Medienschau: rbb – Umfrage zu Machtmissbrauch an Theatern

Neun von zehn Befragte von Machtmissbrauch betroffen

Neun von zehn Befragte von Machtmissbrauch betroffen

29. Juni / 1. Juli 2023.  Eine anonyme Online-Umfrage des rbb ergibt, dass nahezu alle Befragten schon mindestens einmal von Machtmissbrauch an Theatern betroffen waren. Die Rede ist von Willkür und einer "Kultur der Angst". Auch am Berliner Gorki Theater stehen die Dinge laut der rbb-Reportage weiterhin nicht gut. 

Die nicht-repräsentative Umfrage war von "750 Bühnenschaffende(n) aus ganz Deutschland" beantwortet worden. 90 Prozent hätten angegeben "persönlich schon mit einer Form von Machtmissbrauch konfrontiert gewesen zu sein. Laut den Teilnehmenden handelte es sich dabei mehrheitlich um verbale Drohungen." 

In knapp 130 Fällen sei angegeben worden, es habe sich um sexualisierten Missbrauch gehandelt. "Verbreitet" sei auch die "Willkür bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen". 

Erneut in die Kritik geraten sei im Rahmen der Umfrage auch der Führungsstil am Berliner Maxim Gorki Theater, der bereits vor mehreren Jahren intensiv diskutiert wurde. Aus Gesprächen mit "mehr als einem Dutzend aktueller und ehemaliger Mitarbeitenden" gehe hervor, "dass sich in den vergangenen Jahren nur wenig geändert hat, was die Arbeitsatmosphäre angeht". Demnach herrsche "nach wie vor ein Klima der Angst. Aus Angst vor Repressalien traue sich kaum jemand Kritik zu äußern". Zu Gestaltung und Ausgang des 2020 erfolgten Mediationsverfahrens gäbe es zudem widersprüchliche Aussagen, so die rbb-Autor*innen. Der damalige Kultursenator Klaus Lederer könne sich "nicht mehr ausreichend erinnern und habe keine Akteneinsicht mehr". 

Insgesamt zeige die Umfrage, dass es "strukturelle Probleme für die weite Verbreitung von Machtmissbrauch an deutschen Bühnen zu geben" scheine. Bühnenschaffende seien "durch den derzeit geltenden Tarifvertrag an öffentlichen Theatern, den so genannten Normalvertrag Bühne, kaum gegen eine willkürliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschützt". 

In einem Kommentar zur Reportage kritisiert hingegen Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung deren Zeitpunkt und Neuigkeitswert: "Was bringt es, die Intendantin des Gorki-Theaters Shermin Langhoff nach komplexen Mediationsmaßnahmen nun wieder in die Schusslinie zu nehmen, ohne dass man etwas Neues zu erzählen hätte? Wozu wird hier auf Ungereimtheiten in der Kulturbehörde hingewiesen, die in der Natur der Sache liegen (...)?"

(Tagesschau / Berliner Zeitung / jeb)

Update, 1. Juli 2023. In der Süddeutschen Zeitung schreibt Peter Laudenbach über die Machtmissbrauchs-Recherche des rbb und zweifelt die Seriösität an. Laudenbach hat nachgerechnet und kommt auf ganz andere Zahlen: "Es sind nicht, wie die ARD suggeriert, 90 Prozent, sondern weniger als 2,5 Prozent aller Theaterbeschäftigten." Von empirischer Evidenz sei die Erhebung weit entfernt. Was die ARD eine "Recherche" nenne, sei bei Tageslicht betrachtet nicht viel mehr als eine Online-Umfrage unter fragwürdigen Vorzeichen. "Die Antworten auf die Umfrage erfolgten anonym. Dass die Journalisten nicht wissen, ob besonders frustrierte Bühnenkünstler vielleicht mehrmals geantwortet und so das Ergebnis verzerrt haben, räumt eine Reporterin aus dem ARD-Rechercheteam auf SZ-Anfrage ein."

Update, 30. Juni 2023. Auch weitere Medien kommentieren die Umfrage. Simon Strauss etwa fragt in der FAZ (29.6.2023), wie man dem Phänomen Machtmissbrauch begegnen könne, "ohne verharmlosend die Schultern zu zucken oder überregulierend den lebensnotwendigen Schutzraum der Kunst einzuschränken". Klar sei: "Anstand im Umgang ist nicht leicht einklagbar. Die Versuche, erprobte Mittel aus der Wirtschaftswelt in die oft unübersichtlichen Abläufe des Theaters zu überführen, stoßen, so hört man von verschiedener Seite, auf Widerstand der Altvorderen." Vielversprechender erscheine, "das kollektive Bewusstsein für Grenzübertritte zu schärfen und auch in Mithaftung zu nehmen." 

