Götterdämmerung – Teil vier von Frank Castorfs denkwürdigem Bayreuther Ring des Nibelungen
Die Erlösung des Bösen
von Wolfgang Behrens
Bayreuth, 31. Juli 2013. Das hat es wohl so noch nicht gegeben, nicht in Bayreuth, und auch kaum irgendwo anders: einen Regisseur, der beim Schlussapplaus – der in seinem Fall eigentlich keiner ist, sondern eher eine kapitale Missfallenskundgebung – dem Volkszorn schlicht nicht weichen will. Als Frank Castorf nach der "Götterdämmerung" zuerst für einen Moment allein und dann mit seinem gesamten Regieteam vor den Vorhang tritt, prasseln, so wie es zu erwarten stand, heftigste Buhs und sogar Pfiffe aus Trillerpfeifen auf ihn ein. Castorf beginnt zu gestikulieren, zunächst scheint er beschwichtigen zu wollen, dann deutet er ins Publikum und darauf mit beiden Zeigefingern an seine Stirn. Zeigt er dem Publikum den Vogel? Oder will er nur auf etwas in seinem Kopf hinweisen? Kurz könnte man meinen, er wolle sogar etwas sagen. Die Zuschauer schäumen vor Wut.
Einzigartige Provokation
Schließlich bleibt Castorf – und mit ihm seine Mannschaft – einfach stehen: In leicht schräger Haltung und mit geradezu andächtiger Miene lauscht er unbewegt in die nicht abebbenden Buhs hinein. Das geht quälende zwei, drei, fünf Minuten lang, längst ist es ein Kampf zwischen ihm und den Wagnerianern geworden. Wie zur Erlösung öffnet sich dann der Vorhang und gibt den Blick aufs nun dort versammelte, frenetisch gefeierte Orchester frei. Doch noch immer bleibt der Regisseur und verneigt sich, sobald Jubel für andere Beteiligte aufbrandet, ironisch mit und heizt den Zorn des Publikums so noch weiter an. Erst nach über zehn Minuten und nach offenkundigen Überredungsversuchen seines Teams geht er langsam ab. Eine einzigartige Provokation.
Was die Leute so aufgebracht hat, war nicht allein diese "Götterdämmerung", sondern der gesamte "Ring", in dem Castorf die großen Erzählungen, deren Zeit laut Jean-François Lyotard vorbei ist, verabschiedet hat. In den so monumentalen wie detailverliebten, bis zur Überschärfe konkreten Drehbühnenaufbauten von Aleksandar Denić hat er sarkastisch auf die Freiheitserzählung der westlichen Welt und auf die emanzipatorische Gerechtigkeitserzählung des Sozialismus zurückgeblickt. Das Problem: Castorf hat zu diesem Zweck mit Wagners "Ring" selbst eine große Erzählung benutzt, hat sich jedoch um deren Inhalt und vor allem um deren Einheit nicht im Geringsten geschert und sie stattdessen in viele Einzelerzählungen zerlegt bzw. in Assoziationen aufgelöst (was vom Lyotard'schen Standpunkt aus konsequent sein mag).
Rheingold und im bildstarken Siegfried hat dieses Verfahren aufregende Ergebnisse gezeitigt; in der Walküre und der "Götterdämmerung" führte es zu einiger Langeweile: Zu oft lief die Handlung des Dramas an der grandios erdachten Bildwelt Denićs gänzlich unangebunden vorbei. Was an den beiden genannten Abenden – man muss es klar sagen – auch an eklatanten inszenatorischen Mängeln lag: Wenn sich keine greifbare Reibung zwischen Denićs konkreten Settings und der Wagner'schen Vorlage ergab, flüchtete Castorf in die Nicht-Regie, die dann wie allerkonventionellstes Rumstehtheater aussah (die Chor-Regie in der "Götterdämmerung" etwa ist ein einziges Desaster), allenfalls aufgepeppt durch ein paar Video-Einsprengsel oder frei flottierende Zitate.
Im rasantenNachdem der "Siegfried" direkt in den real existierenden Sozialismus hineingeführt hatte, kommt die "Götterdämmerung" nah an unserer Gegenwart heraus. Denićs Drehbühne zeigt diesmal eine schmuddelige Ecke irgendwo im Nachwende-Berlin – ein übrig gebliebenes Stück Mauer, schlecht verputzte Außenwände von Altbau-Wohnblocks, eine Döner-Bude –, nach Drehung der Bühne blickt man entweder auf eine Treppe, die zu einer (von der Treuhand abgewickelten?) Fabrik der Buna-Werke in Schkopau gehört, oder auf den (1995 vom Künstler Christo tatsächlich) verpackten Reichstag, der sich im dritten Akt bei seiner Enthüllung überraschenderweise als New Yorker Börse entpuppt.
