Am Ende des Regenbogens

27. Juni 2023. Im Pride Month tut alle Welt so, als wären die Rechte queerer Mensch längst durchgesetzt. Aber das Bild trügt. Vor allem in den USA mehren sich die Bemühungen, queer-feindliche Ressentiments in Gesetzen zu verankern. Ausläufer dieser Welle schwappen auch zu uns. Im Sommer heißt es nun: Kräfte bündeln.

Von Georg Kasch

27. Juni 2023. Alles so schön bunt hier: Überall leuchten die Regenbogenfahnen, vor Rathäusern und Konzernzentralen und auf unzähligen Social-Media-Profilen von Kaffeeketten, Parfum- und Automarken. Es ist Pride-Monat, geradezu rituell feiern Läden und Institutionen die Vielfalt, während CSD-Paraden durch die Städte zuckeln. Dort gibt's neben Tanz und Glitter auch politische Botschaften. Aber wer hält sich beim farbenfrohen Feiern schon mit so was auf? Wohl auch, weil zuletzt nahezu alles erreicht schien, Antidiskriminierungsgesetz, Steuersplitting, Ehe für Alle. Herz, was willst du mehr? 

Die Akzeptanz schwindet

Zum Beispiel eine Abschaffung der diskriminierenden Umstände, unter denen bei lesbischen Paaren die nicht-biologische Mutter ihr Kind adoptieren muss. Oder ein Ende der antiqueeren Gewalt. Oder ein zeitgemäßes Selbstbestimmungsgesetz, das das "Transsexuellengesetz" von 1982 zu den Akten legt. Eigentlich ein zentrales Projekt der Regierungskoalition. Doch der Motor stockt, das Gesetz verzögert sich, es gibt Einsprüche, Einwände, Verwässerungstendenzen. Zugleich ist die Akzeptanz der Bevölkerung von queeren Lebensentwürfen, wiewohl noch immer auf hohem Niveau, zuletzt gesunken. Und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass aus diesem Gesetz noch was Vernünftiges wird.

Warum? Vielleicht, weil im Zeichen der "Anti-Wokeness" sich in vielen Feldern eine Rolle rückwärts ankündigt. Man kann dafür in die USA schauen, wo viele Bundesstaaten trans feindliche Gesetze erlassen haben, aber niemand so weit ging wie Ron DeSantis in Florida mit seinem "Don't Say Gay"-Gesetz. Es verbietet die Erwähnung von queerem Leben an Schulen. Oder jenes Gesetz, dass die Möglichkeiten von trans Menschen zur Transition einschränkt, in vielen Fällen auch verunmöglicht.

Ausweitung des Sagbaren

Klar, Florida ist weit weg. Aber die USA haben immer noch großen kulturellen Einfluss auf Deutschland. Neulich erst waren prominente CSU-Politiker:innen bei Ron DeSantis zu Besuch, um sich zu informieren. Derweil steht die Pforzheimer Baptisten-Sekte "Zuverlässiges Wort", Ableger der amerikanischen "Faithful Word Baptist Church", wegen ihrer homophoben Hassbotschaften unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Die 707,2 Millionen US-Dollar, die zwischen 2009 und 2018 an 54 europäische Anti-Gender-Organisationen geflossen sind, werden auch nicht völlig wirkungslos verpufft sein.

Man bemerkt die Ausweitung des öffentlich Denk- und Sagbaren im Alltag wie in der Politik. Wenn eine ehemalige Eisschnellläuferin für ihre homophobe und rassistische Rede auf einem wichtigen CDU-Treffen vom Parteichef gefeiert wird, dann kann man das natürlich für eine wahnsinnig clevere Strategie halten, AfD-Wähler:innen zurückzugewinnen, Stichwort: Halbierung. Hilft alles nichts: Die AfD liegt in Umfragen auf Bundesebene trotzdem bei etwa 20 Prozent. Im thüringischen Sonneberg stellt sie jetzt ihren ersten Landrat. Wer Pandoras Büchse öffnet und Themen der AfD salonfähig macht, kriegt sie nicht wieder zu, während sich die Wähler:innen ja doch für das Original entscheiden.

Keine Sortierung der Baustellen

Für alle, die jetzt fragen, ob wir keine anderen Probleme haben: Haben wir. Ukrainekrieg, die Toten im Mittelmeer, die offenbar niemanden mehr aufregen. Rassismus, Klassismus, Ableismus. Und über allem die Klimakrise, die scheinbar keinen Unterschied vor Menschen und anderen Arten macht und doch den globalen Süden härter als den Norden trifft. Aber es hilft nichts, die Baustellen nach Dringlichkeit oder Größe der Minderheitengruppen zu sortieren. Wenn es uns nicht gelingt, empathisch zu sein, menschlich zu bleiben und für Gerechtigkeit zu streiten, auch wenn dadurch unsere Komfortzonen kleiner werden, können wir's auch ganz lassen. All die Firmen, die sich jetzt noch im Farbenglanz sonnen, soviel ist jedenfalls sicher, werden die ersten sein, die ihre Regenbögen im Giftschrank verschwinden lassen, sobald es gesellschaftlich stressig wird.

