Presseschau vom 26. Oktober 2011 – Tobias Becker sucht politisches Theater

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26.Oktober 2011. "Das traditionelle Polittheater ist in schlechter Verfassung", stellt Tobias Becker auf Spiegel online fest. Und nennt sieben "Gründe" für diese Feststellung: Das Theater sei schon lange nicht mehr das Institut nationaler Identitätsbildung. Das Theater schaffe es nur noch höchst selten, große Politskandale zu initiieren, es könne also nicht mehr als Katalysator politischer Diskussionen dienen. Das Theater als Apparat sei zu langsam, um auf aktuelle politische Ereignisse reagieren zu können. Das Theater als Ort sei ungeeignet für eindeutige Botschaften, weil es traditionell der Ort erfundener Geschichten sei. An ihm würden Gewissheiten aufs Spiel gesetzt, nicht erzeugt. Das politische Theater im Stil der siebziger Jahre erreiche immer nur die, die sowieso schon bekehrt und Teil der Community seien. Das politische Theater im Stil der siebziger Jahre neige dazu, seine Themen auf einen dramatischen Konflikt zu reduzieren. Das verzerre aktuelle politische Probleme: Es gebe nicht mehr eindeutig Freund und Feind, und wenn, dann seien es keine Personen. Das Theater sei unglaubwürdig, wenn es gegen kapitalistische Ausbeutung agitiere, weil es oft in selbstausbeuterischen Arbeitsverhältnissen entstehe, die kritisierten Verhältnisse also in seiner eigenen Arbeit reproduziere.

Anschließend lässt Becker sich seine Thesen vom Politikwissenschaftler Jan Deck legitimieren, der soeben einen Sammelband mit dem Titel "Politisch Theater machen" herausgegeben hat und meint: "Theater können nicht mehr auf politische Wirkung hoffen, nur weil sie politische Themen theatral aufbereiten." Stattdessen sei auf Formen darstellender Kunst zu setzen, die einen öffentlichen Diskursraum schaffen, die Zuschauer in Situationen verwickeln und ihnen eine Haltung abverlangen, die Recherchematerial vor den Zuschauern ausbreiten, ohne direkt inhaltlich Position zu beziehen und zu belehren, die kollektiv in nicht-hierarchischen Strukturen erarbeitet werden.

Solche Arbeiten, so Becker, ließen sich beim Festival Politik im Freien Theater bestaunen, dessen achte Ausgabe morgen in Dresden startet. Als Hoffnungträger fürs politische Theater macht er beim kritischen Spaziergang durchs Festivalprogramm u.a. Gob Squad, She She Pop und God's Entertainment aus.

(sd)

Kommentare  
Politik im Theater: Will das jemand?
komisch nur das die occupy proteste doch sehr theatral daherkommen.
in den kostumierungen,in den ironischen brechungen,in dem sich nicht auf eine position festlegen lassen,in ihrer spontanität und clownerie.
kamen aber wahrscheinlich bissel überraschend für den wissenschaftlichen apparat.artikel und buch waren wohl schon fertig?
vielleicht mangelt es einigen menschen innerhalb der apparate eher an den nöten,dem unbedingten willen,der verzweiflung und der daraus entstehenden kreativität um noch politisch relevantes zu erzeugen.
wer will denn mit berliner intendantenbezügen die ängste um die lebensperspektive eines studenten verstehen?
oder will das jemand?
Politik im Theater: Ängste der Studenten
Damit wäre dann geklärt, wovon Theater handeln sollte: von den Ängsten der Studenten.
Gruselig.
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