Disparate Stimmung einer desorientieren Zeit
Das Ende der großen Erzählungen ist also bei einer verhüllten Demokratie angekommen, hinter deren Fassade Wall Street den Takt angibt und in der ein paar Dunkelmänner wie Hagen und Gunther Ölfässer mit "No Future"-Aufschrift herumtragen oder an Döner-Buden abhängen ("Sitz' ich herrlich am Rhein?", fragt Gunther dazu – "Nö", müsste man antworten). Als disparate Stimmung einer desorientierten Zeit ist das gar nicht unplausibel, und vielleicht kreist ja auch deswegen die Drehbühne in dieser "Götterdämmerung" recht ziellos von A nach B und wieder zurück: Wo welche Szene spielt, scheint mittlerweile egal. Die lahme Personenregie spielt überwiegend brav die Wagner-Handlung nach, als optische Knaller gibt es noch schöne Autos aus den 1960er Jahren (eine Isetta, eine wunderbare schwarze Mercedes-Limousine), ein bisschen Voodoo-Kult und den Kinderwagen aus der berühmten Treppen-Szene des Revolutions-Films "Panzerkreuzer Potemkin" – das alles täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Castorf zur Heldentragödie der "Götterdämmerung" nichts Relevantes eingefallen ist.
Irritierende Bilder, denkwürdiges Dirigat
Einzig der finstere Hagen – der Koreaner Attila Jun füllt die Rolle mit kolossaler, aber auch etwas eindimensionaler Stimmgewalt aus – scheint noch Castorfs Interesse geweckt zu haben: ein kaputter Typ mit gewaltigem Irokesenschnitt, der Siegfried und Gunther äußerst brutal mit einem Baseballschläger erschlägt. Hagen gehört, das hat Castorf richtig erkannt, zu denen, die bei Wagner übrig bleiben und die – nach der Götter Ende – für eine neue Menschheit einstehen müssen. Zu Siegfrieds Trauermarsch sieht man Hagen daher im Video durch einen Wald schweifen und zu den letzten Takten des "Rings" in einem Schlauchboot liegend auf einem See treiben. Das sind noch einmal eindringlich irritierende Bilder: Nicht von dem Bösen, sondern der Böse wird erlöst.
Nicht nur von den epochalen Buhs für Castorf ist zu berichten, sondern auch von dem Jubel für die musikalische Seite (die diesmal durch den bei allem schwunghaften Angang doch merklich flachen Tenor von Lance Ryan etwas getrübt war). Catherine Foster kostete in Brünnhildes Schlussgesang die gesamte dynamische Bandbreite ihres dramatischen Soprans aus, Claudia Mahnke sang eine anrührende, mit kräftiger Tiefe und betörend leise eingehängten hohen Tönen beeindruckende Waltraute, Allison Oakes durchpulste ihre Gutrune mit großer Wärme, und Alejandro Marco-Buhrmester gestaltete seinen wohlklingenden Gunther mit schöner Phrasierung.
Vor allem aber feierte das Publikum am Ende Kirill Petrenko, dem ein denkwürdiges "Ring"-Dirigat geglückt ist. Mit einer außerordentlichen Variabilität im gestischen Ausdruck und wunderbar ökonomisch, nie verschwenderisch gesetzten Höhepunkten hielt er das Festspiel-Orchester stets in bewegtem und sprechendem Fluss, nichts wurde verwischt, über nichts wurde hinweggespielt, nichts wurde verhetzt, und nichts zerfiel. Sicher, man wird in Zukunft vom Castorf-"Ring" sprechen. Aber es ist mit gleichem Recht ein Petrenko-"Ring". Und, nicht zu vergessen, ein Denić-"Ring". Auf jeden Fall aber ein "Ring", den man – mit allen Höhen und Tiefen – nicht so leicht aus dem Gedächtnis kriegen wird.
Götterdämmerung
von Richard Wagner
Inszenierung: Frank Castorf, Musikalische Leitung: Kirill Petrenko, Bühnenbild: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Rainer Casper, Video: Andreas Deinert, Jens Crull, Leitung des Chores: Eberhard Friedrich, Dramaturgie: Patric Seibert.
Mit: Lance Ryan, Alejandro Marco-Buhrmester, Martin Winkler, Attila Jun, Catherine Foster, Allison Oakes, Claudia Mahnke, Okka von der Damerau, Christiane Kohl, Mirella Hagen, Julia Rutigliano.
Dauer: 6 Stunden 20 Minuten, zwei Pausen
www.bayreuther-festspiele.de
Mehr von Castorfs "Ring": Teil eins: Rheingold, Teil zwei: Walküre, Teil drei: Siegfried.
BühnenbildnerAleksandarDenić übrigens stattete 1995 Emir Kusturicas Film "Underground" aus, der 1995 beim Filmfestival in Cannes die Goldene Palme gewann.
