Kolumne: Als Ob – Über Nichtverlängerungen
Verringerte Karriereaussichten
11. Juli 2023. Die Praxis der Nichtverlängerung von Verträgen (bei Leitungswechseln in Theatern etwa) ist in die Diskussion geraten und immer wieder Gegenstand lautstark geführter Debatten. Der Ton dabei ist schrill bis hochmoralisch. Zu Recht?
Von Michael Wolf
11. Juli 2023. Schauspieler werden nicht gekündigt, sie werden nichtverlängert. Das ist ein höfliches deutsches Wort, das aber letztlich das gleiche meint: Wer bis zu einem Stichtag im Herbst nichtverlängert wird, muss nach der Spielzeit gehen. Vor allem bei Wechseln der Intendanz ist das üblich. Doch, Moment! Ist es noch üblich?
Zumindest nicht in dem Sinne, dass es stillschweigend hingenommen würde. Die Empörung über personelle Umbauten gehört inzwischen zum Leitungswechsel dazu. In Köln forderten Dramaturgie und Ensemble sogar an der Intendanzfindung beteiligt zu werden, und darüber hinaus wie damit verbunden, dass, wer bleiben möchte, bleiben sollte. Auch an anderen Häusern treten Schauspieler inzwischen sehr selbstbewusst auf, bestärkt von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), die sich zuletzt im Fall Memmingen besonders lautstark zu Wort meldete.
Neue Verteilungskämpfe
Gerne wird der Konflikt so dargestellt, als stünden prekär beschäftigte Künstler auf der einen und an ihren feudalen Privilegien festhaltende Intendanten auf der anderen Seite. Dieses Narrativ kaschiert mäßig geschickt, dass es sich zumindest auch um einen Verteilungskampf innerhalb der künstlerischen Gewerke handelt. Wenn die GDBA "Massenentlassungen" am Landestheater Schwaben anprangert, erweckt sie den Eindruck, das Ensemble würde aufgelöst. Tatsächlich sollen dort nur andere Schauspieler arbeiten als zuvor. Offenbar sind diese Künstler der Gewerkschaft weniger wert als die bislang engagierten.
Selektive Gerechtigkeit
Auch in Köln wollen sie ihre Jobs behalten, was im Umkehrschluss bedeutet: Es sollen nicht die Jobs anderer werden. Aus Sicht der Beschäftigten ist das nur zu verständlich, zumal es sich beim dortigen Schauspiel um eine der besten Adressen im deutschsprachigen Raum handelt. Irritierend ist jedoch der moralische Unterton ihrer Forderungen, ebenso wie die emanzipatorische Rhetorik, mit der sie oftmals daherkommen.
Das Gerechtigkeitsempfinden ist zugleich beeindruckend ausgeprägt und äußerst selektiv. Dass viele Kollegen vielleicht auch an ein Haus wie das in Köln wechseln würden, ist jedenfalls nichts, worüber man sich verstärkt Gedanken macht. Auch eine Diversifizierung der Ensembles, weit und breit als Ziel ausgerufen, dürfte schwer ohne Fluktuation zu erreichen sein. Wen kümmert’s?
Fehlende Solidarität
Man kann den Konflikt auch demographisch beschreiben. Tendenziell ältere Künstlerinnen und Künstler verteidigen ihre Errungenschaften gegen die nachkommende Konkurrenz. Am schlechtesten trifft es angehende Schauspieler, die derzeit noch in oder sogar vor der Ausbildung stehen. Sollte der Widerstand gegen Nichtverlängerungen anhalten oder sogar vertragliche Änderungen erzielen, verringerten sich ihre Karriereaussichten beträchtlich. Wenn so Solidarität aussieht, bin ich froh, in keiner Gewerkschaft zu sein.
Kolumne: Als ob!
Michael Wolf
Michael Wolf hat Medienwissenschaft und Literarisches Schreiben in Potsdam, Hildesheim und Wien studiert. Er ist freier Literatur- und Theaterkritiker und gehört seit 2016 der Redaktion von nachtkritik.de an.
