Presseschau vom 9. Januar 2013 – Die Frankfurter Rundschau interviewt Andres Veiel zu "Das Himbeerreich"
Einer stellt die System-Frage
Einer stellt die System-Frage
9. Januar 2013. "Das Himbeerreich", Andres Veiels Bankenstück, das übermorgen in Stuttgart und fünf Tage danach in Berlin Premiere haben wird, wirft lange Schatten voraus. Nach dem Gespräch in der taz (5.1.2013) veröffentlicht heute auch die Frankfurter Rundschau (9.1.2013) ein Gespräch, das Stephan Kaufmann mit dem Regisseur und Autor geführt hat:
Keine Verrückten
Top-Banker seien keine Verrückte, aber oft "gespaltene Persönlichkeiten". Mit der einen Hälfte machten sie riskante, teilweise windige Geschäfte und berauschten sich am Erfolg. Die andere Hälfte verurteilte diese Geschäfte und leide. Es handele sich aber nicht um "Schizophrenie", sondern um "die Gleichzeitigkeit von Haltungen, die nicht miteinander zu vereinbaren sind". Dieser Widerspruch habe dann auch bei einigen Bankern zu dem Wunsch geführt, darüber zu sprechen. Nicht öffentlich für einen Film, aber privat, und das sei die Chance gewesen, dieses Stück zu schreiben. Die Banker hätten, selbst wenn sie längst nichts mehr zu sagen haben in ihrem Haus, immer noch Angst vor dem "Verlust von Privilegien und Pension bis hin zu Schadenersatzansprüchen der Bank". Aber es gehe nicht nur um Geld. Auch bei längst pensionierten Managern gebe es immer noch eine "starke Identifikation mit der Bank". Keiner wolle als "Nestbeschmutzer" dastehen, daher habe er, Veiel, zusichern müssen, in dem Theaterstück "ihre Spuren zu verwischen".
Es geht immer auch anders
Banker, so Veiel, agierten innerhalb eines Systems, das bestimmte Verhaltensweisen erzwingt. Andererseits seien sie Menschen, die sich für einen "bestimmten Weg" entschieden hätten und die auch anders hätten entscheiden können. Der Banker könne immer auch "einen Deal" nicht genehmigen, eine Bilanz nicht unterschreiben, sich gegen das System stellen, und es öffentlich machen, selbst wenn er dafür gefeuert werde.
Aber es sei "die Politik" gewesen, die "die Finanzmärkte liberalisiert", "riskante Geschäfte erlaubt", "auf Bankenfusionen gedrängt und dafür Milliarden bereitgestellt" habe. Heute präsentiere sich die Politik als "Opfer". Auch die neuen Gesetze zur Bankenkontrolle seien noch immer "zu weich". Investmentbanker sagten ihm, sie würden "immer Wege finden, diese Regeln zu umgehen".
Welches Wirtschaftssystem wollen wir?
Daher käme es letztlich auf die "System-Frage" an. "Welche Art von Wirtschaft wollen wir?" Bislang regiere hier ein beschleunigtes "Immer mehr", nicht nur in der Finanzsphäre. Wachstum sei aber kein Sachzwang, Zwänge verstünde er, Veiel, als "Synonym für Interessen".
Dass sich die Menschen das alles gefallen ließen, liege 1. an der Informationsschwemme, in der Zusammenhänge verloren gingen; 2. daran, dass wichtige Dinge, sprich Informationen, versteckt würden; 3. daran, dass die Menschen das Vokabular der Krise nicht begriffen und auch nicht begreifen sollten. Die Sprache diene als Machtinstrument, das die Elite nutzt. Aber man könne auch ohne Spezialkenntnisse vieles verstehen, wenn man nur nachfrage.
(jnm)
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