Presseschau vom 28. August 2017 – Darja Stocker antwortet ihren Kritiker*innen in der Sexismus-Debatte auf dem Blog des Merkur
Wer beweist, dass jemand seine Machtposition ausübt?
Wer beweist, dass jemand seine Machtposition ausübt?
28. August 2017 . Im Zuge der Diskussion über den Sexismus an deutschen Schreibschulen hat Darja Stocker auf dem Blog der Zeitschrift Merkur eine Replik an ihre Kritiker*innen veröffentlicht Sexismus, was ist das? Eine Replik. Wir geben hier einige Auszüge des umfangreichen Textes:
Sexismus ist überall
"So wie wir in einer von Rassismus geprägten, post_kolonialen Gegenwart leben," schreibt Stocker, "so leben wir in einer sexistischen Gesellschaft." Wir könnten uns dem Sexismus nicht entziehen. Sexismus existiere auch "unter Frauen, als verinnerlichte Prägung", genau das, was "keine Machtposition innehat", abzulehnen.
Stockers "persönliche und nicht abgeschlossene Definition von Sexismus" meine die "strukturelle Gewalt" an Personen, "die von der Gesellschaft als Frauen gelesen werden und/oder sich selbst als solche definieren, sowie an Männern, die keine heteronormative Rolle einnehmen". In einem Raum herrsche bereits Sexismus, wenn in ihm eine "ausschließlich männliche Leitung die Autorität über eine mehrheitlich weibliche Student_innenschaft innehat UND gleichzeitig Machtverhältnisse und Machtdiskurse prägend für diesen Raum" seien.
Sexistische Ausschlussmechanismen stünden im Zusammenhang mit der "in der Gesellschaft und insbesondere im Theaterbetrieb ebenfalls deutlichen rassistischen Diskriminierung und Konstruktion des sogenannten 'Anderen'."
Szenisches Schreiben an der UdK
Für ihren ersten Text auf dem Merkur Blog über die "vergangene Zeit" an der Schreibschule der UdK, schreibt Stocker, werde sie "massiv angegriffen". Sie hätte diesen Ort beschrieben als einen, "wo es öfter um das Bestätigen von Autorität geht als um das Vermitteln von Inhalten. Wo selbstständiges Denken nicht erwünscht ist und Kritik mit Sanktionen begegnet wird." Sie habe gefragt, "welche Szenerien, Mechanismen und Kommunikationsmuster innerhalb solcher Bedingungen mit Sexismus zu beschreiben wären."
Bei der "ersten Berührung mit der Schreib-Universität" sei sie bei einer Feier mit "einem Bild konfrontiert" worden, das das Klischee der "jungen Frau mit älterem Mann" darstellte. Es habe sich um eine Schauspielstudentin und einer ihrer Professoren gehandelt. Die Frage sei, inwiefern sich an Kunsthochschulen "Rollenbilder als Muster" wiederfänden, die man "in der Eigen-Konzeption bereits als überholt ansah"?
Nicht das Privatleben des beobachteten Paares, stünde zur Debatte. In "einem Kontext der Verflechtung von struktureller Macht und körperlicher Nähe" entfalte die beschriebene Szene auch "ein Potential für Machtmissbrauch".
Die Beschreibung dieser Aspekte, die auf eine sexistische Struktur hinwiesen, würde nun von ein paar ehemaligen Studentinnen und einer Kommiltonin als "Verleumdung", "Rufmord", "haltlose persönliche Angriffe", "klare Lügen" bezeichnet.
Der emeritierte Studiengangsleiter schreibe, Stocker sei "geltungsbedürftig" und er gedenke sie "keinen Augenblick lang als Persönlichkeit ernstzunehmen". Als "Mensch ohne Persönlichkeit", schreibt Stocker, habe sie sich auch dem Prof gegenüber an der UdK gefühlt. "Dieses Gefühl kann mir niemand absprechen."
In den Zuschriften, die sie erhalten habe, so Stocker, würden weit eindeutigere Situationen beschrieben, als die, die sie erlebt habe. Nach Stockers Meinung weist dies auf "ein Tabu" hin, das erforscht werden sollte. Dass der Theaterbetrieb ein sexismusfreier Raum sei, würde wohl niemand behaupten. Dass die Berliner Schreibschule von damals eine Ausnahme gewesen sein solle, könne sie sich auch nicht vorstellen.
Der Raum, in dem Stühle fliegen
Eine "positive Bilanz" der Studienzeit zu ziehen, "auch wenn mal die Stühle flogen", sei eine "individuelle Sichtweise und Wahrheit", die sie Stocker anerkenne. "Zu fragen, was es bedeutet, wenn jemand in einem Ausbildungsraum einen Stuhl wirft, ist jedoch etwas anderes."
Ein Raum, in dem dies möglich sei, sei jedenfalls "kein gewaltfreier Raum." Mit "Gegenständen werfen, lautes Schreien oder es einer Person zu verweigern, den Raum zu verlassen" – das alles seien Vorboten "körperlicher Gewalt". Zeichen innerhalb einer "sexistischen Normalität", wo "körperlich-impulsive Gewalt" überwiegend von Männern ausgehe. Aber natürlich gebe es bei solcher Kritik auch heikle Fragen wie: "Wer beweist wie, dass jemand seine Machtposition ausnutzt?"
Folgen der Kritik
Sie sei, schreibt Stocker, nachdem sie die Machtstrukturen an der UdK kritisiert habe, suspendiert worden und habe ihr Studium zwei Jahre unterbrechen müssen, weshalb sie jedes Anrecht auf Studienunterstützung verloren habe.
"Herr Bukowski", schreibt Stocker, habe mittlerweile einen Beitrag verfasst, in dem er sein Lehren genauer erläutere und seine "daran gebundenen Werte und Ideale" ausführe: "Eine strukturierte Komplexität in den Textbesprechungen. Gleichheit unter den Studierenden. Augenhöhe von Professor zu Student_in." Sie, Stocker, habe diese Ideale "nicht so sehr gespürt". Dass sich "Herr Bukowski" jedoch für "Diskussionen und Vorschläge entlang des Sexismus- und Diskriminierungsthemas" öffne, gebe für sie Stocker ein Signal, "dass er in die Debatte einsteigen möchte. Dass sich potentiell ein gemeinsamer Raum öffnet."
(jnm)
Mehr dazu:
Presseschau vom 13. August 2017 -
Debattenbeitrag 17. August 2017 - Oliver Bukowski antwortet auf Sexismusvorwürfe
Presseschau vom 26. August 2017 -
nachtkritik.de ist kritisiert worden, weil wir Stockers "Vorwürfe" gegen den Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin und die den Studiengang leitenden Professoren "ungeprüft" übernommen hätten. Wir verstehen unsere Presseschauen aber nicht als Nachrichtensendung, sondern als Zusammenfassungen uns interessant erscheinender Text-, Ton- oder Bildbeiträge. Und natürlich ist die Frage "Gibt oder gab es Sexismus?" in einem von zwei Männern geleiteten Studiengang mit starken Frauenanteil unter den Studierenden genauso relevant wie etwa die Frage nach dem Rassismus im deutschsprachigen Theaterbetrieb.
Die Zusammenfassung des Textes von Darja Stocker auf nachtkritik.de ersetzt nicht das Studium des Original-Textes, sie weist nur auf ihn hin.
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