Götz von Berlichingen - Theater Osnabrück
Raus aus dieser Welt
von Verena Großkreutz
Osnabrück/Online, 12. Dezember 2020. Da hat der Kampfchoreograf ganze Arbeit geleistet: Das macht bildlich schon was her, wie Götz von Berlichingen und seine Mitstreiter aufs Reichsheer eindreschen, was durch Zeitlupeneinsatz noch ironisch ästhetisiert wird. Als Götzens Schwert in einem der Gegner steckenbleibt, kämpft der eigentlich Einhändige zunächst mit den bloßen Fäusten weiter, haut Feind-Nasen ein, zieht dann aber plötzlich zwei Pistolen aus der Hose, ballert um sich, greift gar zur Kalaschnikow, zu deren tödlichen Geratter er ausgerechnet "Frieden!" brüllt. Ein Universal Soldier? Die Szene wurde auf dem Gelände des Freiluftmuseums "Varusschlacht" bei Osnabrück gefilmt, am Ort, wo einst der legendäre Kampf zwischen Germanen und Römern stattgefunden haben soll – besagt zumindest eine Theorie. Goethes "Götz von Berlichingen" ist aber nicht erst in dieser Szene ins Überzeitliche gewandert.
Glaswände knutschen
Als Onlinepremiere zeigte das Theater Osnabrück Goethes Jugendwerk nicht in einer Live-Bühnen-Aufführung, sondern als vorproduzierten Theaterfilm. Ein recht vitales Lebenszeichen aus dem Corona-Theater-Zwangsstillstand: schrill, grell, laut, bunt. Und kurzweilig, mit vielen lustigen Ideen. Und natürlich mit ständigen Verweisen auf die Corona-Hygieneregeln. Was bedeutet: in Liebesszenen im Abstand den Boden zu vögeln, gemeinsam Glaswände zu knutschen, Spielzeug mit Gummihandschuhen zu entsorgen. Theater findet in diesem Film zu Genüge statt, aber mit fröhlichen Querverweisen auf allerlei Filmgenres – ob Splattermovie, Zombie- oder Ritterfilmparodie. Mal klebt die Kamera (wie sonst in der Bühnen-Live-Situation) ohne Schnitte an den Protagonist*innen, mal kommt die Filmtechnik mit ihrer spezifischen Ästhetik zum Einsatz – von schnellen Cuts bis zur spektakulären Kampf-Außenaufnahme.
Götz von Berlichingen erscheint in Daniel Foersters Inszenierung als eine Art lebendes Fossil: trägt zwar Brustpanzer oder Kettenhemd, aber sehr leger, trinkt Dosenbier, prollt herum, wohnt mit Gattin, Schwester und Sohn in einer bürgerlichen, mit Sofa und Klavier ausstaffierten, allerdings auch sehr beengten Einraumwohnung, zu der Freund und Feind erst nach Sprechanlagenkommunikation Zutritt erhalten. An der altmodisch gestreiften Wohnzimmertapete klebt vielsagend ein Filmplakat: Mel Gibsons "Braveheart" – ein Mittelalter-Schlachtenepos, in dem es wie im "Götz" um Selbstbestimmung und Freiheit geht. Aber wenn solche Begriffe aus dem Munde des Goethe-Ritters kommen, klingen sie mehr als sinnentleert und als pure Aggression.
Niedergang unserer eigenen Gegenwart
Schließlich darf sich das siebenköpfige Ensemble – zum größten Teil in Doppelrollen – bis zum Exzess der Übertreibung hingeben. Höhepunkt: wenn sich Oliver Meskendahl (der auch den Götz spielt) als Kaiser Maximilian – gekrönt von einer bizarren Turmfrisur, eklig sabbernd, mit weißen Pupillen – über die Schwere seines Amtes beklagt, das ihn ständig zwinge, sich mit Händeln, kleinsten Streitigkeiten, herumzuschlagen, die plötzlich monströse Ausmaße annähmen. Zombietum als Sinnbild für eine zerfallende, verfallende, sterbende Welt?
Auf 80 Minuten wurde Goethes "Götz" eingekocht. Das, was übrigblieb, wirkt recht textgetreu, wurde mit ein bisschen „Urgötz“ gespickt. Am Ende darf Nietzsche zu Wort kommen in Sachen "Umwertung der Werte". Die Kürzungen machen deutlich: Es geht hier nicht um den Bauernkrieg oder um mittelalterliches Faustrecht gegen höfische Politik. Es geht um den Untergang einer sehr alten, sehr beständigen Welt: eben auch unserer eigenen, die noch immer von toxischer Männlichkeit beherrscht und befeuert wird.
Diese breitbeinig Sauf-Battles austragenden, sich tarzanlike ihre Brust betrommelnden Wesen, die in martialischer Lautstärke und unter Starkstrom "Freiheit" "Teutschland" und "Frieden" brüllen – sie wirken lächerlich auf die Frauen. Wenn Götz-Antipode Adelbert von Weislingen (Viet Anh Alexander Tran) von "Ritterpflichten" faselt, hat Adelheid von Walldorf (Juliane Böttger) nur noch ein nicht mehr enden wollendes Lachen für ihn übrig.
Folgerichtig entfernt sich die Handlung mehr und mehr vom Original: Götz' Schwester Maria (Magdalena Kosch) liest patriarchatskritische Bücher und wird am Ende in Rage ihren Gatten Franz von Sickingen (Philippe Thelen) mit einem Fleischhammer und gefühlt 500 Schlägen töten. Götz stirbt den plötzlichen Herztod ("Ich kann nicht mehr"). Götz’ Sohn Carl (Katharina Kessler), unterwegs zwischen den Geschlechtern, wird die Waffen seines Vaters entsorgen. Und Adelheid wird ihren Frieden im Bett mit Franz finden, dem Diener, der für sie ihren Gatten Adelbert vergiftete. Ein Anfang ist gemacht. In Richtung Matriachat?
Götz von Berlichingen
nach Johann Wolfgang von Goethe
Inszenierung: Daniel Foerster, Bühne/Kostüme: Lydia Huller, Kamera/Schnitt: Simon Baucks, Dramaturgie: Marie Senf, Kampfchoreografie: Jan Krauter.
Mit: Juliane Böttger, Magdalena Kosch, Katharina Kessler, Oliver Meskendahl, Philippe Thelen, Viet Anh Alexander Tran, Hannah Walther.
Online-Premiere: 12.12.2020
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
Der Theaterfilm "Götz von Berlichingen" kann als Video on demand für 9 € ausgeliehen werden. Das Video steht dann für 48 Stunden zur Verfügung.
www.theater-osnabrueck.de
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