Presseschau vom 4. Februar 2011 – Klaus Völker über die Mode, Romane auf die Bühne zu bringen

Nur kein Drama!

Nur kein Drama!

4. Februar 2011. "Die Rolle des Dramatikers im Theater der Gegenwart ist nur noch marginal", schreibt Klaus Völker im Freitag (3.2. 2011). "Die gestaltende, das Gesicht des Theaters bestimmende Kraft ist inzwischen maßgeblich nur noch der Regisseur, nach dessen Vorlieben und künstlerischen Auffassungen sich Spielplan, Engagements, die dramaturgischen und räumlichen Gegebenheiten einer Inszenierung zu richten haben", so Völker, der bis 2005 Rektor der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin war. "Als das Theater noch ein führendes Medium und auf Autoren angewiesen war, musste der Regisseur ein Ensemblekünstler sein."

Heute dagegen würden Stücke nur noch selten "gründlich gelesen und ihr umfänglicher dramatischer Reichtum ausgeschöpft". Sprachlich kühner dramatischer Dichtung werde nicht mehr zum Leben auf der Bühne verholfen, lediglich Stoffe, Konflikte, Themen würden aufgegriffen und als "Bausteine eines Projekts" benutzt. Und für solche Projektarbeit eigneten sich die Spannungselemente, Stoffe und Themen bekannter Romane beziehungsweise durch das Medium Film populär gemachter Romanhandlungen offensichtlich besser: "Sie leisten jedenfalls weniger Widerstand, passen sich den Ideen, den Assoziations- und Erlebniswelten der Theatermacher leichter an." Dass immer mehr Romane für die Bühne adaptiert werden, hänge "sicher auch damit zusammen, dass der Dialog als hauptsächliches konstitutives Bauelement im Drama keine wichtige Rolle mehr spielt und das Zusammenspiel so vielfach zugunsten monologischen Sprechens ins Mikrofon vernachlässigt oder völlig aufgegeben wird".

In vielen Romanen würden gewiss "bühnentaugliche Stoffe" lauern, "die genügend 'dramatischen' Charakter haben. Sie müssen aber von einem sprachmächtigen Dramatiker dramatisiert werden." Frank Castorfs erste Dostojewski-Adaptionen an der Berliner Volksbühne bewegten sich noch "im Bannkreis solch aufwühlender, widerständiger Theaterarbeit, die mehr in Bildern und szenischen Vorgängen zum Ausdruck bringt, was nicht zur Sprache kommen darf".

Zurzeit sei die Mode, Romane zu dramatisieren, "nur der Versuch, Erfolgen hinterherzurennen und nostalgisch in Vergangenem zu schwelgen, Gegenwärtiges lieber nicht zu benennen. Romane als Revue. Nur kein Drama." Denn die "bloße Umwandlung eines Romans in eine bunte Performance, in ein Bühnen-Event", ergebe kein Drama; "sie gerät in der Regel nur zur illustrierenden Aneignung der Handlung in ein ganz subjektives, unverbindliches Hier und Jetzt."

Klaus Völkers Text geht zudem auf die frühen Versuche von Erwin Piscator ein, ein Theater der "puren Gegenwart" zu erfinden: "An Widersprüchen, an Dialektik war Piscator nicht interessiert, er wollte Geschichte und den Kampf der Arbeiter ums tägliche Brot dramatisieren"; Brecht zum Beispiel habe dies abgelehnt.

Außerdem blickt Völker auch auf zwei Inszenierungen von Gerhart Hauptmanns "Die Weber": auf Volker Löschs Inszenierung 2004 in Dresden und auf Michael Thalheimers jüngst am Deutschen Theater Berlin herausgekommenen Arbeit.

(dip)

 

Kommentare  
Presseschau Romane auf der Bühne: originell wie der Wasserstandsbericht
Klaus Völker hat ja vollkommen Recht, aber seine Diagnose ist so originell wie der Wasserstandsbericht vom letzten Hochwasser. Offenbar werden Thesen erst wahrgenommen, wenn sie in der "ZEIT" oder im "Spiegel" stehen. Als Beleg - im Bewusstsein, dass ich den Vorwurf der Eitelkeit riskiere - einer von mehreren Beiträgen zum Thema. Er ist vor mehr als fünf Jahren erschienen.
http://www.titel-magazin.de/artikel/0/2472/zum-beispiel-k.html
Presseschau Romane auf der Bühne: das Interessante an Völkers Artikel
@ Thomas Rothschild
Da kann ich Ihnen schon in gewissen Weise zustimmen, ich wünsche mir auch schon seit längerem mehr Gegenwartsdramatik auch von Autoren, die schon wieder der Vergessenheit anheim gefallen sind. Sie führen da ja ein paar Tschechen und Polen in Bezug auf Franz Kafkas Dramatisierung des „Prozess“ an. Nur hier fasst es meiner Meinung nach Klaus Völker etwas anders an, wenn er zwar die Dramatisierung von Romanen nicht generell verteufelt, aber sehr richtig auf den Eventcharakter einiger Inszenierungen hinweißt. Das Problem haben sie aber auch mit originären Theaterstücken, wie gerade in Bochum mit dem Cyrano, den Webern im DT und gerade erst gestern mit Friederike Hellers Antigone als psychologisierendem Rockkonzert mit den Labdakiden in einer Art Familienaufstellung. Mit was bekomme ich die Leute noch ins Theater, ist die große Frage. Mit einem Stück von irgendeinem nur Insidern noch bekanntem Autor wird das kaum gelingen. Völker betont deshalb, dass viele Inszenierungen der letzten Zeit, eher einem Projekt gleichen als einem Theaterstück und hat da etwas sehr Wahres erkannt. Nachtkritik unterschlägt in der Zusammenfassung leider den eigentlichen Tenor des Artikels. Ich zitiere: „Das gegenwärtige Theater scheut das Drama, versteht sich viel eher als Event, es will Nähe, braucht den Fan, es will beeindrucken, Botschaften übermitteln und authentisch sein. Künstlichkeit ja, aber bitte keine Kunst.“ Ich will da mit Sicherheit nicht alle Versuche des sogenannten Regietheaters in einen Topf werfen, aber ich finde, dass Völker mal auf die Qualität aufmerksam macht, das viel Interessantere in seinem Artikel, nicht so sehr ob die Dramatisierung von Romanen wirklich notwendig ist.
Völker über Moden: Arkadij denkt Dinge zusammen
Der war gut, Herr Rothschild, und originell allemal: Wasserstandsberichte, die der
Originalität folgen (könnten/mögen) . Na, da sind mir persönlich beinahe Abende lieber, die auf das breite Publikumsinteresse zielen. Aber, ganz im Ernst; wenn Herrn Völker das Wasser jetzt bis zum Hals steigt, dann schert es nicht so sehr, ob es zuvor auch schon Hochwasser gegeben hat und er sich möglicherweise an alte Pegelstände zur
Übermittlung hält. Über "Roman- und Filmadaptionen" hören wir gerade in dieser Spielzeit verstärkt etwas , nicht minder über eine "Mode des Authentischen" oder etwa, daß jede Stadt jetzt offenbar einen eigenen Wagner-Ring bringen muß, wir hören vom Druck der Auslastungszahl-Quoten, von Tricks, bei den Prozentzahlen beschönigend einzuwirken, von der "Eventisierung", die Stefan anspricht, die teilweise strukturell direkt dem Auslastungsdruck nachfolgt.