Konzenptionell ist dieser Ring aus Sicht von Christine Lemke-Matwey in der Zeit (1.8.2013) – (wo sie den ganzen Zyklus in einem bespricht) – durchaus ein Wurf. Doch in der Umsetzung sieht sie "eine gar grässliche Wurstigkeit, Lustlosigkeit, Langeweile" walten. Letztlich sei, so die Kritikerin, eben doch vieles bloß assoziativ und rein zufällig, "da mögen einem Aleksandar Denićs filmreife Bühnenbilder noch so sehr den Atem rauben". Die vier Stationen des Zyklus hätten wenig miteinander zu tun. Auch deshalb, weil es in Wagners Ring "nicht nur ums Scheitern sozialer Utopien" gehe und "die alte Systemkritik am Kapitalismus, sondern immer wieder auch ums Disparate." Um das, was herausbreche aus dem herrschenden Diskurs. "Kirill Petrenko kontere der Regie "mit einem vorzüglich analytischen Dirigat. Seine Tempi überzeugen, vieles hat man so überhaupt noch nie gehört, vieles ist so fein modelliert, als sei die Partitur ein Bergwerk mit tiefen stollen und geheimnisvoll glitzernden Grotten – und Petrenko der Scout mit der Stirnlampe darin."
"Frank Castorf und Kirill Petrenko stellen Bayreuth den inspiriertesten 'Ring' seit Jahrzehnten ins Festspielhaus", so lautet die Unterzeile von Reinhard J. Brembecks abschließender Kritik in der Süddeutschen Zeitung (2.8.2013), Aufmacher des Feuilletons. "Castorf zieht weder Kopf noch Brust ein, herausfordernd trotzt er dem Lärmen, fordert mit den Händen mehr", so interpretiert der Kritiker des Regisseurs Auftritt zum Schlussapplaus. "Worin aber bestehen Castorfs Verbrechen? Der Mann hat Wagners 'Ring'-Text genau gelesen." Er entdeckte unter den Göttern, Riesen, Menschen, Zwergen ausschließlich Macht- und Sexgierige, die die Liebe verraten. "Sowohl texttreu als auch von immenser szenischer Phantasie getrieben, erzählt er Wagners Traum vom besseren Leben, das die Liebe übers Geld stellt." Wagner suggeriere ganz ernsthaft, dass alles wieder so wie früher und folglich gut werden könne. Castorf benenne seinen Traum als Illusion, "Petrenko malt dieses Paradies mit großer Lust am nie gehörten Detail aus. Er arbeitet jedes Instrument klar heraus, meidet Geraune und Klangnebel." Er sei des Großmeisters Meister, "enorm beeindruckend sind auch die Bilderfindungen von Aleksandar Denic". Fazit: Bayreuths Leiterinnen Katharina und Eva Wagner müssen sich nicht fürchten. Erstens wegen Petrenko, zweitens, weil ihnen Castorf den provokantesten und gedankenschärfsten "Ring" der vergangenen Jahrzehnte in ihr Festspielhaus hingestellt habe, "mehr Publicity und mehr Kunst gehen nicht".
Am Ende sei die Luft raus, denn "kein Gimmick, keinen Schock- oder Showeffekt in dieser 'Götterdämmerung', die nicht schon in den drei Teilen zuvor genutzt worden wären", so Eleonore Büning in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.8.2013). Zum Schlussapplaus komme Castorf dann wie zu einem Westernduell, "so, als ginge es nur darum, wer hier die besseren Nerven hat", posiert, grinst, kraftmeiert, und "er greift sich immer wieder an den Kopf, um den Buhrufern einen Vogel zu zeigen". In diesen Minuten tritt zutage, was den zersplitterten Castorfschen "Ring" zusammenhielt: "Es ist der Zynismus desjenigen, der sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt." Bünings Fazit ist ein eher vergiftetes Lob: "Die bislang wohl schärfste Revision des Chéreau-'Rings' hat Castorf erarbeitet, wenn man in diesem Fall überhaupt von Arbeit sprechen kann. An die Stelle der Analyse setzt er die Nichtbefassung mit Stoff und Musik. Sinn wird ersetzt durch die Apotheose der Sinnlosigkeit. Ikonographisch regieren in diesem 'Ring' Genosse Zufall, das Filmerinnerungszitat und die überbordende Phantasie des Bühnenbildners."
Zufrieden ist Manuel Brug in der Welt (2.8.2013): Castorf habe eine rotzig-rüde, zärtliche Deutung präsentiert, die eine morbid-zerfallende Welt vorführe; pessimistisch ist, aber liebevoll im Detail. "Sie zoomt Wagners Wesen an uns heran, was unangenehm werden kann. Man kann in dieser Staunen machenden, durchaus zur Abwehr herausfordernden Bayreuther Tetralogie viel über uns lernen. Sie hat Bilder geschaffen, die zu "Ring"-Ikonen werden. Sie hat einen politisch-philosophischen Diskurs angerissen, ohne zur Conclusio zu kommen." Sie sei durch Zeiten, Länder und Systeme mäandert, ohne formvollendete Lösung, gar Er-Lösung zu bieten. "Castorfs 'Ring'-Formel ist, dass es keine gibt, und sich irgendwie doch alles fügt und weitergeht. Einen Reim muss sich erst der aktive Zuschauer darauf machen. Kann man, darf man von einem neuen 'Ring des Nibelungen' mehr erwarten?"