Und damit ab in die Sommerpause. Wir brauchen das Durchatmen. Der politische Herbst wird anstrengend genug.

Kolumne: Queer Royal

Georg Kasch

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

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Kommentare  
Kolumne Kasch: Wohin führt das?
Viele grundsätzlich ehrenwerte Anliegen, aber ist es ein Whataboutism zu fragen, warum dieser Text auf einem Portal für Theater erscheint? Blick auf "Theater und Welt" steht drunter. Aber Theater ist hier überhaupt nicht mehr zu finden. In der Kolumne des Vormonats ähnlich. Ich frage mich wohin das redaktionell führt.
Kolumne Kasch: Schönste Wanderwege
Ja, das frage ich mich auch. Keine Ahnung. Vielleicht demnächst ein Artikel über die schönsten Wanderwege Norddeutschlands? :-)
Kolumne Kasch: Revolution erst im Herbst
Revolution? - Okay, aber nur außerhalb der Ferienmonate, sonst geht das echt zu weit mit dem politischen Engagement - eine Haltung wegen deren qweiter Verbreitung ich gerade aus einer Partei ausgetreten bin...
Kolumne Kasch: Ausweitung des Sagbaren
An #1 und #2. Das ist genau das Vorgehen, das Georg Kasch beschreibt. Die Ausweitung des Sagbaren. >>Ihr nennt Euch Nachtkritik, also äussert Euch gefälligst nur zum Theater.
Kolumne Kasch: Auffällig
@4: Die Ausweitung des Sagbaren ist nicht mein Punkt. Bei der Ausweitung des Sagbaren geht es meines Erachtens um andere Fragestellungen, die vor allem das Wie und Was und Ob betreffen, weniger das Wo. -- Aber wenn hier jenseits des Kerns (Theater) über Themen geschrieben wird, sind diese Themen besonders auffällig. Und ob das bewusst und vorteilhaft ist, darüber lohnt zu sprechen. Ihr in den Mund gelegter Imperativ ist mir fern.
Kolumne Kasch: angeregt
#5: Ein Kommentar, der mich - unabhängig von der Thematik - anregt, laut darüber nachzudenken: Was genau ist der Lohn des Sprechens? Wer erhält ihn? Und von wem? Und für was an seinem Sprechen genau? Wieso denken wir viel zu wenig nach über unsere Umgangssprache?
Kolumne Kasch: Verblendungszusammenhang
an #1 u. #4

Wem es nicht gefällt, dass eine Reihe von Kolumnen nicht auch als eine Wanderung durch miteinander verbundene (Gedanken)Räume gelesen werden kann, der erkennt dann möglicherweise nicht die Bedeutung des Blickes in die Ferne. Wer das kritisiert, den Rahmen gerne enggefasst haben möchte, sieht dann eben vielleicht auch nicht, dass das Betrachtete gar nicht so fern ist. Der sieht dann auch nicht, in welche Bedrängnisse Theaterkünstler*innen, -schaffende und ihre Institutionen - staatlich oder frei, geraten: Stadtpolitikern ist das eine Theater zu schwul, das andere zu Schwarz (...), Feuilletonisten verachten Diversität - selbst in den "eigenen Reihen" tönen welche, dass das alles viel zu queer, viel zu woke wäre und plublizieren dabei fröhlich in konservativ bis reaktionären Magazinen, Journalen und Verlagen, gefeierte, preisüberhäufte Autoren und Autorinnen finden Nicht-Heteronormatives, Nonbinäre nur so "semi-lebenswert" ... Aber ach, Du gesamtgesellschaftlicher Verblendungszusammenhang, das ist doch alle "jenseits des Kerns" ...
Kolumne Kasch: Fokus
@7: Ich wiederhole mich. Ja, da sind viele relevante Fragen inkludiert, die das Theater berühren und berühren müssen und beschäftigen müssen. Und, ja, meine Ausgangsfrage bezog sich auf den Kern von nk. Denn dann wäre doch zu fragen, was noch so alles "relevant" ist. In Bezug auf eine Orientierung, Fokussierung, Nichtüberdehnung habe ich es immer als sehr angenehm empfunden, auf nk Theaterbezogenes zu finden. Wenn der Bezug nicht da ist, kann ich auch die Tagespresse oder den allgemeinen Rundfunk konsultieren. Verbunden ist alles (irgendwie; deshalb fehlt mir hier ja das Erklärende zum "Irgendwie"). Ich sehe mit Sorge, dass alle Debatten überall stattfinden und damit die analytische Fokussierung verloren geht qua Überforderung aller Beteiligten. - Aber das mögen andere anders sehen.
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