Der Ex-Rektor der Ernst-Busch-Schule wird schon gehört und gelesen werden, wenn nun auch er für den oberflächlichen Blick in die Nähe der "Romanverteufelung" gerät, welche eingangs der Spielzeit noch Herrn Stadelmaier beschäftigte.
Nun, ich sehe bei Herrn Völker, ähnlich wie Stefan, den Akzent mehr bei einer Qualitätsdebatte als beim Thema der Adaptionen, die als eines der profiliertesten Symptome einer schon über längere Zeit zu beobachtenden Entwicklung verstanden werden -es hätte auch der Begriff "Rampenstehtheater" fallen können-: ihm geht es um das Drama, die Geschichte des Dramas (und die Nachvollziehbarkeit seiner Formentwicklungsgeschichte (daher Peter Szondi !)) und die Ermöglichung dessen, daß gegenseitige Sichfordern der SchauspielerInnen beim Spiel von Dramen zu erleben, welches der eigentliche Kernbereich der Schauspielkunst war, ist und sein wird (wie ich vermute), geht nicht nur um die sogenannte neuere Dramatik, sondern um eine schwindende Bandbreite in den Spielplänen landauf, landab, geht zum Beispiel auch um die "Weber" am DT, wo die Binnenreibung der Personage des Stückes nicht mehr zu spüren war im Grunde.
Das Thema, das Herr Völker aufgemacht hat, scheint mir eher den Aussagen verwandt zu sein, die Matthias Schmidt vor einiger Zeit machte, als er von "handlungsähnlichen Strukturen" sprach.

Gerade vor wenigen Tagen ist ein Autor erst gelobt worden, Lutz Hübner nämlich, dem es nicht so sehr darauf ankommt, die "SM-Freier im Parkett" zu bedienen, wofür er ua. dann schon mal von Herrn Merck als "Essentialist" (wohl minderen Gewichtes ..., so las ich das seinerzeit) bezeichnet worden ist (in einem anderen Thread geht es zT. um "Schubladen", nun, Lutz Hübner ist auch dafür ein beredtes Beispiel), zudem das Dresdner Staatsschauspiel, das auf der anderen Seite allerdings auch die erste "Turm"-Bearbeitung aufgeboten hat (Regie:Wolfgang Engel) , welche wiederum im Bannkreis der "Adaptionskritik" eine Rolle spielt.
Ich finde, daß Dresden derzeit ein gutes Beispiel dafür liefert, wie problembewußt im Spielplan auf die ua. von Völker beschriebenen (es gibt Ähnliches auch von Frau Dössel...) Entwicklungen der vergangenen Jahre reagiert werden kann;
wir finden dort schon eine recht große Ausgewogenheit durch die Arbeit ua. mit Palmetshofer, Hübner, Neumann und Laucke, die Bürgerbühne, gut gespielte (!!)
und dramaturgisch vorbildliche Stücke wie "Don Karlos" und "Das Käthchen von Heilbronn", auch Romanbearbeitungen wie "Adam und Ewelyn" oder "Der Turm" -eine Romanbearbeitung von "Der Turm" werte ich eher als einen Schritt hin zu einem Drama mit dezidiertem DDR-Stoffgehalt, weniger als Event (sehe im "Turm" eher den Nachbarn zu den diversen Schernikau-, Hacks-, und/oder Dathabenden, welche, der aktuellen Wasserstandsmeldung folgend, nicht unterschlagen werden sollten im Sinne von Beispielen, die Mut machen, dem besagten Trend, wie alt der auch immer sei, entgegenzuwirken: die Gefahr, denjenigen das Wort zu reden, die das Übel des Regie- und Eventtheaters am liebsten direkt bei Castorf ansiedeln würden (siehe
Stadelmaier im vergangenen Sommer: siehe Oderland), sehe ich im übrigen obendrein).
Mitunter mag man sich aber auch gehörig zieren, möglicherweise mit seinem "ideologischen Widerpart" schlichtweg einige Befunde zu teilen..
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