Zoo 3000: Das Hamburger Live Art Festival erkundet das Verhältnis von Kreatur und Theater
Auslaufmodell Mensch?
von Falk Schreiber
Hamburg, 5. Juni 2013. 1896 wollte der Hamburger Tierhändler und Schausteller Carl Hagenbeck Tiere nicht länger in Käfigen zeigen, sondern sie dem Zuschauer wie in freier Wildbahn präsentieren. Hierfür revolutionierte Hagenbeck die Zooarchitektur: Die Tiere waren nicht durch Gitter vom Menschen getrennt, sondern durch Wassergräben, Erdhügel, kaum sichtbare Barrieren. Was natürlich nichts daran änderte, dass das Wild eingesperrt blieb, die "freie Wildbahn" war eine Illusion – und die Mittel für diese Illusion hatte sich Hagenbeck von der Illusionsmaschinerie per se abgeschaut, dem Bühnebild. Voilà: die Brücke zwischen Zoo und Theater.
Tiere als Akteure der Geschichte?
Die Hagenbeck-Anekdote ist Teil des "Zoological Institute for recently extinct Species", einer Installation, die der belgische Bühnenbildner und Künstler Jozef Wouters im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel gebaut hat. Im Grunde eine naturkundliche Ausstellung, die Naturforschung als ständiges Scheitern erzählt: Ein Exponat etwa zeigt Benjamin, den letzten Tasmanischen Tiger, der 1936 im Zoo auf Grund einer Unachtsamkeit erfror. "Die Naturgeschichte ist die Geschichte von Handlungen, deren Konsequenzen wir nicht überblicken", sagt Wouters, eine pessimistische Position, die den Menschen einzig als Störfaktor wahrnimmt. Doch eine kleine Hoffnung gibt es: 1902 starb die Reisratte auf Martinique aus, und da konnte der Mensch wirklich nichts dafür, sondern ein Vulkanausbruch. Ein einziges Mal war der Mensch nicht schuld, 1902.
Wouters Installation mag gleichzeitig naiv und zynisch anmuten, jedenfalls beschreibt sie perfekt das Motto des Live Art Festivals auf Kampnagel, das noch bis 15. Juni ein recht weites Verständnis des Performance-Subgenres Live Art pflegt: "Zoo 3000 – Occupy Species" bezieht sich auf die geisteswissenschaftliche Nischendisziplin der Animal Studies, philosophische Fragen, die nicht mehr exklusiv dem Menschen gestellt werden, sondern ebenso der Kreatur. "Die als Animal Turn bezeichnete Wende beschäftigt sich beispielsweise mit Fragen der Handlungsfähigkeit und Subjektivität von Tieren als Akteuren der Geschichte oder auch mit Spezies als Ressourcen für Herrschaft und Emanzipation", heißt es bei Kampnagel. Tiere als Akteure der Geschichte: Für Wouters jedenfalls ist der Akteur der Mensch, ein Elefant im Porzellanladen, der kaputtmacht, was ihm vor die Finger kommt, manchmal aus Bösartigkeit, manchmal aus Schusseligkeit, oft auch nur, weil er nicht kapiert, was er gerade macht.
Das Animalische im Menschen?
So klar Wouters' Arbeit hier positioniert ist, so gewollt wirkt Jecko Siompos "In Front of Papua" in das Festivalprogramm gepresst. Der indonesische Starchoreograf Siompo führt die Ästhetik fort, die vor drei Jahren in "Room Exit" sein Europa-Debüt am gleichen Ort prägte: Er koppelt folkloristischen Tanz seiner Heimat Papua mit westlicher Tanzästhetik von Modern Dance bis HipHop. Wo aber bei "Room Exit" der Transfer folkloristischer Strukturen in eine Mischung aus Entertainment, Ironie und politischem Kommentar gut funktionierte, geht es hier um das Animalische, das im Tanz hervorbricht.