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Warum kommen solche Argumente immer nur bei Schauspieler:innen? Die Realität ist doch die: Neue Intendanzen wollen vor allem Berufsanfänger:innen, weil die billiger sind. Die ungefähr 30-35-Jährigen gelten plötzlich als alt und werden in die Arbeitslosigkeit geschickt, in einem Alter, in dem andere Menschen sich fest niederlassen dürfen und Familien gründen. Geleugnet wird von den Intendanzen, dass es eine natürliche Fluktuation gibt: Auch Schauspieler:innen erreichen mitunter das Pensionsalter, gehen zum Film oder wechseln in ein anderes Ensemble. Eine wunderbare Möglichkeit, das Ensemble zu verjüngen oder zu diversifizieren. Das könnte alles ganz sozialverträglich abgehen, und wenn eine neue Intendanz nach ein, zwei Jahren merkt: mit dem Schauspieler, der Schauspielerin kann ich wirklich nicht, dann könnte immer noch nicht verlängert werden.
Das jedenfalls, was Sie schreiben, bleibt Lichtjahre vom eigentlichen Auseinandersetzungsniveau entfernt. Tschuldigung.
Und eine Beteiligung der Mitarbeiter in der Leitungsfindung kann nur in sehr geringen Maße erfolgen, da die Expertise nicht bei jedem gleich groß ist. Zudem stellt es sich als sehr schwierig heraus überhaupt noch geeignete Leitungen zu finden, da die meisten auf diese neuen und immer komplizierteren Regelungen keine Lust haben bzw. auf den ständigen shitstorm der durch die GDBA gefördert wird.
1. Natürlich vertritt die GDBA zuerst die Interessen der zahlenden (also angestellten) Mitglieder.
2. Natürlich ist die Situation für Theater komfortabel, allein die staatlichen Schulen fluten jährlich etwa 200 Absolventen in den Markt, die privaten geschätzt 800 weitere - bei geschätzt 3000 Stellen an den Theatern könnten alle (!) Stellen innerhalb von 3 Jahren neu besetzt werden
3. Natürlich ist jede Etatkürzung, jeder Gagenaufwuchs ein Votum, jüngere (= billigere) Ensemblemitglieder zu suchen. Ein Intendanz-Wechsel schafft die Möglichkeit, das durch jährliche Aufwüchse entstandene Gagenniveau zu senken.
Mit "Solidarität" (moralisch) zu argumentieren kann nur gegenüber Rentenberechtigten sinnvoll sein. Aber angesichts des sinkenden Rentenniveaus ist auch das in Kürze fraglich. Solidarität muss man sich leisten können. Erst das Fressen!
ich bin sprachlos was ihre Ausführungen angeht! Und entsetzt.
Wenn Sie sich den Fall „Memmingen“ mal genauer anschauen handelt es sich zum Großteil nicht um Schauspieler*innen die etabliert sind und die junge, wie sie schreiben, Konkurrenz fürchtet. Es handelt sich zum Großteil um Menschen die grade erst das Studium abgeschlossen haben und im erstengagement sind. Menschen die das Studium mitten in der Corona Pandemie absolviert haben.
Ich verstehe diese „gestrige“ Haltung überhaupt nicht. Natürlich geht die GDBA in die vollen, macht viel Lärm da es anders nicht mehr geht wie ihre Ausführung bestätigt.
Was meinen Sie zum Beispiel mit den immer komplizierten Regelungen? Weil man mit den Künstler*innen nicht mehr alles machen darf? Weil man nicht das komplette Ensemble austauschen sollte bei Antritt? Wem das zu kompliziert ist, ist vielleicht auch nicht geeignet den Job auszufüllen! Und es gibt sie ja, die positiven Beispiele. Vielleicht wird es einfach mal Zeit für ein Umdenken!
Es gehen immer genug, dass andere nachkommen können. Man könnte es also relativ gefahrlos erst mal mit denen probieren, die bleiben wollen.
Auch das ist Solidarität.