"Oben durfte sich Castorf austoben, weil unten Kirill Petrenko zusammenhielt, was in seinen monomanischen Obsessionen gar nicht zusammenzubringen ist", fasst es Niklaus Halblützel abgeklärter in der taz (2.8.2013) zusammen. Für die "Götterdämmerung" steht die New Yorker Börse von Christo verpackt auf der Bühne. Dazu die Buna-Werke, eine Straße in Harlem, ein Wohnwagen, ein Goggomobil, ein Laden für Voodoo-Zauber, "eine wahre Streubombe von Symbolen und Zitaten, die dann doch nicht zündet". Castorf wolle überhaupt nichts interpretieren. "er versucht nur, semantisch dekodierbare Schauplätze zu erfinden, in denen diese allesamt ziemlich irren Figuren heute agieren könnten".
"Nicht zu Ende gedacht, in der Ausführung nur halbwegs bewältigt, zu Aufregung besteht vorerst dennoch kein Grund", denn in Bayreuth herrscht der Werkstatt-Gedanke, der das Weiterarbeiten im Jahr darauf erlaubt, auch der legendäre Chéreau-"Ring" von 1976 habe seine Häutungen erlebt, schreibt Peter Hagmann in der Neuen Zürcher Zeitung (2.8.2013). Castorfs Ausgangspunkt wirke durchaus wie eine Weiterführung des Ansatzes von Chéreau, der Wagners Tetralogie in der Gründerzeit verankert hat, "wie Chéreau nimmt er eine markante Gegenposition zur abstrakt distanzierten Handschrift Wieland Wagners ein". Unterm Strich enthalte Castorfs Inszenierung, so aufgeregt sie sich gibt, merkliche Durchhänger, auch in ihren Anklängen ans sogenannte Regietheater. "Nichts darf sein, wie es sein könnte", Siegfried etwa schmiedet kein Schwert, sondern reinigt eine halbautomatische Waffe. Und so präge der Dirigent Petrenko den neuen Bayreuther "Ring" weitaus entscheidender als Castorf. "Er lässt die Musik Wagners in einer Schönheit, einer Deutlichkeit und einer Körperhaftigkeit erklingen, dass die fast fünfzehn Stunden Spieldauer im Flug vergehen."
"Die opulenten Kulissen stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zum lose gereihten Geschehen", so Daniel Ender im Standard (2.8.2013). "Zwar war das Öl aus Rheingold und Walküre wieder da, doch blieb es letztlich bei Episoden, die sich weniger ineinanderfügten als in einer TV-Soap (Castorf hatte die Probenbedingungen in Bayreuth damit verglichen und sich darüber beschwert)." Dabei sei die Ablehnung im Schlussapplaus keineswegs geschlossen gewesen, "gab es neben der Buh-Fraktion auch gar nicht so wenig Zustimmung - zumindest für Bayreuther Verhältnisse". Fazit: So schlüssig, dass man darin einen bleibenden Wert erblicken müsse, ist Castorfs Arbeit nicht - trotz der Denkanstöße, die sie unzweifelhaft beinhaltet.
Auf dradio Kultur vom Tage (1.8.2013) war Christoph Schmitz direkt nach der "Götterdämmerung" wenig begeistert: Castorf inszeniere oft blind an allem vorbei. "Seine 'Ring'-Weisheit bleibt darüber hinaus recht banal. Das eigentliche Problem der Menschheit seien weniger die Systeme, gleich ob Kommunismus oder Kapitalismus, sondern der Mensch selbst. Ja, klar, wer denn sonst." Zugleich zeichne der Regisseur Mensch und Welt mit Wagners Figuren so eindimensional, so platt und zynisch, als wären sie nur schlechte Graffiti, frei von psychologischen, historischen und mythengeschichtlichen Dimensionen.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 13. September 2024 Staatstheater Kassel: Geschäftsführer freigestellt
- 13. September 2024 Salzburg: Nuran David Calis wird Schauspieldirektor
- 12. September 2024 Heidelberg: Intendant Holger Schultze hört 2026 auf
- 12. September 2024 Auswahl des "Augenblick mal"-Festivals 2025 in Berlin
- 12. September 2024 Freie Szene Hamburg: Protest-Aktion zur Spielzeiteröffnung
- 12. September 2024 Baden-Baden: Nicola May beendet Intendanz 2026
- 12. September 2024 Berlin: Aufruf der Komischen Oper zu Musikschulen-Problem
- 12. September 2024 Literaturpreis Ruhr für Necati Öziri
neueste kommentare >
-
Playing Earl Turner, Wien Trotzdem wichtig
-
Grmpf, Köln Grpf!
-
Necati Öziris "Vatermal" Anderes Empfinden
-
Empusion, Lausitz Festival Berichterstattung
-
Dantons Tod und Kants Beitrag, Dortmund Analyse?
