Presseschau vom 8. Oktober 2013 – Auf Welt Online resümiert Reinhard Wengierek die Eröffnung der Intendanz Enrico Lübbes in Leipzig und ihre Vorgeschichte
Noch keine große Leistung
Noch keine große Leistung
8. Oktober 2013. Auf Welt Online (7.10.2013) resümiert Reinhard Wengierek noch einmal die dreitägige Eröffnung der Intendanz von Enrico Lübbe in Leipzig samt ihrer Vorgeschichte.
Leipzig brauche "weniger Schwänze", dafür "mehr Rückgrat", ruft Wengierek, der Dresdner, angesichts des nackten Mannes im "Othello" von Christoph Mehler. Und am Ende seines Artikels: dass Christoph Mehlers Othello sein "Männlichkeitsfleisch bloßlegen durfte an der Rampe", dürfe man als komisch-verzweifelten Aufruf zu einem Minimum an Publikumserregung deuten. "Doch derlei Kitzel steckt man mittlerweile selbst in Leipzig ungerührt weg."
Dazwischen rekapituliert er noch einmal die Geschichte der Berufung Lübbes, das kapitale Missverständnis Sebastian Hartmann in Leipzig und kurz auch die Vorgeschichte der Vorgeschichte bis zurück zur Ära Kaiser in der weiland DDR.
Über Lübbe schreibt Wengierek: Der "sehr feinfühlig und sympathisch auftretende Mann" gelte als "sensibler Geschichtenerzähler, dem Klarheit und Verständlichkeit wichtiger sind als raffinierte Dekonstruktionen und überkomplexe Phantasmagorien". Ein "metiersicherer" Schauspieler-Regisseur mit dem Ruf, "maßvolle Reduktion und Abstraktion in eins zu bringen mit herzbewegender Einfühlung". In seiner Bewerbung habe sich Lübbe "entschieden gegen eine Verfremdungsanstalt mit experimentell-expressiver Monokultur" und für einen publikumsnahen "Gemischtwarenladen" ausgesprochen, was in Leipzig "schon mal sehr entzückte". Das von seinem Vorgänger etablierte junge Fan-Publikum wolle er nicht verprellen, aber auch niemanden verletzen und die bürgerliche Mitte hinzu gewinnen. Er sei kein "Geschmackspolizist".
Und "flugs" sei "das Unglaubliche unter hämischen Sachsen" geschehen: Die Bewerbungsei einem Stadtmagazin zugespielt worden und sofort habe eine "beispiellose Vorverurteilung" seitens der "avantgardistisch" besessenen Minderheit begonnen: Die Rede sei von "Konterrevolution" und "Rolle rückwärts ins künstlerisch Belanglose" gegangen. Was freilich die als "dämlich" gescholtene Mehrheit animiert habe, "den Enrico an die Brust zu drücken".
Der habe gelassen reagiert. Auch in Chemnitz sei er anfangs "beschimpft worden als Jungspund, der alles Bestehende zernichte". Jetzt betrauere Chemnitz seinen Weggang. Doch habe es drei Jahre gedauert, ehe der neue gute Ruf eines Hauses sich an der Kasse niederschlug.
Zumindest zur dreitägigen Saison-Eröffnung sei in Leipzig die Bude voll gewesen; "noch keine große Leistung" sei zu sehen gewesen, dafür in den drei Klassikern "Emilia Galotti", "Othello" und "Der Liebe und des Meeres Wellen" überwiegend "Rumsteh-Rede-Antwort-Theater", das "Defizite an schauspielerischer und sprachlicher Intensität" auch noch ausstelle. Dreimal "minimalistisches Abstraktionstheater, comichaft reduziert aufs Nachbuchstabieren des Plots. Alles allgemeinverständlich, aber wirkungsschwach".
Wo seien bloß die versprochenen ästhetische Vielfalt und furiose Schauspielerentfaltung geblieben? Wohl aus lauter Angst, dem zuletzt ziemlich beschädigten Publikum etwas anzutun und als wilder Aufbrecher dazustehen, habe man sich "so mutlos wie fantasiearm und rückgratlos" durch die Texte gelabert.
(jnm)
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Viel besser, als alle diese pseudokünstlerischen, designten Seiten, die auch als Informationsuchspiel durchgehen würden.
Sind Sie sicher, dass nicht genau die Websites pseudokünstlerisch designt sind, die nicht so aussehen? Man würde doch gerne auf einen Blick sehen, wo man sich über was informieren kann. Einen Kalender habe ich über dem Schreibtisch, dafür brauche ich keine Zahlenkolonne auf einer Theaterwebsite. Ein Informationssuchspiel, genau das ist es. Die Seite ist nix. Man würde das ja gerne auf der Website selbst mal kritisch anmerken, aber um Kontakt aufzunehmen muss man sich da registrieren lassen wie bei der US-Einreise. Danke, nein. Hoffe also, dass es wirklich nur ein Übergangsding ist.