Selbst im Sport wird die Zusammensetzung des Teams differenzierter betrachtet als in den Kulturbetrieben und in dieser Kolumne.
Ja, die Nichtverlängerung ist ein (mindestens) zweischneidiges Schwert - es gibt gute Gründe dafür, aber eben auch dagegen. Auf alle Fälle gute, die bisherige Praxis zu monieren und eine Neuregelung iS. aller zu versuchen. [Und nein, ich arbeite schon lange frei und profitiere ergo sogar von freien Stellen].
Die Mär vom „unsteten Künstler“ [sic! Gendern kommt in diesem Weltbild vermutlich ohnehin nicht vor] wird trotz ihrer Überkommenheit gerne weiter bemüht wie neoliberalen Ideen des Merz & Co als „konservativ“ schönzuschreiben…
Unverschämtheit !
Dramaturgen und Schauspieler sind doch bitte nur Befehlsempfänger ohne eigene Meinung ! Das wäre ja noch schöner.
Anstatt dankbar zu registrieren, dass sich endlich etwas bewegt finden Sie alles ganz doof und ungerecht.
Ihre Logik ist die Logik der Arbeitgeberseite...
Sie spielen die Arbeitnehmer gegeneinander aus, das ist nicht fair.
So hat man ihre Rechte immer klein gehalten, sollten Schauspieler nur dankbar ihren Job machen um am Ende wie Freiwild behandelt zu werden, dass man einfach abschießen kann, um Platz zu machen für frisches junges Wild.
Sie können ihren Platz gerne frei machen für einen jungen, innovativen Journalisten der Visionen hat, anstatt laut zu rufen "das doch bitte alles bleiben soll wie es ist"
Denn ein Großteil möchte das nämlich nicht.
Die Nichtverlängerung ist der Gipfel, dazwischen gibt es noch so viele Baustellen die einfach bearbeitet werden müssen, wenn wir uns "Vertreter der Kultur" nennen wollen.
Ich bin froh über Köln und froh über die Gewerkschaft, die relativiert nämlich andauernd...
so wie Sie
Billig ist zu behaupten, die Gewerkschaft würde Mitglieder in Festanstellung mehr wertschätzen. So hat die GDBA den Freuschaffenden Stimme und Sitz im Hauptvorstand ermöglicht.
Billig ist zu behaupten, Ältere würden ihre Pfründe verteidigen.
Definieren Sie mal älter. Und das soll zu Memmingen passen?
Der GDBA-Ansatz die Nichtverlängerungen möglichst abzuschaffen, also ein künstlerisches Beamtentum im Theater einzuführen, mag für künstlerische Arbeitnehmer verlockend klingen. Für die Künstlerische Entwicklung aber ein Dolchstoß. Man kann der GDBA allerdings keinen Vorwurf machen, denn Sie lebt von den Beiträgen jener, die sie unkündbar machen wollen. Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaft sich für eine künstlerische Entwicklung oder Exzellenz eines Theaters zu interessieren. Sollte sich der Ansatz durchsetzen, findet mittelfristig das Interessantere Theater sicher im nicht tarifrechtlichen gebundenen Bereich der freien Szene statt und Subventionen sollten dann schrittweise entsprechend umgeschichtet werden.
Beamtentum, Besitzstandswahrer, Stillstand
hier werden ja ganz schöne Geschütze aufgefahren. Ist das etwa der Wolf im Schafspelz, der jetzt ein bisschen Angst bekommt, weil seine Schäfchen jetzt aufmucken ?
Was ist das für ein Märchen vom Beamtenschauspieler ?
Bloß weil eine Gewerkschaft die Dinge mal befragt wird vom Untergang des Theaters gesprochen.
Diese Neiddebatte ist ja unerträglich. Setzen sie sich doch mal bitte mit den konkreten Zielen der Gewerkschaft auseinander, vielleicht erweitert das ein bisschen ihren Horizont.
Vielleicht sollte man mal bei den Berliner Philharmonikern nachfragen, die wählen Ihren Dirigenten selber und sind eines der besten Orchester der Welt. Mitbestimmung macht nicht passiv, sondern aktiv.