-
Hamlet, Wien Positiv überrascht
-
Necati Öziris "Vatermal" Starker Text
-
Kassler GF freigestellt Verwechselung
-
Die Verwandlung, Zürich Nur Kafka wird das überleben
-
Der Reisende, Essen Eigene Vorlage
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
"Woglinde und Wellgunde umschlingen mit ihren Armen seinen Nacken und ziehen ihn so, zurückschwimmend, mit sich in die Tiefe." Ja, stimmt! Das wird er wohl bei Wagner nicht überleben. Und vielleicht ist die Schlauchboot-Nummer bei Castorf ja auch eher eine Toten-Zeremonie, wobei sie auch dann einen erlösenden Anstrich hätte. Wer auf jeden Fall übrig bleibt, sind die Rheinnutten ... äh ... -töchter. Das ist doch schon mal ein ganz guter Neuanfang für die Menschheit.
Die Grundsetzung dieser Gesellschaft mit Hinterhof und Dönerbude, in der Castorf seine Götterdämmerung ansiedelt, war für mich sehr stimmig. Ich sah Menschen, die ihre eigenen Gesetze machen, an die Kraft von Magie und Gewalt zum Erreichen ihrer Ziele glauben. Schon längst abgekoppelt, von dem, was angeblich die Mitte der Gesellschaft ist, versuchen sie mit ihren Mitteln ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Eine Parallelwelt, von der wir ahnen, dass sie existiert, mit der wir aber nicht in Berührung kommen. Das "bisschen Voodoo-Kult" war für mich ein wunderbarer Ausdruck des Glaubens an die Beeinflussbarkeit der Götter und damit des Schicksals. Und ganz nebenbei auch eine sehr kluge Lösung für die schwierige Szene, in der Siegfried im Tarnhelm vor Brünhilde tritt, offensichtlich gesteuert, von eben diesem Kult.
Brünhildes Schlussszene hat mich sehr berührt - wie sie durch diese trostlosen Mauern wanderte und sich einen globalen Weltuntergang träumte, während doch nur ihr Weltbild unterging und einfach andere Menschen nun mit einer anderen Setzung weitermachen, fand ich als Tragödie deutlich stärker als ein großes apokalyptisches Bild. Ich hatte Gänsehaut.
Das nur als zwei Beispiele.
Natürlich ist das kein geschlossenes Regiekonzept, natürlich hat der Abend noch Schwächen. Aber man darf einen Bayreuther Ring meiner Meinung nach nicht im ersten Jahr als fertiges Werk beurteilen. Und wenn Castorf die Energie aufbringt, an dieser Arbeit in den nächsten Jahren weiterzudenken, wird das ganz großes Musiktheater. Immer unter der Voraussetzung, ich akzeptiere seine Herangehensweise an Stoffe, die einen Theaterinteressierten ja nicht wirklich überraschen sollten. Ich jedenfalls würde wieder häufiger in die Oper gehen, wenn mehr MusikTHEATER zu sehen wäre und weniger das Abfeiern von kulinarischen Häppchen.
Eine vom gestrigen Abend Beglückte
P.S. Der Chor war vielleicht nicht szenisch, aber musikalisch einer der Höhepunkte des Abends, das sollte man nicht verschweigen.
Doch zurück zu Castorfs Inskonsequenz, die den Hänsel-und-Gretel-Wagnerianern zum Trotz nichts anderes tut, als Wagners Inkonsequenz zu spiegeln und letztendlich auch die Aporie des aufgeklärten Zeitgenossen nach dem Ende der "Großen Erzählungen" (gegen die Bernd Stegemann in seiner tollen "Kritik des Theaters" so anwütet). Schon Wagners Zeitgenossen hatten ja ein Problem mit der Idee des Anfangs, von der sie besessen waren. Wagner selbst hat sich vom Schluss der Tetralogie vorgearbeitet und trotzdem keine widerspruchslose Vorgeschichte hinbekommen.
Liebe Wagnerianer, ich verstehe Euch nicht. Alle Klassiker wurden zertrümmert. Wagner selbst hat seien Nibelungen-Ring zertrümmert. Warum verlangt er denn nun Castorf, dass er "Heile heile Segen" macht?
"Ist ihre Schlechtigkeit ohne Maß, so ist's
Ihre Armut auch. Nicht der Armen Schlechtigkeit
Hast du mir gezeigt, sondern
DER ARMEN ARMUT.
Zeigtet ihr mir der Armen Schlechtigkeit
So zeig ich euch der schlechten Armen Leid.
Verkommenheit, voreiliges Gerücht!
Sei widerlegt durch ihr elend Gesicht!"
Und andererseits handeln manche "Arme" tatsächlich nur noch böse und verschlagen. Es gilt also für oben UND unten: "Erst muß, bevor die Welt sich ändern kann/der Mensch sich ändern." (Mauler)
Die ersten beiden Absätze jedenfalls können nur in Unkenntnis der Reaktionen auf frühere (Wagner)-Regien geschrieben worden sein; als hätte es Chereau nie gegeben (lassen Sie sich davon mal berichten, da gibt es noch Überlebende), als wäre nie ein Regisseur ewig verharrt, der einen Proteststurm ausgelöst hat (z.B. Neuenfels bei der "Meistersinger"-Premiere in Stuttgart). Und auch nur fast noch nie wurde mit Zeichenhaftigkeit das Ende der "Großen Geschichten" eingeläutet (außer z.B. bei der famosen Ruth Berghaus in ihrer sensationellen Ring-Deutung in Frankfurt...).
