Kolumne: Queer Royal - Georg Kasch über das Gender Gap und andere Sternchen
In der Unisex-Toilette
von Georg Kasch
17. Februar 2015. Neulich stand ich in einer Bar vor den Toiletten. Es passiert ja öfter mal, dass man wegen unklarer oder überklebter Symbole rätselt: Männlein oder Weiblein? Diesmal gab's kein Rätsel, weil keine Wahl, denn die Klos waren unisex: Man steht da schon mitten im gekachelten Labyrinth, wenn man kapiert, dass man in jede Kabine kann, die da ist. Händewaschen, quatschen, flirten geht hinterher querbeet. Nach dem Selbstversuch lässt sich vermelden: läuft.
60 Geschlechtsoptionen
Eine feine Sache, weil sich die Menschen, die sich nicht klar zwischen den Kategorien Mann und Frau entscheiden können oder wollen, es hier nicht mehr müssen. Dass das mitunter nicht so einfach ist, wie es für die Mehrheit scheint, hat selbst Facebook verstanden und im vergangenen Jahr insgesamt 60 Geschlechtsoptionen eingeführt.
Hätten sie allerdings auch einfacher haben können. Zum Beispiel mit dem queeren Sternchen: Egal, wie du dich bezeichnest, egal, wie kompliziert deine (Geschlechts-)Identität aussieht – du bist gemeint. Queerness ist ein Konzept, das selbst einer Bar entstammt. Vom "Stonewall Inn" in der New Yorker Christopher Street gingen 1969 jene Unruhen aus, die die schwule Emanzipationsbewegung auslösten. Hier schlugen all jene auf und gegen die brutale Polizei zurück, die aus den Etablissements der Mittelschichtsschwulen ausgeschlossen wurden: obdachlose Jugendliche, Trans*-Personen, People of Color. Menschen, die mehrfach stigmatisiert wurden, Menschen, die nicht viel mehr zu verlieren hatten als ihre Würde, Menschen, die dank Fummel und Make-Up nicht zu übersehen waren (was auch heute noch Mut erfordert).
Mehr als ein Satzzeichen
Bar-Diven, bigger than life. Wie am Theater, wo sich schon immer biologisches und dargestelltes Geschlecht überlagerten und im Spiel das Begehren durchlässig wurde: Wenn Orsino sich in Shakespeares "Was ihr wollt" in die als Cesario verkleidete Viola verliebt, dann ist er nicht unbedingt schwul (selbst dann nicht, wenn Viola von einem schwulen Schauspieler gespielt würde). Aber die heteronormativen Strukturen, die auch in der Renaissance das Leben prägten, werden aufgebrochen – für ein paar magische Momente.
Nicht nur für ein paar Momente, sondern für eine ganze Weile soll das Sternchen auf nachtkritik.de Binnen-i und Schrägstrich ersetzen, um neben den Schauspielern auch die Schauspielerinnen zu benennen. Und zugleich das Dazwischen: das Queere, das mehr sein will als Buchstabenkolonnen wie LGBTIIQ, das die 60 Facebook-Geschlechter zugleich umarmt – offen für alle. Dieses Sternchen versprüht im Netz immer mehr Funken. Auch wir haben uns dafür entschieden – nicht ohne Diskussion. Eine Kollegin fühlte sich abgespalten, weit weg von den männlichen Redakteuren, wie auf einem anderen Stern. Außerdem sei das nicht mal ein Satzzeichen.
Verschwörungstheoretisch gesehen
Stimmt. Aber was für keins: ein reizendes Stolpersternchen, leicht, tänzelnd. Keine steile Wand wie das Binnen-i, keine Abschussrampe wie der Schrägstrich, kein Graben wie der Unterstrich. Eine Blüte vielmehr, ein Rädchen, aber nicht im Getriebe, ein Himmelslicht, das dem ein oder anderen aufgeht. Wem das nicht einleuchtet, kann sich immer noch drüber ärgern – und es als Beweis dafür nehmen, dass sich die angestrebte Weltherrschaft der Schwulenlobby jetzt sogar bis auf nachtkritik.de erstreckt.
Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur auf nachtkritik.de.
Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne Queer Royal versucht er, jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt zu blicken.
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