Nur sieht man bei "In Front of Papua" keine Kreaturen, man sieht Menschen, die sich kreatürlich gebärden, und auch wenn es von Siompo nicht so gemeint ist, hat das im Kontext von "Zoo 3000" einen unangenehmen Unterton. Noch einmal zu Hagenbecks Schaustellervergangenheit: Der Zoo-Pionier stellte einst nicht ausschließlich Tiere aus, er veranstaltete auch rassistische "Völkerschauen", auf denen Ureinwohner Afrikas und Zentralafrikas wie im Zoo begafft wurden, und irgendwie begafft man Siempos indonesische Tänzer ganz ähnlich. Als folkloristische Kuriositäten.
Zwischen Mensch und Tier
Corinna Korths "Institut für Hybridforschung" schließlich beschäftigt sich mit Zwischenwesen zwischen Mensch und Tier. Ziel ist die eigene Transformation zum Hybriden, weil: "Der Mensch ist ein Auslaufmodell" (außerdem sei der animalische Sex auch nicht zu verachten). Die Künstlerin jedenfalls habe sich wölfische Reißzähne einsetzen lassen, ein erster Schritt. In ihrer Lecture Performance "Back to the Bone" berichtet Korth von einer Forschungsreise nach Rumänien, wo Mensch, Tier und Hybridwesen angeblich friedlich zusammenleben. Aber, ach! In Transsilvanien gibt es eben nicht nur protohybride Vampire, es gibt auch handfeste Konflikte! Ein Bärenmensch terrorisiert ein Bergdorf, die Bauern beschweren sich, dass er nachts ihre Kühe aufhetze. "Sie wollen jetzt ökologisches Futter!" Da beschleicht einen der Verdacht, dass "Back to the Bone" gar nicht der harmlos lustige Schmu ist, als der die Performance daher kommt, der Bärenmensch scheint ja ganz gute Argumente zu haben, außerdem: Wurde "Problembär" Bruno einst nicht verdächtig schnell erschossen?
"Back to the Bone" ist raffiniert, unterhaltsam, böse, nicht zuletzt auch ziemlich hübsch anzusehen. Am Ende dokumentiert Korth ihre eigene Transformation: zunächst klassisch unter Schmerzen in Richtung Wolf. Dann aber, zum Abschied, wird man durch einen dunklen Tunnel geschickt, und in der Ecke glitzert ein Fabelwesen: Korth hat sich tatsächlich verwandelt, in ein Einhorn! Soll niemand behaupten, dass die Hybridforschung keinen Humor hätte.
Live Art Festival
Zoological Institute for recently extinct Species
von Jozef Wouters
In Zusammenarbeit mit: Menno Vandevelde, Bart Van den Eynde, Celine van der Poel, Karolien Derwael, Klein Verzet, Leen Hammenecker, Christophe Engels (Bluebird Conspiracy), Tim Vanhentenryck
Dauer: ca. 20 Minuten (geführter Rundgang durch die Installation)
In Front of Papua
von Jecko Siompo
Choreographie: Jecko Siompo, Licht: Moelyono, Musik: Lutfi Rahimi, Devin Arminal, Iwan Pagaralam, Jecko Siompo, Produktionsleitung: Iwan Pagaralam
Mit: Ajeng Soelaeman, Arisma Ranisa, Dhea Seto, Pace Sole, Maykel Nonko, Ophy Nambe, Stenly Patty, Pytos Harris, Rivka Rompis, Chun Kalao, Jecko Siompo.
Dauer: 70 Minuten, keine Pause
Back to the Bone
von und mit Corinna Korth
Dauer: 70 Minuten, keine Pause
www.kampnagel.de
Ebenfalls beim Live Art Festival zu sehen: Antonia Behrs Performance Abecedarium Bestiarium, bei uns von Esther Boldt besprochen, als sie das Brüssler Kunstenfestival eröffnet hat.
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