Presseschau vom 21. Juni 2010 – Interview mit Anne Tismer im Zeit-Magazin
Faustine, Woyzickine, Schweinsteigerine
Faustine, Woyzickine, Schweinsteigerine
Juni 2010. Im aktuellen ZEIT-Magazin (17.6.2010, Nr. 25) ist ein Interview abgedruckt, das Ijoma Mangold mit Anne Tismer geführt hat und das auf Wunsch der Künstlerin komplett ohne Kommata veröffentlicht ist. Die ehemalige Star-Schauspielerin erzählt darin, dass die Film-Aktion Meechfieber, für die sie 2004 mit dem Aktionskünstler John Bock zusammenarbeitete, für sie "bis dahin das größte Kunsterlebnis" war. Alles, was sie vorher gemacht hat, hält sie für "totalen Pipifax". Als Schauspieler müsse man "ja nicht mal den Text selber schreiben", das Schwierigste sei noch das Auswendiglernen. Um Kostüme und Bühne kümmerten sich andere, und "dann sitzt immer einer unten zum Aufpassen dass alles klappt. Also ehrlich – das ist doch lächerlich. Ich verachte das jetzt. Man muss sich auch immer das Gehirn ausleeren weil sonst fluttern da Gedanken rum – das ist nicht so angesagt – bringt alles durcheinander – und Mädchen müssen das mehr als Jungs."
Das Theater sei ein sehr chauvinistischer Betrieb. Da gebe es "Missbrauch Perversion sexuelle Ausbeutung Abtreibung Unterdrückung – auch so ne prickelnde gefährliche Erotik so wie bei der Scientology-Zentrale". Beim Theater werde "rumgeschrien geprügelt gesoffen rumgefickt – dass sich die Balken biegen". Das sei "als Mädchen gar nicht einfach weil die meisten am Theater sind Männer – die sind auf jeden Fall stärker. Wenn man da eins auf die Rübe kriegt dann liegt man erst mal platt. Ich hab paarmal was übergezogen bekommen und ein blaues Auge eingefangen".
Außerdem attestiert sie sich selbst "eine leichte Form von Autismus": "Ich hab ein ziemliches Problem mit Gruppen und mit Codes wie sich Menschen verständigen (...). Ich guck mir auch oft meine Arbeiten auf Video an und ich seh dass da was nicht stimmt. Ich wirke als wär ich daneben." Tismers Plan ist es, möglichst viel umzuschreiben: "Woyzickine Stalinine Titti Andronine Kaspar Hausiererin Omlettine Schweinsteigerine Faustine Nuttelline".
Mit Hitlerine, das Ende Januar 2010 in der Regie von Alexis Bug und mit Tismer in der Titelrolle im Prater der Volksbühne aufgeführt wurde, hat sie mit dem Umschreiben bereits angefangen.
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr medienschauen
meldungen >
- 27. April 2024 Theater Rudolstadt wird umbenannt
- 26. April 2024 Toshiki Okada übernimmt Leitungspositionen in Tokio
- 26. April 2024 Pro Quote Hamburg kritisiert Thalia Theater Hamburg
- 25. April 2024 Staatsoperette Dresden: Matthias Reichwald wird Leitender Regisseur
- 24. April 2024 Deutscher Tanzpreis 2024 für Sasha Waltz
- 24. April 2024 O.E.-Hasse-Preis 2024 an Antonia Siems
- 23. April 2024 Darmstadt: Neuer Leiter für Schauspielsparte
- 22. April 2024 Weimar: Intendanz-Trio leitet ab 2025 das Nationaltheater
neueste kommentare >
-
Kritik an Thalia Theater Hamburg Machtpositionen
-
Woyzeck, Leipzig Perfektes Gesamtkunstwerk
-
Kritik an Thalia Theater Hamburg Differenzierungen
-
Pygmalion, Berlin Beseelte Leiber
-
Kritik an Thalia Theater Hamburg Realität
-
RCE, Berlin Mehr als überzeugend
-
RCE, Berlin Geglückt
-
Pygmalion, DT Berlin Augenhöhe
-
Neue Leitung Darmstadt Fest oder frei?
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Radikal künstlerisch
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Schon ist einem das Wort "Quark" unangenehm. Doch, doch es gibt viele Formen der Gewalt am Theater, aber sie ist geschlechterübergreifend. Die Männer, die Frau Tismer dort beschreibt, unter denen haben auch wiederum andere Männer zu leiden. Die Männer, die sie dort beschreibt, gibt es aber auch in Form von Frauen. Da gibt es schon die ein oder andere, die sich gerne als "Kampfsau" beschreibt (...).
Ich beschreibe Ihnen nun ein erstes kurzes Arbeitsgespräch mit einem der wirklichen weiblichen Stars dieser Szene, sowohl im Theater wie im Kino. Die Dame betritt grußlos ein Büro, setzt sich und fragt vor ab, nach dem sie ihre blonde Mähne ein paar mal hin und her geworfen hat: Na! Hast Du jetzt Angst?