Ach, da gäbe es noch so viel zu berichten, sogar aus der vermeindlichen Provinz, von Trillerpfeifen bis Flugblattaktionen, alles schon gesehen. Egal, Hauptsache die Musik spielt schön zu den Bildern, und das kann Bayreuth ja nun seit Jahren, selbst wenn natürlich seit der Festivalgründung immer schlechter gesungen wird ;-)
Sogar des Kaisers neue Kleider sind irgendwann mal abgetragen. Was kommt nun? Nach Meese (bis dahin ist bestimmt Schlingensief endgültig vergesen...)?
Gespannte Grüße aus der Sommerfrische.
Sollten die Krokodile und die Döner-Bude in dem Sinne intendiert sein, wie Sie es sagen, fände ich das höchst problematisch. Wenn man das Priol-Zitat nicht kennt, sollte man die ganze Szene nicht entschlüsseln können? Das ist doch arm ... Auch teilte sich doch überhaupt nicht mit, dass Gunther Chef des BUNA-Unternehmens war, und aus den hinteren Reihen konnte man die "Hunger"-Schilder nicht erkennen. Und welche Chefs gehen denn in die gleiche Döner-Bude wie ihre Angestellten? Wenn es derart intimer Kenntnisse bedarf, um das Gesamtkonzept zu verstehen, dann hat Castorf ein Vermittlungsproblem.
Die Buna-Werke dürften den Allermeisten bekannt sein. Aber dass Gunter der Boss sein soll, finde ich anhand der Personenführung und der Raumnutzung nicht bestätigt. Denn alle Szenen spielten im Hinterhof oder auf der Treppe, aber niemals in einer Schaltzentrale der Macht. Und die ganzen Lederjackentypen inklusive Gunter hatten doch mehr von einer Motorradgang als von Chefetage. Ich glaube eher, dass es mit dem Doppel-Bild von Dönerbude und Fabrik um das gleichzeitige Zusammenbrechen zweier Systeme ging.
Das Krokodil als Bild für den Kapitalismus findet man übrigens schon in der Erzählung "Das Krokodil" von Dostojewski. Darauf ist, so weit ich mich erinnere, auch schon in den Kommentaren zu Siegfried hingewiesen worden.
Was Sie zu den Voodoo-Anspielungen unter 6. sagen, finde ich sehr bedenkenswert - danke für diesen Hinweis! Ich gebe zu, dass ich immer noch Schwierigekeiten haben, den Kult und den Baseball-Schläger Hagens unter einen Hut zu bringen, aber Sie schreiben ja von einer Parallelwelt, mit der wir nicht in Berührung kommen, und in der Tat kann ich da keinerlei Expertise aufweisen. (Immerhin weiß man ja aus den einschlägigen Filmen, dass Mafiosi-Dasein und Glaube sehr gut miteinander koexistieren können.)
@11.
Wirklich? Ist Chereau 5 Minuten im Buhgebrüll stehengeblieben? Das wusste ich nicht und gebe gerne zu, damals nicht dabei gewesen zu sein. (Chereau wird sich vermutlich auch nicht an die Stirn getippt haben, oder?) Was die Heftigkeit der Missfallenskundgebung betrifft, fand ich die gestern übrigens nicht ungewöhnlicher als etwa bei Sebastian Baumgartens "Tannhäuser". Baumgarten ist nur nicht solange auf der Bühne geblieben.
Dass Castorf der erste sei, der "mit Zeichenhaftigkeit das Ende der 'Großen Geschichten' eingeläutet" habe, habe ich übrigens gar nicht behauptet.
ABER: Gefressen hat das Krokodil einen kleinen russischen Beamten und Spinner, dessen Weltverbesserungsgeschwafel nun auf einmal allgemein Gehör findet, was es als Beamtengeschwafel noch nicht tat. Insofern geht es in der Satire hauptsächlich wohl um die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und es ist doch nun ein netter Fund (jedenfalls theoretisch, ich hab die Aufführung ja nicht gesehen), wenn man sich vergegenwärtigt, dass ja auch Fafner meist von einem Gesangsangestellten in Drachenhaut gesungen wird (z.B. im Vor-Vorgänger-Ring von Flimm) und dass durch dessen Tötung nun auf einmal das brüllende Geschwafel von Siegfried und Brünhilde allgemeines Gehör findet und wichtig sein soll.
Übrigens finde ich die Deutung von Brachmann sehr anregend.
Und die wörtliche auch. Was sind denn Siegfried und Brünnhilde anderes als 2 Krokodile: Die eine setzt die Welt in Brand, weil ihr Mann fremdgeht und der andere zündet die Atombombe (bzw. schmeisst den Ring nicht weg), weil die Rheinnutten ihn verspotten. So sehen Welterlöser aus.