Nur die Vorstellung ein Ensemble könnte über Spielplan, Verlängerungen, Neueinstellungen, Gastregiesseure bzw. Leitungen mitentscheiden würde ein ganz anderes Denken auf und hinter deutschen Bühnen auslösen.
Re: "Mitbestimmung ist das Zauberwort
Vielleicht sollte man mal bei den Berliner Philharmonikern nachfragen, die wählen Ihren Dirigenten selber und sind eines der besten Orchester der Welt. Mitbestimmung macht nicht passiv, sondern aktiv."
Die Berliner Philharmoniker*innen haben kein MITbestimmungsrecht, sondern bestimmen alleine.
Die Berliner Philharmoniker berufen laut untiger Quelle nicht nur ihre*n Chefdirigenten*in selber, sondern entscheiden auch, wer neu dem Orchester beitreten darf.
Musikeri*innen, die bei denen für die Berliner Philharmoniker etablierten zweijährige Probezeit erfolgreich absolvieren, bekommen danach einen Vertrag auf Lebenszeit.
Wäre also das Modell Berliner Philharmoniker das, was Sie für die öffentlichen Theater der Republik vorschlagen?
Auswahl von Leitung und Mitspieler*innen durch ein Ensemble mit Lebenszeitverträgen?
https://www.tagesspiegel.de/kultur/wir-spielen-fur-die-zuhorer-von-morgen-1483486.html
Alle Nutzer der nachtkritik.de kennen vermutlich junge oder nicht mehr ganz junge Theaterleute, die das Theater-System ausgespuckt hat: Es tut weh, wenn die Theaterlaufbahn nicht weitergeht. Aufgeregte Statements der Bühnengewerkschaft und auch die Diskussion auf dieser Site aber werden an der eigentlichen Ursache des Problems nicht viel ändern können. Die Budgets der Theater werden in den kommenden Jahren wohl nicht steigen, eher im Gegenteil. Die wenigen Stellen werden gefühlt noch weniger, weil die Häuser zurecht dem Diversitätsgebot folgen oder Schauspielstellen in Videokünstler-Stellen umgewandelt haben oder auch noch digitales Theater veranstalten wollen und eventuelle Gehaltserhöhungen weitere Stellen kosten könnten.
Was folgt daraus? Wer ein gewöhnliches Maß an beruflich-existentieller Sicherheit anstrebt, sollte von den Künsten als Beruf die Finger lassen. Wer diese Richtung einschlägt, muss wissen, wie hoch das Risiko ist, nicht vom Schauspiel leben zu können. Bei aller so schönen, so glückstrahlender, so emanzipativer und identitätsstiftender Begeisterung für das Schulfach Darstellendes Spiel wird es nötig sein, den interessierten jungen Leuten klarzumachen, worauf sie sich im Fall des Schauspiel-Studiums einlassen. Sollten die Studierenden nicht zugleich mit dem Abschluss als Schauspieler/in Diplome als Lehrkraft für Darstellendes Spiel, Yoga-Lehrer/in, Logopäd*inn*en und meinetwegen Veranstaltungstechniker*innen oder für andere theaternahe Tätigkeiten erwerben können? Es wäre auch zu fragen, ob es richtig ist, dass so viele private Schauspielschulen so viele Absolvent*inn*en in diesen Wettbewerb um die wenigen Stellen bringen sollen.
Mehr Schutz im System brauchen vor allem Schauspieler*innen, die für Kinder sorgen müssen!
Dass alle, die gerne an den Theatern zum Zuge kommen möchten, diesen Wunsch erfüllt bekommen, müssen wir uns realistischer Weise abschminken. Aber vielleicht helfen auch mutige eigene Gründungen. Es gibt noch Städte, die auf ein Theater warten.
P.S. Ich selber habe aus der Furcht vor einer prekären Existenz Abstand von einer künstlerischen Ausbildung genommen. Um die Profis in meinem privaten Umfeld mache ich mir manchmal Sorgen.