Man wendet sich Ihr in seinem Stuhl zu, es ist für Theaterverhältnisse noch früh am morgen, so 10.30 Uhr und antwortet: Sehe ich so aus , wie jemand der Angst hat?
Woraufhin die Blonde, die sich immer mehr wie eine Löwin gibt, verneint und einem in kurzen Worten erklärt, dass sie kein Interesse an der vorgeschlagenen Rolle habe. Woraufhin man erwidert: Dann ist das Gespräch hier beendet.
Vielleicht teilt es sich hier nicht mit, aber in solchen Auftritten liegt soviel verbale und auch physische Gewalt, er war eine einzige Drohgebärde. Nach solchen morgendlichen "Plaudereien" hat sich wohl schon so manches Männchen oder Weibchen am Theater überlegt, ob es seinen Job nicht eventuell an den Nagel hängen möchte. Die Dame war wahrscheinlich recht stolz auf sich, als sie das Büro verließ, aber denkt man sich einmal, ein Mann würde einer Frau in einem Arbeitsgespräch so entgegen treten, wie lächerlich wäre das denn?
"Na, hast du jetzt Angst?" Eine solche Frage als Gesprächseröffnung finden viele sicherlich absolut prickelnd. Ich hingegen weiß, wenn es so beginnt, wäre es besser Angst zu haben, denn da kommt nichts Gutes. Da makiert ein Feind sein Revier. Und solch beschriebenes Verhalten, dass ja noch hinnehmbar ist, stellt nur die Spitze des Eisberges dar. Es gibt sexuelle Übergriffigkeit von Frauen, wie Männern, man möchte es einfach aus Scham nicht beschreiben.
Willkommen im Tierreich. - Aber es gibt eben auch ganz andere Frauen und Männer am Theater, und die binden einen dann immer wieder, und deshalb beginne ich jetzt einfach mit meiner Arbeit und vergesse dieses undifferenzierte Interview, dass so manchem aus der Seele spricht, mir nicht, denn die wahren Verhältnisse am Theater sind etwas komplizierter gelagert, als es uns Frau Tismer so reißerisch weiß machen will.
Als Dramaturgin ist mir das passiert, ein Intendant, der mir durch die Haare wuscheln wollte - ich saß auf der Treppe, er ging vorbei, wuschelte und war überrascht als ich ihn zur Rede stellte. Es gibt ihn, den wuschelnden Mann im Theater. Vielleicht hat er die ihre Mähne werfende Frau selbst erzeugt. Das ist die Frage nach Henne oder Ei, was?
Ansonsten ist doch klar, dass beide Geschlechter sich daneben benehmen können. Warum sollte das nur den Männern vorbehalten sein? Aber statistisch betrachtet sind eben immer noch mehr Männer in Leitungsfunktionen und prägen dadurch das Ganze entscheidend.
machtmenschen gibt´s am theater viele, vielleicht auch mehr männliche, ja. ich wage aber zu bezweifeln, dass chauvinismus DAS merkmal des theaterbetriebes ist, und dass durch nie maschen des netzes fallen muss wer sich verweigert.
Wer von "Missbrauch, Perversion, sexueller Ausbeutung, Abtreibung, Unterdrückung und Scientology" spricht, der kann das doch gar nicht ernst meinen. Für mich klingt das eher nach Parodie als nach "Wahrheit". Oder es entspringt der autistischen Weltsicht. Who knows?
Wenn Frau Tismer sagt, dass es wahrscheinlicher ist, in einem Porno mitzumachen, als bei Tatort etc. heißt das in etwa: Porno ist genauso unwahrscheinlich wie Tatort, von den beiden unwahrscheinlichen Möglichkeiten ist Porno noch eine Spur wahrscheinlicher. Es ist fast mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie nie in einem Porno auftreten wird.
Das Gespräch selber ist, wie eine Randbemerkung der „Zeit“ angibt, als Performance zu verstehen. Gibt’s noch mehr davon?
Aber lassen wir das, 123. Sie haben doch schon das Rentenalter erreicht und müssten allmählich wissen, dass man nicht jede Bemerkung auf die Goldwaage legen sollte. Gerade in Ihren Kommentaren, bei denen Sie ausreichend Zeit zum Reflektieren haben, vermisse ich mitunter die Selbstkontrolle, die Fähigkeit zu sprachlichen Sensibilitäten.
Zurück zu Anne Tismer. Die meisten ihrer Bühnenarbeiten und Performances der letzten Jahre fand ich grenzüberschreitend und von hoher individueller Ausdruckskraft. Weitaus interessanter als das bürgerliche Dramenzeug der Schaubühne. Aktionskunst ist nun mal etwas surreal. Weiter so!
Lieber Gruß
123