Um eine Wertung wer die besseren und schlechteren Menschen sind geht es meines Erachtens an dem Abend nicht.
oh, so war es auch nicht gemeint. Natürlich bezog ich mich am Anfang auf Ihre ersten beiden Absätz zum Thema "Ungewöhnlicher Applaus". Ich kann leider wirklich nichts, aber auch gar nichts Besonderes hier finden, außer dass eine eine erwartbar pennälerhafte Haltung gezeigt wurde - seitens des Regisseurs. Und reflexartig darauf angesprungen wird. Castorf: Mission erfüllt.
Und der andere Ärger geht weit über Sie hinaus; dass in der Sensationsgier heute IMMER ALLES NOCH NIE DAGEWESEN sein muss, geht mir auf den Nerv, verbunden mit der Ahnung, dass immer weniger Menschen wissen, was eben doch schon alles einmal gedacht und versucht wurde.
Allein, dass sich Teile der Rezeption dieses Ringes ableiten lassen von einer intellektuellen Variante von "Erkennen sie das bildprachliche Metapotenzial?" mit abgegriffenen Materialien wie Spaghetti, Baseballschläger, Blondhaarperücken und und und lässt doch tief blicken, wenn dann aber doch nur die Musik spricht. Wer schon in der Volksbühne Castorf gesehen hat, erkennt sogar die Krokodile. Toll! Leistung!
Und diese Haltung nehmen Regisseure ja auch gerne ein, als Universalneuerfindergenies landauf landab, ohne die geringste Ahnung haben zu wollen, wie wenig neu sie sind. Schade.
Stimmt, Sie haben mich beim unscharf formulieren erwischt. Nicht das Krokodil selber, sondern die Erzählung handelt vom Kapitalismus. Und
@ Barney, natürlich sollte das Wissen nicht Voraussetzung sein, um das Bild zu deuten. Es ist nur auffällig, da Castorf sich intensiv mit Dostojewksi auseinandergesetzt hat und die Erzählung 1865 erstmals erschien, also auch im zeitlichen Zusammenhang steht mit dem Ring. Es war nur ein Versuch, seinen Inspirationen auf die Spur zu kommen, aus reinem Spaß daran. Ich habe gestern auch die Interpretation gehört, das Krokodil stehe für männliche Sexualangst. Wie auch immer, ich habe den Siegfried ja gar nicht gesehen, kann also nur theoretisieren.
@ Wolfgang Behrens, ich habe die Geste Castorfs dahingehend gedeutet, als wollte er sagen, denkt doch mal darüber nach und buht nicht einfach nur. Es macht die Aktion nicht wesentlich souveräner, aber dass nun in manchen Kritiken gedeutet wird, er hätte dem Publikum einen Vogel gezeigt, halte ich für falsch. Auch ich hatte das Gefühl, als wollte er eigentlich noch etwas sagen. Vielleicht war das der Versuch, es dann zeichensprachlich "rüberzubringen" an Menschen, die gerade damit beschäftigt waren, eine gänzlich entgegengesetzte Botschaft zu senden, nämlich "Denk Du mal darüber nach". So viel Lust am Krawall fand ich allerdings bemerkenswert und habe sie in dem Ausmaß bisher auch noch nicht erlebt, allerdings vom Chereau-Ring ähnliches erzählt bekommen.
Das ist witzig! Ich habe eben den Computer noch einmal aufgeklappt und wollte exakt Ihre Deutung der Castorf'schen Geste aufbringen. Es sind sich ja alle so sicher, er habe dem Publikum einen Vogel gezeigt (in meinem Hotel haben das alle mit hundertprozentiger Sicherheit zu wissen geglaubt), und es lief auch so gleich über mehrere Medien. Aber wer zeigt schon mit beiden Zeigefingern einen Vogel?
Ich habe eben, heimgekehrt, meiner Frau den Castorf vorgespielt, die Geste ins Publikum, dann die Geste des An-die-Schläfen-Tippens, und sie sagte spontan: "Das heißt doch: Denkt drüber nach!" Mir fiel's in dem Augenblick wie Schuppen von den Augen. Es ist schon verrückt, wie eine so aufgeheizte Atmosphäre einen manchmal einfachste Zeichen missdeuten lassen kann ...
Meine Aufgabe ist es nicht, den Regisseur in Schutz zu nehmen, sondern Deutungen einer Zeichensprache auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu prüfen. Dass Castorf den Vogel gezeigt haben soll, ist - wenn man die Geste anschaut - schlicht unwahrscheinlich. Apodiktisch die Behauptung hinzustellen, Castorf habe dem Publikum den Vogel gezeigt, ist schlicht unseriös.
Dass Castorf nicht beiseite gehen wollte, verstehe ich - wie Sie – als einen Akt der Provokation, ja. Oder zumindest als Akt der gesuchten Konfrontation. Aber auch hier kann man Möglichkeiten erwägen: Vielleicht war vereinbart, dass Castorf solange vor dem Vorhang stehen sollte, bis das Orchester auf der Bühne Aufstellung genommen hat? Weiß man's? Klar, das ist auch nicht die wahrscheinlichste Erklärung, denn man mag kaum glauben, dass dieser Vorgang 5 Minuten dauern soll. Aber die Clacque, als die Sie sich ja selbst bezeichnen, ist immer so schnell mit endgültigen Deutungen bei der Hand ("so ein Schwein!" habe ich gehört), dass man da schon noch einmal nachhaken dürfen muss.