#23 schreibt: "Die Budgets der Theater werden in den kommenden Jahren wohl nicht steigen, eher im Gegenteil." - Im parallelen Thread bei nk ist das indirekt abzulesen. Joe Chialos Ressort wächst um 2,5%, alle anderen Ressorts um 5% aufwärts. Die Inflation ist schneller als Joe Chialo. Insofern pflichte ich #23 bei.
Nun aber die Frage: Wenn es so (zu?) viele Absolvent/inn/en gibt, ist doch die Frage der Vertragslänge nicht die Wurzel des Problems, oder? Andersherum: In einer marktwirtschaftlichen Demokratie mit freier Ausbildungs- und Berufswahl kämpfen dann immer Viele um Weniges. Ohne böse Absicht und ohne Geifer. Aber natürlich zum Wohlgefallen der Inhaber der Produktionsmittel(?), jedenfalls der Dienstherren.
Man könnte nun argumentieren, dass bei mehr längeren Verträgen die Fluktuation abnimmt, die Planungssicherheit für die Inlohnundbrotstehenden besser wird, und sich perspektivisch weniger junge Leute für diesen riskanten Weg entscheiden. Möchlich, als Lerneffekt über die Zeit.
Es ist kein Zufall, dass Künstler:innen diese Verantwortung in Zeiten übernehmen, wenn die demokratische Ordnung zunehmend unter Druck gerät. Denn Demokratie braucht Diskurs und freie Bühnen. Umso bedauerlicher, dass Sie durch die Verkleinerung des Problems auf einen brancheninternen Verteilungskampf in das Lied selbstreferenzieller Destruktion des Systems Theater einstimmen.
Das öffentliche Verständnis von Schaffensprozessen und die Argumentationslinien, welche die Befristung festangestellter Künstler:innen in den letzten Jahrzehnten getragen haben, sind tradiert und entbehren nicht selten einer Rückkopplung zur künstlerischen Zweckbestimmung. Das Nichtverlängerungsrecht ist unausgewogen und Produkt eines Kräfteungleichgewichts. Das komplizierte Verhältnis zwischen privatautonomer Tarifgestaltung und staatlicher Kunstförderung sperrt bislang eine materielle Kontrolle der Nichtverlängerungen durch die Gerichte und überlässt die Vereitelung von Willkür damit den Tarifparteien mit ihrer Tarifgestaltung. In Ansehung dessen ist es höchst bedenkenswert, wie einfach es sich Herr Wolf macht, die gewerkschaftliche Empörung als selektiv und unsolidarisch zu bewerten.
Insgesamt könnte der eher oberflächliche Artikel den Künstler:innen und der GDBA Anlass bieten, ihr Anliegen und dessen gesellschaftliche Dimension noch greifbarer zu formulieren. Von nachtkritik.de und Herrn Wolf wünsche ich mir bei diesem für die darstellenden Künste so existenziellen Thema differenzierteren und konstruktiveren Journalismus.
"Beide sollten die Möglichkeit haben sich zu trennen"
Schön gesagt, aber haben Sie schon mal gehört, dass sich ein Ensemble von seiner/m Intendantin/en getrennt hat ?
In die andere Richtung findet das jeden Oktober statt.
Auch ich habe mich immer mal wieder bei dem Gedanken ertappt, dass es dich schön sein könnte, wenn ich als unkündbarer Regisseur an ein Haus engagiert werden würde. Nicht ständig aus dem Koffer leben, festes Monatsgehalt und soziales Umfeld. Aber eigentlich bin ich doch sehr froh, dass das nie eine Option war, denn künstlerisch wäre ich so wahrscheinlich nie so weit gekommen. Und umgekehrt wäre es für ein Ensemble oder lokales Publikum wahrscheinlich auch langweilig geworden, immer wieder meine Inszenierungen erdulden zu müssen.
Warum wird das nicht diskutiert?
Die ganzen Themen Machtmissbrauch, Klima der Angst, Subjektivität, Intransparenz, Abhängigkeit, Ungleichbehandlung usw. Wäre vom Tisch.