Der "Freitag" (10.10.2013) hat sich im übrigen dem Spielzeitstart in Leipzig ebenfalls
zugewandt. Derlei Bezugnahmen sind ja nicht gerade "freitagtypisch", und deswegen mag man (bzw. nk) dort einen solchen Artikel garnicht erst suchen (vermuten). Es findet sich dort eine eher freundliche Aufnahme der Lübbe-Intendanz, wenngleich mit der "Forderung"
nach mehr Biß, mehr Mut (jedenfalls nach meiner Lesart). Mich wundert es ein wenig, daß auf das Phänomen des "Premierenmarathons" nicht viel mehr gesondert eingegangen worden ist im Blätterwald, schließlich gibt es da ja Vorläufer (bei denen es ja auch einen Premierenmarathon und ein Theaterleben danach gegeben hat).
Wie war das damals noch gleich bei dem MGT-Start von Armin Petras und den vielen Premieren ? Qualität und Quantität ?? Oder gar: "Gemischtwarenhandel" ???
Tatsächlich bietet sich Petras zum Vergleich (siehe Ende Oktober) geradezu an,
denn sein Spielzeitstart in Stuttgart hat (nur oberflächlich besehen ?) zumindestens der Anlage nach eine ziemliche Ähnlichkeit mit dem 3-Tage-Auftakt in Leipzig.
Der Name "Sebastian Hartmann" taucht im neuen Programm im übrigen auch noch auf, da das Studentenprojekt zu Wolfram Lotz "Der große Marsch" auch bei Lübbe fortgeführt wird..
denn von der "Lulu" war ich nun wiederum ziemlich enttäuscht, dabei deutet das Bühnenbild sogar auf eine spannende Regieidee, die dann aber in aller Plattheit verspielt wird, so daß am Ende alles im Effekt ertrinkt. Leider ist da viel zu wenig von einer ernstzunehmenden und ausdifferenzierten "Männerwelt" zu sehen, um dieser Lulu überhaupt die Chance zu geben, sich dagegen auszureizen, so daß die Frage ins Publikum, ob sich da jemand finde, sie zu retten, auch den Funken haben könnte, zu entzünden. So aber illustriert man ein wenig Bunga-Bunga und vielleicht (wie in der Publikumseinführung erwähnt) etwas von der Frage, warum in Frankfurt, dem Finanzzentrum, auch ausgerechnet das größte Bordellviertel des Landes zu Füßen sich findet, obschon man sich auch angesichts der Inszenierung fragen mag: Wieso Frankfurt ? Nun gut, wegen der Jungfrauaktien, aber dazu müßte die Männerriege halt viel mehr ausdifferenziert werden, daß es auch nur halbwegs betrifft; die Ausdifferenzierung dürfte eine in etwa als sexuelles Komplement zum "Himbeerreich" (Andres Veiel) zu denkende Schattierungspalette nicht auch noch weit unterbieten (und das ist hier der Fall).
Auch haperte es in den schnell gesprochenen Passagen bei vielen Akteuren sprachlich, es wurde so mancherlei auf ärgerliche Weise vernuschelt und nicht verstehbar (dabei saß ich schon viel weiter vorn als bezahlt, so doll war nämlich die Auslastung an allen drei Abenden, die ich sah, im Großen Haus nicht, und für 10 Euro ging immer entschieden mehr), was mich umso mehr überraschte, weil mindestens zwei Abende ("Antigone" und "Des Meeres und der Liebe Wellen") gerade sprachlich überzeugten. Wie gesagt, das von Stefan beschriebene "Loft"-
Bühnenbild, die geradezu emiliamäßige Konzentration auf einen Abend (der eben schon der Ripperabend sein muß und am Ende auch ist) hätte spannend sein können, gerade wenn die verschiedenen Verrichtungskabinen dazu genutzt worden wären, die Differenzierung der Personage zu betreiben (frei nach dem Motto: "Goll, Lulu, wie ihr das jetzt macht, krieg ich keinen hoch", um dann die nächste "Rückblende" anzusetzen (der Abend macht kaum verständlich, daß es sich nur um einen Abend und Rückblenden -siehe Einführung !- überhaupt handelt, und die "Chorszenen der Onanisten" gelten zumeist der platten Behauptung einer "Männerwelt"), dann hätte das "Bunga, Bunga" auch immer wieder eine interne Spannungs- und Reibungsfläche haben können, statt billiges Ausstellen eines ach so schockierenden Regieeinfalles (zB. des Filmdrehs) letztlich zu sein).