2000 angeblich zivilisierte Menschen geraten in Pogromstimmung und ich bin das Opfer.
Kann ich das fassen?
Vielleicht bin ich zunächst erstmal fassungslos? Kann mich nicht bewegen. Dann beginne ich mich intellektuell zu distanzieren, sehe mir den Zuschauerraum als Theater an, versuche zu verstehen, was die Leute da machen, wie mein Körper, mein Instinkt darauf reagieren möchte. Das sind doch kostbare Erfahrungsmomente, aus denen Castorf, der, wie jeder regelmäßige Volksbühnenbesucher weiss, sich in seinen Themen totgelaufen hat, sich ein unglaublich tolles neues Themenpotenzial holen kann.
1. weil Herren mit IPod in Deutschland, nicht im Iran auf einmal wieder einen ayatholla-mäßigen religiös-orthodoxen Glaubenseifer an Wagner und die Unantastbarkeit seiner Offenbarungen im Ring des Nibelungen an den Tag legen.
2. weil man das Gefühl haben dürfte, dass der Schritt zur Steinigung der Ketzer auf der Bühne klein ist.
Fazit: Ich glaube, Wagner verdirbt den Charakter und schadet der Demokratie. Ich glaube, er wirkt antizivilisatorisch enthemmend. Sie dürfen als Regisseur alles mit Goethe, Schiller, Mozart machen. Bei Wagner aber hört der Spaß auf. Wagner ist der Kunstislam der "Ersten Welt" im frühen 21. Jahrhundert. Wagnerianer sind Ayatollahs in Nadelstreifen. Leider ist die Musik verdammt gut. Das ist das Gift, das er uns injiziert.
P.S.: Da Katharina Wagner ja nun die alte Volksbühnen-Garde langsam in Bayreuth abhakt, freue ich mich nach Schlingensief, Marthaler, Castorf, Meese auf Herbert Fritschens Meistersinger auf dem Grünen Hügel (trotz der verunglückten Frau Luna). Und irgendwann müsste dann auch mal wieder ein Nicht-Teutone (Sorry, Herr Marthaler) zum Zuge kommen.
Danke. Ich finde auch dieses extreme Wohlwollen im Verständnis, das Castorf und seiner Regie entgegen gebracht wird, auffällig.
Bei "Siegfried" fällt ein Mann in Ohnmacht, natürlich weil die Regie so provozierend ist - etwas nicht, weil im nicht klimatisierten Festspielhaus auf diesen unbequemen Holzsitzen auch in Wolfgang Wagners staubigen Produktionen schon die Leute kollabiert sind.
Selbst der Applaus wird noch zu Gunsten des Regisseurs interpretiert und als Teil des Gesamtkunstwerks eingestuft.
Ich möchte weder das Publikum noch Herrn Castorf verteidigen - aber sollte man angesichts solch platter und (hallo!) wirklich so nichtssagender und noch mehr nichts-bewegender Bilder wie dass ein verpackter Reichstag heimlich die New Yorker Börse ist, nicht mal den Regisseur auffordern "noch mal nachzudenken" oder sich eben selber "den Vogel zu zeigen".
(Lieber Sich Fragender -
die Abschluss-Kritiken sind insgesamt gar nicht so wohlwollend, teils recht streng mit Castorfs Regie. Mittlerweile haben wir das in der Kritikenrundschau zusammengefasst.
die nachtkritik-redaktion/Simone Kaempf)
Sie lassen da en passant etwas fallen, was offiziell noch nicht bestätigt ist: dass Herbert Fritsch 2017 die "Meistersinger" machen solle. Katharina Wagner hat in einem Interview mit dem Nordbayersichen Kurier angekündigt, dass nach ihrer eigenen konzeptlastigen Inszenierung von 2007 nun eher das Komödiantische in den Vordergrund gerückt werden solle - und ich gebe zu, dass ich das sofort als Andeutung auf Fritsch gelesen habe. Haben Sie eine andere Quelle?
Haha, Thielemann und Fritsch wären sicher eine super Kombo.
Wollte Ihnen persönlich nicht zu nahe treten, aber wenn man in den erwähnten Foren sieht, wie genüsslich die üblichen Verdächtigen im Bayreuther Stammpublikum sich jetzt wieder über "das ewig gleiche [!] Regietheater" auslassen und dabei nur zu gerne auf den verheerenden Kehlmann-Satz von der "letzten Schrumpfform linker Ideologie" berufen, wird schon deutlich, dass deren Protest auf's Grundsätzliche zielt, und es da auch nicht nur um ästhetische Fragen geht. Insofern schien mir Ihr pauschalisierender Seitenhieb auf den "linken Intellektualismus" in die gleiche Kerbe zu hauen. Wenn das ein Missverständnis war, bitte ich um Entschuldigung.
Lassen wir es doch dabei bewenden.
http://www.bf-medien.de/2014/07/frank-castorf-ein-kuenstler-braucht-ein-feindbild/