinbras in "Hamlet", jenen fast ebenso berühmten Satz wiederholen, mit dem Richard ganz am Anfang seinen Monolog eröffnet hat: "Jetzt folgt dem Winter unserer Bitterkeit der Sommer unserer Macht". Wir haben verstanden, und der Einfall ist nicht eben taufrisch: Das Böse stirbt nicht aus, ein Herrscher ist wie der andere, es kommt nichts Besseres nach. Für alle Fälle kraxelt Richard vorne aus dem Grab. Er wird Richmond ein guter Lehrer sein.
Richard III
von William Shakespeare. Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Elias Perrig, Bühne: Beate Faßnacht, Kostüme: Sara Kittelmann, Musik: Biber Gullatz, Dramaturgie: Jürgen Popig.
Mit: Andreas Seifert, Hendrik Richter, Martin Wißner, Steffen Gangloff, Dominik Lindhorst-Apfelthaler, Friedrich Witte, Andreas Uhse, Florian Mania, Katharina Quast, Nicole Averkamp, Elke Twiesselmann, Nanette Waidmann.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.theaterheidelberg.de
Andreas Seifert mache "aus seinem Richard einen Misanthropen", schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (11.3.2016). Ob das daran liege, "dass er mit so viel Fortune Molières Geizigen auf dem Schloss gespielt hat", lasse sich nicht belegen. Seine "depressive Miesepetrigkeit" wirke jedenfalls "für die Richard-Rolle auch arg eindimensional. Es fehlt die Facette des Mephistophelischen. Und leider fehlt es auch an artikulatorischer Leuchtkraft." Dafür könne man auf dem Besetzungszettel den Namen Nicole Averkamps dick unterstreichen, "denn sie zeigt ihre Königin Margaret als Furie von Format".
Richard III. in Heidelberg sei "kein überrumpelndes Spektakel, das die Extreme dramatischer Farben beschwört", zeige "dafür aber eine angenehme Nähe zu dem, was man als solide, intelligente Schauspielkunst zu bezeichnen pflegt", schreibt Alfred Huber im Mannheimer Morgen (11.3.2016) Im übrigen sehe Richard so missgestaltet, wie ihn Shakespeare beschreibt, "bei Andreas Seifert keineswegs aus. Eher erinnert er an einen übel gelaunten Alt-Achtundsechziger mit schulterlangen Haaren und tief zerfurchtem Gesicht. Geprägt von freier Liebe und Kapitalismuskritik." Von den "panischen Ängsten der Menschen" allerdings, "der Ohnmacht der Mächtigen, den Schwächen der Schlächter", erzähle Elias Perrig wenig. "Das ist schade."
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