Die Frauenfiguren aller Inszenierungen zusammengenommen deuten aber für mich durchaus auf einen geschickt gewählten Spielplan, der hier eine ganze Palette von Möglichkeiten der Kontrastierung und Variation im Köcher führt, bringt man die Abende über sich selbst hinaus mitieinander ins "Vernehmen", und es klingt nur konsequent, wenn dann gen Ende Januar 2014 tatsächlich Schnitzlers mit Godard
konfrontiert werden wird..
Das Bühnenbild zeigt die Welt, in der das stattfindet. Der Verweis zum „Himbeerreich“ von Veiel ist übrigens gut gewählt, handelt es sich doch hier auch um die gleiche Bühnenbildnerin. Und auch der Glaskasten steht bei Calis nicht zum ersten Mal auf der Bühne. In der Zusammenführung hier in der Lulu-Inszenierung, Bank gleich Edelpuff, Peepshow, Pornostudio etc., Fahrstuhl rauf und runter usw. wird es zu einem sehr starken Bild. Natürlich kann man das auch als platt empfinden. Calis hat einen Hang zum verschwitzten Kitsch und knalligen Effekten. Sein Film „Woyzeck“ mit Tom Schilling ist dahingehend eine einzige Zumutung.
Was die Schauspieler betrifft, müssen wir allerding in tatsächlich völlig verschiedenen Aufführungen gewesen sein. Die Premiere war hervorragend gespielt. Allerdings herrscht momentan auch eine große Verunsicherung in Teilen des Ensembles, wie ich erfahren konnte. Das den Leuten aus Chemnitz etwas Gegenwind entgegenblasen würde, davon konnte man ausgehen. Dass ihnen allerdings die Kritiken förmlich um die Ohren fliegen würden, damit hatten sie nicht gerechnet. Man liest auch keine Kritiken mehr. Das kratzt schon auch stark am Selbstbewusstsein, wenn man da in Teilen so vernichtet wird. Ich fand die „Lulu“ im Gegensatz zur doch sehr perfektionistischen und faden „Emilia“ eben einfach interessanter. Hier ließe sich auch eher weiter diskutieren, als darüber, ob Lübbe nun psychologisch oder wie auch immer inszeniert.
Aber ich finde, man sollte Lübbe & Co. nun auch mal arbeiten lassen, ohne auf seinem Buckel Glaubenskriege auszutragen und alte Rechnungen zu begleichen.
http://teichelmauke.me/2013/10/12/die-nacht-der-heruntergelassenen-hosen/
(und bei Stefan freilich auch nicht, das macht sein letzter Satz der Lulu-Kritik durchaus deutlich). Dennoch habe ich nach diesen Tagen in Leipzig eine Haltung zu diesem Start und damit verbunden eine Hoffnung für die Zukunft, denn daß es Lübbe (auch angesichts der Exzeptionalität seiner Inszenierungen) ebenso ergehen könnte wie Herrn Hartmann und daß tatsächlich nur die "andere Hälfte" Leipzigs nun ins Theater geht, wird zwar selten offen diskutiert, sehe ich aber als eine reale Gefahr (wie gesagt, die Sachen laufen noch nicht lange, und dafür fand ich die Auslastung im Großen Haus nicht unbedingt überzeugend, auch wenn ich nicht viel auf diese Auslastungsdebatten halte, in Leipzig war das halt leider prägend und lang nicht nur dort): und ich meine: Gefahr ! Weil ich diesem Start und dieser Intendanz aufrichtig wünsche, daß es ihr besser ergeht, sowohl aus früheren Chemnitzer Erfahrungen heraus (siehe "Illusionen" zB.) als auch gestärkt durch meine jetzigen Erfahrungen, als der Vorgängerintendanz. Und zu besagter Haltung zählt auch, daß ich in der Tat noch den längeren Theaterabend inklusive Pause bzw. sogar Pausen dabei ziemlich schmerzlich vermisse; ich halte Pausen für immens wichtig, und möglicherweise wird es spätestens durch das Thalia-Gastspiel mit dem Faustmarathon dahingehend auch (wieder) ein Verlangen und/oder ein ernsthaft diskutierendes Bestreben am Haus dafür geben, denn all die Quickies, die höchstens einmal die Dauer eines Fußballspieles erreichen, vermute ich, dürften nicht reichen, die volle Bandbreite theatraler Möglichkeiten auch nur annährend befriedigend auszuschöpfen.