Christianze Peitz beschäftigt sich im Tagesspiegel (30.6.2023) vor allem mit dem Verhalten der Berliner Kulturverwaltung und der Reaktion der Intendantin Shermin Langhoff auf die neuerlichen Vorwürfe. Diese wolle "zum kritisierten 'Klima der Angst' (...) nichts sagen, auch nicht zur Situation der Betreffenden, 'weil diese Mitarbeiter*innen sich nicht zu erkennen geben und nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Ereignisse sie das 'Klima der Angst' empfinden. Sind es die Zeitverträge und deren Verlängerungsprozesse, so gibt es diese zweifellos.'" 

(FAZ / Tagesspiegel / jeb / sik)

Kommentare  
rbb-Umfrage Machtmissbrauch: Zweierlei Maß
Machtmissbrauch an den deutschen Theatern. Hier mal wieder das Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Der damalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer könne sich "nicht mehr ausreichend erinnern und habe keine Akteneinsicht mehr", er wisse somit nicht, wie sich das so weiter gestaltet hat mit den Mediationsverfahren am Gorki. Tja – ist schon blöd mit der Vergesslichkeit. Jedenfalls ist erneut der Führungsstil an dieser ehemals Ost-Berliner Bühne in die Kritik geraten. Aus Gesprächen mit "mehr als einem Dutzend aktueller und ehemaliger Mitarbeitenden", - schreibt der rbb - gehe hervor, "dass sich in den vergangenen Jahren nur wenig geändert hat, was die Arbeitsatmosphäre angeht". Demnach herrsche "nach wie vor ein Klima der Angst. Aus Angst vor Repressalien traue sich kaum jemand Kritik zu äußern".
Und, was lernen wir nun daraus. Ich glaube nichts. Oder doch: es ist alles eine Frage der Perspektive. Wer Recht sprechen will, muss wissen, was Recht ist. Was richtig ist und was falsch. Da sind wir bei Shakespeare. Herzog Vincentio in „Maß für Maß“ ist sich da in vielen Dingen auch nicht so sicher. In seinem Reich blühen Unzucht und Zuhälterei – oder - trockener ausgedrückt - „Machtmissbrauch“. Aber Vincentio kann sich nicht dazu durchringen einzuschreiten. Lieber beauftragt er einen Stellvertreter.
Dieses Shakespeare-Stück ist schwierig. „Maß für Maß“ handelt nämlich auch von der richtigen Balance zwischen dem notwenigen Maß an gesellschaftlicher Ordnung und dem größtmöglichen Maß an individueller Freiheit. Ein empfindliches Gleichgewicht: Je nach Standpunkt, verschieben sich die Gewichte. Alles eine Frage der Perspektive!
Was ist Recht? Und wie viel Recht und Ordnung braucht eine Theater-Gesellschaft? Wie viel Freiheit darf, muss sein? Fragen, die in Zeiten, wo permanent über Machtmissbrauch an den bundesdeutschen Bühnen berichtet wird, aber auch ganz allgemein Bürgerrechte im Namen der Sicherheit beschnitten werden, aktueller kaum sein könnten.
Aber zweierlei Maß geht gar nicht! Nun ist die Gorki-Chefin Shermin Langhoff gefragt.
rbb-Umfrage Machtmissbrauch: Untragbar
Zweierlei Maß geht eigentlich garnicht aber dennoch wird genau das praktiziert…
Kleines Beispiel: Mit Klaus Dörr und Peter Spuhler wurde- OBWOHL JURISTISCH SCHULDFREI GESPROCHEN- medial und im Flurfunk nicht ansatzweise so zimperlich umgegangen… Da ging ein Shitstorm los, der andere taub machte für juristische Sachlichkeit…
Hier in diesem Fall Langhoff halten alle plötzlich Augen, Ohren und Mund geschlossen, obwohl ALLEN klar ist, dass dieser Führungsstil absolut untragbar ist… (...) Dieses Fehlverhalten würde bei den oben genannten Herren mit sofortiger Wirkung gestoppt werden…

(Der Kommentar wurde um eine Passage gekürzt, die nicht belegbare Behauptungen enthielt.
Herzliche Grüße aus der Redaktion)
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