Auch die Honorare könnte man so vereinheitlichen, zB denen des Chores gleichsetzen. Dann wäre auch der andere Themenkomplex Mindestgage, Gagenungerechtigkeit usw. vom Tisch.
Zwar konnte man gekündigt werden, damit wurde auch gedroht, das habe ich so erlebt, doch wenn man lange genug da war, blieb man auch. Stichwort Abfertigung. Das kommt den Theatern teuer wenn man gekündigt wird.
Arbeiterkammer mag gut klingen. Doch haben sie mir dann nicht geholfen als es schwierig wurde.
Gerade die PM zu Memmingen habe ich mit österreichischen Kolleg:innen diskutiert. Das finden sie stark und sahen sich in der Pflicht stärker aufzutreten und sich nicht so zurückhaltend zu geben..
1. Die Grundlage für eine Nichtverlängerung, auch bei Intendant:innen-Wechsel, sind die für die jeweilige Beschäftigtengruppe (Solo, Bühnentechnik, Opernchor, Tanzgruppe) einschlägigen Regelungen des NV-Bühne.
Hier handelt also kein:e Intendant:in willkürlich, sondern nimmt ein Recht wahr, dass ihr/ihm durch den Tarifvertrag für künstlerische Beschäftigte eingeräumt wird. Dieser Tarifvertrag ist zwischen der GDBA und dem Bühnenverein geschlossen. Aus diesem Grund erscheint mir die Skandalisierung der Nichtverlängerungen in Memmingen durch die GDBA als leicht angreifbar.
2. Es wird in der Diskussion meistens übersehen, dass die Bestimmungen des NV-Bühne bzgl. der Nichtverlängerung dazu dienen, einen Kompromiss zwischen den Interessen der künstlerisch beschäftigten Arbeitnehmer:innen und der künstlerischen Leitungen zu erreichen. Sicher fragen jetzt Viele: Wie kann das sein? Ein vereinfachender Erklärungsversuch:
Theater sind Tendenzbetriebe. Das bedeutet, dass im Vordergrund des unternehmerischen Handelns keine ökonomische Orientierung steht, sondern ideelle Ziele. Diese Ziele stehen unter dem Schutz des Grundgesetzes (bei den Theater Art. 5 / Freiheit der Kunst), aus diesem Grund sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebsräte stark eingeschränkt. Die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes finden keine Anwendung „soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht“ (§118 BetrVerfG). Das betrifft nicht das gesamte unternehmerische Handeln aber alle Maßnahmen, die sich zum einen auf „Tendenzträger:innen“ richtet und zum anderen einen „Tendenzbezug“ haben. Einstellungen von Künstler:innen und das Beendigen ihrer Beschäftigung gehören unzweifelhaft dazu. Da also die Betriebsräte in solchen Fällen nicht mitbestimmen können, haben die Sozialpartner:innen im NV-Bühne das notwendige Verfahren bei einer Nichtverlängerung festgeschrieben. (lange Fristen, Anhörung, Abfindungen bei Intendant:innen-Wechsel etc.) Ob dieser „Kompromiss“ ausreicht oder verändert werden soll, kann und muss regelmäßig in Tarifverhandlungen überprüft werden. Es fällt in jedem Fall auf, dass die Bestimmungen im Opernchor restriktiver sind als in den anderen Gruppen (u.a. Berücksichtigung sozialer Belange, Einbindung des Chor-Vorstands).
3. Künstlerische Entscheidungen sind immer in hohem Maße subjektiv. Das betrifft natürlich auch künstlerische Entscheidungen, die Engagements begründen oder beenden. Mir erscheint es allerdings sinnvoll zu sein, dass Intendant:innen bzw. künstlerische Leitungen wenigstens versuchen, ihre Kriterien nach denen sie künstlerische Qualität beurteilen, transparent im Betrieb kommunizieren. Diese Kriterien können dann benutzt werden, um ggf. Nichtverlängerungen zu begründen.
Trotzdem wird es immer einen subjektiven Rest in der Entscheidung geben (müssen).
Die Einbindung von Beschäftigten/Ensembles bei der Findung der Intendant:innen trägt vielmehr dazu bei, die Eignung der Bewerber:innen zur Leitung eines Theaters besser zu überprüfen.
5. Es erscheint mir zumindest diskussionswürdig, den Katalog der künstlerischen Beschäftigten im NV-Bühne zu verkürzen. Die Mitarbeiter:innen von Presse, Marketing, Betriebsbüro etc. üben meines Erachtens nicht überwiegend künstlerische Tätigkeiten aus. Gleiches gilt für den größten Teil der Kolleg:innen, die einen NV-Bühne Vertrag in der Gruppe Bühnentechnik haben. Alle diese Kolleg:innen sind keine „Tendenzträger:innen“, deshalb sollten sie eigentlich TVöD/TVL Verträge bekommen. Aber das würde natürlich die Zahl der Beschäftigten für die die GDBA zuständig ist, deutlich reduzieren.
Den Ausführungen von Friedrich Pohl ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Nur dies:
Werte Dramaturgin #32, vielleicht könnten Sie "den strengen deutschen Kündigungsschutz" etwas genauer erläutern, unter Berücksichtigung der Nichtverlängerungsregelungen des NV-Bühne?
Und dies:
Schickes Zitat, werter Herr Weckherlin (wenn Sie es denn sind). Bringen Sie das auch bei den Anhörungsgesprächen die Sie durchführen? Dann sei jedem, der sich möglicherweise in eine solche Situation mit Ihnen begeben darf, ein Screenshot Ihres Posts empfohlen.
"Beide sollten die Möglichkeit haben sich zu trennen"
Schön gesagt, aber haben Sie schon mal gehört, dass sich ein Ensemble von seiner/m Intendantin/en getrennt hat ?
Dieser Gedanke ist wirklich gut. Gerade, wenn es nicht läuft, die Kommunikation nicht funktioniert, keine gemeinsame Sprache gesprochen wird, sollte es möglich sein, das in Bewegung zu bringen. Warum braucht es immer erst schlechte Auslastungszahlen, um einen Intendanten/in zu kündigen? Bayern München zieht seine Trainer ja auch aus dem Verkehr, wenn er nicht tut wie gewollt. Intendant/in und Team müssen genauso leisten..
Aber es gibt ja auch unterschiedliche Bewertungssysteme. Manchen geht es bei einer Anstellung eines Spielers/in um Können, manchen geht es darum, dass Angestellte nicht den Mund aufmachen, da sie ja Wahrheiten aussprechen könnten, die man als Chef nicht hören will oder nicht mit umgehen kann.
Und manche erkennen auch kein Können. Oder wollen eben obige Leute, weil es einfach er ist, mit denen die den Mund halten umzugehen.
Genauso, wie es manchmal nicht passt, zwischen einem Schauspieler*in und einem Team/der künstlerischen Ausrichtung, da die Fähigkeiten nicht übereinstimmen, kann es auch zwischen der Leitung und einem Haus nicht passen. So empfunden an den Münchner Kammerspielen, an denen Barbara Mundel gerade rudert. Das Haus ist ein Spitzenhaus. Es war zumindest mal eines.
@30
Vereinheitlichte Verträge sind auch keine wirkliche Lösung, denn es gibt immer Künstler, die eben fähig sind, sich mit verschiedenen Konzepten und Denkweisen unterschiedlicher Intendanten oder vielmehr Regisseure auseinanderzusetzen und sich hineinzubegeben. Und gerade das sind fähige Schauspieler, die man oft weder als Intendant noch als Zuschauer verlieren möchte, bzw. sich freut sie in neuen Zusammenhängen weiter erleben zu können. Und der Künstler freut sich gefordert zu sein, Kunst machen zu können. Aber vielleicht wäre eine Möglichkeit eine Art Vereinheitlichung, bei denen es aber Ausnahmen gibt, eben bei solchen die man behalten möchte, weil eben künstlerisch flexibel im Kopf. Denn das sollte gestützt werden.